B. Mazlish u.a. (Hrsg.): The Global History Reader

Mazlish, Bruce; Iriye, Akira (Hrsg.): The Global History Reader. . London 2005 : Routledge, ISBN 0-415-31460-7 302 S. € 28,03

Lechner, Frank J.; John Boli (Hrsg.): The Globalization Reader. . Oxford 2003 : Wiley-Blackwell, ISBN 1405102802 454 S. £ 19.99

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Conrad, Friedrich-Meinecke-Institut, FU Berlin

Globalgeschichtliche Perspektiven auf die Geschichte haben seit einigen Jahren Konjunktur, und vor allem in den Vereinigten Staaten hat dies zu Bestrebungen geführt, diese Richtung auch im universitären Alltag zu institutionalisieren. Eine Reihe von Lehrstühlen ist in den letzten Jahren geschaffen worden; Patrick Manning hat in „Navigating World History“ die Entwicklung und Dynamik des Feldes kartografiert; das Journal of World History hat seit wenigen Monaten durch das Journal of Global History (Cambridge University Press) Konkurrenz bekommen. Der 2005 erschienene „Global History Reader“ von Bruce Mazlish (ehemals MIT) und Akira Iriye (Harvard University) zeugt nun davon, dass das Bedürfnis nach begrifflicher Reflektion und der Versicherung der Grundlagen der neuen Richtung groß ist.

Die Herausgeber gehören zu den Protagonisten der New Global History, die sich programmatisch von dem früheren Paradigma der allumfassenden, die ganze Welt in den Blick nehmenden ‚Weltgeschichte’ mit ihren eurozentrischen Fragestellungen absetzt. Der Band umfasst 28 Aufsätze, die fast alle bereits vorher an anderem Ort erschienen sind und hier in gekürzter Form und in 14 thematischen Sektionen erneut publiziert werden. Die Schwerpunkte korrespondieren mit der aktuellen Debatte über die Folgen globaler Verflechtungen: Multinationale Unternehmen, Migration, Umwelt, Kultur, Konsum, Medien, Epidemien, Terrorismus. Unter den Autoren sind bekannte Namen wie Saskia Sassen, Ulf Hannerz, Lawrence Freedman, Arjun Appadurai oder Anthony Giddens.

Anders als es der Titel verspricht, werden hier jedoch nicht in erster Linie globalgeschichtliche Ansätze vorgestellt. Nur wenige Beiträge sind von Historikern geschrieben, und noch weniger haben einen explizit historischen Fokus. Dazu zählt eines der Gründungsmanifeste der neuen Globalgeschichte, das allerdings noch den von den Herausgebern inkriminierten Begriff der Weltgeschichte im Titel trägt (World History in a Global Age von Michael Geyer und Charles Bright), aber auch die Beiträge von Stephen Kern oder Wang Gungwu. Die große Mehrzahl der Aufsätze hingegen ist eher geeignet, einen Überblick über die Problemlagen und analytischen Herausforderungen der gegenwärtigen Globalisierung zu vermitteln. Der Reader ist wohl eher als Nachhilfeunterricht für Historiker gedacht, die sich globalen Interaktionen widmen möchten; diese Aufgabe erfüllt er sehr gut, viele Texte gehören schon zu den Klassikern in diesem jungen Feld. Auch das generelle Anliegen mag durchaus seine Berechtigung haben – schließlich ist der Gebrauch des Begriffs Globalisierung durch Historiker erst wenige Jahre alt, und historische Rückblicke auf die Globalisierungsgeschichte sind bisweilen nur implizit und wenig fundiert von den Anliegen der Gegenwart durchdrungen.

Aber genuin historische Ansätze kommen auf diese Weise zu kurz. Wie lässt sich eine Geschichte der Globalisierung schreiben, die bis ins 19. oder gar 16. Jahrhundert zurückreicht? Welche Zäsuren lassen sich in einer solchen Geschichte einziehen, welche Akteure und Interessen spielten hier eine Rolle, wie lässt sich die Dynamik dieses Prozesses jenseits einer leicht renovierten Modernisierungstheorie fassen? Diese Fragen kommen in dem Reader kaum vor. Darüber hinaus muss Globalgeschichte ja nicht Globalisierungsgeschichte sein. Eine rasch wachsende Zahl von Studien thematisiert die Verbindung lokaler oder nationaler Phänomene mit übergreifenden, häufig globalen Strukturen – einige Beispiele davon hätte man sich in dem Reader gewünscht. Welche methodischen und erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten, aber auch welche Chancen und neue Blickwinkel mit einer solchen Perspektive verbunden sind, bleibt hier undiskutiert.

Schließlich tendiert die Mehrheit der Beiträge zu einer eher euphorischen Tonlage in ihrer Bewertung des Globalisierungsprozesses. Das gilt gewiss nicht für alle Autoren, und auch die Herausgeber machen auf den Zusammenhang von Globalisierung und Imperialismus aufmerksam. Aber im Ganzen wird die Vernetzung der Welt hier doch vor allem von ihren westlichen, metropolitanen Zentren aus betrachtet und vor allem als Chance (wenn nicht als „Karneval der Kulturen“) verstanden. Dies schlägt sich auch in der thematischen Auswahl nieder – zwar kommt der Terrorismus ausführlich vor, aber Genozide, die Gender-Problematik oder auch die Religionen sucht man vergeblich. In dieser Hinsicht eröffnet der explizit sozialwissenschaftlich ausgerichtete „Globalization Reader“, den die Soziologen Frank J. Lechner und John Boli zusammengestellt haben, einen breiteren Überblick. In beinahe 60 Beiträgen – wiederum fast alle stark gekürzt – wird eine breite Themenpalette vorgestellt. Schwerpunkte sind die ökonomische Globalisierung, die Rolle der Medien sowie politische Organisationen und NGOs, aber auch etwa die Rolle des Nationalstaats, dessen Zukunft aus unterschiedlicher Sicht diskutiert wird. Hier kommen aber auch die Verlierer/innen und Gegner/innen der Globalisierung zur Sprache: Kulturelle und religiöse Fundamentalismen, Umweltbewegungen und Kapitalismuskritik werden analysiert, und Vandana Shiva oder Subcommandante Marcos kommen auch selbst zu Wort. Auch von hier aus ließen sich interessante Brücken in die Vergangenheit schlagen und eine Genealogie der kritischen Auseinandersetzung mit Globalisierung rekonstruieren.

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