Wie lässt sich eine der wichtigsten Determinanten moderner Politik für ein breites Publikum darstellen, nämlich: dass Bilder Machtverhältnisse nicht allein repräsentieren, sondern Macht hervorbringen, sichern, aber auch unterminieren können? Eine Ausstellung, wie sie das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 2004/05 in Bonn und Leipzig zeigte, ist nicht der schlechteste Weg, die „Macht der Bilder“ in pädagogisch-politischer Absicht sichtbar zu machen und der viel geschmähten Selbstinszenierung, Medialisierung und Visualisierung des Politischen historischen Kontext und Tiefenschärfe zu geben. Wie Hermann Schäfer, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, in seinem Vorwort unterstreicht, stellt die uralte Tatsache der visuellen und anderweitigen Inszenierung von Politik keinen Grund dar, ein kulturpessimistisches Klagelied über den allgegenwärtigen Verfall der öffentlichen Debattenkultur anzustimmen. Vielmehr sollte dies dazu reizen, einen Blick „hinter die Kulissen der Macht“ zu werfen und den Mechanismen politischer Visualisierung auf den Grund zu gehen.
Leider kann der hier vorzustellende, reich bebilderte Katalog diesen ehrgeizigen Anspruch nur partiell einlösen – um den Hauptkritikpunkt gleich vorwegzunehmen. Dies liegt, wie man einem räumlich begrenzten Unternehmen fairerweise zu Gute halten muss, auch am Fehlen einschlägiger historischer Vorarbeiten insbesondere zur Bundesrepublik, auf die die Ausstellung hätte zurückgreifen können.1 Die Zeitgeschichtsforschung zu Westdeutschland wagt sich erst in den letzten Jahren an das Thema Medialisierung heran und hat sich, wenn überhaupt, lange Zeit auf die institutionelle Seite des Medienensembles konzentriert.2 Anders sieht es mit den Diktaturen NS-Staat und DDR aus, deren Medienlandschaften besser erforscht sind. Diese werden von der Seitenzahl her im Katalog privilegiert, während in der Ausstellung, gemessen an der Stellfläche, das Verhältnis ausgeglichener war. Für eine populäre Darstellung bietet der „Aufstand der Bilder“, den die Propagandisten der NS-Zeit und der DDR entfesselten, griffigere Ansatzpunkte. Demgegenüber ist die Visualisierung demokratischer Politik, obwohl sie gerade in der Demokratie eine essentielle Quelle von Machtausübung bildet, analytisch schwer in den Griff zu bekommen – ganz zu schweigen von der Untersuchung der tatsächlichen Wirkung massenmedial inszenierter, visueller Kommunikation. Denn die von den politischen Strategen stets selbst beeinflussten und diese wiederum beeinflussenden Umfragen können allenfalls vorläufige Antworten geben.
Katalog und Ausstellung schlagen einen weiten Bogen von Weimar bis zur Gegenwart, wobei sich die Beiträge in Qualität und Zugang zu dieser sperrigen Materie erheblich unterscheiden. Im Kapitel über Weimar rückt Manfred Görtemaker den politischen Kontext nach vorne, d.h. die Reichspräsidentenwahlen, auf die sich die Exponate mehrheitlich beziehen. Konkreter auf politische Bildstrategien geht Hans-Ulrich Thamer im Beitrag über den Nationalsozialismus ein. Thamer spricht mit Bezug auf den 30. Januar 1933 und die folgende Durchsetzung der NS-Herrschaft von einer „Machtergreifung der Bilder“, da die Programmatik des so genannten Dritten Reiches doch wesentlich bildhaft vermittelt wurde (etwa durch die Inszenierungen des „Führers“ in Riefenstahl-Filmen). Eine Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Wirkungen dieser Bilder kann der summarische Hinweis auf den „charismatischen Charakter“ von Hitlers Herrschaft aber nicht ersetzen. Dass die Nationalsozialisten ihre Erfolge nicht allein ihrer Propagandastrategie verdankten, hat Thamer andernorts ausführlich dargestellt. Ein Exkurs zur Wirkungsgeschichte der nationalsozialistischen Bildstrategien wäre dennoch wünschenswert gewesen, zumal Martin Wörner in einem Beitrag über alliierte Anti-Hitler-Flugblattpropaganda dieser einen hohen Wirkungsgrad bescheinigt.
Geglückt ist der Teil zur DDR, der ein rundes Bild der politischen Imagologie des zweiten deutschen Staates vermittelt. Der Stalin-Kult (Hermann Weber), die öffentliche Verwendung der Porträts der „Führer der Arbeiterklasse“ Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und Erich Honecker (Stefan Wolle), oppositionelle Bildstrategien (Angela Stirken) sowie der Bildersturm während und nach der friedlichen Revolution 1989/90 (Rainer Eckert/Bernd Lindner) werden quellengesättigt erörtert. Wenn die Demonstranten des 17. Juni 1953 „Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille“ skandierten, dann nahmen sie direkt auf die visuellen Eigenheiten der Partei- und Staatsführer Bezug, deren Bilder sie in effigie gleich mit verbrannten – was wiederum Bilder dokumentierten. Man vermisst einen Hinweis auf die Relativierung der ostdeutschen Propaganda durch den externen Bilderstrom via Westfernsehen. Die DDR-Medien hatten nicht allein mit dem wachsenden Realitätsverlust ihrer Führung zu kämpfen, sondern zugleich mit der Konkurrenz westlicher Bilder.
Wie sich der bundesdeutsche Bilderhaushalt entwickelte, ist der Gegenstand des vierten, zur Gegenwart offenen Blocks. Hans-Peter Mensing macht anhand der Vermarktung Adenauers und Erhards in den Wahlkämpfen der 1950er und 1960er-Jahre deutlich, dass „amerikanisierte Wählerwerbung“ von Wahlkampfmanagern bewusst eingesetzt wurde – lange bevor dieser Begriff mit pejorativer Konnotation zu zirkulieren begann. Der betont nüchterne Stil, Adenauers ziviler Habitus, der sich vom NS-Bombast deutlich absetzte, wurde nicht zuletzt mit „human interest stories“ gepflegt, bei denen die „first family“, insbesondere Adenauers Töchter, eine gewichtige Rolle spielten (während die NS-Propagandisten Privatbilder Hitlers aus den Medien verbannten). Ähnlich verhielt es sich mit Willy Brandt, der, wie Helga Grebing zeigt, zwar als jugendlicher Gegenpol zum Patriarchen Adenauer firmierte, aber auf seine Weise ein ebenso modernes Deutschlandbild transportierte. Wie Adenauer gehörte auch Brandt seit Ende der 1960er-Jahre zu der seltenen Spezies demokratischer Politiker, die die Verehrung ihrer Anhänger in hohem Maße auf sich zogen – wobei diese Verehrung zum Teil selbst wieder Medienprodukt ist (was eingehender zu würdigen wäre). Wie aber, von anekdotischen Einzelbeispielen abgesehen, Bildstrategien konkret wirken, darüber schweigen sich die Beiträge leider aus.3
Aufsätze über den Weg der „Elefantenrunden“ zum TV-Duell (Helene Thiesen), zu jüngeren Personalisierungsstrategien kleiner Parteien (Christina Holtz-Bacha), zur politischen Satire (von Sonja Stajnko) und zur Zukunft der Mediendemokratie (Andreas Dörner) runden den Katalog ab. Die heutige Mediendemokratie wird in das offensichtliche Kontinuitätsnarrativ der alten Bundesrepublik, aber nicht der DDR gestellt, obwohl Fernsehduelle der beiden Spitzenkandidaten sich erst im wiedervereinigten Deutschland durchsetzten und die alten Politikerrunden mit der Kanzlerschaft Kohls abbrachen. Als nicht gänzlich befriedigend erweist sich auch, dass häufig Personalisierung und nicht Bildstrategien im Zentrum stehen. Dörner sucht der verbreiteten Geringschätzung emotionaler und unterhaltsamer Dimensionen von Politik entgegenzuwirken, indem er Medienwirklichkeiten an gesellschaftliche Transformationsprozesse rückbindet – wie die Auflösung politischer Milieus und die marktwirtschaftliche Neuordnung des Medienensembles seit den 1980er-Jahren. Dennoch wirkt die Schlusspassage übertrieben staatstragend, wenn angesichts der Gefahr der „Kalifornisierung“ (Schwarzenegger lässt grüßen) an das Verantwortungsbewusstsein der Akteure und des Publikums appelliert wird. Hier wie auch in anderen Beiträgen des Katalogs bricht der volkspädagogische Impetus durch, dem eine der politischen Bildung verpflichtete Institution wohl Rechnung tragen muss.
Irritierend wirkt die monadenhafte Abgeschlossenheit, mit der die vier deutschen Staaten im 20. Jahrhundert behandelt werden. Historische Kontinuitäten und wechselseitige Bezüge werden systematisch unterzeichnet. Die Ausstellungskonzeption (von Jan Fiebelkorn-Drasen) betonte die Brüche und den Gegensatz Demokratie – Diktatur, wie Projektleiter Ulrich Op de Hipt schreibt. In vielerlei Hinsicht aber standen Politik und Medien der frühen Bundesrepublik im Schatten Weimars und des NS-Staates – trotz der Versuche, Adenauer und Brandt als zivile Gegenbilder zu den imagologischen Exzessen des Nationalsozialismus zu inszenieren. In ihrem Habitus, ihrem Vokabular und ihrer bildlichen Formensprache knüpften Politiker und Journalisten in Ost und West an Vorbilder aus der Zeit vor 1945 bzw. vor 1933 an. Diese Kontinuitäten, die nicht allein als Kontinuitäten des Personals gelesen werden müssen, sondern auch von Arbeitsweisen, Bildstrategien und Wahrnehmungsgewohnheiten auf Rezipientenseite, werden nicht einmal am Rande thematisiert. Ähnlich ist es um die visuelle Interaktion der beiden deutschen Staaten bestellt. Schließlich wäre zu fragen, inwiefern die heutige Bundesrepublik nicht allein das Erbe des Weststaates repräsentiert, sondern eben auch das der DDR, und was Informalisierung und Infotainisierung mit den Umbrüchen nach 1990 zu tun haben. Das verdienstvolle Projekt des Hauses der Geschichte appelliert an den „kritischen Umgang mit dem Medium Bild“ (Ausstellungsdirektor Jürgen Reiche), doch es wirft drängende Fragen auf, deren Beantwortung weiterer Grundlagenforschung bedarf.
Anmerkungen:
1 Zur Historiografie der Bilder jetzt: Paul, Gerhard, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn 2004.
2 Zum Forschungsstand: Schildt, Axel, Das Jahrhundert der Massenmedien. Ansichten zu einer künftigen Geschichte der Öffentlichkeit, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 177-206; Weisbrod, Bernd (Hg.), Die Politik der Öffentlichkeit – Die Öffentlichkeit der Politik. Politische Medialisierung in der Geschichte der Bundesrepublik, Göttingen 2003. Verstärkt berücksichtigt wird die Medialisierung im 2004 gestarteten Portal http://www.zeitgeschichte-online.de.
3 Zum „Willy“-Kult neuerdings: Münkel, Daniela, Willy Brandt und die „Vierte Gewalt“. Politik und Massenmedien in den 50er bis 70er Jahren, Frankfurt am Main 2005.