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Titel
Oskar von Miller 1855-1934. Eine Biographie


Autor(en)
Füßl, Wilhelm
Erschienen
München 2005: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
451 S., 66 Abb.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernhard Stier, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau

Mit dieser Darstellung liegt die erste Biografie des Elektrizitätspioniers und Gründers des Deutschen Museums vor, die trotz insgesamt großer Verluste an Primärquellen wissenschaftlichen Ansprüchen standhält. Wilhelm Füßl, Leiter des Archivs des Museums, verwirft jedoch die älteren, volkstümlichen bis hagiografischen Lebensbeschreibungen (Kristl, Pörtner, W. v. Miller) nicht, sondern ordnet sie selbst wieder historisch ein. Er versteht sie als Teil einer spezifischen „Überlieferungstradition“, die das öffentliche Bild Oskar v. Millers - des kreativen, spontanen und umtriebigen, ebenso sympathischen wie eigensinnigen „weiß-blauen Despoten“ - erst geschaffen habe. Diese Perspektive macht es möglich, den Miller-Mythos als wesentlichen Teil der Biografie zu begreifen. Füßl will ihn hinterfragen und vor allem seinen Kern, das „bewusst abgerundete[s] Bild seiner Person und seiner Lebensleistung“ sowie die „lineare Erfolgsgeschichte“ (S. 12) von Millers wissenschaftlicher, praktischer und didaktischer Arbeit empirisch überprüfen. Was die beiden großen Arbeitsbereiche Millers betrifft, so verfolgt die Darstellung das Ziel, seine Rolle als Pionier und Sachverständiger der Elektrizitätswirtschaft, die gegenüber der Gründung des Deutschen Museums bislang im Hintergrund stand, deutlicher herauszuarbeiten. Damit soll eine Schieflage im Miller-Bild korrigiert werden. Dementsprechend werden in einem ersten Großkapitel Millers Engagement für die Popularisierung der Elektrizität und seine berufliche Tätigkeit für die spätere AEG sowie als unabhängiger Elektrizitäts-Sachverständiger behandelt. Hinzu kommen einige Nebenaspekte wie die Wasserbauforschung oder seine Bemühungen um die Einführung des elektrischen Zugbetriebs. Vorgeschaltet ist ein Überblick über Jugend, Ausbildung und erste Berufstätigkeit des Bauingenieurs aus der bekannten Erzgießer-Dynastie. Füßl skizziert darin die Herkunft der Familie, ihren raschen Aufstieg in die Münchener Honoratiorengesellschaft sowie ihr kulturelles und soziales Umfeld.

Gerade Millers Begegnung mit der Elektrizität zeigt die Verschränkung von gesellschaftlichen und persönlichen Faktoren in der Biografie. Denn obwohl der elektrische Strom damals wie kaum eine andere Technologie Phantasie und Erwartungen der Zeitgenossen bewegte, gehen der spontane Entschluss des königlich-bayerischen Baubeamten zum Besuch der ersten europäischen Elektrizitätsausstellung 1881 in Paris, seine Entscheidung, dieses Gebiet weiter zu verfolgen und dafür seine Stellung aufzugeben, sowie sein Engagement bei der Organisation der Münchener Elektrizitätsausstellung im folgenden Jahr in diesen zeittypischen Tendenzen nicht auf. Sie sind - wenn überhaupt, dann nur annähernd - allein unter Rückgriff auf ein starkes subjektives Moment des unruhigen Suchens und der Spontaneität zu verstehen. Die beeindruckende Karriere, die Miller nach seinem Austritt aus dem Staatsdienst zunächst zu Emil Rathenaus „Deutscher Edison-Gesellschaft für angewandte Elektricität“ (seit 1887 „Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft“) und anschließend in eine freiberufliche Existenz als Elektroingenieur und Sachverständiger für Elektrizitätswirtschaft führte, schildert Füßl vor allem auf der Grundlage von Privatbriefen Millers. Ihre wichtigsten Stationen bildeten die Organisation der Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt am Main 1891 mit der ersten Fernübertragung elektrischer Arbeit mittels hochgespannten Drehstroms, die Projektierung zahlreicher Kraftanlagen und Versorgungsnetze im In- und Ausland, Gutachten für öffentliche Stellen - u.a. 1930 für die Reichsregierung über die einheitliche und planmäßige Weiterentwicklung der nationalen Elektrizitätsverbundwirtschaft - sowie vor allem das Projekt des Walchenseekraftwerks und einer landesweiten Stromversorgung Bayerns. Als verbindende Klammer identifiziert Füßl ein „Konzept des ‚sozialen Stroms’“ (S. 140ff. u.ö.), also der flächendeckenden und einheitlichen, dabei möglichst preiswerten Stromversorgung vor allem für die Landwirtschaft, für Handwerk und Kleingewerbe sowie für die privaten Haushalte. Es wird vergleichsweise ausführlich erläutert und mit Fallbeispielen belegt. Stärker betont werden sollte dabei vielleicht die Tatsache, dass es sich um ein zeittypisches, in der damaligen Nationalökonomie weit verbreitetes Elektrifizierungsprogramm handelte. Durch Großkrafterzeugung und Kostendegression, durch Verbundwirtschaft und Verbrauchsausweitung versprach es enorme Effizienz- und Wohlstandsgewinne.

Die Idee zur Einrichtung eines technikhistorischen Museums hatte Miller offenbar bereits 1891 im Umfeld der Frankfurter Ausstellung und damit lange vor dem öffentlichen Gründungsaufruf aus dem Jahr 1903. Mit den großen nationalen und internationalen Gewerbeausstellungen bestens vertraut, übertrug Miller deren Prinzip auf eine technisch-wissenschaftliche Dauerausstellung. Sie sollte die Entwicklung der Technik und ihren Beitrag zur Kultur dokumentieren, sie popularisieren und schließlich die soziale Bedeutung der Techniker und Ingenieure veranschaulichen. Dieses „System ‚Deutsches Museum’“ (S. 251), verstanden als Sammlung, Ausstellung, Erforschung und Vermittlung der technischen Kultur, behandelt Füßl im zweiten Teil. Er beschreibt die Gründung des Museums, die Eröffnung der provisorischen Ausstellung (1906) bzw. des Neubaus (1925) und die Museumsarbeit bis zum Rücktritt Millers im Jahr 1933. Dabei werden auch die Ursachen des bereits länger bestehenden Konflikts Millers mit der Hitler-Bewegung thematisiert. Füßl sieht sie neben der seiner Tätigkeit als Staatskommissar für das Bayernwerk im Dienst der Räteregierung vor allem im Konzept des Museums: Mit dem Grundgedanken, den Fortschritt auf einzelnen Fachgebieten ohne Rücksicht auf nationale Zugehörigkeiten anhand möglichst vollständiger technischer Entwicklungsreihen zu verdeutlichen, musste er den Nazis zwangsläufig als ‚Internationalist’ und Repräsentant des verhassten Weimarer ‚Systems’ erscheinen. Die Darstellung schließt mit einem knappen Portrait des „Privatmanns“ Oskar v. Miller. Ebenso wie die Schilderung seines Engagements für das stets gefährdete Projekt Deutsches Museum, der Kreativität, Hartnäckigkeit und Überredungskunst, aber auch der Starrköpfigkeit, die Miller dabei unter Beweis stellte, wirft sie erneut die Frage nach dem Zeittypischen bzw. dem Singulären in der Persönlichkeit auf. Es bleibt ein verhältnismäßig großer, durch rationale Analyse kaum aufzulösender Rest - gerade darin liegt aber die Faszination, die von dieser Person immer noch ausgeht.

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