D. Gosewinkel (Hg.): Wirtschaftskontrolle und Recht im NS

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Title
Wirtschaftskontrolle und Recht in der nationalsozialistischen Diktatur. Das Europa der Diktatur 4


Editor(s)
Gosewinkel, Dieter
Series
Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main, 180
Published
Frankfurt am Main 2005: Vittorio Klostermann
Extent
427 S.
Price
€ 89,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
André Steiner, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Der vorliegende Sammelband ist aus dem vom Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte seit Ende der 1990er-Jahre bis 2004 initiierten und durchgeführten Großprojekt "Das Europa der Diktatur. Wirtschaftskontrolle und Recht" hervorgegangen, das sich den europäischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts vergleichend widmete. Dabei ist der Band der erste von insgesamt dreien, der sich allein dem Nationalsozialismus zuwendet. Er geht von der Grundhypothese aus, dass dort, wo die Wirtschaft ohnehin bereits staatlichen Interventionen ausgesetzt war, "das Recht ein tradiertes, in den Händen europäischer Diktaturen besonders wirksames Instrument der Kontrolle und Lenkung" darstellte (S. XI). Damit richtet sich die Kernfrage des Bandes darauf, "wie, wann und mit welcher Wirkung das Recht als Instrument der nationalsozialistischen Wirtschaftslenkung eingesetzt wurde" (S. XXII), wobei im Anschluss an die neuere Forschung von einer systematisch lenkenden Wirtschafts und Sozialpolitik ausgegangen wird. Davon werden fünf dem Band zugrunde liegende Komplexe abgeleitet. Sie fragen nach der Funktion des Rechts und den verschiedenen Rechtsformen in der NS-Wirtschaft, nach den Möglichkeiten des Rechts, für die Unternehmen autonome Spielräume zu schützen, nach der systemstabilisierenden Funktion des Rechts im Nationalsozialismus, nach der doppelten Kontinuität des Rechts als wirtschaftliches Lenkungsinstrument zu der Zeit vor 1933 und der nach 1945 sowie nach den sich aus dem synchronen Vergleich ergebenden Beziehungen zu anderen nationalen Rechts und Wirtschaftssystemen und den Transfers zwischen ihnen.

Dieses Problemfeld entwickelt Dieter Gosewinkel in seiner Einleitung, um dann darin den Platz der achtzehn, in drei Abschnitten zusammengefasste Beiträge zu bestimmen und um anschließend die Erträge des Bandes und offene Fragen herauszuarbeiten. Der erste Abschnitt widmet sich grundsätzlicheren, theoretischen und methodischen Fragen der Steuerung von Recht und Wirtschaft im NS-Regime und versammelt Beiträge von Ludolf Herbst zur Wirtschaftssteuerung in systemtheoretischer Perspektive, von Wolfgang Seibel zur Steuerungsfähigkeit des Rechts auf den verschiedenen Ebenen der Rechtserzeugung (Rechtssetzung, Vollzug, Unterworfenheit), von Horst Dreier zur asynchronen Entwicklung von Staatsrecht und Wirtschaftssystem, von Bernd Rüthers zur Problematik der Wirtschaftssteuerung durch Rechtsauslegung und Rechtssetzung, von Rainer Schröder zur Rechtsauslegung durch Rechtsprechung für den Bereich der Wirtschaft sowie von Caroline Harth zu der Diskussion um das Vertragsrecht und dem Versuch, wirtschaftsliberale Ideen und nationalsozialistisches Rechtsverständnis zu vereinbaren. Der zweite Abschnitt umfasst die Beiträge, die in Kernbereichen nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik die Intentionen und Wirkungen rechtlicher Regelung untersuchen. Dabei befasst sich Rüdiger Hachtmann mit der juristischen Fassung der Arbeitsbeziehungen im NS-Regime und Jürgen Weitzel mit dem Landwirtschaftsrecht, wobei er einen besonderen Schwerpunkt auf die bisher in der Literatur zu wenig beachtete Weiterentwicklung dieses Rechts nach seiner grundlegenden Neuformulierung von 1933 legt. Michael Ebi geht Kontinuität und Veränderung in der Devisenbewirtschaftung zwischen Weltwirtschaftskrise und NS-Vorkriegskonjunktur nach und Johannes Bähr beleuchtet das Bankrecht und die Kapitallenkung. Gerald Feldman greift die rechtliche Organisation des Versicherungsgeschäfts, Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Novemberpogrom von 1938 und die Beschlagnahme von Versicherungsvermögen auf. Harald Weise widmet sich dem Wettbewerbs und Kartellrecht im Übergang von der Weimarer Republik zum NS-Regime. Kees Gispen untersucht den Wandel des Patentrechts und Hartmut Berghoff die Verbrauchslenkung im Dritten Reich. Der dritte Abschnitt öffnet sich transnationalen Perspektiven, aus denen das NS-Regime betrachtet wird. Klaus Kiran Patel vergleicht den NS-Arbeitsdienst mit einer ähnlichen Institution in den USA während des New Deal. David Fraser befasst sich mit der zeitgenössischen anglo-amerikanischen und Olivier Dard mit der französischen Perzeption des NS-Rechts. Zum Abschluss betrachtet Ilse Staff die Rezeption des staatsrechtlichen Schrifttums und die Staatspraxis des Nationalsozialismus bei Staatsrechtlern des italienischen Faschismus.

Der Inhalt und die Thesen dieser Beiträge können hier aus Platzgründen ebenso wenig wie die vom Herausgeber des Bandes zusammengefassten Erträge umfassend referiert werden. Dabei konstatiert Gosewinkel insgesamt, dass bei aller Differenziertheit keine Entrechtlichung in der NS-Wirtschaft stattfand, sondern die "Verrechtlichung" insgesamt zunahm. Das schließt aber auch ein, dass die Verrechtlichung der Diskriminierung der vom Regime als Fremdartige oder Feinde betrachteten Gruppen wiederum deren Entrechtung diente. Zudem lässt sich feststellen, dass die Steuerungswirkung des Rechts mit größerer Nähe an die entsprechenden Adressaten zunahm und vor allem in der Rasse und Rüstungspolitik zum Tragen kam. Weiter kann auf Basis der Beiträge geschlussfolgert werden, dass das Recht zwar kein eigenständiges Subsystem mehr bildete und durch das NS-Regime zur Stabilisierung seiner Herrschaft genutzt wurde, aber private wirtschaftliche Autonomie gegenüber lenkenden Eingriffen des Staates weitgehend sicherte. Außerdem zeigten sich in den Beträgen Kontinuitätslinien des Wirtschaftsrechts zu der Zeit sowohl vor dem "Dritten Reich" als auch danach, was sich aber vor allem auf die Bundesrepublik bezog. Gleichwohl bestanden Diskontinuitäten des NS-Wirtschaftsrecht nicht nur zur DDR, sondern teils auch zu der Zeit vor 1933.

Die vorliegenden Beiträge knüpfen zwar meist an frühere Veröffentlichungen der Autoren an, regen aber in der Zusammenschau und vor allem der konsequenten Fokussierung auf die wirtschaftsrechtliche Dimension weitere Diskussionen an und geben die Möglichkeit, unmittelbar Vergleiche anzustellen. Zudem werden einzelne Fragen, wie die nach der Modernisierungswirkung des Nationalsozialismus, in den Beiträgen kontrovers beantwortet. Bedauerlich ist, dass die neueste Literatur - bis auf wenige Ausnahmen - nur bis zum Erscheinungsjahr 2002 herangezogen wurde, was einige Urteile etwas fraglich erscheinen lässt. Ungeachtet dessen, dass die Beiträge im Detail verschiedentlich Widerspruch hervorrufen werden, liegt mit diesem Band ein gelungenes Beispiel der Kooperation zwischen verschiedenen Disziplinen der Geschichtswissenschaft vor, das Inspiration für weitere Fragen und Untersuchungen sein kann.

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