I. Zwerenz u.a.: Sklavensprache und Revolte

Cover
Titel
Sklavensprache und Revolte. Der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West


Autor(en)
Zwerenz, Ingrid; Zwerenz, Gerhard
Erschienen
Anzahl Seiten
544 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Henning Pietzsch, Berlin

Das Buch von Ingrid und Gerhard Zwerenz ist keines, das man im Vorübergehen liest. Der Leser muss sich darauf einlassen oder es sein lassen. Bezeichnenderweise gilt dies auch für Ernst Bloch, den Gegenstand ihrer Betrachtungen.

Beide Autoren zeichnen in ihrem Buch ein sehr intimes Bild von ihrer Beziehung zu Bloch. Dabei verschwimmen manchmal die Grenzen. Wird hier über Bloch gesprochen, werden Geschichten und Episoden über ihn preisgegeben oder reflektieren die Autoren an Bloch vor allem ihre eigene Biografie, die offensichtlich sehr eng mit ihm verknüpft war. Besonders Gerhard Zwerenz entpuppt sich dabei als ein großer Bewunderer, ja als „Schüler“, der Bloch mehr als verehrte. An seinem Verständnis für die Blochsche Philosophie arbeitet er in einem Kaleidoskop rückblickend die Geschichte des 20. Jahrhunderts ab. Er berichtet unzählige Geschichten über bedeutende und vergessene Akteure und präsentiert zugleich ein enormes politisches und kulturelles Wissen. Das verlangt dem Leser ein großes Vorwissen ab. Die meisten Geschichten sind allerdings nicht verifiziert, setzen also Kenntnisse oder das Vertrauen voraus, dass der Autor schon weiß, wovon er redet. Dieses kann man ihm entgegenbringen. Seine Interpretationen von historischen Ereignissen und Ergebnissen sind dagegen streitbar und werden vermutlich die größte Resonanz finden. Letztlich geht es immer wieder um die Frage, warum der Sozialismus in der DDR scheitern musste. Gleichzeitig liest man immer wieder heraus, die Idee des Sozialismus bzw. Kommunismus sei noch lange nicht am Ende, der Geist der Utopie lebt, auch wenn er in der derzeitigen gesellschaftlichen Situation nur wenig gefragt bzw. nur gering vorhanden ist. Manches widerspricht sich dabei auch im Detail, so einerseits, der Marxismus sei durch den realexistierenden Sozialismus entstellt, aber nicht tot, andererseits taucht die Frage auf, ob die „Entstellung des Sozialismus“ nicht schon im Marxismus selbst angelegt gewesen sei.

Wie dem auch sei; dass Ernst Bloch kaum an Aktualität verloren hat, wird dem geneigten Leser spätestens nach der Lektüre des Buches schlagartig deutlich. So bleibt dennoch die ketzerische Frage, warum angesichts des unüberschaubaren Materials zu Bloch (im Internet finden sich beispielsweise 52.300 Seiten weltweit, davon 21.200 in Deutsch) ein weiteres und sicher nicht letztes Buch notwendig wurde. Die vermutlich einfache Erklärung dafür liegt in der Tatsache, dass sich inzwischen Heerscharen von Philosophen, Biografen und Rezensenten über Blochs Werk hergemacht haben und die sich dynamisch wiederholende Frage nach der Bedeutung des Blochschen Werkes und seiner gesellschaftlichen Wirkung erhalten bleibt. Die beiden Autoren sehen den Anlass ihres Interesses an Bloch jedenfalls in der ungewöhnlichen Biografie, wonach Bloch erst im Alter von über sechzig Jahren die ihm gebührende Ehre und Würde eines Lehrauftrages für sein umfangreiches Lebenswerk erhielt, noch dazu in der DDR. In Leipzig erhielt er 1947 eine Professur, 1955 sogar den Nationalpreis der DDR. Kurz danach sank sein Stern in der Gunst der Genossen. Ernst Bloch wurde 1957 in Unehren emeritiert.

1961 auf einer Vortragsreise, kurz nach dem Bau der Berliner Mauer, entschloss sich Bloch, in der Bundesrepublik zu bleiben. Sein weiteres Wirken beschreibt Zwerenz als das eines Mannes, dessen Stimme in der politischen Auseinandersetzung in Ost wie West nicht wirklich ernst genommen wurde, gerade oder vor allem wegen seines Festhaltens an den utopischen Idealen einer menschlichen Gesellschaft, einer humanen Welt und dem Prinzip Hoffnung. Seine politische Hinwendung zur Studentenbewegung und zu Rudi Dutschke machte ihn für die etablierte Gesellschaft der Bundesrepublik suspekt. Dennoch wurde Bloch noch zu Lebzeiten auch im Westen gesellschaftlich geehrt. Er erhielt 1961 im Alter von 74 Jahren eine Gastprofessur an der Tübinger Universität, 1964 den Kulturpreis des Deutschen Gewerkschaftsbundes und 1967 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Sein politisches Engagement machte ihn gewollt oder ungewollt im Westen Deutschlands zum häufig zitierten Wortführer der linken Intellektuellen. Er selbst sah in der bundesdeutschen Studentenbewegung eine notwendige Bedingung für die anstehenden Veränderungen in der Gesellschaft, lehnte aber gleichzeitig die Gewalt linker Terroristen als Mittel zur politischen Auseinandersetzung ab. Ernst Bloch starb am 4. August 1977 in Tübingen.

Für die in den 1960er und 1970er-Jahren größtenteils atheistisch geprägten Jahrgänge der theologisch Studierenden an den Universitäten und kirchlichen Einrichtungen in der DDR war die Studentenrevolte der 68er Vorbild für das eigene Handeln. Noch mehr aber wurden sie von den Ereignissen des Prager Frühlings beeinflusst. Aus beidem resultierte in unterschiedlicher Ausprägung ihr gewachsener Anspruch auf einen „Sozialismus mit aufrechtem Gang“. Die Religion des Protestantismus und die Evangelische Kirche bildeten dafür die äußere Klammer. Ihr Glaubensbekenntnis pendelte zwischen atheistischem Weltverständnis und religiöser Bindung, abgeleitet von einem Hintergrund, der sich der Bekennenden Kirche, der Theologie der Befreiung und der Theologie der Hoffnung verpflichtet fühlte. Ähnlich wie bei Bloch fungierte das biblische Bild vom „Reich Gottes“ synonym als Vorbild für das „Prinzip Freiheit“.

Die Akteure der Kulturopposition in der DDR diskutierten dann in den 1970er und 1980er-Jahren über Sprache und Struktur des realen Sozialismus und befassten sich u.a. mit dem Thema Herrensprache - Sklavensprache. Dabei orientierten sie sich an Viktor Klemperers „LTI“ und Rudolf Bahros „Die Alternative“, aber auch am Philosophen Bloch. Dessen Werke „Vom Geist der Utopie“ und „Das Prinzip Hoffnung“ fanden Eingang in die zum Teil diffusen Vorstellungen von einem „Dritten Weg“. Umgesetzt in die Alltäglichkeit des Lebens entwickelte sich ein daraus abgeleitetes und vielschichtiges Verständnis von der Erneuerung der Gesellschaft hin auf eine veränderte Sprache, Philosophie, Kultur und Politik. Ins Zentrum rückte dabei auch immer wieder das Blochsche Prinzip Hoffnung, verbunden mit der Zuversicht auf die Veränderbarkeit der Gesellschaft. Dies durchzusetzen bedurfte jedoch einer Folie, eines neuen Prinzips, dem Prinzip Offenheit im Gegensatz zur geschlossenen Gesellschaft in der DDR. Als dieser Versuch an den militärischen Aufrüstungsprogrammen der Supermächte endgültig scheiterte, veränderte sich allmählich auch die innenpolitische Akzeptanz der SED-Herrschaft in weiten Teilen der Bevölkerung. Im Gegenzug verstärkte das Regime seine Unterdrückung. Soziale Gleichschaltung, wirtschaftlicher, kultureller und politischer Verfall kennzeichneten bis Mitte der 1980er-Jahre die fortschreitende systemimmanente Starre, die eine Erneuerung der Gesellschaft verhinderte, wie historisch rückblickend zu resümieren ist. Erst Gorbatschows Glasnost löste ab 1986 langsam den Knoten und entzündete erneut das Prinzip Hoffnung auf politische Umgestaltung. Das Ziel, die Geschichte selbst in die Hand zu nehmen, reichte jedoch nur zum Sturz der bisherigen Machthaber, scheiterte aber gleichzeitig an den realen menschlichen Bedürfnissen, die kaum intellektueller Natur waren.

Die Klemperers, Bahros und Blochs werden von den Intellektuellen nicht vergessen. Von den Menschen aber, die andere alltägliche Sorgen haben, werden sie kaum wahrgenommen. Mit intellektuellen Diskursen allein werden sie kaum zu erreichen sein. Letztlich entscheidet die mediale Präsenz über die Wahrnehmung von Blochs Werk in unserer Gegenwart und in der Zukunft. Dem Buch von Ingrid und Gerhard Zwerenz wünsche ich in diesem Sinne große Aufmerksamkeit. Im Jahr 2007 begehen wir den 30. Todestag des Philosophen.

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