Cover
Title
Verwaltete Illusionen. Die Privatisierung der DDR-Wirtschaft durch die Treuhandanstalt und ihre Nachfolger 1990-2000


Author(s)
Seibel, Wolfgang
Published
Frankfurt am Main 2005: Campus Verlag
Extent
544 S.
Price
€ 49,90
Reviewed for H-Soz-Kult by
André Steiner, Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam

Wer aufgrund des Titels in dem vorliegenden Band die Darstellung des Privatisierungsprozesses in Ostdeutschland nach 1990 mit seinen verschiedenen Facetten oder gar eine Wirtschaftsgeschichte der ostdeutschen Bundesländer erwartet, wird hier nicht fündig werden. Von den spektakulären und bis heute teils im Zwielicht stehenden Privatisierungsvorgängen um die Leuna-Werke, die Kaliindustrie oder die Energieversorger ist hier nicht bzw. bestenfalls am Rande die Rede. Vielmehr geht es Wolfgang Seibel, Lehrstuhlinhaber für Politik und öffentliche Verwaltung an der Universität Konstanz, und seinen Mitarbeitern um eine politische Institutionengeschichte der Treuhandanstalt und ihrer Nachfolgeinstitutionen, wobei ökonomische Zusammenhänge und Hintergründe eher nebenbei zur Sprache kommen.

Die Arbeit des Autors an diesem Thema reicht bis in die von der Präsidentin der Treuhandanstalt, Birgit Breuel, im Herbst 1991 berufene Arbeitsgruppe zurück, die die Entstehung und Arbeit dieser Institution wissenschaftlich dokumentieren sollte.1 Die Darstellung stützt sich auf veröffentlichte Quellen – vor allem solcher der Treuhandanstalt selbst und der Bundesregierung. Außerdem wurden einzelne unveröffentlichte Quellen aus dem Besitz verschiedener Beteiligter und Zeitzeugen herangezogen, deren Befragungen neben der vorliegenden Literatur einen weiteren wichtigen Quellenkorpus bilden. Bereits in der Einleitung werden die Umrisse der Untersuchungsergebnisse entwickelt, ehe es im ersten Teil des Bandes um die Grundmuster nationaler Integration in Deutschland seit dem Kaiserreich, die Vorgeschichte des Zusammenbruchs der DDR und die Vorgänge während ihres Umbruchs im ersten Halbjahr 1990, einschließlich der Frühgeschichte der Treuhandanstalt bis zum Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990, geht. Im zweiten Teil widmet sich Seibel dem Scheitern des von der letzten DDR-Volkskammer entwickelten Konzepts für die Treuhandanstalt und den daraus resultierenden strukturellen und institutionellen Konsequenzen sowie der Rekrutierung und der Motivierung des Personals dieser Behörde. Der Privatisierung der Werftindustrie als einem Beispiel sowie der Stahlindustrie als einem anderen wird im dritten Teil mit einer Netzwerkanalyse nachgegangen, um die entscheidenden Akteure in diesen Prozessen herauszuarbeiten, wobei durchaus verblüffende Ergebnisse zu Tage gefördert werden. Der vierte Teil behandelt die Scheinauflösung der Treuhandanstalt Ende 1994 und wie es dazu kam. Schließlich würdigt der fünfte Teil die Tätigkeit der Nachfolgereinrichtungen der Treuhandanstalt bis ins Jahr 2000. Abschließend werden die Ergebnisse der Untersuchung in den Schlussbetrachtungen zusammengefasst.

Ausgehend von der Feststellung, dass die Politik sowohl in Ost als auch West 1989/90 notwendigerweise durch Illusionen bestimmt war, kennzeichnet Seibel das Treuhandregime als Instrument der Desillusionierung und der administrativen Bewältigung der damit verbundenen Folgen. Ausdruck dieser beidseitigen Illusion – über deren Ursachen es sich im Detail vortrefflich streiten ließe – war der mit der Währungsunion zum 1. Juli 1990 festgelegte Umstellungskurs von 1:1 für Löhne und Gehälter, mit dem die DDR-Industrie einem exorbitanten Aufwertungsschock ausgesetzt wurde. Gleichwohl folgte dieser Schritt nach Seibel der Logik einer notwendigen Re-Stabilisierung des ostdeutschen Teilstaates im Rahmen des allgemeinen Umbruchs in Mittel und Osteuropa und damit in der europäischen Sicherheitsarchitektur. Eine andere Lösung hätte eine starke Senkung des Lebensstandards nach sich gezogen und damit die Legitimität der sich neu etablierenden Ordnung in Frage gestellt. In der Konsequenz war abzusehen, dass der Lebensstandard auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und die dort erzielte Produktivität nicht im Einklang standen, was gewaltige Transferleistungen erfordern würde. Die Wahl dieser Integrationslösung führt Seibel u.a. auf die gemeinsamen Wurzeln der Bundesrepublik und der DDR in der im Kaiserreich entstandenen Sozialstaatstradition zurück. Insofern – so eine zugespitzte These Seibels – stand die Währungsunion „[k]aum willentlich, aber faktisch“ in der Tradition der Honeckerschen „Hauptaufgabe“ der „Einheit von Wirtschafts und Sozialpolitik“, womit sich auch deren Dilemmata fortsetzten: Jetzt hatte die Bundesregierung mit der Diskrepanz zwischen politisch motivierten Wohlstandsversprechen und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu kämpfen. Und hier liegt der entscheidende Ansatzpunkt der Argumentation Seibels: „Die Treuhandanstalt wurde zum institutionellem Angelpunkt dieses Dilemmas.“ (S. 482)

Die Umstellung der Einkommen im Verhältnis 1:1 machte die von der Treuhand gehaltenen Betriebe unprofitabel und entwertete damit auch ihr Vermögen, das eigentlich für die Umstrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft und die Sanierung des Staatshaushalts der DDR herangezogen werden sollte. Damit setzte sich – so Seibel – der Vertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion selbst außer Kraft. Ebenso verweist er darauf, dass die Entwertung des Treuhandvermögens mit der Währungsunion den verfassungspolitisch gebotenen föderalen Strukturen bei der Bewältigung dieses Umbruchs den Boden entzog und eine zentralistische Lösung präformierte, die wiederum dem Zentralismus der DDR-Wirtschaftsverwaltung ähnlicher als den föderativen und marktwirtschaftlichen Strukturen der Bundesrepublik war. Die etwa 8.000 Unternehmen erschienen mit ihrer geringen Wettbewerbsfähigkeit auf westlichen Märkten durch den Staat nicht sanierbar und die damit verbundenen fiskalischen Risiken unkalkulierbar. Nicht zuletzt wäre bei fortgesetztem staatlichem Eigentum an den Betrieben der Politik noch mehr die Verantwortung zugeschoben worden, als das ohnehin schon zu erwarten war. Als diese Zwangslagen der bundesdeutschen Politik in der zweiten Jahreshälfte 1990 allmählich bewusst wurden, wollte sie sich „der unternehmerischen Verantwortung für die Folgen der Währungsunion so schnell wie möglich entledigen, um die politische Verantwortung mit einem hinreichenden Maß an Handlungsfähigkeit wahrnehmen zu können“ (S. 483).

Folglich begann die Treuhandanstalt im Frühjahr 1991, unter der an sich absurden Devise „Privatisierung ist die wirksamste Sanierung“ die von ihr gehaltenen Unternehmen so schnell wie möglich abzustoßen. Zugleich musste sie finanziell aufwändige industriepolitische Lösungen suchen, um „industrielle Kerne“ dort zu retten, wo die Verantwortlichen meinten, dass die politischen Kosten einer konsequenten Privatisierung höher als deren Nutzen gewesen wären. In diesem Kontext dieser Aufgaben erörtert Seibel ausführlich die Vor- und Nachteile der institutionellen Ausgestaltung der Treuhandanstalt. Zentral war seines Erachtens ihre Funktion, die Folgen der ihr von den Ostdeutschen zugerechneten wirtschaftlichen Misere auf sich zu nehmen. Die Bundesregierung wurde so entlastet und ihre Legitimität gestärkt. Die nur scheinbare Auflösung der Treuhandanstalt Ende 1994 erklärt sich dann in erster Linie aus dem verfassungsmäßig garantierten Anspruch der Länder auf Gleichbehandlung – Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse –, den nur die Zentralgewalt erfüllen kann und der im Fall der ostdeutschen Länder angesichts ihrer geringen wirtschaftlichen Leistungskraft von besonderer Bedeutung war. Ihnen fehlten schlicht die Möglichkeiten der Übernahme der verbleibenden Aufgaben des Treuhandregimes, so dass sich in Gestalt der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben und weiterer Gesellschaften ein Nachfolgeregime herausbildete, dessen sich die ostdeutschen Ländern ebenso bedienten, wie der Bund regional und strukturpolitischen Interessen der Länder Rechnung trug. Letztlich gelang auf diesem Weg die Massenprivatisierung; aber an der Aufgabe, möglichst viele Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen und so möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen, scheiterte das Treuhandregime. Dessen größte Leistung blieb - so Seibel - die Entlastung der Bundespolitik und die Integration der ostdeutschen Länder und der Gewerkschaften in den Umbruchsprozess.

Alles in allem geht es Seibel darum, die politische Logik der Entwicklung des Treuhandregimes mit klaren und stringenten Thesen aufzuzeigen. Dabei bleiben allerdings Alternativen weitgehend ausgeblendet. Streckenweise, wie beispielsweise bei der DDR-Vorgeschichte, fehlt der Darstellung auch die historische Tiefenschärfe, und manchem Argument werden vor allem Historiker nicht folgen. So schreibt Seibel die Entwertung der DDR-Industrieunternehmen nach der Währungsunion wiederholt allein deren Umstellungskurs zu. Das wirft die Frage auf, ob denn diese Betriebe mit Löhnen auf dem Produktivitätsniveau tatsächlich konkurrenzfähig gewesen wären. Hier zeigt sich schon, dass dafür komplexere Erklärungen erforderlich sind. Abschließend bleibt aber festzuhalten, dass diese trotz der vorgebrachten Einwände insgesamt gelungene und gut lesbare Studie, die erstmals eine politische Bilanz des Treuhandregimes zieht, zu weiterführenden Fragen anregt und neue Untersuchungen herausfordert. Schon aus diesem Grund ist sie allen an den Transformationsprozessen der 1990er-Jahre in Ostdeutschland Interessierten zu empfehlen.

Anmerkung:
1 Deren Ergebnisse wurden veröffentlicht in: Fischer, Wolfram; Hax, Herbert; Schneider, Hans Karl (Hgg.), Treuhandanstalt. Das Unmögliche wagen, Berlin 1993.

Editors Information
Published on
Contributor
Edited by
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Book Services
Contents and Reviews
Availability
Additional Informations
Language of publication
Country
Language of review