Karin Knops Beitrag „Zwischen Campari-Kunstwelten und Reisen ins Marlboro-Land: Werbung und Werbemedien der achtziger Jahre“ zitiert die kontrovers diskutierte Werbung der Firma Benetton: „United Colors of Benetton“ (S. 220f.). Die Werbekampagne selbst sowie der folgende Streit über den politischen Inhalt der Bilder, die Diskussionen über Rassismus, Sexismus und die Ähnlichkeit zwischen politischem Poster und Werbeplakat, die in verschiedenen westlichen Ländern gleichzeitig geführt und auf verschiedene Weise gehandhabt wurden, könnten als Indikatoren für die Kultur der 1980er-Jahre gelesen werden: Das spannungsvolle Ineinandergreifen von politischem Bewusstsein und Kommerzialisierung, das die verschiedenen Lebensbereiche in diesem Jahrzehnt kennzeichnete, kann in den Auseinandersetzungen geradezu exemplarisch gezeigt werden. Ein solches Spannungsverhältnis wird in den unterschiedlichen Beträgen des von Werner Faulstich herausgegebenen Bandes „Die Kultur der 80er Jahre“ auch angedeutet, doch wird dieser Gedanke oft nicht zu Ende verfolgt. Häufig bleibt es bei der Feststellung, die 1980er-Jahre seien widersprüchlich, von „Marktuniformierung und Marktfragmentierung“ geprägt (S. 214), von „Statussymbolen“ und „hedonistischer Grundstimmung“ beherrscht gewesen (S. 123).
In seinem einleitenden Überblick „Eckdaten des Jahrzehnts“ schlägt Faulstich als Rahmenbegriffe „Geltungsverlust“ und „Instrumentalisierung“ vor (S. 18), Begriffe, die in den folgenden Beiträgen allerdings kaum aufgegriffen werden. Der „Konzeptionslosigkeit“ (S. 7) bisheriger Forschungen über die 1980er-Jahre stellt der Band somit wenig gegenüber. Nachdem Faulstich ohne genauere Diskussion der langen und durchaus fruchtbaren theoretischen Debatten über den Begriff „Postmoderne“ diesen kurzerhand als einen „der wohl dümmsten Verlegenheitsbegriffe [bezeichnet], die je historiographisch eingeführt wurde[n]“ (S. 7), und im Folgenden eine „konturenscharfe Abgrenzung“ des Jahrzehnts fordert (ebd.), scheinen auch die anderen Autoren des Bandes den Begriff „Postmoderne“ zu meiden. Allenfalls in Zitaten (S. 215, 225) oder in Bezug auf einen bestimmten Architekturstil (S. 53ff.) taucht er hin und wieder auf. Dabei lässt sich vermuten, dass eine Auseinandersetzung mit Begriff und Konzept der Postmoderne im Stande gewesen wäre, dem Band eine Art roten Faden zu verleihen – was selbstverständlich nicht heißen soll, dass der Begriff unkritisch übernommen werden könnte.1
Dass zentrale Spannungen der 1980er-Jahre nicht hinreichend aufgeschlüsselt werden, macht zum Beispiel der Aufsatz „Revolten in den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschenaften“ von Jörg Türschmann deutlich. Seine zusammenfassenden Darstellungen zu Systemtheorie, Konstruktivismus und Historikerstreit geben zwar einen Einblick in wichtige Teilbereiche der wissenschaftlichen Diskussionen, legen aber die Vermutung nahe, dass Türschmann diejenigen Theorien herausgegriffen hat, die er persönlich in den 1980er-Jahren studiert bzw. mitgeprägt hat. Dabei fehlen neben einer Diskussion der Postmoderne oder des Poststrukturalismus auch die wichtigen Impulse aus der feministischen Wissenschaft und der Gender-Forschung, die Standards der Geistes- und Sozialwissenschaften in Frage gestellt und teilweise auch reformiert haben. Eine beschränktere, subjektive Perspektive wie bei Türschmann spricht gegen die These der Einleitung, dass wir uns nun mit genügendem historischem Abstand objektiv mit den 1980er-Jahren auseinandersetzen könnten (S. 7). Außerdem wäre zumindest ein Autorenverzeichnis notwendig, um der Leserin oder dem Leser einen Anhaltspunkt für die jeweilige Perspektive der AutorInnen zu geben.
Eine selektive und subjektive Perspektive ist auch für andere Beiträge zu bemängeln, wie zum Beispiel „Das Jahrzehnt des Designs: Architektur, Alltagsgegenstände und Mode“ von Ricarda Strobel oder „Buchmarkt und Literatur der achtziger Jahre“ von Gunter Grimm. Andere Aufsätze bieten eine Fülle an Daten und Fakten, deren Interpretation jedoch weitgehend dem Leser oder der Leserin überlassen bleibt, zum Beispiel „Die Tagespresse der achtziger Jahre“ von Jürgen Wilke, „Der Videoboom der achtziger Jahre“ von Ralf Stockmann oder der Artikel zum Sport von Michael Schaffrath. Die Spannungen, die die Autoren und Autorinnen in ihrem Überblick jeweils feststellen, werden kurzerhand als Widersprüche bewertet und nicht als Ausgangspunkt für eine komplexe Darstellung des Jahrzehnts genutzt. Aus dem reichen Material lassen sich allerdings, vor allem mit Hilfe der in der Einleitung erwähnten Eckdaten, durchaus interessante Fragestellungen entwickeln, die weitgehend unerforschte Bereiche der westdeutschen Kulturgeschichte beleuchten könnten: Wie lässt sich zum Beispiel eine Verbindung zwischen Wertekonservativismus und Umweltbewegung denken? Kann oder muss nicht der sozialpolitische Konservativismus mit dem Rückzug ins Private und der städtebaulichen Restauration in Verbindung gebracht werden? Wie lässt sich eine Gesellschaft beschreiben, die einerseits von einem zunehmenden Gegensatz zwischen Arm und Reich geprägt ist, andererseits aber von wachsendem Wohlstand, Konsum, Hedonismus und technologischem Fortschritt? Diskussionen über Globalisierung, Neoliberalismus und Postmoderne können zur Beantwortung solcher Fragen nicht vermieden werden.
Die Beiträge des Bandes, die Thesen aufstellen und Querverbindungen herstellen, bieten erste Schritte und innovative Perspektiven für weitere Forschungen zur Kultur der 1980er-Jahre. Gerhard Ringshausens Aufsatz „Zwischen Weltveränderung und Innerlichkeit. Denken, Glauben und Handeln in den achtziger Jahren“ stellt die politischen Dimensionen der religiösen Debatten der Zeit überzeugend dar. „Der deutsche Film schiebt den Blues. Kino und Film in der Bundesrepublik“ von Walter Uka enthält Erklärungen für die Flaute des deutschen Films, die über die bloße Feststellung hinausgehen, die 1980er-Jahre seien von einer zunehmenden kulturellen Heterogenität geprägt gewesen. Die beiden Aufsätze zur Musikkultur und zur visuellen Kultur bieten ebenfalls interessante Thesen. Der Artikel „Klassiker, Jazz, Schlager, volkstümliche Musik: Entgrenzung und Spezialisierung“ von Carola Schormann arbeitet die Widersprüche in der politischen Musikkultur heraus, in der US-amerikanische Musik oft vorschnell als Protestmusik verstanden wurde. Leider geht Schormann nicht auf die Verbindung zwischen Jazz und Antirassismus in den USA ein, die sich bei der kulturellen Übertragung nach Westdeutschland zwar verändert, von Gegnern aber dennoch oft mit rassistischen Deutungen aufgenommen wurde. Uta G. Poigers Darstellung der Geschichte der Jazzrezeption in Deutschland während der 1950er und 1960er-Jahre hätte dazu den Hintergrund bieten können.2 In „Der Niedergang der Rockkultur und die Umbrüche auf dem Tonträgermarkt“ argumentiert Werner Faulstich überzeugend für ein Verständnis der 1980er-Jahre als Jahrzehnt des Niedergangs der Rockkultur, nicht aber der Rockmusik (S. 181). Leider bleibt unklar, wie die beobachteten Trends der Kommerzialisierung einerseits und der Diversifizierung der Musikkultur andererseits zusammenwirkten (S. 189).
Faulstichs abschließender Artikel zu den „Anfänge[n] einer neuen Kulturperiode: Der Computer und die digitalen Medien“ kann bestenfalls als Denkanstoß für weitere, detailliertere Forschungen gelesen werden. Jörn Glasenapp liefert einen Beitrag über „Visualismus, Dokumentarismus und digitale Bildbearbeitung“, worin er die Veränderung des Mediums Fotografie durch digitale Techniken überzeugend darstellt. Er tut Roland Barthes allerdings unrecht, wenn er diesem vorhält, noch in seinem Spätwerk vom „Evidenzcharaker der Photographie“ auszugehen. Barthes’ Analysen kultureller Mythen legen zumindest nahe, dass auch Bilder als Produkte und Produzenten von Mythen gelesen werden müssen. Der Beitrag „Fernsehen als populäres Alltagsmedium. Das duale Rundfunksystem und seine kulturellen Folgen“ von Jutta Röser und Corinna Peil erklärt die Veränderungen der Medienöffentlichkeit vor allem auf der Seite der Medienrezeption und argumentiert überzeugend gegen alarmierende Slogans von der kollektiven Verdummung und Vereinzelung durch steigenden Fernsehkonsum und größere Programmauswahl.
Weder in einzelnen Beiträgen noch in ihrem Zusammenspiel vermag der Band letztlich zu zeigen, wie sich die Kultur der Bundesrepublik in den 1980er-Jahren im Spannungsfeld einer „United Colors of Benetton“-Debatte bewegte: Die Frage, wie sich Globalisierung auf nationale Kultur und Medienpolitik auswirkte, wird so nicht gestellt. Dabei spielte dies im öffentlichen Diskurs der 1980er-Jahre durchaus eine Rolle – in Debatten über Einwanderungspolitik und Multikulturalismus, Regionalismus und Nostalgie, Umweltzerstörung und Waldsterben sowie das Wettrüsten im Kalten Krieg. Gleichzeitig bestimmten ein gönnerhaftes Verhältnis zu Menschen in der so genannten Dritten Welt, der Export der Produktion in dieselben Länder und der Slogan vom Ende des Fortschritts das politische Bewusstsein. Diese Debatten und Ängste wurden politisch und wirtschaftlich genutzt und waren für die Identität der Westdeutschen in der Kohl-Ära maßgeblich. Noch stärker als in den vorangegangenen Bänden von Faulstichs „Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts“3 erweist es sich bei der Untersuchung der 1980er-Jahre als hinderlich, die Bundesrepublik relativ isoliert zu betrachten und transnationale Bezüge weitgehend auszublenden.
Anmerkungen:
1 Vgl. dazu auch Rödder, Andreas, Wertewandel und Postmoderne. Gesellschaft und Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1965-1990, Stuttgart 2004.
2 Poiger, Uta G., Jazz, Rock and Rebels. Cold War Politics and American Culture in a Divided Germany, Berkeley 2000.
3 Faulstich, Werner (Hg.), Die Kultur der 50er Jahre, München 2002; Ders. (Hg.), Die Kultur der 60er Jahre, München 2003 (beide rezensiert von Rainer Eisfeld: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-1-002); Ders. (Hg.), Die Kultur der 70er Jahre, München 2004 (siehe meine Rezension: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-166).