Cover
Titel
Agents of Moscow. The Hungarian Communist Party and the Origins of Socialist Patriotism 1941-1953


Autor(en)
Mevius, Martin
Reihe
Oxford Historical Monographs
Erschienen
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
$79.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Árpád von Klimo, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam/ Freie Universität Berlin

Alle, die sich mit Nationalismus beschäftigen, haben sich über die weit verbreitete - selbst von bekannten Historikern häufig geäußerte - und dennoch grundfalsche Auffassung geärgert, nach der es im östlichen Mitteleuropa seit 1989 ein „Wiederaufleben“ des Nationalismus gegeben habe. Diese Vorstellung basiert auf einer ungenügenden Kenntnis dieses Teils Europas und auf einem überholten Begriff von Nationalismus, wonach dieser eine „rechte“ Ideologie gewesen sei, gegen die „linke“ Bewegungen stets „gekämpft“ hätten.

Seit 1789 haben sich nationalistische Denkweisen und Sprachregelungen mit ganz unterschiedlichen politischen Tendenzen verbunden. Das war nicht nur in Osteuropa, wie ein weiterer Irrglaube behauptet, sondern genauso in Westeuropa der Fall. Nationalismus war und ist in sehr unterschiedlichen Formen in ganz Europa präsent. Während des „Kalten Krieges“ fand allerdings eine Neuprägung nationalistischer Vorstellungen in beiden Teilen Europas statt, die von westeuropäischen Beobachtern als „Tabu“ nationalistischer Sichtweisen in Osteuropa missverstanden wurden. Als ob nur Großgrundbesitzer und Pfarrer „richtige“ Nationalisten sein könnten, nicht aber die kommunistischen Funktionäre, die jene aus ihren Herrschaftspositionen mit Gewalt vertrieben!

Die bei Robert Evans in Oxford entstandene Dissertation behandelt genau diesen entscheidenden Aspekt kommunistischer Politik in der Phase der stalinistischen Machteroberung am Beispiel Ungarns. Wie begegnete die ungarische KP, die von Moskauer Remigranten, den so genannten „Moskowitern“ geleitet wurde, dem immer wieder erhobenen Vorwurf, „Agenten Moskaus“ zu sein? Dieser Frage geht Mevius in neun kurzen Kapiteln (Kapitel 3-11) nach, die verschiedenen Aspekten der kommunistischen Politik in der Zeit zwischen dem Einmarsch der Roten Armee in Ungarn im Herbst 1944 bis zu Stalins Tod 1953 gewidmet sind. Zuvor umreißt er die Diskussionen zum Verhältnis von Kommunismus und Nationalismus (Kapitel 1) und zur theoretischen Vorbereitung der KP-Führung im Moskauer Exil (Kapitel 2). Jedem Kapitel ist eine knappe Zusammenfassung beigefügt, was zwar die Klarheit der Argumentation erhöht, in einigen Fällen allerdings zu lästigen Wiederholungen und Redundanzen führt.

Ausgehend von der theoretischen Entgegensetzung von Kommunismus und Nationalismus im Kommunistischen Manifest, wo vom vaterlandslosen Arbeiter die Rede ist, verweist Mevius darauf, dass schon die Klassiker des wissenschaftlichen Sozialismus selbst Nationalismus bereits als nützliches taktisches Mittel praktischer Politik verstanden hatten. Ähnliches setzte sich bei Lenin fort, von Stalin ganz zu schweigen. Entscheidend für den kommunistischen Umgang mit nationalistischem Denken und Handeln in der Nachkriegszeit sollte allerdings das Jahr 1941 werden, als die Sowjetunion vom nationalsozialistischen Deutschland und dessen Verbündeten angegriffen wurde. Seit dieser Zeit wurde die Eroberung nationaler Symbole, nationaler Erinnerungsorte, nationaler Meistererzählungen zu einer der wichtigsten Ziele kommunistischer Politik. Dies gilt nicht nur in Mittel- und Osteuropa, sondern ebenso in Italien, wenn man die dortige kommunistische Geschichtspolitik - etwa den Kult um Garibaldi - genauer betrachtet.

Mevius verweist immer wieder auf Beispiele in der Tschechoslowakei und der DDR, um zu unterstreichen, dass die ungarische KP dabei kein Einzelfall war. Allerdings fand ihre nationalistische Propaganda in einem ganz anderen Kontext statt. Ungarn blieb bis zum 4. April 1945 mit Deutschland militärisch verbündet, die antibolschewistische Propaganda hatte sich dort viel tiefer in der Gesellschaft verwurzelt, als in den von der Wehrmacht besiegten und über längere Zeit besetzten Länder. Noch größere Schwierigkeiten bereitete das negative Image der Budapester Räterepublik von 1919, dass die kommunistische Partei nur eingeschränkt als eigene, nationale Tradition annehmen konnte. Das größte Problem für eine positive und nationale kommunistische Selbstdarstellung lag aber in den brutalen Übergriffen der sowjetischen „Befreier“-Armee begründet. Die Untaten und Verbrechen der Roten Armee bestätigten für viele Ungarn nicht nur die Gräuelpropaganda von Horthy-Regime und Pfeilkreuzlerdiktatur, sondern führten wie auch in Polen und Deutschland zu einem grundsätzlichen und weit verbreiteten Misstrauen gegenüber der neuen Ordnungsmacht.

Die ungarischen Kommunisten standen so vor dem Dilemma, sich als die einzig wahre nationale Partei darstellen und zugleich die unerschütterliche Treue zur Sowjetunion verkünden zu müssen. Wie Mevius mit zahlreichen Beispielen zeigen kann, führte dies immer wieder zu offensichtlichen Widersprüchen. Als besonders heikel stellten sich die Grenzstreitigkeiten und die Frage der Behandlung von nationalen Minderheiten besonders mit der Tschechoslowakei heraus, da die dortige Regierung auf die Vertreibung hunderttausender Ungarn drängte, um einen ethnisch reinen Nationalstaat der Tschechen und Slowaken schaffen zu können. Die Ratlosigkeit der von Moskau zu widersprüchlichen Handlungen instruierten Genossen auf beiden Seiten wurde offenbar, als Klement Gottwald, der tschechische KP-Führer seinen ungarischen Kollegen Rákosi bei einem Treffen in Prag im Juni 1945 dazu aufforderte, „doch einfach die Tschechoslowakei und die kommunistische Partei zu kritisieren“ (S. 124). Natürlich lässt sich dahinter eine sowjetische divide-et-impera-Politik vermuten, aber Mevius beschränkt sich zu Recht auf die ungarische Parteiführung und ihre internen Diskussionen und Überlegungen, soweit sie im Staatsarchiv und in den Archiven des Politikhistorischen Instituts und der Akademie zugänglich sind.

Rákosi hatte Erfolg dabei, ungarische Kriegsgefangene aus der Sowjetunion zurückzuholen und dies als Tat der einzig wahren nationalen Partei zu verkaufen. Zudem konnte er einen wohlwollenden Brief Stalins zu dieser Frage vorlegen. Nach der Gründung der Volksrepublik im August 1949 änderte sich die Ausrichtung der nationalistischen Propaganda der KP. Von wüsten Beschimpfungen innenpolitischer Gegner, wie der Vorsitzenden der erfolgreichen Kleinlandwirtepartei oder des standfesten Kardinals Mindszenty als „ausländische Spione“ und Verräter der ungarischen Nation, ging die Partei zu stalinistischen Parolen über, wonach die Freundschaft zur Sowjetunion und der Aufbau des Sozialismus die einzig logische Konsequenz aus der ungarischen Nationalgeschichte seien.

Die Arbeit von Mevius besticht durch ihre klare Sprache, den systematischen und gut nachvollziehbaren Aufbau ihrer Argumentation und ihre Nähe zu den Quellen aus verschiedenen Archiven der Partei. Mit ihren 268 Seiten Text ist die Dissertation lobenswert kurz ausgefallen, so dass an dieser Stelle auf wohlfeile Kritik an nicht behandelten Themen und Aspekten verzichtet wird.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension