Cover
Titel
Zenobia between reality and legend.


Autor(en)
Zahran, Yasmine
Reihe
BAR International Series 1169
Erschienen
Oxford 2003: Archaeopress
Anzahl Seiten
XV, 130 S.
Preis
£31.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Wieber, Dortmund

In der gegenwärtigen Populärkultur zeichnet sich ein Trend zur Historisierung des Mythos ab - so treten etwa Filme oder Romane den Beweis an, dass der Trojanische Krieg stattgefunden habe oder die Artuslegende spätrömische Geschichte sei.1 Geschichte, auch die Geschichtswissenschaft, gerät dafür in den Sog der Fiktionalisierung, wenn etwa der bekannte Althistoriker Keith Hopkins seine Abhandlung über antike Religiosität mit dem Bericht zweier Zeitreisender beginnt.2 Das vorliegende Buch über die palmyrenische Königin Zenobia ordnet sich in diese Entwicklungen ein und lässt sich über weite Partien als Mischung aus Fakten und Fiktionen (faction) charakterisieren. Zugleich reflektiert die Themenwahl den Paradigmenwechsel der althistorischen Forschung über die Zeit der Soldatenkaiser und das dadurch wieder ausgelöste Interesse an der Person Zenobias, aber auch an Palmyra, wie etwa Museumsausstellungen über Zenobia 3 sowie diverse Untersuchungen zu Palmyra belegen, etwa zu der Frage des Teilreichs oder des kulturellen Lebens der Stadt,4 deren Erträge leider nur teilweise in dieses Buch eingeflossen sind.

Die palästinensisch-französische Archäologin Yasmine Zahran hat bereits zuvor in ähnlicher Weise Monografien über Septimius Severus und Philippus Arabs vorgelegt.5 Dies veranlasst die Herausgeberin Claudine Dauphin, Expertin für byzantinische und palästinensische Archäologie, in ihrem Vorwort mit dem Werk über Zenobia die Vollendung einer "Arab imperial trilogy" (S. VIII) enthusiastisch zu begrüßen (vgl. emotionales Vokabular wie "to hug the ancient sources") und es als aktuelles Lehrstück zum Blick auf den Nahen Osten nach dem September 2001 zu interpretieren (S. IX). Zenobias historisches Agieren, der Kampf gegen Rom, gerät somit zu einem Exempel der Erhebung gegen jegliche Fremdherrschaft und steht für einen anachronistischen arabischen Nationalismus. So sieht auch Zahran selbst in ihren Vorbemerkungen die palmyrenische Expansion als "foreshadow of the Umayyad Empire" (S. XIII).

Das Buch gliedert sich in zehn Abschnitte, von denen sechs Kapitel fiktive Ich-Berichte Zenobias und die Kapitel 1, 2, 3 und 5 eine sich anschließende Stellungnahme der Autorin enthalten. Es folgen eine Einordnung der Geschichte Zenobias in die arabische Tradition und Ausführungen zu den verschiedenen Dimensionen der Geschichte Palmyras. Archäologisches Bildmaterial illustriert sowohl diesen als auch den fiktiven Teil des Buches.

Im ersten Kapitel (S. 1-16; "Fly to the sun, Zenobia") beschreibt die Ich-Erzählerin Zenobia vor allen Dingen ihre Niederlage gegen Rom und ihr Ende. Die in den antiken Quellen widersprüchlichen Berichte über Zenobias Tod (die Version der Historia Augusta, trig. tyr. 30,27, vom Lebensabend in Tibur steht gegen die des Zosimus 1,59,1 vom Selbstmord; vgl. S. 72 den Hinweis auf arabische Quellen zu Zenobias Selbstmord ohne genauere Angaben) löst Zahran durch Verweis auf den heroischen Charakter Zenobias, mit dem nur ein Selbstmord kompatibel sei. Im Zusammenhang mit der in der Einleitung thematisierten Aktualität des Themas scheint hier die Assoziation von der Todesbereitschaft moderner islamischer Kämpfer auf. Mit der literarischen Topik der antiken Quellen und der Funktion der Darstellung Zenobias im Textganzen setzt sich Zahran jedoch in keiner Weise auseinander.6

Es folgt die Darstellung des kulturellen Zirkels Zenobias (S. 17-25; "Longinus the Sublime"). Die vorangegangene Behauptung vom Selbstmord der Königin liefert auch die Antwort auf die Frage, ob Zenobia bei ihrer Niederlage ihren Lehrer und Berater, den Philosophen Longinos, verraten habe: Schonung durch den Verrat sei eben nicht ihr Ziel gewesen. Zahran kritisiert (S. 25) zu Recht die Bereitschaft moderner Autoren des 20. Jahrhunderts, Zenobia als Verräterin zu charakterisieren. Ob diese Interpretation jedoch tatsächlich in modernen Vorurteilen über den Typos des Orientalen begründet liegt, bleibt fragwürdig. Aufschluss könnte die Arbeit an der lang tradierten Topik des überführten Bösewichtes und der inkriminierten Frau in Herrschaftsposition bringen. Inkonsequent geht Zahran auch bei der Gewichtung des Topos des orientalischen Luxus vor: In der Erklärung, warum Zenobia ihren Stiefsohn Hairan abgelehnt habe, folgt sie kritiklos dessen Charakterisierung in der Historia Augusta (trig. tyr. 16) als effeminiert durch genau den östlichen Luxus, den sie wiederum als positiven Bestandteil der Symposien Zenobias einführt (S. 18, 19).

Es schließen sich Schilderungen der Gebietsexpansionen und der Regierungspraxis Zenobias an (S. 27-36). Die Überschrift "An Arab Empire" ordnet Zenobias Eroberungspolitik einer arabischen Reichsbildung unter, die durch die ersten Worte des Kapitel "I once had a dream" an die berühmte Rede Martin Luther Kings erinnert und somit als gerechter Befreiungskampf gegen Ungleichheit und Fremdherrschaft stilisiert wird.7 Die Genese des Panarabismus im 19. und 20. Jahrhundert allerdings spricht gegen ein ethnisches Verbundenheitsgefühl der verschiedenen aristokratischen Eliten antiker Wüstenstädte (vgl. auch S. 59 zur ethnischen Verbindung zwischen dem nordafrikanischen Kaiser Septimius Severus und dem Osten des Reichen über die gemeinsame Klassifizierung als semitisch: "Western Semite" und "Semitic Arab princes"), gleichwohl bleibt abzuwarten, wie die weitere Forschung den Einfluss tribaler Kultur in Palmyra einschätzen wird.8

Nach einer Schilderung der Flucht Zenobias vor ihrer Gefangensetzung durch Kaiser Aurelian (S. 37-43) folgt das panegyrisch anmutende Kapitel über Zenobias Ehemann Odaenathus (44-59 "Who is Odenait?"). Die Ich-Erzählerin Zenobia wiederholt Zwiegespräche mit ihrem Ehemann, der als Gründungsvater eines arabischen Reiches und der Lehrmeister seiner jüngeren Frau erscheint. Der Vergleich mit dem Bildhauer Pygmalion und seinem Modell (S. 45) unterstreicht das Stereotyp von einer fähigen Frau als Produkt eines Mannes. Die fiktive Autobiografie Zenobias schließt mit ihrem philosophischen Glaubensbekenntnis von der Welt als Theaterbühne und erinnert an Äußerungen Marc Aurels (S. 60-66).

Das Kapitel über Zenobia in Legenden und arabischer Tradition (S. 67-74) erklärt bestimmte Leerstellen in Teilen der arabischen Erzähltradition (z.B. Nichterwähnung Roms oder des Odaenathus) mit deren Abhängigkeit von neupersischen Quellen, in denen etwa der Sieg des Odaenathus über das Sasanidenreich ausgeblendet wurde. Die legendären Konflikte der 'arabischen Zenobia' mit dem Stamm der Tanukh gehören zu den Gründungsmythen der Lachmidendynastie. Dass hier historisch belegte Einwanderungsbewegungen von Nomaden in palmyrenisches Gebiet den Hintergrund bilden, macht Zahran nicht deutlich genug. Leider nimmt sie auch keine Systematisierung des arabischen Materials vor, obwohl gerade eine solche der spezielle Beitrag einer Autorin des arabischen Kulturkreises hätte sein können.9

Die letzten drei Kapitel sind dem Schauplatz Tadmur - so der arabische Name Palmyras - gewidmet. Im Anschluss an die Geschichte Palmyras (Entstehung, weitere Stadtentwicklung, Eingliederung in das Römische Reich, Aufstieg zur bedeutenden Karawanenstadt) folgen jeweils kurze Überblicke über die religiöse Mischkultur, den Totenkult und die Kleidung der Palmyrener (S. 75-103). Als besondere Spezifika der palmyrenischen Kunst (S. 105-108) werden ihre Polychromie und bei den Skulpturen ihre Frontalität und ihre Statuarik hervorgehoben. Das Buch schließt mit einem Ausblick (S. 109-113) auf die Geschichte Palmyras nach Zenobias Tod bis zum Ende der Besiedlung im 9. Jahrhundert, deren wichtigste Etappen die teilweise Zerstörung der Stadt nach einem erneuten palmyrenischen Aufstand, die Bedeutung als Garnisonssiedlung unter Diokletian und die arabische Eroberung sind. Zu neuem Leben erwachte die Stadt erst wieder im 20. Jahrhundert durch die Ausgrabungen und den Tourismus.

Durch die Art der Anlage und die Mischung der fiktiven und konventionellen Teile fehlt dem Buch eine einheitliche Linie; außerdem vermisst man ein sorgfältiges Lektorat, so haben sich z.B. Fehler bei den Kaisernamen ("Septimus" statt "Septimius"; falsche Pluralbildung "Severii") eingeschlichen, oder wird etwa Aurelius Victor fälschlicherweise als Verfasser der Historia Augusta benannt (S. 15). Das Spiel mit der Fiktion autobiografischer Äußerungen antiker Persönlichkeiten hat nicht nur Vorbilder in der Geschichte des modernen Romans 10, sondern verweist auch auf antike Quellen: Schließlich berichtet Tacitus (ann. 4,53,2) von verloren gegangenen Memoiren der Agrippina Minor.11 Das literarische Spiel möchte Zahran jedoch auf keinen Fall als historische Fiktion verstanden wissen (S. XIV) und nimmt gerade mit ihrem Autoritätsanspruch dem Buch die mögliche erkenntnisleitende Funktion über die Subjektivität jeglicher Narration. Unklar bleibt ferner die Zielgruppe dieses Buches. Als Buch in einer wissenschaftlichen Reihe wird es wohl kaum als Sachbuch rezipiert, didaktisch ließe es sich nur nutzbar machen, indem man die literarische Fiktion zum Thema macht und antiken Quellen gegenüberstellt. Zur Frauen- und Geschlechtergeschichte der Antike sei kritisch angemerkt, dass gerade die Betonung der charakterlichen Besonderheiten von Frauen in Herrschaftspositionen eher zu deren Stilisierung als Ausnahmeerscheinungen als zu einer strukturgeschichtlichen Perspektive beiträgt. So hat Zahran insbesondere mit ihrer Stilisierung Zenobias als arabischer Nationalheldin die palmyrenische Königin erneut zum Objekt eines, wenn auch modernen, Diskurses gemacht.

Anmerkungen:
1 Vgl. den Roman "Helen of Troy" von Bettany Hughes (GB 2005), den Film "King Arthur" (USA 2004) oder die ZDF-Dokureihe "Märchen und Sagen - Botschaften aus der Wirklichkeit" (2005).
2 Hopkins, Keith, A World Full of Gods: Pagans, Jews, and Christians in the Roman Empire, London 1999.
3 Moi, Zénobie - Reine de Palmyre (Katalog der Ausstellung im Centre culturel du Panthéon), Paris 2001; Zenobia - il sogno di una regina d'oriente (Katalog), Turin 2002.
4 Hartmann, Udo, Das palmyrenische Teilreich, Stuttgart 2001; Kaizer, Ted, The religious Life of Palmyra. A Study of Social Pattern of Worship in the Roman Period, Stuttgart 2002; Kotula, Tadeusz, Aurélien et Zénobie. L'unité ou la division de l'Empire?, Wroclaw 1997; Sommer, Michael, Roms orientalische Steppengrenze. Palmyra - Edessa - Dura-Europos - Hatra, Stuttgart 2005; Yon, Jean-Baptiste, Les notables de Palmyre, Beyrouth 2002.
5 Septimius Severus. Countdown to Death, London 2000; Philip the Arab. A Study in Prejudice, London 2001.
6 Wieber, Anja, Die Augusta aus der Wüste - die palmyrenische Herrscherin Zenobia, in: Späth, Thomas; Wagner-Hasel, Beate (Hgg.), Frauenwelten in der Antike. Geschlechterordnung und weibliche Lebenspraxis, Stuttgart 2000, S. 281-310.
7 Gegen eine panarabische Politik Graf, David F., Zenobia and the Arabs, in: French, D.H.; Lightfoot, C.S. (Hgg.), The Eastern Frontier of the Roman Empire, Bd. 1, Oxford 1989, S. 143-167; Retsö, Jan, The Arabs in Antiquity, London 2002, negiert jedes arabische Element in Zusammenhang mit Palmyra/Zenobia, S. 463, 465.
8 Während Sommer und Yon die Bedeutung der arabischen Stammeskultur für Palmyra hervorheben, sieht Hartmann diesen Einfluss eher auf die umgebende Steppe beschränkt (Anm. 4).
9 Vgl. dagegen die instruktive Zusammenschau bei Hartmann, S. 332-351: "Zenobia in der arabischen Legendentradition".
10 Ranke-Graves, Robert, I, Claudius, 1934; Simiot, Bernard, Moi, Zénobie, reine de Palmyre, 1978.
11 Wood, Susan, Memoriae Agrippinae: Agrippina the Elder in Julio-Claudian Art and Propaganda, in: AJA 92 (1988), S. 409-426.

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