H. G. Schröter: Americanization of the European Economy

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Titel
Americanization of the European Economy. A compact survey of American economic influence in Europe since the 1880s


Autor(en)
Schröter, Harm G.
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 268 S.
Preis
$ 99.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido Thiemeyer, Institut für Europäische Regionalforschungen, Universität Siegen

“Amerikanisierung” ist ein Schlagwort, das vor allem im Kontext der Globalisierungsdebatte immer wieder auftauchte, das aber, ähnlich wie der Begriff der Globalisierung selbst, sehr unpräzise blieb. Der an der Universität Bergen in Norwegen lehrende Harm G. Schröter hat nun eine Studie vorgelegt, die den Anspruch erhebt, den Prozess der Amerikanisierung in Westeuropa seit den 1880er Jahren bis in die Gegenwart in kompakter Weise zu beschreiben. Er fasst damit seine langjährigen, an disparaten Orten erschienenen Studien zu diesem Problem zusammen. Schröter definiert den Begriff der Amerikanisierung nicht politisch oder kulturell, sondern ökonomisch, hier aber in einem sehr weiten Sinne: „I define Americanization as an adapted transfer of values, behaviour, institutions, technologies, patterns of organisation, symbols and norms from the USA to the economic life of other states.“ (S. 4) Das Problem der Perzeption, also die Frage, ob alles, was in Westeuropa als amerikanisch empfunden wurde, auch tatsächlich amerikanisch war, wird ausdrücklich nicht behandelt. Gleichwohl ist sich Schröter im Klaren darüber, dass es sich beim Prozess der wirtschaftlichen Amerikanisierung nicht einfach um einen unveränderten Import des Stils amerikanischer Unternehmensführung nach Europa handelt, sondern dass amerikanische Verhaltensformen den jeweils lokalen Verhaltensformen angepasst und damit verändert werden.

Insgesamt identifiziert Schröter drei große Wellen der Amerikanisierung in Europa. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der ersten Welle der Amerikanisierung von 1875 bis 1945. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es nur wenige europäische Industriezweige, die die Dynamik und die Bedeutung der amerikanischen Wirtschaftsweise wahrnahmen und versuchten, Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zu ziehen. Hierzu gehörte die Schweizerische Uhrenindustrie, die britische Schuhindustrie, die schon vor 1914 mit der US-amerikanischen Konkurrenz konfrontiert wurden und gezwungen waren, ihre herkömmlichen Produktionsmethoden zu reformieren. Erst der Erste Weltkrieg änderte dies, weil klar wurde, welche Bedeutung die amerikanische Wirtschaftskraft für die militärischen und politischen Erfolge der USA hatte. Konsequenterweise versuchten die europäischen Regierungen in der Zwischenkriegszeit das amerikanische Konzept, so wie sie es sahen, zu kopieren, indem große, kartellartige Unternehmen in Schlüsselindustrien oft mit staatlicher Hilfe geschaffen wurden, um den US-Unternehmen Konkurrenz auf dem Weltmarkt zu machen. Hierbei, so betont Schröter zu Recht, wurde zwar die äußere Form des Großunternehmens von den USA übernommen, der privatwirtschaftliche Kontext jedoch nicht. Die europäische Großindustrie stand, insbesondere in Frankreich, dem Deutschen Reich und Italien vielmehr staatlichem Einfluss.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde diese indirekte Amerikanisierung im Rahmen von Marshallplan und Organisation for European Economic Cooperation in eine gezielte Politik verwandelt. Dies, so Schröter, war die zweite Welle der Amerikanisierung Westeuropas. Obwohl die direkte Hilfe im Rahmen des ERP-Programms nur bis 1952 gewährt wurde, hatte der Marshallplan sehr langfristige Folgen für die europäische Wirtschaft. Er führte, wie Schröter überzeugend schildert, zu einer weitreichenden Veränderung der europäischen Wirtschaft auf der makroökonomischen Ebene. Verantwortlich hierfür waren vor allem die steigenden US-amerikanischen Direktinvestitionen in Westeuropa. Kartelle, in der Zwischenkriegszeit noch ein wichtiges Instrument der Wirtschaftspolitik, wurden nun abgelehnt. Verbraucher-Gewohnheiten veränderten sich, Massenkonsum setzte sich in den fünfziger und sechziger Jahren durch, auch weil die Unternehmen zunehmend auf Massenallokation im Rahmen von Supermärkten, Selbstbedienungsläden und neuen massentauglichen Produkten setzten. Nicht nur auf der makroökonomischen, auch auf der mikroökonomischen Ebene, den Unternehmen und Haushalten, wurde die europäische Wirtschaft durch den gezielten US-amerikanischen Einfluss massiv verändert. Viele dieser Veränderungen, etwa wissenschaftlich fundierte Management-Techniken, Marketing und Werbung, gehen auf direkte amerikanische Einflüsse zurück.

Nach der europäischen Wirtschaftskrise der 1970er Jahre, so erläutert Schröter in Kapitel III, griffen die westeuropäischen Staaten auf die von der sog. Chicago-School schon in den fünfziger und sechziger Jahren formulierten wirtschaftspolitischen Konzepte zurück, die unter dem Namen supply-side-economy bekannt wurden. Mit Margaret Thatcher und Ronald Reagan begann daher die „dritte Welle“ der Amerikanisierung der europäischen Wirtschaft. „The message was unambiguous: If Europe wanted to catch up with the United States, it would have to follow the recipe of the American model.“ Das bedeutete die Deregulierung und Liberalisierung der europäischen Wirtschaft. Diese war jedoch nur ein Aspekt der dritten Welle der Amerikanisierung. Ein anderer war, dass die europäischen Unternehmen Abschied nahmen von der klassischen Finanzierung durch eine Großbank, was insbesondere in Deutschland zur engen Verflechtung zwischen Großbanken und Industrie geführt hatte. Amerikanische Unternehmen finanzierten sich weniger über Banken als vielmehr direkt am Kapitalmarkt, was zu ganz anderen Konzepten der Unternehmensführung („shareholder value“) führte, die nun auch für europäische Großunternehmen relevant wurden. Die dritte Welle der Amerikanisierung traf aber auf spezifisch europäische Hindernisse. Schröter weist darauf hin, dass die Arbeitervertretungen in Westeuropa die Konzepte von Liberalisierung, Deregulierung und „Shareholder Value“ massiv bekämpften und somit eine gesellschaftliche Barriere gegen die Amerikanisierung schufen. Die Barriere jedoch sei durch den Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa seit der Mitte der achtziger Jahre schwächer geworden.

Insgesamt hat Harm Schröter eine wirtschaftshistorisch fundierte, überzeugende Analyse vorgelegt, die jahrelange Forschungen auf diesem Gebiet synthesenartig zusammenfasst. Fragen jedoch bleiben. Zum einen befasst sich Schröter fast ausschließlich mit global operierenden europäischen Unternehmen, die mit amerikanischen, ebenfalls global operierenden Unternehmen im Wettbewerb standen. Der Kern der europäischen Wirtschaft sind aber nicht die global players, obwohl diese natürlich eine gewisse Bedeutung haben, sondern die Vielzahl an kleineren und mittleren Unternehmen. Lässt sich die Amerikanisierung in drei Wellen auch auf dieser Ebene ablesen, oder gab es hier nicht eine von den USA unabhängigere möglicherweise spezifisch europäische oder nationale Entwicklung? Eine andere wesentliche Frage betrifft die Richtung des hier beschriebenen Transfers von Ideen und Wirtschaftsphilosophien. Schröters Frage nach der Amerikanisierung geht davon aus, dass es im 20. Jahrhundert einen starken US-amerikanischen Einfluss in Europa gegeben hat. Umgekehrt wäre es interessant zu fragen, welche Einflüsse von Europa in die USA gelangten. Schröter deutet den „New Deal“ als spezifisch europäische Wirtschaftspolitik, die in den USA angewandt wurde, um die Weltwirtschaftskrise zu überwinden. Gab es noch andere Elemente europäischer Provenienz, die in der US-Wirtschaft eine Rolle spielten? Gab es eventuell sogar einen nordatlantischen Wirtschaftsraum, der permanenten wechselseitigen Einflüssen unterworfen war? Dies allerdings sind weitergehende Fragen, die auf der Basis der Schröter geleisteten Arbeit angegangen werden könnten.

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