Einleitend verortet der Herausgeber das Untersuchungsfeld seiner zweibändigen Kulturgeschichte: Schlesien sei von der zweiten Hälfte des 16. bis in die Anfänge des 18. Jahrhunderts eine „führende kulturelle Landschaft des alten deutschen Sprachraums“ (S. IX). Welche Voraussetzungen hierfür gegeben waren, sei demzufolge die „kardinale Frage“ des Werkes. Nach diesem programmatischen Auftakt breitet Garber aus, warum Schlesien mit Gebieten wie Böhmen, dem Oberrhein und der Pfalz eine „intellektuelle Vorhut“ gebildet habe. Er postuliert, dass Grenzländer zu „identitätsstiftendem kulturellem Gebaren“ neigten, sodass sich Schlesien an die Spitze der „gelehrten Nationalliteraturbewegung im Reich“ gestellt habe. Mit dieser „herausgehobenen Stellung in der Geschichte des deutschen Kulturraumes“ setzen sich die folgenden Beiträge auseinander.
Die strukturellen und geschichtlichen Grundlagen werden in sieben Bereichen erarbeitet: Historische Perspektiven einer europäischen Kulturlandschaft (4 Beiträge), Religion (5), Bildung (4), Buchkultur (4), regionale Buch- und Handschriftensammlung (4), Bildende Kunst und Musik (7), führende Literaturlandschaft (6). Es wird deutlich, dass Kulturgeschichte hier als Textwissenschaft, etwa im Sinne der Literaturwissenschaft, verstanden wird. Methodische Ansätze im Sinne der New Cultural History wird man vergebens suchen. Auch wird der Begriff der Kultur mit einer eindeutigen Konnotation belegt: Er reduziert sich auf Hochkultur im Sinne einer Geschichte des Wirkens großer Denker, Künstler und Literaten.
Um das Sammelwerk historiographisch einzuordnen, lohnt ein genauerer Blick auf zwei Beiträge des ersten Kapitels, die Schlesien als Kulturlandschaft beschreiben. Andreas Rüthers „Grundlagenkapitel“ zieren Abschnittsüberschriften aus einer zeitgenössischen humanistischen Landesbeschreibung. In seiner Darstellung tritt die Landschaft selbst als gestaltender kulturgeschichtlicher Akteur auf: „Durch Erschließung und Rodung hatte das schlesische Kraftzentrum alle angrenzenden Teilgebiete Polens überholt, zerfiel jedoch selbst in eine Vielzahl an Klein- und Kleinstteilen…“ (S. 6). Erst als das Gebiet im 13. Jahrhundert ins Reich eingegliedert wurde, durfte es eine Konsolidierung und Aufwärtsentwicklung erleben. Geschichte wird als ein Zusammenspiel von Landesnatur, Bevölkerung und Wirtschaft interpretiert, was den Ansätzen der deutschen Volksgeschichtsschreibung nahekommt. Daneben erweist sich Röther als intimer Kenner der Klerikal- und Kirchengeschichte.
Joachim Bahlcke folgt dieser Darstellungsweise in mancherlei Hinsicht, indem er seine Forschungen zu konfessionsgeschichtlichen Strukturen aufgreift. Aufschlussreich sind besonders die Teile, in denen er sich mit der Geschichtsschreibung über Schlesien beschäftigt. Er beklagt, dass der „ostdeutschen Landesgeschichtsforschung“ 1945 mit dem „Untergang Preußens und des Reiches […] die Grundlagen verloren gingen“. Dadurch – so vermutet er – sei eine kritische Überprüfung älterer Geschichtsbilder ausgeblieben. Die NS-Geschichtsschreibung klammert er dabei aus. Nach 1945 sei die Forschung von der neuen Nationalstaatlichkeit der osteuropäischen Staaten beherrscht gewesen. Daher habe erst 1989/90 eine neue Ostmitteleuropa-Forschung entstehen können, die die „zwischen tschechischen und polnischen Historikern beschlossene Arbeitsteilung“ ablöste, dass schlesische Geschichte „gemeinsame Kämpfe“ gegen „die deutschen herrschenden Klassen“ sei. Die Parteilichkeit von Teilen der bundesdeutschen Nachkriegshistoriographie bleibt freilich unerwähnt.
Von den übrigen Beiträgen des Sammelwerkes reihen sich einige in den skizzierten Tenor ein, andere wiederum widmen sich ganz ihren Fachdisziplinen, vor allem der Literaturwissenschaft und der Kunstgeschichte. Die weiteren historischen Beiträge enthalten sich der genannten Form von Parteilichkeit. Detlef Haberland macht Privat-, Schul- und Klosterbibliotheken als „Horte der Gelehrsamkeit“ aus. Jörg Deventer präsentiert Schlesien als Schmelztiegel der Konfessionen präsentiert; er analysiert die Bikonfessionalität als ein Spezifikum des Gebiets. Eine Reihe von Spezialbeiträgen zur Bildungsgeschichte und zur Buchkultur schließen den ersten Band ab. Die beiden Eröffnungsbeiträge des zweiten Bandes vermitteln keinen Überblick, sondern liefern eher ein Kompendium gesammelten Detailwissens. Klaus Garber widmet sich dem Standort Breslau als „Bücherhochburg des Ostens“, und Lesław Spychała legt einen Wegweiser durch die Handschriftenbestände der dortigen Universitätsbibliothek vor. Auf die differenzierte Argumentation in beiden Texte deutet bereits ihre Länge von insgesamt 200 Seiten.
In den Kapiteln zur Bildenden Kunst und zur Musik steht der Barock im Vordergrund, während der Abschnitt zur „führenden Literaturlandschaft“ auf Autoren wie Tobias Aleutner, Martin Opitz, den jungen Gryphius, Johann Christian Günther und Anna Louisa Karsch eingeht. Auch in diesen Teilen schwillt das Werk zu einer detailreichen Sammlung über die schlesischen höheren Künste des 17. und 18. Jahrhunderts an.
Im Prinzip ist die umfangreiche Erarbeitung der schlesischen Kulturgeschichte in einem fächerübergreifend angelegten Werk wertvoll. Aus dem Blickwinkel des Historikers ist die an manchen Stellen unzureichende Abgrenzung vom Konzept der Volkstumsforschung ein Ärgernis. Einem modernen Verständnis von Kulturgeschichte zuwiderlaufend, fokussiert das Werk sehr stark auf die „deutsche Hochkultur“. Allzu wenig bewegt es sich deshalb auf eine Geschichtsdarstellung zu, an der alle ethnischen Gruppen, die im schlesischen Kulturraum lebten, gleichberechtigt teilhaben.