Titel
Sound. Zur Technologie und Ästhetik des Akustischen in den Medien


Herausgeber
Segeberg, Harro; Schätzlein, Frank
Reihe
Schriftenreihe der Gesellschaft für Medienwissenschaft 12
Erschienen
Marburg 2005: Schüren Verlag
Anzahl Seiten
388 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harun Maye, SFB/FK 427 - Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg "Medien und kulturelle Kommunikation", Universität zu Köln

Die medienwissenschaftliche Diskussion kennzeichnet eine deutliche Präferenz für optische Medien in Forschung und Lehre. Erst in den letzten zehn Jahren haben akustische Medien, allen voran die menschliche Stimme, eine verstärkte Aufmerksamkeit erfahren. Eine große Anzahl an Tagungsbänden und Monografien haben diese Lücke mittlerweile gefüllt und auch der vorliegende Sammelband mit dem Titel „Sound. Zur Technologie und Ästhetik des Akustischen in den Medien“, herausgegeben von Harro Segeberg und Frank Schätzlein, reiht sich ein in diese anhaltende Serie von Veröffentlichungen. Der Band geht zurück auf die gleichnamige Tagung einer Gesellschaft, „die sich seit dem Jahr 2000 nicht mehr „Gesellschaft für Film- und Fernsehwissenschaft“, sondern „Gesellschaft für Medienwissenschaft“ nennt“ (S. 22). Dementsprechend beweisen die Beiträge des Bandes den unbedingten Willen einer medienhistorischen und -theoretischen Betrachtung des Themas, lassen jedoch auch deutlich erkennen, dass Personal, Themen und Methoden der deutschen Film- und Fernsehwissenschaft dieser Variante von Medienwissenschaft erhalten geblieben sind.

Der dominante Inhalt des Bandes ist in jeder Beziehung an einem Satz aus der Einleitung von Frank Schätzlein ablesbar. Der Begriff „Sound“, obwohl er selbstverständlich die gesamte Tonebene eines Mediums umfasst, verweist hier vor allem auf „das Sounddesign, also die gezielte (künstlerische) Gestaltung des Akustischen in den Medien (Tonspur bei Film und Fernsehen, Hörfunk, Tonträger, Internet, Software/Computerspiel/Multimediaanwendung), den charakteristischen Klang der Produktionen eines Komponisten, Tonmeisters, Sounddesigners und/oder Regisseurs“ (S. 28). Der Satz steht im Kontext einer informierten Einführung in den Soundbegriff von Frank Schätzlein und enthält einige implizite Voraussetzungen des vorliegenden Projekts, die Inhalt und Stil des Bandes prägen.

Zunächst fällt die starke Dominanz des Kunstbegriffs, seiner Subjekte (Komponist, Regisseur, Autor, Stil u.a.) und Objekte (Gestalt, Werk, Poesie des Fernsehens, Fernsehspiel, und andere) auf, nicht nur in der Einleitung der Herausgeber, sondern im ganzen Band. Ständig ist von „Film-Kunst“, „akustischer Kunst“, „Gesamtkunstwerk“, „Hörkunst“, „Radiokunst“ oder der „künstlerisch-kreativer Zuordnung von optischem und akustischem Ausdruckspotential“ die Rede. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Medien hier vor allem dann von Interesse sind, wenn sie in Form von Medienästhetik und Medienkunst thematisiert werden können. Ein solcher Fokus scheint zunächst kompatibel mit einer geläufigen Definition von „Sound“ als einem Begriff aus der Populärmusik, womit der unverwechselbare Klang eines Stils oder eines Komponisten bezeichnet wird. Entscheidend für die bevorzugte Betrachtungsweise des Sammelbandes ist demnach keine medienwissenschaftliche Perspektive, sondern der Fokus auf die althergebrachte musikästhetische Unterscheidung zwischen Klang und Geräusch: „In diesem Beitrag wird Sound im Folgenden als charakteristischer (zumeist gestalteter) Klang definiert – hingegen nicht als Schall jeglicher Art, als Geräusch oder Klangeffekt“ (S. 27). Die überwiegende Mehrzahl der Beiträge dieses Bandes übernimmt wie selbstverständlich diese Unterscheidung. Es geht dieser Medienwissenschaft um die Interpretation von Medienprodukten, um Fragen nach wertvollen Inhalten (Hörspiel, Fernsehspiel, Max Ophüls, Richard Wagner und andere) und deren Form (Gestaltung von Sound), letztlich also um Kunsthermeneutik und/oder Medienpädagogik – wenn man auf bisher unterschätzte Potentiale oder Hörerziehung aufmerksam machen will.

Die genannte Definition verrät außerdem, dass es auf die Inhalte der Tonspur und nicht so sehr auf die einzelnen „Medien“ ankommt (sind Software und Computerspiel sachlich auf derselben Ebene wie Film und Fernsehen? Sind sie Medien oder nicht eher Programme?). Die Medien, so könnte man sagen, sind hier alles, was der eigene Text nicht ist. Sie erscheinen als das Unbestimmte gegenüber den eigentlichen Gegenständen und sind immer auf der anderen Seite der Unterscheidung.

Andere Fragen wären denkbar gewesen, z.B. ob nicht gerade die Kategorie „Sound“ die Trennung von Klang und Geräusch unterläuft? Ob der „Tonmeister“, „Regisseur“ oder „Komponist“ wirklich die entscheidenden Heldenfiguren der akustischen Medien sind? Ob man die Geschichte und Theorie akustischer Medien überhaupt anhand von Subjekten adäquat erzählen kann? Ob „Interpretation“, „Komposition“, „authentischer O-Ton“ im Horizont von „Sound“ nicht eher problematisiert werden müssen? Natürlich sind die Herausgeber auf der Höhe des Begriffs und kennen die entsprechenden Diskussionen. Vor allem die nach Disziplinen und Wissensformen ausdifferenzierte Einführung in die Forschung von Frank Schätzlein streift solche Fragen explizit, zieht aber für die Konzeption des Bandes keine Konsequenzen aus diesem Wissen. Stattdessen endet Schätzlein mit einem Katalog von Forderungen und Empfehlungen, die eher dem Fundus der Kulturkritik entsprungen zu sein scheinen: „Das konzentrierte Zuhören gelingt insbesondere jungen Menschen nur noch für eine kurze Zeitspanne, Stille ist für sie kaum noch zu ertragen“; „Radiomacher müssen [...] weg von der Durchhörbarkeit der verwechselbaren Einheits- und Formatradioprogramme“; postuliert werden die Notwendigkeit einer „Verbesserung der Hörkultur“, sowie „die von den Medien geforderte und erzeugte Hör(un)kultur [zu] analysieren und kritisch [zu] hinterfragen“ (S. 31-39). An wen sich diese Forderungen genau richten, ob an die Rundfunkanstalten, die Wissenschaft oder die Gesellschaft allgemein, bleibt unklar.

In einer Rezension kann man nicht auf alle Beiträge eingehen, daher sollen hier nur zwei Beispiele besprochen werden, die durch eine gelungene Verbindung von historischem Material und theoretischer Reflexion herausragen. Der kluge Beitrag von Corina Dästner mit dem Titel „Sprechen über Filmmusik. Der Überschuss von Bild und Musik“ ist eine kritische Reflexion über den Umgang mit Begriffen der Musikanalyse in der Filmwissenschaft. Ein zentrales Begriffspaar der frühen Debatten der 1920er bis 1940er-Jahre war die Unterscheidung zwischen „Kontrapunkt“ und „Synchronismus“, wobei der Kontrapunkt (asynchrone Verwendung von Wort und Bild) als „hinzugefügte Assoziation“ fast immer positiv bewertet wurde (künstlerisches Verfahren), hingegen der Synchronismus als bloße Verdopplung der bildlichen Aussage durch die Musik kritisiert wurde (Verfahren der Kulturindustrie). Dästner macht deutlich, dass es sich bei dieser wertenden Unterscheidung um einen ideologischen Topos handelt, dessen Gegenüberstellung von Einklang und Gegensatz auch in den neueren Theorien der Filmmusik das zentrale Element der Beschreibung bildet. „Obwohl der musikalische Kontrapunkt keinen inhaltlichen Gegensatz anstrebt, sondern einen strukturellen, wird mit der kontrapunktischen Gegenüberstellung von Musik und Bild im Film meist ein inhaltlicher Gegensatz beschrieben. Damit begibt sich die Metapher des Kontrapunkts in ein Feld unendlicher Bezüge zwischen Bild und Musik“ (S. 88).

Daniel Gethmann verfolgt in seinem Beitrag mit dem Titel „Technologie der Vereinzelung. Das Sprechen am Mikrophon im frühen Rundfunk“ die historische Genese eines rundfunkspezifischen Sprechens in bewusster Abgrenzung zum Sprechen auf der Bühne oder in der Interaktion unter Anwesenden. Die radiospezifische Form der Kommunikation zeichnet sich aus durch „dieses schauerliche Schweigen jenseits des Mikrofons“ (Alfred Döblin) und die Einsamkeit des/der Sprechers/in im Studio. Diese Entwicklung einer spezifischen Radiostimme wird also dominiert durch die Herrschaft des Mikrophons, dessen verstärkende Effekte eine Physiognomie der Stimme allererst möglich machen, da nicht das Gesagte sondern dessen Sound dem Radiohörer/innen überdeutlich wurden. Daher verglich man das Mikrophon gerne mit einem Mikroskop, nach dem es ja benannt worden war, dessen Wirkung eine akustische Großaufnahme der Stimme selbst sein sollte. Um also die gewünschten kommunikativen Effekte von Information, Unterhaltung und Bildung zu erreichen, das heißt aus einem militärischen Befehlsmedium ein Unterhaltungsmedium zu machen, brauchte es eine gezielte Rundfunksprecherausbildung, wie sie in den 1930er-Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts in England und Deutschland institutionalisiert worden war. Eine persönliche und natürliche Ansprache des/der Hörers/in vor den Rundfunkgeräten musste in der „unheimlichen Stille“ (Paul Bildt) des Studios künstlich simuliert werden, damit der Effekt einer natürlichen Stimme wirksam werden konnte. Ganz der Tradition seit Lavater entsprechend, ging es dabei also nicht um die Individualität der Stimme, sondern um eine Typologie der Sprecher für verschiedene Sendungsformate. Abschließend deutet Gethmann an, wie Paul Lazarsfeld aus diesen frühen Radioexperimenten die empirische Sprecher- und Hörerforschung entwickeln konnte.

Der vorliegende Band macht nicht zuletzt deutlich, dass die Annäherung an das Akustische in den Medien seitens der deutschen Medienwissenschaften derzeit sehr unterschiedlich betrieben wird. Eine Tagung zur Akustik, die unterschiedliche Paradigmen medienwissenschaftlicher Forschung als Theoriediskussion an einem gemeinsamen Gegenstand entfalten könnte, wäre daher wünschenswert.

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