„Museum Studies has come of age.“ (S. 1) Seit nunmehr zwanzig Jahren boomt die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Studienobjekt Museum. In dieser Zeit erschien eine kaum mehr zu überblickende Fülle an Arbeiten zu bestimmten Museen, Museumstypen und -problemen, neue Zeitschriften wurden gegründet, neue Untersuchungsmethoden und -kontexte erschlossen, und das Fach hat sich im angelsächsischen Raum fest an den Universitäten etabliert.1 Es scheint ein Zeichen auch des disziplinären Erwachsen-Werdens zu sein, zurückzublicken und ein erstes Fazit zu ziehen. In diesem Sinne erschienen in den letzten Jahren einige gewichtige Bände, die in unterschiedlichem Maße beanspruchten, die Breite und Tiefe des Feldes zu repräsentieren.2 Die hier zu besprechende Publikation, die in der renommierten, von David Theo Goldberg herausgegebenen Reihe „Companions in Cultural Studies“ bei Blackwell erscheint, steht diesen im Umfang in nichts nach und geht im Konzept weiter: Während jene ausschließlich wieder abgedruckte, teils klassische Texte beinhalten, präsentiert der nun vorliegende Band 33 neue Artikel, die eigens für dieses Projekt geschrieben wurden, und verbindet so die Bestandsaufnahme mit einem engagierten Blick nach vorn.
Die Liste der Autor/innen liest sich wie ein „Who is Who?“ des Fachs. Mit Mieke Bal, Tony Bennett, Susan A. Crane, Gordon Fyfe, Eilean Hooper-Greenhill, Donald Preziosi und vielen mehr versammelt sich hier das Gros derjenigen, die mit ihren Arbeiten in den letzten Jahren bahnbrechend an der Etablierung der Museum Studies mitgewirkt haben. Herausgeberin Sharon Macdonald, Professorin für Cultural Anthropology an der Universität Sheffield und bereits früher mit grundlegenden Arbeiten hervorgetreten 3, skizziert in der Einleitung den Anspruch des Companion. Das von ihr programmatisch angeführte Schlagwort der „Expanding Museum Studies” verfolgt einerseits eine Erweiterung und stärkere Fundierung der methodischen Ansätze der „Museum Studies“. Andererseits, und damit hat das Handbuch durchaus auch den Ehrgeiz, der praktischen Museumsarbeit neue Impulse zu geben, werden geltende Maximen der Museumsarbeit reflektiert und die empirische Basis vertieft. Explizit nennt Macdonald die Grundlagen, auf die die Expanded Museum Studies (EMS) aufbauen und die die Autor/innen kritisch erweitern wollen. Ende der 1980er-Jahre bereitete die „New Museology“ 4 in der Distanz von rein praktischen Fragen der Museumsarbeit einen kritischen Blick auf die Institution Museum, ihre Bedeutungs- und Wissensproduktionen sowie ihre Funktion als (exklusiver) Ort politischer Repräsentation und Anerkennung vor. Exemplarisch aufbauend auf dem Sammelband von Peter Vergo, nimmt nun das Companion eine Strukturierung, Vertiefung und methodische und theoretische Ausdifferenzierung einzelner Themenfelder der Museum Studies vor. Mit Betonung der multiperspektivischen Betrachtung des Gegenstandes plädiert Macdonald für eine nötige Pluralisierung in kritischer Abgrenzung zu dem Singular der „New Museology“. Bewusst wird wieder an praktische Fragen nach dem „Wie“ angeknüpft, die die „New Museology“ glaubte, überwunden zu haben.
Auch wenn Macdonald selbst sympathisch einschränkt, dass das Companion nur eine provisorische Vollständigkeit und eine Auswahl der von ihr als zentral für die EMS erachteten Themen – also eine gewisse Beliebigkeit – besitze, ist das Ergebnis beeindruckend. Zum Aufbau: der Band ist in sechs Themenabschnitte untergliedert, jeder Abschnitt wird vorab eingeleitet und in das Gesamtkonzept der EMS eingebettet. Hier – wie in vielen der Beiträge – finden sich immer wieder Querverweise zu anderen Sektionen und Autor/innen des Bandes für Lektürevertiefungen, wodurch der Band die Leser/innen durch die Perspektiven und Themenvielfalt der Disziplin navigiert. Die einzelnen Beiträge, von denen im Folgenden nur einige exemplarisch erwähnt werden können, schließen mit einer Bibliografie, in der die zentralen Arbeiten für das jeweilige Thema mit Sternchen hervorgehoben sind.
Als Auftakt dient der Themenabschnitt „Perspectives, Disciplines, Concepts“ dazu, den interdisziplinären, multikonzeptionellen Ansatz der Museum Studies und die Bandbreite verschiedener Zugänge aus der Kunstgeschichte, Soziologie, Kulturtheorie, Anthropologie zu präsentieren. Verdeutlicht werden unterschiedliche Fragen und Herangehensweisen an das Museum und seine gesellschaftliche Rolle als Ort der Identitätskonzeption, der Kanonisierung und Wertmächtigkeit bezüglich Kunst, Kultur und Geschichte. Rhiannon Mason schafft es, in aller Kürze eine informationsreiche und leicht verständliche Übersicht über die wichtigsten Konzepte der Cultural Theory zu geben, die die Museum Studies hauptsächlich beeinflusst haben. Damit fängt sie dort an, wo Macdonald in ihrer Einleitung aufhört: mit den Ansätzen der gegenwärtigen Cultural Studies, „shared cultural maps“ (Stuart Hall) – welche u.a. im Museum produziert werden – multiperspektivisch in den Blick zu nehmen. Mit narrativen Zeitkonzepten, wie z.B. der Kontrastierung von zeitlosen, statischen „primitiven Kulturen” mit progressiver „westlicher Zivilisation” in ethnografischen Museen, befasst sich Susan A. Crane. In ihrer Analyse des Museums als diskursiver Erinnerungsort arbeitet sie sich allerdings an der Enola Gay-Ausstellung ab – ein zu oft zitiertes Standardbeispiel für die Culture Wars.
Sektion II befasst sich unter dem Titel „Histories, Heritage, Identities“ mit Geschichte des und Geschichte im Museum. Jeffrey Abt präsentiert eine lange Geschichte des Museums, die bis in die klassische Antike zurückreicht. Er verbindet seine Darstellung mit dem Anspruch, die mittlerweile zum Allgemeinplatz gewordene Feststellung, wonach das öffentliche Museum eine Erfindung des 18. Jahrhunderts sei, zu hinterfragen. Dabei gelingt es ihm, die Entwicklung als Prozess gradueller Öffnung statt unvermuteter Brüche (wie etwa in der viel zitierten Öffnung der Türen zum Louvre 1793 nahe gelegt) zu beschreiben. Flora Kaplans Beitrag „Making and Remaking National Identities“ fällt demgegenüber in Struktur, Substanz und Reflektion des Forschungsstands ab. Ihre Bemerkungen zu einem der museumswissenschaftlichen Top-Themen, dem Verhältnis von Museum und nationaler Identität, sind zu stark einer Vorstellung herrschaftlicher Steuerung verhaftet. Ihre Betrachtungen zu alternativen Identitätskonstrukten und -politiken, die sie u.a. anhand des National Museum of the American Indian in Washington D.C. behandelt, bleiben kursorisch. Ganz anders Steven Hoelscher in seinem Beitrag über „Heritage” als Schlüsselbegriff der Museum Studies. Gekonnt fächert er dessen Bedeutungsdimensionen im Verhältnis zu anderen Begriffen (wie Ort, Zeit und Authentizität) auf und betont dabei, nicht zuletzt in Abgrenzung zu einer auf Kommerzialisierung fixierten „heritage critique“ der 1980er-Jahre, stets dessen politisch umstrittenen und umkämpften Charakter.
Die Sektion „Architecture, Space, Media“ liefert neben Beiträgen zu Museumsarchitektur und den Praktiken des „eye management“ (Tony Bennett), des gesteuerten Sehens in Museen, eine Einführung in die Methode der Space Syntax. In ihrer Analyse, wie sich Besucher/innen und Besucherströme in Ausstellungen bewegen, beleuchten Bill Hillier und Kali Tzortzi das Museum als Raumkonstruktion, die von Besucher/innen mal mehr, mal weniger gut erschlossen wird. Mit der Kennzeichnung von integrativen und segregativen Bereichen und den Beispielen über die funktionellen Anordnungen und Raumkonzepte verschiedener Museen geben sie praktische Anweisungen für eine Optimierung der Besucherchoreografie.
„Visitors, Learning, Interacting“ beschäftigt sich mit dem edukativen Anspruch von Museen – in Kontrast und Ergänzung zu der Popularisierung der Museen hin zu Massenmedien der Unterhaltungsbranche. Andrea Witcomb nimmt die Rolle von „Interactivity“ und die Diskussionen um den Wert und die erreichten Lerneffekte durch „hands-on“ (gleich „minds-off“?) näher in den Blick. Sie erläutert verschiedene Arten, wie interaktive Bereiche in Ausstellungen funktionieren können – nämlich durchaus zur Ermöglichung eines konstruktiven Dialogs mit dem Besucher, aber auch – Negativbeispiel ist hier das Museum of Tolerance in Los Angeles – als Autorität reklamierende Erziehungsmaßnahme.
Abschnitt V wendet sich in besonderem Maße praktischen Fragen des Museumsbetriebs zu. Sechs Aufsätze behandeln ökonomische, ethische und rechtliche Aspekte und ihre Implikationen unter den Bedingungen der Globalisierung. Patrick J. Boylan gibt einen guten, allerdings stark auf den angelsächsischen Raum bezogenen Überblick über „The Museum Profession“, in dem er Veränderungen der Museumslandschaft, namentlich den starken zahlenmäßigen Anstieg sowie Ausdifferenzierung und Spezialisierung zwischen und innerhalb der Museen reflektiert und Konsequenzen für die Museumsausbildung, diskutiert. Wiederum stärker theoretisch angelegt ist der Beitrag von Christina Kreps zu „Non-Western Models of Museums and Curation in Cross-cultural Perspective“. Wie schon in ihrem Buch „Liberating Culture“ plädiert sie darin in inspirierender Weise für eine Wahrnehmung nicht-westlicher Sammlungs- und Ausstellungspraxen, die durch die zum Dogma gewordene Charakterisierung des Museums als moderner, westlicher Institution aus dem Blick geraten seien.
Der Band schließt mit der thematisch weit gefassten Sektion „Culture Wars, Transformations Futures“. Steven C. Dubin lässt einmal mehr die Stars unter den museumswissenschaftlich reflektierten Museumskontroversen der 1990er-Jahre – „Enola Gay“, „Sensation“, „Miscast“ u.a. – aufmarschieren, bevor er mit der Diskussion neuerer Museumsprojekte in Südafrika (u.a. der inzwischen auch mehrfach anderweitig behandelten Fälle Robben Island und District Six Museum in Kapstadt) die schwierige Präsentation von Geschichte in Transformationsgesellschaften in den Blick nimmt. Das bietet insgesamt nicht viel Neues, im Sinne eines „Best of“ jedoch einen guten Aufriss vergangener und weiter wirkender Konfliktlinien in der Musealisierung gesellschaftlich „heißer“ Themen. Die abschließenden Beiträge von Nick Prior, Mieke Bal und Charles Saumarez Smith stellen unterschiedlich positionierte Variationen zum Charakter eines zukunftsweisenden Museums dar.
Ungeachtet dessen, dass nicht alle der 33 Beiträge das hohe Niveau und das exzellent formulierte Programm der Herausgeberin erreichen, ist das „Companion to Museum Studies“ mit seiner Fülle an methodischen Zugängen, Vermessungen von Problemfeldern und exemplarischen Fallstudien sicherlich ein weiterer Meilenstein der Museum Studies. Insbesondere für den deutschen Kontext, für den Macdonalds Diagnose, wonach Museum Studies als interdisziplinäres Forschungsfeld heute akademisch etabliert ist und ernst genommen wird, bislang nur sehr eingeschränkt gilt, kann der Band wichtige Impulse geben.
Anmerkungen:
1 Einen guten Überblick gibt: Starn, Randolph, A Historian's Brief Guide to New Museum Studies, in: The American Historical Review 110,1 (2005), S. 68-98.
2 Preziosi, Donald; Farago, Claire (Hgg.), Grasping the World. The Idea of the Museum, Aldershot 2004; Carbonell, Bettina Messias (Hg.), Museum Studies. An Anthology of Contexts, Malden 2004; Anderson, Gail (Hg.), Reinventing the Museum. Historical and Contemporary Perspectives on the Paradigm Shift, Walnut Creek 2004; Corsane, Gerard (Hg.), Heritage, Museums and Galleries. An Introductory Reader, London 2005.
3 Macdonald, Sharon; Fyfe, Gordon (Hgg.), Theorizing Museums. Representing Identity and Diversity in a Changing World, Oxford 1996; Dies. (Hg.), The Politics of Display. Museums, Science, Culture, New York 1997; Dies., Behind the Scenes at the Science Museum, Oxford 2002.
4 Vergo, Peter (Hg.), The New Museology, London 1989.