: Among the Dead Cities. Was the Allied Bombing of Civilians in WWII a Necessity or a Crime?. London 2006 : Bloomsbury, ISBN 0-7475-7671-8 361 Seiten £ 20,00

: Firestorm. The Bombing of Dresden 1945. London 2006 : Pimlico, ISBN 1-84413-928-X 260 S. £ 8.99

Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Dietmar Süß, Institut für Zeitgeschichte

Die Erinnerung an den Luftkrieg ist ein umkämpftes Gut – und das nicht erst seit 1945. Denn schon während des Zweiten Weltkrieges war sie Teil nationalsozialistischer Volksgemeinschaftspropaganda und geschichtspolitischer Inszenierung, die aus dem Deutschen Reich das Opfer alliierter Barbaren machen wollte. Die Rhetorik der ungebrochen „Moral” gehörte ebenso dazu wie die Anklage der Alliierten als „Kriegsverbrecher” – beides Deutungsachsen, die in der Debatte um das Buch von Jörg Friedrich „Der Brand“ 1 eine neue Konjunktur erlebten und nun mit A.C. Grayling und seinem Buch über „Among the Dead Cities“ ihre nächste Weiterung finden. 2 Immer wieder passten sich die Luftkriegsnarrative elastisch der Gegenwart an: als Erzählung von der „Wiedergeburt” der deutschen Städte nach 1945, als Teil des Ost-Westkonflikt, pazifistisches Argument der Friedensbewegung, Teil internationaler ökumenischer Aussöhnung oder, wie vor wenigen Jahren, als große Erzählung vom deutschen „Tabu”.

Man wird A.C. Graylings Buch wohl nur gerecht werden können, wenn man es als Teil einer mehr oder weniger gegenwartsbezogenen Debatte um die Zukunft des Krieges und weniger als historisches Analyse des Luftkrieges liest. Im Mittelpunkt steht denn auch eine moralphilosophische Frage: Waren die alliierten Flächenbombardements ein Kriegsverbrechen? Historiker scheuen vor der Antwort auf eine solche Frage in der Regel zurück und dies mit einigem Recht. Grayling dagegen, Philosoph am Birbeck College der University of London, nimmt sie zum Ausgangspunkt seines historischen Prozesses gegen die Alliierten, allen voran gegen die britische Royal Air Force. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Grayling gehört keineswegs zu den zwielichtigen Gestalten, die die Bombardierungen deutscher Städte für ihr schlechtschmeckendes politisches Süppchen nutzen wollen. Er ist vielmehr ein umtriebiger, meinungsstarker Intellektueller, präsent in Radio und TV, Mitglied des World Economic Forum und Fellow der Royal Society of Arts.

Keinen Zweifel lässt er deshalb am grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Mord an den Juden und der Bombardierung der deutschen Zivilbevölkerung.

Gleichwohl fällt sein Ergebnis eindeutig aus: Die Allied Bombing Campaings gegen Deutschland und Japan waren nicht nur weitgehend wirkungslos; sie waren unverhältnismäßig, falsch, alles in allem ein „moral crime“ und „culturecide“.

Fallstudie seiner Argumentation ist die „Operation Gomorrha“, der alliierte Angriff gegen Hamburg, bei dem Ende Juli 1943 rund 40.000 Menschen ums Leben kamen. Grayling hat sein Buch (neben einer knappen Einleitung) in sieben Kapitel unterteilt: Er fasst noch einmal die Geschichte des strategischen Luftkrieges zusammen; er untersucht die Erfahrung der Bombardierten und die Motive der Bombardierer; er stellt die zeitgenössischen Stimmen vor, die allen voran in Großbritannien bereits während des Krieges moralische Zweifel am Sinn und der Berechtigung der Luftkriegsführung hatten. Schließlich untersucht Grayling die völkerrechtlichen Probleme des „gerechten Krieges“ und wägt die Argumente derer ab, die den Bombenkrieg als legitimes militärisches Mittel der Kriegführung betrachteten. Am Ende steht schließlich unter der Kapitelüberschrift „Judgement“ seine Bilanz: die Verurteilung der alliierten Luftkriegsführung als „moral crime“ – ein Verbrechen, dem sich, so eine Bilanz, auch die beteiligten RAF Piloten durch Verweigerung hätten entziehen sollen.

Zentrales Argument seiner Interpretation: Während Luftangriffe gegen militärische Ziele angemessen gewesen seien, um die nationalsozialistische Terrormaschinerie zu stoppen, hätten die Bombardierungen gegen „zivile“ Ziele ihre Wirkung, die Zerstörung der deutschen „Moral“, verfehlt und damit sinnlos Menschenleben geopfert. Möglicherweise hätten sie sogar dazu beigetragen, den Krieg unnötig zu verlängern. Teil eines „gerechten Krieges“ sei diese Form der Kriegführung jedenfalls nicht gewesen, vor allem nicht mehr am Ende des Krieges 1944/45, als der Zusammenbruch des Regimes absehbar war und militärische Alternativen auf dem Tisch lagen. Graylings Buch gleicht mehr einem moralischen Appell als einer historischen Analyse. Sein Interesse gilt der Abwägung militärischer Verhältnismäßigkeit: Wie weit darf eine Nation gehen, die im Zeichen der „Zivilisation“ Krieg führt? Wann nähern sich die „Befreier“ ihren „barbarischen“ Herausforderern so sehr an, dass die moralischen Unterschiede zunehmend verschwimmen? Der Luftkrieg gegen zivile Ziele jedenfalls ist aus seiner Sicht ein der Sündenfall moralischer Grenzverletzungen, den es künftig zu vermeiden gilt und der sich die beteiligten Soldaten entziehen sollten. Eine Nation, so seine Botschaft, die sich diesem historischen Erbe nicht stellt, begeht die gleichen Fehler bald wieder – und damit ist man unmittelbar in der Debatte um den Irak-Krieg gelandet, was seiner Botschaft den entsprechenden Resonanzboden bereitet.

Blickt man auf die empirische Grundlage seiner Studie, so kann man einen gewissen Schauder – oder Hochachtung vor dieser Art der Kaltschnäuzigkeit – nicht verbergen. Während das Kapitel über die alliierte Luftkriegsstrategie noch weitgehend auf dem Stand der Forschung argumentiert, kann man das über zentrale andere Passagen kaum sagen. Geradezu abenteuerlich willkürlich ist seine Erfahrungsgeschichte der Bombardierung, die unkommentiert Zeitzeugenerinnerungen aneinander stückelt und auf jede historische Einbettung, gar Analyse unterschiedlicher zeitgenössischer oder nach dem Kriege entstandener Erinnerungen verzichtet. Grayling hat beinahe vollständig die umfangreiche deutschsprachige Forschung zur Geschichte des Luftkrieges links liegen lassen. Der Nationalsozialismus als Teil der Geschichte der deutschen Kriegsgesellschaft kommt allenfalls nur noch am Rande vor, was nicht zuletzt daran liegt, dass Grayling auch die umfassende englischsprachige NS-Forschung kurzerhand ausblendet. Keine Zeile widmet er dem Zusammenhang von rassistischer Krisenbewältigung, volksgemeinschaftlicher Loyalität und Vernichtungskrieg, von Inklusion und Exklusion als Teil der spezifisch nationalsozialistischen „Krisenbewältigung“ im Luftkrieg, keine Silbe über den Funktionswandel der Kommunalverwaltungen oder die Bedeutung der NSDAP im Krieg. Aber selbst seine Kernthese, die ungebrochene Moral der Deutschen, wird nicht eingehend untersucht. Aus welchen unterschiedlichen Elementen bestand dieses Wortungetüm „deutsche Kriegsmoral“? Blieb sie immer gleich oder war sie unterschiedlichen Wandlungen und Konjunkturen unterlegen? Waren die Deutschen tatsächlich durch die Luftangriffe enger zusammengerückt – und die Luftangriffe damit wirkungslos, wie er glaubt – man wird dies erheblich bezweifeln dürfen. Und: wie sehr ist der Begriff der „Kriegsmoral“ als Teil volksgemeinschaftlicher Selbstbeschreibung selbst ein semantisches Minenfeld, Teil nationalsozialistischer Propaganda, alliierter Projektionen und Nachkriegserinnerungen? Sein einziges Argument sind die Ergebnisse des United Strategic Bombing Survey, der seinerseits eine Geschichte der enttäuschten Erwartungen ist. Und so ließe sich die Liste der Fehler und Versäumnisse, der verzerrten Begriffe und fehlenden Kontextualisierung noch eine Zeit lang fortsetzen.

Bemerkenswert ist allerdings, wie sein Buch selbst einen erinnerungskulturellen Trend fortschreibt, der spätestens mit der Debatte um Jörg Friedrichs „Brand“ neue Bedeutung gewonnen hat: dazu gehört erstens, die Angriffe als „culturecide“, als Auslöschung deutscher Geschichte durch die willkürliche Bombardierung von Bibliotheken, Archiven und Universitäten zu beschreiben, und zweitens schließlich, die Flächenangriffe mit dem Stempel „Kriegsverbrechen“ zu versehen. Es ist deshalb auch weniger das empirische Fundament selbst, als seine erinnerungskulturelle Verortung und Rezeptionsgeschichte, die es lohnend macht, sich mit ihm zu beschäftigen. Vor allem sein rigoroses Urteil über die alliierten Verfehlungen und ihre moralische Annäherung an die nationalsozialistischen Machthaber war es, die seinem Buch in den USA und Großbritannien einige Aufmerksamkeit verschafft hat und an eine keineswegs neue Debatte um die militärische und moralische Angemessenheit des Area Bombing anknüpfen konnte – eine Auseinandersetzung, deren Anfänge bis in die Kriegszeit zurückreichen und immer wieder einen zentralen Bestandteil britischer Selbstvergewisserung berührten: den „heldenhaften“ Abwehrkampf gegen Hitler, aus dessen solidarischem, klassenübergreifendem Geist sich schließlich nach 1945 der britische Wohlfahrtsstaat speiste. Die Angriffe gegen Deutschland und Japan dienen ihm dabei lediglich als Beleg dafür, wohin die Eskalation der Gewalt führen kann, wenn „Kollateralschäden“ akzeptabel und die Bombardierung von Zivilisten nicht geächtet sein. 3

In Deutschland dürfte für die Rezeptionsgeschichte noch eine weitere Dimension hinzukommen: ein seit der Friedrich-Debatte wachsender publizistischer Konsens, ungeachtet aller kriegsvölkerrechtlichen und historischen Fallstricke, von den Luftangriffen generell als „Kriegsverbrechen“ zu sprechen. Man spürt förmlich das tiefe Aufatmen in manchen Redaktionsstuben, nun endlich von „Kriegsverbrechen“ der Alliierten schreiben zu dürfen, jetzt, wo es selbst „die Briten“ tun.5 Diese semantische Verschiebung ist selbst Teil einer erinnerungskulturellen Konjunktur, die nun den Diskurs um das „Tabu“ abzulösen beginnt, dem Luftkrieg gleichsam einen neuen Erzählrahmen gibt und ihn als weitgehend enthistorisiertes Menetekel kriegerischer Gewaltexzesse umdeutet.

Wie man sich einer Geschichte des Luftkrieges auch anderes nähern kann, zeigt der von Paul Addison und Jeremy A. Crang herausgegebene Sammelband über die Bombardierung Dresdens am 13./14. Februar 1945. Sein Vorzug liegt in der Mischung aus historischer Tiefenschärfe, gründlicher Verortung und methodisch unterschiedlichen Zugängen. Nichts am Angriff auf Dresden war außergewöhnlich, wie Sebastian Cox, Hew Strachan und Tami David Biddle betonen. Die Planungen auf alliierter Seite liefen in den üblichen Bahnen und waren Teil der strategischen Überlegungen, die die Politik des Bomber Command seit 1942 bestimmten. Die Zerstörung der militärischen und industriellen Infrastruktur gehörten dazu genauso wie die systematische Unterminierung der zivilen „Moral“ – was eine Bombardierung der Städte selbstverständlich mit einschloss. Schon unmittelbar nach dem Angriff entwickelte sich, nicht zuletzt durch die Propagandaerfolge des Goebbels-Ministeriums, eine intensive internationale Debatte um die moralische Legitimität des „terror bombing“. Eindringlich zeigt Tami Davids Biddle den Weg, den die Nachrichten über die Zerstörung der Stadt über die Schweiz und Schweden Richtung Großbritannien und USA nahmen und dort beispielsweise im Mai 1945 auch die Washington Post nicht nur von 300.000 Toten – der Zahl, die direkt aus Berlin kam, sondern auch vom „probably the most destructive series of raids in history in terms of human life“ sprach.4 Der „Mythos Dresden“ war in vielerlei Hinsicht also einer der letzten nationalsozialistischen Propagandaerfolge, dessen Wirkungskraft bis weit in die Nachkriegszeit beider deutschen Staaten reichte und dabei den kollektiven Erzählrahmen absteckte, der aus der Stadt das Symbol der militärischen Eskalation des „Totalen Krieges“ werden ließ. Neben der Militär- und Erinnerungsgeschichte behandeln zwei Beiträge das Leben in der Stadt während und unmittelbar nach den Angriffen. Sönke Neitzel untersucht vor allem die mangelnden Luftschutzvorkehrungen, die Dresden zu einem leicht zu zerstörenden Ziel werden ließ, während Jeremy A. Crang Victor Klemperers Erfahrungen, Hoffnungen und Ängste während der Angriffe nachgeht, die für ihn die Rettung vor der Deportation bedeuteten. Den Band besonders lesenswert macht David Bloxham, der ähnlich wie A. C. Grayling danach fragt, in wiefern man von Dresden als „Kriegsverbrechen“ sprechen könne. Seine Antwort fällt differenzierter aus. Auch Bloxham hält mit gutem Grund die Bombardierung Dresdens für einen Akt der moralischen Grenzüberschreitung, der keineswegs mit den Zwangsläufigkeiten des „Totalen Krieges“ erklärt und legitimiert werden dürfe. Doch zugleich unterscheidet er nachdrücklich zwischen „crimes against humanity“ and „war crimes“. Vor allem weist er eindringlich auf die unterschiedlichen ethischen, rechtlichen und historischen Dimensionen hin, die in der Debatte um Dresden als „Kriegsverbrechen“ zusammenfließen und die man bei Grayling so schmerzlich vermisst. Insgesamt liegt mit „Firestorm“ ein ebenso ausgewogener wie konziser Band über den „Mythos Dresden“ vor, von dem man nur hoffen kann, dass er weite Verbreitung findet, nicht zuletzt auch in der Stadt, von der er handelt.6

Anmerkungen:
1 Das Buch liegt nun auch auf deutsch vor: Grayling, A. C., Die toten Städte. Waren die alliierten Bombenangriffe Kriegsverbrechen?, München 2007.
2 Friedrich, Jörg, Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg, Berlin 2002;
3 FAZ am Sonntag vom 18.2.2007: „Auch eine Siegermacht muss zugeben, dass sie Unrecht getan hat“, Interview mit Jörg Friedrich und A.C. Grayling.
4 Washington Post vom 4. Mai 1945.
5 Bild-Zeitung vom 20.2.2007: Erster britischer Kriegsforscher gibt zu: Bomben auf deutsche Städte waren ein Kriegsverbrechen!
6 Fast zeitgleich erschien der gelungene Band von Oliver Reinhard / Matthias Neutzner / Wolfgang Hesse: Das rote Leuchten. Dresden und der Bombenkrieg, Dresden 2005, auf den die Autoren nicht mehr eingehen konnten; vgl. auch Jörg Arnold, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 7/8 [15.07.2005], URL: <http://www.sehepunkte.de/2005/07/8103.html>.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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