Titel
Renaissance Monks. Monastic Humanism in six Biographical Sketches


Autor(en)
Posset, Franz
Reihe
Studies in Medieval and Reformation Traditions 108
Erschienen
Anzahl Seiten
XV, 196 S.
Preis
€ 109,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Müller, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Der vorliegende Band will einem doppelten Defizit abhelfen. Zum einen reagiert er auf eine Aussage Paul Oskar Kristellers, der 1970 die Existenz einer spezifisch klösterlich geprägten Renaissancekultur hervorgehoben und deren Erforschung als Desiderat benannt hatte.1 Zum anderen will Posset Vertreter einer solchen klösterlichen Kultur aus dem deutschen Raum einem englischsprachigen Publikum näher bringen, da die Renaissanceforschung zwar stark anglophon geprägt ist, in England und den USA deutschsprachige Literatur aber nicht immer mit der gebotenen Sicherheit rezipiert wird. Aus diesem Grunde publiziert er sechs biografische Skizzen, deren Grundlage zumeist umfangreichere Lexikonartikel aus eigener Feder sind. Posset konzentriert sich dabei ausschließlich auf Vertreter benediktinischer Ordensverbände, auch weil er diese im Kontext der spätmittelalterlichen Ordensreform verorten möchte.

Den Auftakt macht der Zisterzienser Konrad Leontorius (ca. 1460-1511), der von 1489-1495 Sekretär des Generalabtes von Cîteaux, Jean de Cirey, war, dann über Maulbronn als Beichtvater nach Engental unweit von Basel kam, was ihm die intensive Mitarbeit im dortigen Druckhaus Amerbach ermöglichte. Es folgt Benedikt Schwalbe/Chelidonius (ca. 1460-1521), ein Benediktiner, der erst in Nürnberg, dann in Wien sesshaft war und eng mit Albrecht Dürer zusammenarbeitete. Mit Wolfgang Marius (1469-1544), dem Abt von Aldersbach, rückt ein fast nur im regionalen bayerischen Zusammenhang beachteter Benediktiner in den Blickpunkt, der ein aktiver lateinischen Dichter war und eine kleine Gruppe ähnlich Interessierter um sich scharte. Das vierte Lebensbild gilt Heinrich Urban (ca. 1470-1539), einem Mönch in der Zisterze Georgenthal bei Erfurt. Prominenz erlangte er durch die Tatsache, dass der Gothaer Kanoniker Konrad Mutianus Rufus die meisten seiner Briefe an Urban adressierte und durch jenen Zisterzienser eines der interessantesten humanistischen Briefwerke des beginnenden 16. Jahrhunderts auf uns gekommen ist. Mit Veit Bild (1481-1529), Mönch in St. Ulrich und Afra in Augsburg, der zumindest zeitweise dem Peutinger-Kreis zugerechnet werden kann, und schließlich mit Nikolaus Ellenbog (1481-1543), von 1504 bis zu seinem Tod Mönch in Ottobeuren, schließt sich der Kreis der sechs Protagonisten, der in seiner regionalen Verteilung einen deutlichen süd- und südwestdeutschen Schwerpunkt aufweist.

In den sechs Lebensskizzen werden Informationen zu den behandelten Personen durchgehend sorgfältig zusammengetragen. Dies ist insofern sehr zu begrüßen, als nur wenige von ihnen als bekannter (Nikolaus Ellenbog) oder sogar als intensiver erforscht (Chelidonius) gelten können. Konrad Leontorius dagegen war zuletzt vor rund 90 Jahren Gegenstand einer gelungenen Studie.2 Doch Posset verfolgt höher gesteckte Ziele. Bereits in der Einleitung deutete er an, dass er die vorgestellten Personen und mit ihnen das im deutschen Sprachraum gerne mit dem Begriff „Klosterhumanismus“ bezeichnete Phänomen humanistisch aktiver Mönche in eine Entwicklungsgeschichte eingebettet sieht, die von den Ordensreformen des 14. und 15. Jahrhunderts und von der Devotio moderna schließlich in die Reformation mündet (S. 12). Implizit überspitzt der Verfasser damit das bekannte Diktum Bernd Moellers „ohne Humanismus keine Reformation“3 zu einem „ohne Klosterhumanismus keine Reformation“.

Diese Grundhaltung bestimmt die Anlage des Buches wie der einzelnen Biografien. Leontorius wird als Herausgeber einer lateinischen Bibel und der Werke des Augustinus vorgestellt, Chelidonius als christlicher Poet, ebenso Wolfgang Marius, der aber auch das Etikett ‚Historiograf’ erhält. Heinrich Urban begegnet als Latinist, Sympathisant Reuchlins, vor allen Dingen aber als Herausgeber eines christlich-humanistischen Gedichts des kroatischen Poeten Marcus Marulić/Marulus. Nikolaus Ellenbog erhält Kontur durch sein Interesse für die „sacred languages“, womit Latein, Griechisch und Hebräisch als die Sprachen, in denen die Inschrift am Kreuz Christi verfasst wurde, gemeint sind. Durchbrochen wird diese durchgehende christliche Fokussierung (möglicherweise) humanistischer Aktivitäten allein bei Veit Bild, dem lediglich das Attribut „Herzenslutheraner“ („Lutheran at heart“, S. 154) zufällt.

So konsequent diese Beispielreihe von Mönchen, die ihre Ausbildung in den Artes und ihre Sprachfertigkeiten in den Dienst christlicher Texterschließung oder religiös inspirierter Dichtung stellten, auf den ersten Blick erscheint, so bedenklich wirkt sie auf den zweiten. Der durchgehend affirmative Charakter dieses Exempel-Sextetts zeigt sich in der blassen Zusammenfassung, die mit der wenig überraschenden Beobachtung aufwartet, es habe im 15. und 16. Jahrhundert Mönche gegeben, die Interesse für die studia humanitatis und die litterae zeigten. Dieses Konzept jenseits der Scholastik sei um die Mitte des 15. Jahrhunderts in den deutschsprachigen Raum eingeführt worden und bestehe hauptsächlich in der Rückwendung zu Bibel und Kirchenvätern als fontes religiöser und monastischer Orientierung (S. 173). Diese geläufige Einschätzung ist ebenso pauschal wie aus den sechs Biogrammen nicht stringent zu belegen, denn keiner der Protagonisten ist aufgrund seines Lebensalters vor 1480 in nennenswerter Weise aktiv. Sie lässt zudem die nicht unplausible Deutung unberücksichtigt, Humanismus und Religion hätten sich nach anfänglichem Miteinander im Laufe des ersten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts entzweit.4

Weit schwerer wiegen aber die Einwände, die stellenweise gegen die Methodik des Bandes vorzubringen sind. Grundsätzlich zu begrüßen ist die gewählte Konzentration auf Briefe als Indizien humanistischer Orientierung. Bei Nikolaus Ellenbog reicht Posset allerdings ein allzu schmaler Ausschnitt, um zu einer Charakteristik zu gelangen. Aus der stattlichen Korrespondenz des Benediktiners, die 892 Briefe enthält, davon 701 aus eigener Feder 5, stützt sich der Verfasser ausschließlich auf den 24 Stücke umfassenden Briefwechsel mit Johannes Reuchlin. Ellenbog tritt 1509 mit ihm in Kontakt, versucht mehrfach mit dessen Hilfe im Kloster Ottobeuren Hebräisch unterrichten zu lassen und benennt den Pforzheimer stets als Autorität in dieser Sprache. Rückblickend würdigt der Mönch ihn als seinen wichtigsten Briefpartner, und dies obwohl der Kontakt zu Reuchlin de facto bereits 1516 abgerissen ist – sechs Jahre vor Reuchlins Tod und 27 Jahre vor dem Ellenbogs. Wir haben es also quantitativ wie zeitlich mit einem Segment zu tun! Es zeigt zweifellos eine wichtige Seite der Interessen des Mönchs, reicht aber zur alleinigen Charakteristik kaum aus. Der vor dem Klostereintritt erworbene Wissenshorizont des Benediktiners war wesentlich stärker durch das Studium Platons geprägt, hinzu kamen andauernde medizinische und astronomisch-astrologische Interessen, nach 1520 dann die Hinordnung fast aller Gedanken auf die Auseinandersetzung mit der Reformation, die an der Dominanz des Briefwechsels mit Johann Eck abzulesen ist. Insofern muss eine Charakteristik Ellenbogs auf dieser Quellengrundlage verzerrend ausfallen. Auch im Detail führt sie zu verkürzten Einsichten. So war Abt Leonhard Widenmann in der Tat ein kongenialer Partner für Ellenbogs Interessen (S. 158), allerdings nur in den Anfangsjahren. Beide entfernten sich zunehmend voneinander, und am Ende hinderte der Abt den greisen Ellenbog sogar daran, Vorlesungen in der Ordenshochschule zu hören, die 1542 in Ottobeuren errichtet worden war.6

Der Leser tut gut daran, die sechs Beiträge als das zu nehmen was sie sind: im Detail wertvolle biografische Skizzen. Weitergehende Ambitionen des Buches wird man angesichts des prinzipiell affirmativen Grundtenors und des nicht nur bei Ellenbog selektiven Zugriffs sehr gründlich prüfen müssen. Dass zudem Aussagekraft und Reproduktionsqualität der Abbildungen mit dem Ausstattungskomfort der Reihe nicht Schritt halten, weckt weitere Bedenken gegenüber dem stolzen Preis des Bandes von 109 Euro.

Anmerkungen:
1 Kristeller, Paul Oskar, The Contribution of Religious Orders to Renaissance Thought and Learning, in: The American Benedictine Review 21 (1970) S. 1-54; Nachdruck in: Medieval Aspects of Renaissance Learning. Three Essays by P. O. Kristeller, hg. und übersetzt von Edward P. Mahoney, New York 1992, S. 93-163 (mit einem Nachtrag).
2 Wolff, Georg, Conradus Leontorius. Biobibliographie, in: Beiträge zur Geschichte der Renaissance und Reformation. Joseph Schlecht... zum sechzigsten Geburtstag, München 1917, S. 363-410.
3 Moeller, Bernd, Die deutschen Humanisten und die Anfänge der Reformation in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 70 (1959) S. 47-61, hier S. 59.
4 Vgl. Joachimsohn, Paul, Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung in Deutschland unter dem Einfluss des Humanismus, Leipzig/Berlin 1910; Brann, Noël L., The Abbot Trithemius (1462-1516). The Renaissance of Monastic Humanism, Leiden 1981, S. 258.
5 Nikolaus Ellenbog, Briefwechsel, hg. v. Andreas Bigelmair und Friedrich Zoepfl, Münster 1938.
6 Zu Ellenbog und zum Phänomen humanistisch interessierter Mönche vgl. künftig: Müller, Harald, Habit und Habitus. Mönche und Humanisten im Dialog, Tübingen 2006 (voraussichtlich November).

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