Gute Ideen müssen nicht immer brandneu sein. Bereits 1979 lag dem inzwischen längst zum Klassiker avancierten Bestseller „The Right Stuff“ des US-amerikanischen Schriftstellers Tom Wolfe der Gedanke zugrunde, dass es vor allem der ausbleibende Krieg auf der Erde war, der in den 1960er-Jahren Amerikaner wie Sowjets zeitgleich und doch gegeneinander in den erdnahen Weltraum trieb. Die amerikanischen Mercury-, Gemini- und Apollo-Flüge ließen sich so als orbitale Kompensationshandlungen für den nicht stattfindenden heißen Krieg deuten, mit der Landung auf dem Mond im Juli 1969 als Höhe- und vorläufigem Endpunkt eines jahrelang auf beiden Seiten erbittert und unter größtem Ressourceneinsatz geführten Stellvertreterkrieges. Aber auch der Umkehrschluss trifft zu: Ohne die geopolitisch einmalige Konstellation des Kalten Krieges wäre man wohl – ganz wortwörtlich – niemals in so kurzer Zeit so weit gekommen. In der Tat erweist sich auch hier der Krieg als Vater aller Dinge. 1
Die Geschichte dieser Kriegsmetaphorik für die entscheidenden elf Jahre des inneramerikanischen „Astronautikdiskurses“ vom Beginn menschlicher Flüge im Weltraum 1961 bis zum offiziellen Abschluss des Apollo-Projektes 1972 erstmals durchgespielt und mit viel Liebe zum empirischen Detail ausgebreitet zu haben, ist das nicht geringe Verdienst der hier anzuzeigenden Studie von Karsten Werth. In vier großen Abschnitten – „Herausforderung“, „Mobilisierung“, „Griff nach dem Mond“ sowie „Triumph und Demobilisierung“ – werden offizielle und semi-offizielle Verlautbarungen beteiligter Akteure, vor allem aber eine Plethora von Zeitungsartikeln und Presseberichten auf die sich dort mittelbar niederschlagenden Kriegserfahrungen, Kriegsmetaphern und Kriegssymbole hin befragt. Systemübergreifende, transnationale oder Europa-bezogene Aspekte des Themas werden dabei in eher geringem Maße berührt, dafür Verbindungen zu einer Vielzahl inneramerikanischer Entwicklungen gezogen.
Werth hat dabei maßgeblich von dem umfangreichen und außerordentlich gut organisierten Material profitiert, das die NASA seit ihrer Gründung im Juli 1958 in einem eigens im Washingtoner Hauptquartier eingerichteten History Office archivieren, erschließen und kontinuierlich erweitern lässt. Seine Analyse basiert vor allem auf einer intensiven Auswertung der dort aufbewahrten Zeitungsausschnittssammlung, ergänzt durch offizielle Dokumentationen von Regierungsseite und US-Kongress. Arbeitsökonomisch klug und daher pragmatisch gerechtfertigt, aber in ergebnisorientierter Hinsicht zu bedauern ist, dass andere Medien kaum thematisiert werden, vor allem die zentrale Rolle des jungen Mediums Fernsehen, sondern nur immer wieder am Rande aufscheinen. Bereits die erste Erdumrundung durch John Glenn am 20. Februar 1962 wurde in etwa 40 Millionen amerikanische Fernsehhaushalte übertragen, während die Mondlandung sieben Jahre später von etwa 600 Millionen Zuschauern, das heißt etwa einem Fünftel der Weltbevölkerung, live vor dem Bildschirm verfolgt wurde. 2
Vor allem für die Anfangszeit seines elf Jahre umfassenden Untersuchungszeitraums kann Werth die massive begriffliche Militarisierung des Weltraumes in der US-amerikanischen Presse überzeugend belegen. Durch eine Vielzahl, zum Teil umfangreicher Zitate aus lokalen, regionalen und nationalen Blättern sehr unterschiedlicher Provenienz (deren genaue Auswahl allerdings nie begründet wird – ein nachgerade klassisches Problem des Arbeitens mit Zeitungsausschnittssammlungen), vermag er nachzuzeichnen, wie der Weltraum zum globalen Kriegsschauplatz der Zukunft erhoben wurde, welche selbst ganz konkret im erdnahen Orbit entschieden werden würde. In nicht allzu ferner Zeit, so der Tenor führender Experten der frühen 1950er-Jahre, würden dort mit Atombomben bestückte Kampfstationen, riesige Brennspiegel, Wunderwaffen und Spionagesatelliten stationiert sein, von einer permanenten Kolonialisierung des Mars ganz zu schweigen. Wernher von Braun, Willy Ley und Arthur C. Clarke prägten in diesem Zusammenhang das neue geopolitische Konzept der „space superiority“: Von der Herrschaft über den Weltraum bis zur Herrschaft über die Welt, wenn nicht gleich des gesamten Universums, schien es dann nur noch ein kleiner, aber logischer Schritt. 3
Eine folgenreiche Umdeutung zeichnete sich jedoch bereits Anfang der 1960er-Jahre ab. In seiner zweiten, noch immer viel zitierten „State of the Union“-Rede vom 25. Mai 1961 gelang es John F. Kennedy, die amerikanische Nation auf das Erreichen des Mondes einzuschwören, „before this decade is out“. Ohne jedweden weiterreichenden wissenschaftlichen Anspruch oder eine Einbettung in auf Nachhaltigkeit angelegte Planungskontexte bot der Mond als Ziel den großen Vorteil, eindeutig kommunizierbar und selbstevident zu sein. Als sich eine Abnahme des sowjetischen Bedrohungspotenzials im Weltraum abzuzeichnen begann, wurde – insbesondere im Zuge der erstmaligen Mondumkreisung durch Apollo VIII 1968 – eine auf beiden Seiten martialisch, wenngleich imaginiert geführte Auseinandersetzung allmählich zur romantischen Vorstellung eines friedlichen Abenteuers im Zeichen transnationaler Wissenschaft umgedeutet. Von dem paradigmatischen Kriegsschauplatz der späten 1950er- und frühen 1960er-Jahre entwickelte sich der Weltraum im Verlauf dieses Prozesses zum utopischen Ort der endgültigen Überwindung des Kalten Krieges, auch weil die US-Regierung der Ansicht war, der sowjetischen Staatsführung gegenüber inzwischen ausreichend Stärke demonstriert zu haben. Ablesen ließ sich dies etwa an der Figur des Astronauten als einer der Ikonen des 20. Jahrhunderts. Die von Wolfe eindrücklich porträtierten „Mercury Seven“ waren von Hause aus Testpiloten und damit Angehörige des Militärs. Gleichwohl gelang es der NASA durch eine beispiellose, elf Jahre anhaltende Exklusiv-Kooperation mit der Illustrierten „Life“, die Astronauten zu nationalen Helden, Heilsbringern im Kalten Krieg und Verkörperungen des idealen US-Amerikaners zu stilisieren.
Zwei verhalten kritische Einwände lassen sich anführen, die beide die theoretische Durchdringung des Gegenstandes und die begriffliche Schärfung des etwas einfach gehaltenen konzeptionellen Instrumentariums betreffen. ‚Medien’ ist hier gleichbedeutend mit Massenpresse, ‚Öffentlichkeit’ meint die amerikanische, ‚Diskurse’ erschöpfen sich in den über Zeitungsartikel geführten Auseinandersetzungen, und ‚Erfahrungen’ sind das, was in Diskurse einfließt, aber auch aus ihnen erwächst. „Der Astronautikdiskurs“, heißt es an einer Stelle, „wurde [...] maßgeblich von den Medien mitbestimmt, fand er doch überwiegend in ihnen statt“ (S. 114). Der allzu kursorische Hinweis, dass in dieser Studie Krieg als „komplexer Kommunikationsvorgang“ (S. 14) begriffen werde und der verwendete Erfahrungsbegriff auf die Wissenssoziologie à la Berger und Luckmann rekurriere, vermag den theoretisch anspruchsvolleren Leser kaum zufrieden zu stellen. So bleibt es notgedrungen unscharf, wo in der Analyse des Autors die ‚harte’ Astropolitik aufhört und an welcher Stelle der so genannte „Astronautikdiskurs“ mit seinen Eigengesetzlichkeiten einsetzt – oder ob beide nicht in eins fallen und daher ohnehin kaum voneinander zu trennen sind. Deutlich wird dies etwa in der konzisen Zusammenfassung der Apollo-Entscheidung (S. 58-62): Ist das nun Diskurs oder Realität, an welchem Punkt hört Astropolitik auf und schlägt in den „Astronautikdiskurs“ um?
Aus diesem unterkomplexen Diskursbegriff ergibt sich ein zweites konzeptionelles Problem, das den Status des eigentlichen Argumentes zuweilen zu unterminieren droht. Bei genauerem Hinsehen weist Werth nämlich mehrere unterschiedliche Spielarten von ‚Krieg’ im zeitgenössischen amerikanischen Schreiben über Raumfahrt und Weltraum nach. Dazu zählen einerseits die oftmals ganz unverhohlene Kriegsmetaphorik der beteiligten Akteure genauso wie ihre zum Teil sehr konkreten Vorstellungen von in Kürze zu erwartenden Weltraumkriegen. Andererseits fällt der Begriff des Krieges als dem eigentlichen Hauptinterpretament der gesamten Arbeit zusammen mit dem etwas dunkel bleibenden Ausdruck eines „moralischen Äquivalentes“. Worauf lassen Transferprozesse begrifflicher Konzepte, die Rekonstruktion längst vergangener Vorstellungen zukünftiger Kriegsformen und das Führen eines symbolbeladenen Stellvertreterkrieges schließen? Und wie bedingen diese womöglich einander, außer dass es in allen drei Fällen ‚irgendwie’ um gleichwohl höchst unterschiedliche Formen von Krieg geht? Anders gefragt: Ist ‚Krieg' hier explanans oder explanandum, Symptom oder Diagnose, historisches Problem oder archimedischer Punkt der kontrovers geführten Auseinandersetzungen in der zeitgenössischen amerikanischen Presse?
Streng genommen ermöglicht der Band das eingangs versprochene „klarere Urteil über den Einfluss von Kriegserfahrung auf das Geschehen am Anfang der menschlichen Raumfahrt" (S. 11) somit gerade nicht, zumal keine Vergleichsfälle hinzugezogen werden. Was Werth jedoch anhand von Begriffen und Bildern sehr wohl nachweist, ist die Durchdringung der Raumfahrt mit militärischen Begrifflichkeiten und kriegerischen Metaphern, besonders in der Anfangsphase, sowie das Ausstrahlen des Kalten Krieges bis tief in weite Bereiche der Wissenschafts-, Technologie- und Kulturpolitik hinein. Der längst zum Mythos geronnene ungeheure Erfolg des Apollo-Programms in der öffentlichen Wahrnehmung war und ist nicht zuletzt seiner multiplen Umdeutbarkeit geschuldet. Propaganda und Popkultur, Politik, Pomp und Prestige gingen Hand in Hand. Ob sich der entsprechende Nachweis ebenfalls für die in weiten Teilen bislang kaum historisierte unbemannte Raumfahrt und die unzähligen internationalen Satellitenprojekte seit dem Start von Sputnik I im Herbst 1957 führen ließe, wäre eine aufschlussreiche Fragestellung für ein Folgeprojekt, zumal sich die Machtverhältnisse hier auch in der Frühphase umgekehrt gestalteten. Im Sommer 1961 verfügte die USA bereits über 45 Erdsatelliten, die UdSSR hingegen nur über 13.
Selbst wenn viele der Informationen und manche der Interpretationen nicht wirklich neu, sondern aus der umfangreichen amerikanischen Literatur hinlänglich bekannt sind, gelingt es Werth, diese in gut lesbarer Weise auf Basis des aktuellen Forschungsstandes zusammenzuziehen und zugleich eine neue Facette der alten Meistererzählung vom „Wettlauf zum Mond“ zu profilieren. Kurze Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels erhöhen den Lesefluss. Vor allem im letzten Teil des Bandes kann sich der Autor indes nicht immer vollständig von seiner ganz offenkundigen Faszination durch die elf Apollo-Flüge innerhalb von nur vier Jahren lösen; passagenweise wird hier eher flott und durchaus spannend nacherzählt als luzide analysiert. Zu guter Letzt ist den beiden angeführten Einwänden wohl eher geringes Gewicht beizumessen. Der Band vermag aufgrund der Fülle des geschickt synthetisierten und gekonnt arrangierten Materials, seiner klaren Strukturierung und nicht zuletzt durch große sprachliche Eleganz zu überzeugen. Schade nur, dass die Druckqualität der rund ein Dutzend Abbildungen eher mäßig ist und auf Personenregister wie Stichwortverzeichnis vollständig verzichtet wurde.
Anmerkungen:
1 Wolfe, Tom, The Right Stuff, New York 1979.
2 Kay, W. D., NASA and Space History, in: Technology and Culture 40.1 (1999), S. 120-7. Leider verfügt die ESA trotz ihres „Extended History Project“ über keinerlei institutionelles Pendant, was sich unmittelbar in der im Vergleich zur amerikanischen „space history“ sehr viel stärkeren Fragmentierung eines in Europa ohnehin nur in bescheidenen Ansätzen existierenden historiographischen Feldes niederschlägt. Smith, Michael L., Selling the Moon. The U.S. Manned Space Program and the Triumph of Commodity Scientism, in: Wightman Fox, Richard; Jackson Lears, T.J. (Hrsg.), The Culture of Consumption. Critical Essays in American History, 1880-1980, New York 1983, S. 175-209, hier S. 177.
3 Hierzu etwa Neufeld, Michael J., „Space Superiority“. Wernher von Braun's Campaign for a Nuclear-Armed Space Station, 1946-1956, in: Space Policy 22 (2006), S. 52-62.