Forum: Reviewsymposium "Transnationale Geschichte"

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Titel
Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien


Herausgeber
Budde, Gunilla; Conrad, Sebastian; Janz, Oliver
Erschienen
Göttingen 2006: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dominic Sachsenmaier, Duke University

Globale Zivilgesellschaft und Ökumenische Weltgeschichte – Schnittmenge zweier Problemkreise

Im abschließenden Beitrag zu “Transnationale Geschichte – Themen, Tendenzen und Theorien” vertritt John Keane die These, dass die Transnationalisierung der Medienwelt sehr wohl als wesentlicher Schritt hin zu einer globalen Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft verstanden werden kann.1 Zwar sieht Keane die von vielen Kritikern betonten Gefahren einer rein marktorientierten globalen Medienlandschaft, welche deutliche Tendenzen zur Selbstzensur und einer Verkümmerung der Inhalte durch „Infotainment“ aufweist. Dennoch bleibt der britische Politologe verhalten optimistisch – so betont er etwa, dass die globalen Machtstrukturen, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich der Großkonzerne und internationalen Organisationen bedeutend gewachsen sind, nur durch eine globalisierte Öffentlichkeit auf ihre soziale Verantwortung hin geprüft werden können. Ferner hofft er, dass die Globalisierung der Nachrichtenthemen eine der wesentlichen Wirkkräfte zur Bildung eines globalen Bewusstseins darstellen könne. Ein solches Bewusstsein, so Keane, könne keineswegs der Mentalität eines Weltdorfes nahe kommen, sondern müsse sich an der Erkenntnis globaler Probleme, Themen und Strukturen aufbauen. Die Medienwelt könne die notwendigen Debatten über bestimmte Aspekte und Ungleichheiten der Globalisierung tragen und hiermit zwischen verschiedenen regionalen, politischen und kulturellen Gesichtspunkten vermitteln.

Keane erwähnt die Geschichtsschreibung in seinem Beitrag nicht, und dennoch sind seine Ausführungen für das Selbstverständnis der transkulturellen Historiografie durchaus relevant. Selbst wenn man seine Vision einer von einem globalen Bewusstsein getragenen transnationalen Zivilgesellschaft teilt, so können selbstredend nicht alleine die Massenmedien an deren Aufbau aktiv beteiligt sein. Unter anderem wird auch der akademischen Welt, insbesondere den Geistes- und Sozialwissenschaften, die Aufgabe zukommen, in transkulturellen Dimensionen zu denken und zu agieren. Schon allein aus diesem Grunde lohnt es sich, das gegenwärtige Bemühen um historische Forschung jenseits des Nationalstaats im Hinblick auf das Projekt einer globalen Zivilgesellschaft kritisch zu betrachten. Für das Spektrum von Versuchen, aus den Rahmen nationalgeschichtlicher Perspektiven konzeptionell auszubrechen, liefert Charles Maier in seinem Beitrag über Wandlungen von Territorialität und den ihnen zugrunde liegenden soziokulturellen wie auch ökonomischen Strukturen reichhaltige Beispiele.2 Themenkreise wie etwa die wachsende Rolle von Nichtregierungsorganisationen, die Muster und Folgen globaler Migration sowie auch die von Keane angedeuteten Wandlungen des Kapitalismus und seiner Auswirkungen auf kulturelle Deutungsmuster lassen sich letztendlich nur noch von transnationalen Gesichtspunkten aus thematisieren. Dabei bleibt vorerst umstritten, welche alternativen Räume jenseits des Nationalstaats mit welchen narrativen Inhalten gefüllt werden können. Die Debatten um die Vorzüge und Nachteile einzelner Begriffe wie zum Beispiel „Globalgeschichte“, „Weltgeschichte“, „transnationale Geschichte“ oder „histoire croisée“ mögen als Indikator hierfür gelten.

Dennoch kann sich der Beitrag der transnationalen Geschichte oder Weltgeschichte zu einer potentiellen globalen Zivilgesellschaft nicht darauf beschränken, alternative Raum- und Territorialitätsrahmen zu entwerfen. Denn die Aufarbeitung globalhistorischer Zusammenhänge und kulturübergreifender Erinnerungen führt notwendigerweise zu einer gewissen Politisierung der Forschung. Schon alleine die Frage, wie bestimmte historische Ereignisse von einer transnationalen Öffentlichkeit einzuordnen und zu vergleichen sind, drängt die Geschichtswissenschaft in die globalen Grundlagendiskussionen unserer Zeit. Zum Beispiel berührt die in den vergangenen Jahren vor allem in den USA aufgekommene und in dem vorliegenden Band von Jürgen Osterhammel 3 erörterte Debatte über Großreiche das Problem, ob die gegenwärtige Weltrolle der USA mit Analogien zum historischen Imperialismus zu fassen sei. Hinter derartigen historischen Bezügen steht auch die Frage nach einer historischen Einordnung oder gar Neubewertung des Kolonialismus. Einige rechtsgerichtete Historiker, vor allem Niall Ferguson, haben in letzter Zeit zunehmend versucht, wieder die vermeintlichen Vorzüge kolonialer Herrschaft stärker in den Vordergrund zu rücken. Doch auch auf der Gegenseite hat sich die „Empire“-Forschung wieder stärker mit politischen Inhalten aufgeladen, wobei im Gegensatz zu den streng marxistischen Imperialismustheorien oftmals alternative Sichtweisen, die als Blickwinkel der Kolonisierten in die Debatte eingebracht werden, eine wichtige Rolle spielen.

Man kann davon ausgehen, dass in Zukunft Themen wie Kolonialismus und Imperialismus noch stärker im Zusammenhang mit der Frage nach Erinnerungen und historischen Lasten jenseits nationaler Gemeinschaften debattiert werden. Dies ist umso wahrscheinlicher, als sich außerhalb der akademischen Fachwelt Tendenzen zur Globalisierung von Traumadiskursen bereits seit geraumer Zeit beobachten lassen. So erörtert Moshe Zimmermann etwa in seinem Artikel über die „transnationale Holocaust-Erinnerung“ die durchaus nicht unproblematischen Wege, welche sich durch die Transnationalisierung des Holocaust-Begriffs in den Massenmedien und den akademischen Öffentlichkeiten aufgetan haben.4 Zum Beispiel wird, wie Zimmermann zeigt, der Begriff mittlerweile auch von hochrangigen Akademiker/innen auf Aspekte der chinesischen Geschichte oder der Sklaverei in den USA angewandt. Die Frage, inwieweit die Erinnerung des Holocaust auf solche Weise universalisierbar ist und welche Täter- und Opfergruppen sich unter dem Begriff subsumieren lassen, wird in Zukunft wohl weiterhin umstritten bleiben. In den zu erwartenden Debatten werden Stimmen von außerhalb des Westens eine größere Rolle spielen, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Wenn die historische Forschung nun zunehmend an Auseinandersetzungen um wichtige Themen einer globalen Zivilgesellschaft teilhat, so sollten auch akademische Debatten verstärkt auf transkultureller Ebene geführt werden. Es scheint nahe liegend, dass historische Strukturen wie der Kolonialismus nicht nur innerhalb einzelner Gesellschaften, sondern nur im internationalen Austausch debattiert werden können. Als Teil einer entsprechenden Entwicklung mahnen mittlerweile auch viele Welthistoriker/innen den Abschied von der Tradition des einen, kulturspezifischen Betrachtungswinkels an. Perspektivenvielfalt und eine offenere narrative Struktur, so wird häufig betont, sollen den neuen Leitfaden für eine ökumenische Geschichtsschreibung bilden, welche die alten Meistererzählungen redigiert, ohne globale Fragestellungen aufzugeben. In der Tat zeichnet sich ein gewisser Wandel ab, der ganz im Trend des postmodernen Zweifels an der objektiven historischen Realität zu liegen scheint. Zum Beispiel bemühen sich immer mehr Überblickswerke und Lehrbücher in den USA darum, die Sichtweise des „Anderen“ in die historische Darstellung zu integrieren.

Dennoch werden Paradigmenwechsel für eine perspektivenreichere Historie jenseits des Nationalstaats alleine nicht ausreichen. Eine ökumenische Geschichtsschreibung aus westlichen Federn kann und wird nicht als Medium für die Aufarbeitung globaler Problemkreise und Traumata akzeptiert werden. Die Thesen des amerikanischen Chinahistorikers Arif Dirlik mögen durchaus als repräsentativ für Wogen von Kritik gelten, die von vielen Historiker/innen an neuen und alten Formen der Weltgeschichtsschreibung gehegt werden. In verschiedenen Veröffentlichungen begründet Dirlik seine ablehnende Haltung gegenüber gängigen Bekenntnissen zu perspektivenreicher Weltgeschichtsschreibung mit neo-marxistischer Kritik am Spätkapitalismus.5 Wie letzterer, so Dirlik, versuche nun auch die westliche Geschichtsschreibung den Begriff der „Kultur“ und des „Anderen“ für sich zu vereinnahmen, zu kategorisieren und damit auch zu instrumentalisieren. Ein Ausweg biete sich nur in dem Versuch, lokale Gemeinschaften in ihrer potentiellen kulturellen Eigenstrukturen zu denken – denn der globale Nexus mit seinen Machtkonstellationen lasse letztendlich keine wahrhaften Alternativen zu.

Man mag eine derartige Kritik für überzogen halten, und dennoch lohnt sich die Frage, inwieweit die gegenwärtige Forschung im Bereich der transkulturellen Geschichte bereits ökumenisch ist und es überhaupt zu sein vermag. Um diese Problematik angehen zu können, reicht es nicht aus, allein den theoretischen Postulate und Plädoyers für Paradigmenwechsel Aufmerksamkeit zu schenken. Beachtung verdienen auch wissenssoziologische Gesichtspunkte wie etwa die Frage nach den Strukturen und internationalen Hierarchien innerhalb der Geschichtsschreibung. Historisch betrachtet liegen die Ursprünge der modernen Geschichtswissenschaft, wie in dem Beitrag von Georg Iggers skizziert 6, in einem Zeitalter westlicher Vorherrschaft und kultureller Dominanz. In den meisten Ländern war das Aufkommen einer eng am Nationalstaat orientierten historischen Wissenschaft mit tiefen Brüchen in der sozialen Struktur der Deutungseliten und der von ihnen tradierten Inhalte verbunden. Wenn auch einige Vertreter des Postkolonialismus eine Rückkehr zu vormodernen Formen des Vergangenheitsbewusstseins als Schritt hin zu einer kulturellen Befreiung einfordern 7, so ist die akademische Wissenschaft in vielen Gesellschaften außerhalb des Westens fest in der Geschichtlichkeitskultur verankert.

Die Geburt der modernen Geschichtsschreibung aus den Wandlungen eines eurozentrischen Zeitalters sollte bei den Erörterungen über „kulturspezifische“ Perspektiven für die Weltgeschichtsschreibung stärker berücksichtigt werden, als dies bislang der Fall ist. Es ist kaum zu erwarten, dass sich das Gros der Historiker/innen außerhalb des Westens gefügig in die Rolle des postkolonialen, radikal „Anderen“ begibt. Zum Beispiel neigen heute chinesische Historiker/innen stärker als ihre westlichen Kolleg/innen dazu, mit essentialisierenden Begriffen von „Nation“, Zivilisation“, „Moderne“ oder „Kultur“ zu operieren.8 Die internationale Lage der Geschichtsschreibung gewinnt ferner dadurch an Komplexität, dass transnational verbreitete Denkrichtungen und Ansätze von der Alltagsgeschichte über die Mikrogeschichte bis hin zur Kulturgeschichte auch national geführte Debatten prägen. Versuche, transkulturelle Forschung ökumenisch zu gestalten, können es sich somit nicht leisten, die an der Ökumene teilhabenden Elemente wie „Kulturen“ oder „Traditionen“ zu stereotypisieren oder gar ideologisch zu verbrämen. Regional spezifische Zugänge zur Weltgeschichte sind zwar von lokalen Faktoren wie historischen Erinnerungen, politischen Mentalitäten und akademischen Strukturen geprägt. Dennoch sind auch diese lokalen Einflüsse auf historisches Denken wiederum von globalen Strömungen entscheidend geformt. Die „glokale“ Struktur der geschichtswissenschaftlichen Landschaft mag den Weg zu einer neuen Betrachtungsvielfalt erleichtern – alleine bietet sie jedoch noch keinen zwingenden Grund dafür, dass der Westen das Forschungsfeld nicht auch in Gegenwart und Zukunft dominiert.

Ist die heutige Weltgeschichtsschreibung in Ansätzen bereits ökumenisch zu nennen? In der Tat ließen sich während der letzten Jahre verstärkte Debatten um neue Formen der transnationalen Geschichte in weiten Teilen der Welt beobachten. Zum Beispiel wird in der chinesischen und japanischen Geschichtsschreibung heute ebenso über eine Transnationalisierung der Forschung diskutiert wie in verschiedenen westlichen Ländern. Auch denkt man gemeinhin über globale Forschungsansätze nach, die aufnahmefähig für regionale Unterschiede sind und in globalen oder zumindest transkulturellen Dimensionen zu denken vermögen. Teilweise hat sich für einzelne Teilrichtungen bereits eine eigene Forschungssemantik auf transnationaler Ebene verbreitet. Man denke nur an den Neologismus “global history,” der schnell in verschiedene Sprachen übersetzt wurde – Beispiele sind der deutsche Begriff “Globalgeschichte” oder auch sein chinesisches Pendant “quanqiu lishi”.9

Die relative Gleichzeitigkeit des in vielen Teilen der Welt erwachten Interesses an neuen Maßstäben für die transkulturelle Geschichtsschreibung ist bemerkenswert. Doch ist es ebenso bemerkenswert, dass die Debatten um neue Formen der Geschichtsschreibung jenseits des Nationalstaates noch weitgehend innerhalb von nationalen oder regionalen Öffentlichkeiten geführt werden. Ein kürzlich in den USA erschienener Überblick zu welthistorischen Ansätzen richtet sich beispielsweise beinahe ausschließlich auf die amerikanische Forschung und erwähnt chinesische, islamische oder europäische Ansätze nur als historische Vorformen.10 Doch auch in Europa orientieren sich die Debatten über Wege und Möglichkeiten einer transkulturellen Geschichtswissenschaft häufig an den US-amerikanischen Forschungen, allerdings meist jedoch ohne theoretische Ansätze aus anderen Weltregionen zu berücksichtigen. Zwar veröffentlichen westliche Fachzeitschriften zuweilen Berichte zum Forschungsstand der Weltgeschichte in einzelnen Ländern wie etwa China oder Japan.11 Doch gibt es nur wenige Versuche, außerhalb des Westens entwickelte Paradigmen als ernstzunehmende Ansätze in die methodologischen Debatten der USA und Europas einzuspeisen.

Etwas überspitzt formuliert, lässt sich feststellen, dass sich Weltgeschichtsschreibung und Globalisierungsforschung im Westen noch immer weitaus mehr durch ihr Interesse an der Forschung zur Welt als eine Aufgeschlossenheit gegenüber der Forschung in der Welt auszeichnen. Während amerikanische und westeuropäische Spitzenforscher es sich auch heute noch leisten können, die Ansätze ihrer Kollegen in Ostasien, Südasien, Afrika, Osteuropa und Lateinamerika zu ignorieren, ist dies umgekehrt keineswegs der Fall. Die Vertrautheit mit westlichen Theorien wird in den meisten Teilen der Welt weiterhin als zwingend notwendig für die berufliche Qualifikation der Forscher/innen betrachtet. Hinter derartigen Ungleichheiten liegt sicherlich eine historische gewachsene hierarchische Wissenschaftslandschaft, die sich nicht zuletzt durch die globale Flussrichtung von Theorien und Fragestellungen ordnet.

Man könnte zweckoptimistisch vermuten, dass eine weiterhin eurozentrisch geprägte Weltgeschichtsforschung zumindest sehr stark vernetzt sein müsse. Doch das Gegenteil ist der Fall: denn gerade aufgrund der weiterhin auf den Westen zentrierten Wissenschafts- und Bewusstseinsstrukturen zerfallen die Debatten zur Weltgeschichte weitgehend in regionalspezifische Öffentlichkeiten. Während die hiesige Geschichtsforschung außerwestliche Ansätze weitgehend ignoriert, sind such die verschiedenen „Peripherien“ der welthistorischen Forschung bislang nur ansatzweise miteinander vernetzt. Die Forschung zu transkultureller Geschichte in Lateinamerika spielt beispielsweise in Ostasien nur eine untergeordnete Rolle – wie dies auch umgekehrt der Fall ist. Wenn überhaupt, so wurden außerhalb des Westens entwickelte Ansätze bislang im Wesentlichen über westliche Anverwandlungen und Umschlagplätze zu international einflussreichen Strömungen. Die von Partha Chatterjee portraitierten Subaltern Studies bieten ein Beispiel hierfür: Für den indischen Kontext der 1970er-Jahre entwickelt, gewannen die Paradigmen dieser Denkschule auch in den USA an Einfluss und wurden anschließend in neuen Formen auch in Afrika, Asien und Lateinamerika rezipiert.12 Entscheidend für die Entwicklung und Verbreitung der Subaltern Studies waren Intellektuelle indischer Abstammung, die an amerikanischen Universitäten lehrten.13

Angesichts einer immer noch stark auf den Westen zentrierten internationalen Wissenschaftslandschaft kann es kaum überzeugen, ökumenische Weltgeschichtstheorien zu entwickeln, ohne wissenssoziologische Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen. Ein höheres Problembewusstsein hinsichtlich des Eurozentrismus hat in einigen internationalen Historiker/innenkreisen bereits die Bereitschaft zur aktiven Umgestaltung der Forschungsstrukturen erhöht. Eine wachsende Zahl von Stiftungen, Historikerorganisationen und Universitäten versucht gezielt, transregionale Forschungs- und Ausbildungsnetzwerke zu bauen und sich damit von national organisierten und eurozentrisch geprägten Strukturen zu lösen. In einem Kommentar zu dieser Festschrift sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass Jürgen Kocka als Präsident des Comité International des Sciences Historiques eine aktivere Rolle von asiatischen und afrikanischen Historiker/innen maßgeblich förderte.

Über die konkrete Forschungspolitik hinaus könnten sich auch einige andere allgemeine Entwicklungen positiv auf das Projekt einer ökumenischen Geschichtsforschung auswirken. Zum Beispiel mag insbesondere in Ostasien, aber auch in einigen anderen Teilen der Welt, der Ausbau gut ausgestatteter und international vernetzter Hochschulen zur Bildung weiterer Gravitationszentren innerhalb der globalen Wissenschaft führen. Es ist durchaus zu erwarten, dass ostasiatische Welthistoriker/innen in Zukunft eine ihrer Aufgabe darin sehen werden, die Ökumenisierung der weltgeschichtlichen Forschung mit eigenen Schwerpunkten voranzutreiben. Möglicherweise könnte eine solche Entwicklung durch einen weiteren Strukturwandel der Wissenschaft begünstigt werden, der sich in den letzten Jahrzehnten angebahnt hat: die soziale Revolution innerhalb der amerikanischen Geschichtswissenschaft. Während noch vor einer Generation die weiße, protestantische Elite den weitaus größten Teil der Historikerzunft stellte, hat sich heute der kulturelle Hintergrund von Forscher/innen bedeutend ausdifferenziert.14 Dies hat weit reichende Folgen für das Verständnis der US-Geschichte, aber auch für Richtungen transnationaler Geschichtsschreibung, die in den USA entwickelt werden. Viele US-Historiker/innen asiatischer, afrikanischer und lateinamerikanischer Herkunft bleiben sehr stark mit den akademischen Öffentlichkeiten ihrer Heimatländer vernetzt. Es bleibt zu hoffen, dass über derartige Kanäle außerhalb des Westens entwickelte Forschungsansätze in den USA und auch in Europa nicht nur zunehmend Beachtung finden, sondern dort auch einflussreicher werden.

Trotz einiger begünstigender Faktoren wird der Weg zu einer ökumenischeren Geschichtswissenschaft nur in langsamen Reformprozessen gangbar sein. Doch schon heute gilt, dass Theorien zu einer ökumenischen Geschichtsschreibung nur dann überzeugend wirken können, wenn sie von einem strukturellen Wandel begleitet werden. Es reicht nicht, neue Paradigmen und Inhalte zu entwerfen, ohne die internationalen Hierarchien, welche die Weltgeschichtsschreibung bis heute prägen, umzugestalten. Ein erster Ansatz zu einem derartigen Struktur- und Paradigmenwandel ist der gezielte Ausbau internationaler Dialoge und Diskussionsforen, welche einen Austausch zwischen verschiedenen lokalen Gesichtspunkten ermöglicht. Diese Internationalisierung globalhistorischer Debatten wird in den meisten Gesellschaften nicht ohne Auswirkungen und Spannungen zur Nationalgeschichte bleiben. Doch gerade in solchen Auseinandersetzungen kann eine pluralistische Geschichtsschreibung zum Aufbau einer globalen Zivilgesellschaft, die auch zu weiten Teilen national verortet bleiben wird, beitragen. Wie eine globale Öffentlichkeit als übergeordnetes Projekt, müssen sich auch akademische Teilöffentlichkeiten beständig im Spannungsfeld zwischen Lokalem und Globalem neu konstituieren.

Anmerkungen:
1 Keane, John, Global Publics? Civil Society, Journalism and Democracy Across Borders, S. 304-317.
2 Maier, Charles, Transformations of Territoriality, 1600-2000, S. 32-55.
3 Osterhammel, Jürgen, Imperien, S. 56-67.
4 Zimmermann, Moshe, Die transnationale Holocaust-Erinnerung, S. 202-16.
5 Zum Beispiel: Dirlik, Arif, Confounding Metaphors, Inventions of the World. What is World History For?, in: Stuchtey, Benedikt; Fuchs, Eckhardt, Writing World History, 1800-2000, Oxford 2003, S. 91-133; ders., Performing the World. Reality and Representation in the Making of World History, in: Journal of World History 16,4 (2006).
6 Iggers, Georg, Modern Historiography from an Intercultural Global Perspective, S. 83-93.
7 So zum Beispiel: Nandy, Ashis, History’s Forgotten Doubles, in: History and Theory (1995), S. 44-66; Lal, Vinal, The History of History. Politics and Scholarship in Modern India, New Delhi 2003; und: Deloria, Vine, Red Earth, White Lies. Native Americans and the Myth of Scientific Fact, New York 1995.
8 Hierzu und allgemeiner zum Unterschied zwischen sozialwissenschaftlichen Paradigmen und politischer Theorie in China und im Westen siehe: Metzger, Thomas, A Cloud across the Pacific. Essays on the Clash Between Chinese and Western Political Theories Today, Hong Kong 2005.
9 Sachsenmaier, Dominic, Global History – Challenges and Constraints, in: Historically Speaking. Journal of the Association of American Historians (Februar 2004).
10 Manning, Patrick, Navigating World History. Historians Create a Global Past, New York 2003.
11 Zum Beispiel: Xu, Luo, Reconstructing World History in the People’s Republic of China Since the 1980s, in: Journal of World History (2006); oder: Hsiung, Ping-Chen, Ein China im Wandel auf Weltreise. Überlegungen zu einem Jahrhundert Weltgeschichte im Kontext des Modernen China, in: Zeitschrift für Weltgeschichte, 4,2 (2003), S. 69-86.
12 Zu Lateinamerika siehe: Mallon, Florencia, The Promise and Dilemma of Subaltern Studies. Perspectives from Latin American History, in: American Historical Review 99,5 (1994), S. 1491-1515; Seed, Patricia, Colonial and Postcolonial Discourse, in: Latin American Research Review 26,3 (2001), S. 181-200; einen globalen Überblick bietet: Chakrabarty, Dipesh, Subaltern Studies and Postcolonial Historiography, in: Nepantla, Views from South 1,1 (2000), S. 9-32.
13 Eine ausführlichere Diskussion bietet: Sachsenmaier, Dominic, Global History and Critiques of Western Perspectives, in: Comparative Education (2006).
14 Nähere Informationen finden sich in: Appleby, Joyce; Hunt, Lynn; Jacob, Margaret, Telling the Truth about History, New York 1994.

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