W. L. Bernecker u.a.: Kampf der Erinnerungen

Cover
Titel
Kampf der Erinnerungen. Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936-2006


Autor(en)
Bernecker, Walther L.; Brinkmann, Sören
Erschienen
Anzahl Seiten
377 S.
Preis
€ 20,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mathias Berek, Gedenkstätte Zwangsarbeit in der NS-Zeit, Leipzig

Spanien ist ein bemerkenswerter Fall kollektiven Gedächtnisses. Auf einen blutigen Bürgerkrieg und mehr als drei Jahrzehnte Diktatur folgten nach dem Tod Francos statt der eigentlich zu erwartenden Aufarbeitung 20 Jahre kollektiven Nicht-Erinnerns. Mit Walter L. Bernecker und Sören Brinkmann haben sich zwei Historiker und ausgewiesene Spanien-Experten des Themas angenommen. Sie bringen dabei nicht nur den spanischen Forschungsstand zur Geltung, sondern können auch aus ihren zahlreichen eigenen Publikationen zur spanischen Geschichte schöpfen.

In dem Band zeichnet Bernecker für den Zeitraum bis zum Tod des Diktators verantwortlich. Die Jahre ab 1975 beschreibt Brinkmann. Der eigentlichen erinnerungsgeschichtlichen Abhandlung wurde eine Darstellung des Krieges, der Franco-Zeit und der Repression vorangestellt.1

Die Analyse der Erinnerungskultur setzt mit der Geschichtspolitik des Franco-Regimes ein. Die Hauptthese dieses Teils läuft darauf hinaus, dass die Diktatur nicht nur intensive Geschichtspolitik, sondern vielmehr eine systematische Deformierung der Erinnerung betrieben habe – zum Zwecke der Legitimation ihrer Herrschaft und der Delegitimation der besiegten Republikaner. Der Autor beschreibt dies detailliert anhand der Schließung der Archive, der ikonographischen Bemühungen, der architektonischen Gestaltung von Dörfern und Städten, dem „sorgfältig manipulierten Geschichtsbild“ (S. 152) in Propaganda und neu eingerichteten Gedächtnisorten und am neuen „Festkalender der Sieger“ (S. 217). In einem anschließenden Kapitel macht er die Aspekte der franquistischen Erinnerungspolitik an einzelnen Gedächtnisorten des Regimes deutlich, wie dem „Tal der Gefallenen“ und dem Alcázar von Toledo.

Die Wandlung dieser Erinnerungspolitik wird im nächsten Kapitel beschrieben: Bis Mitte der 1960er-Jahre war der errungene „Sieg im Kreuzzug“ das dominante Motiv der Erinnerung an den Krieg. Danach hat sie sich jedoch stärker an den in 25 Jahren Franquismus erfolgten Modernisierungen und wirtschaftlich-strukturellen Erfolgen ausgerichtet. Wo vorher ständig an den Sieg erinnert wurde, breitete sich am Ende der Herrschaft Francos, sogar im Lager der Nationalen, die Bereitschaft zur Versöhnung aus.

Durchgängig bestimmend blieb jedoch das „manichäistische Weltbild“ (S. 227): hier das einige, nationale Spanien, die (katholische) Religion und die Zivilisation, da das kommunistisch-jüdisch-liberal-demokratische Anti-Spanien, die Gottlosigkeit und Barbarei. Besonders anschaulich ist das Beispiel, in dem das Regime mit dem mittelalterlichen Ritual von Francos symbolischer Übergabe seines Schwerts an Gott versuchte, seine Legitimation noch im imperialen Spanien der katholischen Reconquista zu verankern.

Bernecker weiter: Wo in der gespaltenen spanischen Gesellschaft für die Sieger die Kriegsmystik und der Enthusiasmus der Macht zum „Wesenszentrum ihrer Gefühle“ geworden war (S. 95), hat für die Besiegten die Niederlage als „entpolitisierendes Trauma“ gewirkt (S. 39). Neben der allgegenwärtigen Repression war es auch dieses Trauma, das die Verbreitung eines konkurrierenden Kollektiv-Gedächtnisses jenseits des familiären Rahmens verhinderte. Das änderte sich erst ab Mitte der 1970er-Jahre, nach dem Tod Francos.

Mit dieser Phase beschäftigt sich der zweite Teil des Buches: Trotz der Anstrengungen des kompromisslosen Teils der franquistischen Bewegung, die sich erinnerungskulturell in der gehäuften Aufstellung von Franco-Denkmälern ausdrückten, galt in der Einschätzung Brinkmanns die „Transicion“, der Übergang von der Autokratie zur Demokratie, als unausweichlich. Hier setzt die zweite Hauptthese ein: Dieser Übergang war nur möglich und blieb so friedlich, weil die spanische Gesellschaft sich mehrheitlich auf eine umfassende „Amnestie“ für die Beteiligten des Bürgerkriegs, aber auch für die Täter/innen des Regimes und den Widerstand dagegen, geeinigt hatte. Damit untrennbar verbunden war eine kollektive „Amnesie“, der bewusste Verzicht auf öffentliche Erinnerung an die Ereignisse und Taten von Krieg und Diktatur.

Unter diese Amnesie fiel nicht generell das Gedenken an den Bürgerkrieg. Vielmehr macht der Autor eine „eigenwillige Erinnerungsrhetorik“ (S. 246) aus: Zum einen fielen bestimmte Themen, vor allem die Schuldfrage, in eine „Sperrzone des Erinnerns“, zum anderen wurde das traumatische Geschehen des Krieges auf Distanz gehalten, indem es als „nationale Tragödie“ umgewertet und als „Krieg der Verrückten“ pathologisiert wurde (ebd.).

Diese Amnesie sollte viele Jahre anhalten. Zwar berichtet der Autor über regionale und lokale Erinnerungsaktivitäten zu Beginn der Demokratie: Ab 1979 begannen vor allem im ländlichen Raum Exhumierungen von Opfern, die „von den Häschern des 'nationalen' Lagers einst hastig auf Äckern, Feldern oder in Straßengräben verscharrt worden waren“ (S. 269). Und an berüchtigten Hinrichtungsstätten wurden privat finanzierte Denkmäler errichtet. Grundsätzlich wurde die Tabuisierung von Schuldfrage und Erinnerung jedoch weitgehend aufrechterhalten.

Hintergrund des Verzichts auf Erinnerung und Trauer waren, nach Ansicht des Verfassers, nicht nur „kluge Zurückhaltung im Interesse von Freiheit und Demokratie“ (S. 245), sondern auch die Angst vor dem alten Establishment und einem erneuten Rückfall in gewalttätige Auseinandersetzungen. Dass diese Furcht zumindest in den Anfangsjahren nicht unbegründet war, zeigt der Putschversuch von 1981.

Erst ab Mitte der 1990er-Jahre – und damit beschäftigen sich die letzten Kapitel des Bandes – setzte ein Wandel ein. Unzählige lokale Initiativen begannen mit der Exhumierung und Bestattung republikanischer Kriegs- und Terror-Opfer. Landesweit wurden Statuen des „Caudillo“ (Führer) entfernt und Straßen umbenannt. Auch in Literatur und Film kam es zu einer Blüte des Themas Krieg und Diktatur.

Heute, so die abschließende Einschätzung, hat die neue Erinnerungsbewegung den Pakt des Vergessens aufgekündigt. Mit den aufkommenden Forderungen nach Entschädigung und Strafverfolgung der Verantwortlichen kündigte sich auch eine neue Polarisierung der Gesellschaft an. Die „Thematik der sozialen Revolution“ (S. 326), ein ehedem zentrales Thema des linken Lagers, spielt für die neue Bewegung dagegen keine Rolle mehr – die republikanische Seite wird vor allem als Vorkämpferin der Demokratie präsentiert und wahrgenommen.

Zwei Dinge sind an dem ansonsten sehr empfehlenswerten Buch zu monieren: ein Register fehlt schmerzlich, und die Autoren ergreifen an Stellen Partei, an denen das durchaus unnötig ist: Zum einen sprechen die präsentierten Fakten für sich (und gegen die faschistische Bewegung und Diktatur), zum anderen gerät dadurch so manche Ambivalenz auch innerhalb der Arbeiter/innen-Bewegung aus dem Blick: Haben die Arbeiter/innen unter der Diktatur wirklich „notgedrungen“ am franquistischen Zeremoniell „Fest der Arbeit“ teilgenommen (S. 221)?

Problematisch gestaltet sich schließlich die „Bewertung“ von Erinnerungspolitik. Auf der einen Seite stellt Bernecker immer wieder fest, dass das franquistische Regime die Vergangenheit zu seiner Legitimierung politisch instrumentalisiert hätte.2 Auf der anderen Seite wird die „überwiegend positive“ Wirkung von „Vergangenheitsarbeit“ (im Sinne zivilgesellschaftlicher, kritischer Aufarbeitung der Vergangenheit) für die „demokratische Konsolidierung eines Gemeinwesens“ betont. Denn die „nachteiligen Folgen beschwiegener Vergangenheit für das demokratische Zusammenleben“ halten die Autoren für „von Politikwissenschaftlern [...] längst empirisch belegt“ (S. 339).3

Es fallen aber beide, die Geschichtspolitik des Franco-Systems und die Vergangenheitsarbeit der zivilgesellschaftlichen Erinnerungsbewegung, unter die Kategorie Erinnerungspolitik. Und beide nutzen die Vergangenheit zu gegenwärtigen Zwecken und im Rahmen politischer Auseinandersetzung. Ob also ein öffentlicher Umgang mit Vergangenheit der Diktatur oder der Demokratie dient, liegt vor allem in den dahinterstehenden Motiven begründet, nicht in der Form der Erinnerungspolitik als solcher. Gerade das spanische Beispiel belegt das eindrücklich. Darüber hinaus ist es keine überraschende Feststellung, dass der franquistische Staatsapparat seine Legitimation aus der Geschichtspolitik bezogen habe – jeder Staat tut das. Auch Demokratien betreiben Politik mit der Erinnerung.

Das schmälert freilich den Gesamtwert des Buches nicht: als ausführliche und überdies sehr gut geschriebene Untersuchung eines bedeutenden Falles (nicht nur) europäischer Erinnerungskultur.

Anmerkungen:
1 Dazu findet sich auch eine Auswahlbibliographie im Anhang.
2 Er grenzt dabei politisch instrumentalisierende „Geschichtspolitik“ von rechtlichen und justiziellen Maßnahmen ab, wohl unter Bezug auf Freis „Vergangenheitspolitik“ und Wolfrums „Geschichtspolitik“: Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München 1996; Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990, Darmstadt 1999.
3 Indes, ohne diese Quellen zu nennen. Lediglich ein Werk wird in diesem Zusammenhang erwähnt: Gesine Schwan, Politik und Schuld. Die zerstörerische Macht des Schweigens, Frankfurt am Main 2001.

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