„NS-Vergangenheit als Bürde?“ – dieser Untertitel erstaunt zunächst, weil nicht unmittelbar einleuchtet, weshalb der Nationalsozialismus ausgerechnet im deutschen Verhältnis zu Franco-Spanien eine Belastung gewesen sein sollte. Dass die historisch-politische Erinnerung aber auf beiden Seiten durchaus ambivalent war und die außenpolitische Wiederannäherung der ehemaligen ‚Waffenbrüder’ keineswegs vereinfachte, gehört zu den erhellendsten Ergebnissen von Walter Lehmanns Studie, die sich auf deutsche und britische, nicht jedoch auf spanische Archivalien stützt. Sie wurde 2004 von der Universität Hamburg als Dissertation angenommen und gliedert sich in vier Kapitel unterschiedlichen Umfangs. Nach einer Einleitung ist das erste Kapitel dem Aufbau und der Entwicklung der politischen Beziehungen in der frühen Nachkriegszeit gewidmet. Im zweiten Kapitel skizziert Lehmann einige wirtschaftliche Aspekte, während er sich im dritten Kapitel ausführlicher mit der bilateralen Militärpolitik befasst. Im vierten und letzten Kapitel beleuchtet Lehmann die NS-Vergangenheit und die deutsch-spanische Zusammenarbeit der Diktaturen als Gegenstand der westdeutschen Politik.
Lehmanns weniger analytisch denn deskriptiv angelegte Studie beginnt mit einem Abriss der Nachkriegszeit bis zum Beginn der 1960er-Jahre. Sein Ziel ist es, die westdeutsche Spanienpolitik zwischen 1949 und 1960 „in allen wesentlichen Dimensionen“ (S. 16) darzustellen und dabei auch „das öffentliche Klima jener Jahre wenigstens punktuell [zu] erfassen“ (S. 19). Dabei richtet sich sein Erkenntnisinteresse auf den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Seine Leitfragen, die von ihm „thesenförmig umrissen“ werden (S. 17) – ein etwas eigentümlicher Ausdruck –, beziehen sich auf die westdeutsche Elitenkontinuität, das westliche Misstrauen gegenüber einer deutsch-spanischen Annäherung sowie auf den rigiden Antikommunismus, der die bundesrepublikanische Öffentlichkeit seit den 1950er-Jahren beherrschte und Spanien als antikommunistisches Bollwerk deutete.1
Lehmann zeigt auf, welch vielfältigen Zwängen die westdeutsche Spanienpolitik ausgesetzt war. Schon die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern gestaltete sich schwierig, weil zahlreiche der anfangs vorgesehenen Diplomaten wegen allzu großer NS-Belastung dem Westen nicht vermittelbar waren und man sich schließlich auf den zwar gebildeten, jedoch politisch wie diplomatisch unerfahrenen Prinzen Adalbert von Bayern einigte, der sein Amt als Botschafter der Bundesrepublik in Spanien 1952 antrat, aber schon drei Jahre später wieder abberufen wurde.
Zentraler Streitpunkt der westdeutsch-spanischen Nachkriegsbeziehungen war die Frage der Rückgabe deutschen Eigentums in Spanien, welches das Franco-Regime 1948 im Zuge der westlichen Feindvermögenspolitik enteignet hatte. Von den Liquidationserlösen waren dabei 30 Prozent einbehalten worden. Außerdem wurde die Bundesrepublik Mitte der 1950er-Jahre mit spanischen Forderungen konfrontiert, die „überwiegend Reparationscharakter hatten und mit der Eigentumsfrage verknüpft wurden“ (S. 50). Nach zähen Verhandlungen rückte die Bundesregierung schließlich von ihrer Restitutionsforderung ab und erkannte den Status quo 1958 im „Abkommen über gewisse Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges“ an, dessen Name schon auf die Komplexität und Schwierigkeit dieser Einigung hindeutet (S. 56).
Auch wirtschafts- und kulturpolitisch erwies sich die beginnende Zusammenarbeit als äußerst mühsam. Es ist schade, dass Lehmann diese interdependenten Felder in seiner Darstellung nicht stärker miteinander verzahnt hat. Auch die Konzentration auf vornehmlich deutsche Quellen ist bedauerlich, weil sich eine vergleichend angelegte Studie gerade bei diesem Thema angeboten hätte.2 Was für ein Bild hatte zum Beispiel die Franco-Regierung von Westdeutschland, und wie beeinflusste es die spanische Deutschlandpolitik? Sah sie die Bundesrepublik als Büttel der Besatzungsmächte, den man nicht ernstnahm, als Produkt westlicher Demokratievorstellungen, das ideologisch fremd anmutete, oder als legitimen Nachfolger des „Dritten Reiches“, mit dem sich trotz anderer Staatsform wieder eng zusammenarbeiten ließ? Auch ein Rückblick auf die deutsch-spanischen Beziehungen im Zweiten Weltkrieg hätte geholfen, das vor dem Hintergrund allgemeiner Freundschaftsbeteuerungen merkwürdig zäh anmutende Zueinanderfinden zu erklären. So hatte sich die ‚Waffenbrüderschaft’ ja hauptsächlich auf die Abordnung militärischer Kontingente – Legion Condor und Baue Division – beschränkt; einen Kriegseintritt Spaniens auf der Seite der Achse hatte selbst Hitler dem spanischen Diktator bei ihrem Treffen in Hendaye 1940 nicht abtrotzen können. Die deutsch-spanischen Beziehungen waren bis 1945 keineswegs so harmonisch gewesen oft dargestellt.
Es ist Lehmanns Verdienst zu zeigen, dass die Beteuerung traditioneller Freundschaft von der Bundesrepublik und von Spanien instrumentalisiert wurde, um auf den verschiedenen Politikfeldern die eigene Ansicht durchzusetzen. Wie ambivalent die Vergangenheitsdeutung auf beiden Seiten war, veranschaulicht Lehmann am Beispiel des Besuchs von Veteranen der Legion Condor in Madrid 1959, die zwar von Franco empfangen wurden, allerdings ohne Medienbegleitung. Außerdem benutzte Spanien die gemeinsame Vergangenheit als Druckmittel, indem es sich während der wirtschaftspolitischen Verhandlungen sogar „als Opfer seiner Freundschaft zu Deutschland“ gerierte (S. 101) und daraus eine deutsche Verpflichtung ableitete, das wirtschaftlich in den 1950er-Jahren noch nicht prosperierende Agrarland zu unterstützen. Die Opfersemantik fruchtete jedoch ebenso wenig wie die politische Freundschaftsrhetorik.
Außerdem erhellt Lehmann, dass die westdeutsche Politik gleichermaßen durch Selbstüberschätzung (bezogen auf den eigenen Handlungsspielraum) und mangelnde Sensibilität (gegenüber den Alliierten) gekennzeichnet war. So bemühte sich die Bonner Regierung um die Aufnahme Spaniens in die NATO, nachdem die internationale Ächtung des Franco-Regimes seit dem spanisch-amerikanischen Stützpunktabkommen von 1953 schwand. Spaniens Image als Bollwerk gegen den Kommunismus überlagerte etwaige Bedenken gegen eine Mitgliedschaft dieses faschistoid-autoritären Staates. Am Widerstand Britanniens und anderer westlicher Staaten scheiterten Bonns Bemühungen schließlich. Gleiches gilt für das – auch in der Rückschau noch seltsam anmutende – deutsche Vorhaben, die bilaterale militärische Zusammenarbeit mit Spanien zu intensivieren und auf der iberischen Halbinsel Stützpunkte einzurichten. Dieses 1959 insbesondere von Verteidigungsminister Strauß forcierte Ansinnen wurde im folgenden Jahr durch eine von den Amerikanern lancierte Pressekampagne gestoppt. Lehmann gewinnt der „stetigen Einflußnahme der westlichen Demokratien“ etwas Positives ab, weil sie dazu beigetragen habe, den „‚lange[n] Weg nach Westen’ […] zu einer bundesdeutschen Erfolgsgeschichte“ zu machen (S. 226).
Die NS-Vergangenheit war eine Bürde, weil die Bundesrepublik bedacht sein musste, außenpolitisch im Rahmen der westlichen Allianz zu agieren. Zugleich erwies sie sich auch im deutsch-spanischen Verhältnis als Belastung, weil es der jungen westdeutschen Demokratie eben nicht möglich war, nahtlos an die Vorkriegs- oder gar die Kriegszeit anzuknüpfen, auch nicht wirtschafts- und kulturpolitisch. Weniger als Bürde denn als Brücke erwies sich die NS-Vergangenheit allerdings in Gestalt des dezidierten Antikommunismus: Weil die antisowjetische NS-Propaganda fortwirkte, mithin der gemeinsame Feind im ‚Kalten Krieg’ fortexistierte, galt Spanien der Bonner Politik aus politisch-ideologischen wie geostrategischen Erwägungen heraus als wichtiger Partner. In diesem Zusammenhang ist auch die Praxis zu sehen, kriegsversehrten Angehörigen der Blauen Division Versorgungsleistungen zu gewähren, spanischen NS-Opfern aber Entschädigungen vorzuenthalten.
Lehmanns Studie ist flüssig geschrieben, wenngleich ihre Lesbarkeit zuweilen unter fast wortgleichen Wiederholungen leidet. Und letztlich erschließt sich der Mehrwert dieser Arbeit nicht, weil sowohl Lehmanns Thema als auch Teilaspekte desselben bereits Gegenstand historischer Analysen waren.3 Da er sich auf die „Darstellung der deutschen Seite“ (S. 17) der bilateralen Beziehungen beschränkt, bleiben die Beweggründe der spanischen Politik leider weitgehend im Dunkeln. Auf das besondere Verhältnis der DDR zu Spanien geht Lehmann ebenfalls nicht näher ein, obwohl die bundesdeutsche Spanienpolitik auch als Abgrenzung von der DDR interpretiert werden kann.4 So beleuchtet Lehmann viele, jedoch nicht alle „wesentlichen Dimensionen“ (S. 16) der deutsch-spanischen Beziehungen. Gut für Historiker, die sich erneut den militärpolitischen Aspekten zuwenden: Denn trotz ihrer „besondere[n] Bedeutung“ konnten diese noch nicht erschöpfend bearbeitet werden, weil etwa „die wesentlichen Akten zu den von Bonn geplanten Militärbasen in Spanien“ noch immer gesperrt sind (S. 21).
Anmerkungen:
1 Vgl. hierzu den erhellenden Artikel von Walter, Rudolf, „Sowjetspanien“ und „Advokatenrepublik“. Spaniens Bürgerkrieg als Versuchsfeld für Geschichtsapologetik, in: Freitag, 13.7.2001, online unter URL: <http://www.freitag.de/2001/29/01291001.php> (1.6.2007).
2 Zur spanischen Politik vgl. etwa: Weber, Petra-Maria, Spanische Deutschlandpolitik 1945–1958. Entsorgung der Vergangenheit, Saarbrücken 1992; Bernecker, Walter L., Spaniens Geschichte seit dem Bürgerkrieg, 3. Aufl. München 1997 (1. Aufl. 1984).
3 Vgl. z.B. Aschmann, Birgit, „Treue Freunde…“? Westdeutschland und Spanien 1945–1963, Stuttgart 2000, und Collado Seidel, Carlos, Die deutsch-spanischen Beziehungen in der Nachkriegszeit: Das Projekt deutscher Militärstützpunkte in Spanien 1960, Saarbrücken 1991.
4 Vgl. hierzu Uhl, Michael, Mythos Spanien. Das Erbe der Internationalen Brigaden in der DDR, Bonn 2004 (rezensiert von Arnold Krammer: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-2-042>).