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Title
Der Sicherheitsdiskurs. Die Innere Sicherheitspolitik und ihre Kritik.


Author(s)
Kunz, Thomas
Extent
420 Seiten
Price
€ 29,80
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Holger Nehring University of Sheffield, Department of History

Angesichts der gegenwärtigen Weltlage wird "Sicherheit" zunehmend zu einem Interpretament zeithistorischer Forschungen. 1 Thomas Kunz' sprachwissenschaftlich informierte politikwissenschaftlichen Arbeit möchte mit dieser Untersuchung zum Diskurs über "Innere Sicherheit" in der Bundesrepublik vom Beginn der 1970er-Jahre bis Ende der 1990er-Jahre eine wichtige Forschungslücke füllen. Besonders interessieren Kunz Inhalt, Formationen und Symbolik der Diskurse über "Innere Sicherheit" sowie deren Wandel in diesem Zeitabschnitt. Eine zentrale Analysekategorie findet Kunz in der schon von Zeitgenossen getroffenen Aufteilung in "konservative" und "kritische" Diskursstränge.

Die ersten beiden Kapitel bieten langatmige und wenig systematische Erörterungen zu Forschungsstand und Methode. Kapitel drei ist eine umständliche Zusammenfassung einer kleinen Anzahl von Lexikon- und Handbuchartikeln aus den Politik-, Rechts- und Sozialwissenschaften. Die folgenden drei Kapitel untersuchen in ausgewählten Feldern Topoi, Metaphern und Dramatisierungen von "Innerer Sicherheit" bei Befürwortern und Kritikern. So zeigt das vierte Kapitel, dass der Begriff "Innere Sicherheit" erst Ende der 1970er, Anfang der 1980er-Jahre die Organisation der Bundes-Ministerialverwaltung charakterisierte, obwohl er sich bereits seit Beginn der 1970er-Jahre in politischen Stellungnahmen gefunden hatte. Kapitel 5 zeigt, wie sich Metaphorik und Feindbilder in den Ansprachen einer ausgewählten Anzahl von Jahrestagungen des Bundeskriminalamts zwischen den 1970er und den 1990er-Jahren veränderten. Hier ersetzte das Feindbild des "kriminellen Ausländers" zunehmend den des "linksradikalen Terroristen" oder seiner "Sympathisanten". Das letzte Kapitel geht den spiegelbildlichen Prozessen innerhalb kritischer Diskurse nach, die, so Kunz, auch nicht ohne Feinbilder und biologistische und organizistische Bedrohungsmetaphern auskamen.

Der Leser findet hier durchweg solide Zusammenfassungen eines begrenzten Textkorpus, und Kunz' Buch taugt zumindest als Fundgrube für Zitate aus auch abgelegeneren Publikationen. Doch ist es ärgerlich, dass keines der Kapitel durchgängig stringente Analysen bietet. Und es fragt sich, ob ein Quellenkorpus, der fast ganz ohne systematische Analyse massenmedialer Diskurse auskommt, gerade für die vom Autor abgedeckte Zeitspanne angemessen sein kann. So fehlen denn auch präzise Bemerkungen zur Rolle der (Massen-)Medien für diese Debatten. Historiker dürften vor allem eine genaue kontextspezifische Einordnung der so langatmig ausgebreiteten Befunde vermissen. Kunz' dünne, aber immer wiederholte Folgerung aus dieser Zusammenfassung mehr oder weniger disparater Texte ist deshalb wenig überraschend, und es hätte zu ihrer Erörterung wohl kaum 420 Seiten bedurft: der Sicherheitsdiskurs auf seinen verschiedenen Ebenen sei sehr diffus gewesen und konnte gerade deshalb so ubiquitär werden.

Dennoch verbirgt sich für den geduldigen Leser hinter dem Gestrüpp von Textzitaten eine für weitere Forschungen sehr anregende These, deren Implikationen der Autor allerdings nicht immer klar und in ihren sozialhistorischen Dimensionen herausarbeitet. Der Autor argumentiert, dass auch jene Stimmen, die sich kritisch zur Politik der Inneren Sicherheit der jeweiligen Bundesregierung verhielten, sich letztlich affirmativ zu diesem konservativem Sicherheitsdiskurs verhielten: spätestens seit den Debatten während des "Deutschen Herbstes" 1977 hatte sich auch innerhalb der Kritiker der inneren Sicherheitspolitik ein Mainstream herausgebildet, der vor allem auf der Basis verfassungsrechtlicher Argumente argumentierte und so besonders die ab Anfang der 1990er-Jahre die in der Feinbildvorstellungen des konservativen Diskurses enthaltene Figur des "gefährlichen Ausländers" nicht hinterfragen konnte. Was also Topoi, Metaphern, Dramatisierung und Skandalisierung angehe, seien sich, so Kunz, "konservativer" und "kritischer" Diskurs über "Innere Sicherheit" bis zur Deckung ähnlich. Kunz interpretiert den Sicherheitsdiskurs so als zentralen Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte, besonders von Debatten der späten 1960er und frühen 1970er-Jahre, die sich, so Kunz, bis in die Gegenwart fortsetzten. Leider werden jedoch die Konfigurationen jener Konflikte nie genauer in den Blick genommen.

Insgesamt liegt also nun eine erste Studie zu diesem Themenbereich vor, deren zentrale These von der gegenseitigen Verwiesenheit von "konservativem" und "kritischem" Diskurs Beachtung verdient, die aber wegen der oftmals nur oberflächlichen Durchdringung des Stoffes hinter den jüngsten, auch gegenwartsdiagnostisch beeindruckenden Interventionen, wie z. B. Philipp Sarasins Essay über den "Bioterror als Phantasma", zurückbleibt. 2 Vor allem die Frage der breiteren sozialhistorischen Einordnung des Sicherheitsdiskurses in die Debatten der hochdifferenzierten, komplexen und medialisierten Gesellschaft der Bundesrepublik jener Jahre steht weiterhin aus.

1 Conze, Eckart, Sicherheit als Kultur. Überlegungen zu einer "modernen Politikgeschichte" der Bundesrepublik Deutschland, in: VfZ 53 (2005), S. 357-380 mit Verweisen auf die sozialwissenschaftlichen Debatten: Sofsky, Wolfgang, Das Prinzip Sicherheit, Frankfurt am Main 1995, rezensiert von Eckart Conze bei H-Soz-Kult, 25.08.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-3-137>. Siehe aber schon: Braun, Hans, Das Streben nach "Sicherheit" in den 50er Jahren. Soziale und politische Ursachen und Erscheinungsweisen, in: Archiv für Sozialgeschichte, 18 (1978), S. 279-306; Kaufmann, Franz-Xaver, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem. Untersuchungen zu einer Wertidee hochdifferenzierter Gesellschaften, Stuttgart 1970.
2 Sarasin, Philipp, "Anthrax". Bioterror als Phantasma, Frankfurt am Main 2004.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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