Die soziale Funktion von Kleidung und Mode ist längst nicht mehr nur ein Thema der Soziologie und Philosophie1, sondern hat sich auch in der Geschichtswissenschaft als Forschungsfeld etabliert. Nachdem deutlich geworden ist, in welch hohem Maße die Untersuchung von Kleidungsgewohnheiten zum Verstehen vergangener Gesellschaften beitragen kann2, ist Kleidung in der historischen Forschung als Gegenstand sozialgeschichtlicher Fragestellungen vermehrt ins Blickfeld gerückt. Im Rahmen einer stärker kulturgeschichtlich orientierten Erforschung von (symbolischen) Kommunikationsformen ist in den letzten Jahren ein neuerliches Interesse an Kleidungspraktiken als Konstituens für das Selbst- und Fremdbild von Individuen und Gruppen zu verzeichnen. Zu diesen jüngeren Arbeiten lässt sich auch die 2005 erschienene Studie über höfische Kleidung von Philip Mansel rechnen.
In sechs thematisch ausgerichteten, in loser chronologischer Abfolge angeordneten Kapiteln (Splendour, Service, Identity, Revolutions, The Age of Gold, Empires) nimmt Mansel den Leser mit auf eine Reise durch die letzten 350 Jahre und führt ihn dabei zu den großen Höfen der Zeit, von Paris/Versailles, London, Madrid und Wien über Berlin, Stockholm, Sankt Petersburg und Konstantinopel bis nach Ägypten, Japan, Afghanistan und Persien. Beginnend mit den Einzügen Karls II. in London und Ludwigs XIV. in Paris am 29. Mai bzw. 26. August 1660, arbeitet er anhand eines vielfältigen Quellenmaterials (Tagebücher, Briefe, Erinnerungen, Reise- und Gesandtschaftsberichte, Hofrechnungen, Inventare, Kleiderordnungen und Luxusgesetze, literarische Texte, Portraits, Gemälde und Fotos sowie erhaltene Kleidungsstücke) heraus, wie Kleidung als Herrschaftsinstrument genutzt und für politische Zwecke eingesetzt wurde – und noch wird.
Die verschwenderisch-opulente Pracht französischer Hofkleider zur Zeit des Ancien Régime, die nicht nur Reichtum und Wohlstand versinnbildlichte, sondern auch den Zugang zum Monarchen regulieren und die heimische Textilindustrie ankurbeln half, wird ebenso thematisiert wie die außerhalb Frankreichs im 18. Jahrhundert einsetzende ‚Uniformierung’ von Hofgesellschaften. Im Zuge der wachsenden Bedeutung des Heeres als Garant von Herrschaft setzte sich die militärische Uniform als maßgebliches Kleidungsstück für Monarchen und Adelige durch und prägte im 19. und frühen 20. Jahrhundert, ergänzt um zivile Uniformen, das Erscheinungsbild von Hof und Gesellschaft. Zur Sprache kommen ferner die Bedeutung von Herrscherinnen wie Marie Antoinette oder Kaiserin Eugenie als Stilikonen, die Relevanz von Kleidungspraktiken für die Kennzeichnung politischer Gruppierungen, die – etwa bei den Sansculotten – sogar namensgebend werden konnten. Weiter geht es um die Übernahme westlicher Mode in Russland unter Peter dem Großen und, seit Anfang des 20. Jahrhunderts, in Japan, Afghanistan und Iran als Zeichen einer Modernisierung der Gesellschaft. Thema ist schließlich der Rückgriff auf Kleidung als Kristallisationspunkt nationaler Identität, sei es, wie in Polen, Schweden und Schottland, in der Hoffnung auf nationale Unabhängigkeit oder, wie im Osmanischen Reich, in Afghanistan und Iran in der Absicht, die verschiedenen Volksgruppen zu einigen.
Der Reiz des Projektes besteht darin, dass es zeitlich und geographisch so breit angelegt ist. Indem Mansel höfische Kleidungspraktiken verschiedener Länder aus rund dreieinhalb Jahrhunderten nebeneinander stellt, gelingt es ihm, sowohl diachrone Entwicklungen darzulegen als auch synchrone Mode-Einflüsse aufzuzeigen. Dass dabei nicht alle angeführten Höfe in gleichem Umfang berücksichtigt werden können, sondern Schwerpunkte gesetzt werden müssen, bringt der breite Ansatz mit sich; die stärkere Gewichtung der französischen und der englischen Monarchie, die der Verfasser vornimmt und durch die Auswahl des Archivmaterials zusätzlich unterstreicht, erscheint angesichts der tonangebenden Stellung, die zuerst der französische und dann der englische Hof in Bezug auf Mode- und Kleidungsfragen innehatten, sinnvoll. Ebenso verständlich ist, dass angesichts der Vielzahl der behandelten Länder bei Weitem nicht alle nationalen Forschungsstränge in gleicher Weise wahrgenommen, geschweige denn bis ins Detail überblickt werden können – wobei es allerdings schon verwundert, dass die einschlägige Arbeit von Martin Dinges nicht rezipiert wird. 3
Wenngleich ausdrücklich zu begrüßen ist, dass Mansel so viele, auch außereuropäische Monarchien in der longue durée in den Blick nimmt, statt sich auf einen engeren Zeitraum und auf weniger Höfe zu konzentrieren, bleibt doch zu bemängeln, dass die Untersuchung bisweilen etwas holzschnittartig gerät. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Fokusierung auf Kleidungspraktiken gelegentlich zu einer allzu einseitigen Betrachtung historischer Ereignisse und Entwicklungen führt. Der Ausbruch der Revolution in Paris im Februar 1848 wird etwa mit der Hoftrauer für Louis-Philippes Schwester 1847/1848 begründet, weil das Aussetzen der Hofbälle weniger Bestellungen für neue Kleidung zur Folge gehabt und somit der Textilbranche erhebliche Ausfälle bescherte habe. Zwar hat das durch die Trauer bedingte Ausbleiben lukrativer Aufträge vom Hof die wirtschaftliche Krise zweifellos verschärft. Daraus aber – wie Mansels Argumentation suggeriert – zu folgern, dass die Revolution wegen des geänderten höfischen Kleidungsverhaltens ausbrach (S. 102), wirkt zu konstruiert. Es stellt sich die Frage, ob die Relevanz von Kleidung für den Gang der Geschichte nicht bisweilen überschätzt wird.
Zum anderen tragen der streckenweise apodiktische Duktus, die Verwendung von Begriffen wie ‚dress patriotism’, ‚dress nationalism’, ‚dress revolution’, ‚dress war’ oder ‚dress globalisation’ (S. 49, 20, 59, 159 und öfter) und nicht zuletzt die Bezeichnung von Kleidung und Uniformen als ‚(political) weapon’ (S. 19 und öfter) dazu bei, der Darstellung einen plakativen Anstrich zu verleihen. Vor diesem Hintergrund muten auch die mottoartigen Kapitelüberschriften wie verkürzende Schlagworte an, die den Inhalt der Kapitel nur bedingt wiedergeben. Das gilt besonders für das letzte Kapitel, in dem unter dem Stichwort ‚Empires’ auch die versuchte Uniformierung der Gesellschaft in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts (S. 129-133) sowie die aktuell geführte Kopftuch-Debatte in Frankreich, Deutschland und der Türkei (S. 158-159) thematisiert werden. Eine conclusion, auf die Mansel bedauerlicherweise verzichtet, hätte es nicht nur erlaubt, zeitübergreifende Muster im höfischen Kleidungsverhalten nochmals in stringenter Form aufzuzeigen, sondern hätte es auch ermöglicht, Unterschiede stärker zu konturieren, und somit das Buch als Ganzes abgerundet. So endet es etwas unvermittelt mit dem symbolisch-politischen Gehalt der Kleidung Osama bin Ladens.
Trotz der angeführten Kritikpunkte hat Mansel insgesamt eine kenntnisreiche, fundierte und quellengestützte Arbeit vorgelegt, die durch ihre Herangehensweise besticht. Indem er disziplinierende, identitätsbegründende und Zugehörigkeit stiftende Funktionen, aber auch wirtschaftspolitische Implikationen höfischer Kleidung herausarbeitet, leistet er mehr, als modische Entwicklungen lediglich in den Kontext einzubetten. Alles in allem ist Mansel ein kurzweiliges, anschaulich geschriebenes und ansprechend bebildertes Buch gelungen, dessen Lektüre überaus lohnenswert ist.
Anmerkungen:
1 Verwiesen sei hier nur auf die ebenso einschlägigen wie anregenden Arbeiten von König, René, Menschheit auf dem Laufsteg. Die Mode im Zivilisationsprozeß, neu hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Hans Peter Thurn, Opladen 1999, und Barthes, Roland, Die Sprache der Mode, Frankfurt am Main 1985.
2 Wegweisend: Jütte, Robert; Bulst, Neithard (Hrsg.), Zwischen Sein und Schein. Kleidung und Identität in der ständischen Gesellschaft, Freiburg 1993.
3 Dinges, Martin, Der ‚feine Unterschied’. Die soziale Funktion der Kleidung in der höfischen Gesellschaft, in: Zeitschrift für historische Forschung 1 (1992), S. 49-76.