M. Hausleitner: Eine Atmosphäre von Hoffnung und Zuversicht

Cover
Titel
Eine Atmosphäre von Hoffnung und Zuversicht. Hilfe für verfolgte Juden in Rumänien, Transnistrien und Nordsiebenbürgen 1941–1944


Autor(en)
Hausleitner, Mariana
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Armin Heinen, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Am 24. Oktober 2020 eröffnete die Gedenkstätte „Stille Helden“, Berlin, ihre neue Dauerausstellung. In der ersten konzeptionellen Phase hatte sie ihren Blick auf Deutschland gelenkt, auf den jüdischen Widerstand und auf jene, die den Verfolgten Hilfe geleistet hatten. Die neue Ausstellung in erweiterten Räumlichkeiten nimmt nun ganz Europa in den Blick. Parallel dazu sind monografische Länderstudien erschienen, die das europäische Holocaustgeschehen und die menschlichen Solidaritätsaktionen mit den Verfolgten reflektieren.

Mariana Hausleitner hat die Aufgabe übernommen, die Geschichte des rumänischen Holocausts und der (stillen) Hilfe für die jüdischen Verfolgten darzulegen. Kaum ein anderer wäre ähnlich qualifiziert wie die Autorin, hat sie doch in der Vergangenheit die Geschichte der Juden in den verschiedenen rumänischen Provinzen ausführlich untersucht, eine deutschsprachige Quellenedition zum Holocaust in Rumänien betreut und immer wieder die Geschichte der gescheiterten Vergangenheitsbewältigung in Rumänien thematisiert.

Ihr Buch ist freilich keine klassische wissenschaftliche Studie, obwohl sein Inhalt eine umfassende Recherche erfordert hat. Eine vergleichbare Darstellung gibt es nämlich bisher nicht, allenfalls journalistische Fingerübungen, sodass der Band inhaltlich Pionierarbeit leistet. Gestaltung und Sprache richten sich gleichwohl an ein breites Publikum, das mit der Geschichte Rumäniens wenig vertraut ist. Das großzügige, immer übersichtliche Layout sowie die zahlreichen Karten, Quellenauszüge und Bilder erinnern an einen Katalogband. Und wie in einem Katalogband werden einzelne Personen und Organisationen vorgestellt, die sich um die Rettung von Juden verdient gemacht haben.

Keine Gesellschaftsgeschichte hat Mariana Hausleitner vorgelegt. Sie strebt keine soziologische Analyse an, sondern eine Würdigung menschlichen Handelns: Wo die Gesellschaft zerstört, aufgebrochen ist, wo allein Einzelne und versprengte Gruppen übrigbleiben, da kann die klassische Sozialgeschichte nur bedingt weiterhelfen, da ist der detaillierte Blick auf das Einzelne gefordert. Während das rumänische Altreich in der Herrschaftslogik des Maßnahmenstaates verblieb und es die Chance gab, widerständige gesellschaftliche Verhaltensmuster zu entwickeln1, brach in den nordöstlichen Provinzen (Bukowina, Bessarabien, Transnistrien) und Nordsiebenbürgen jede soziale und gesetzliche Ordnung zusammen. Mariana Hausleitner thematisiert die direkte physische Verfolgung der Juden im Osten und Norden Rumäniens beziehungsweise in Südungarn und berichtet über höchst risikoreiche Hilfestellung für Juden in Zeiten des kriegerischen Ausnahmezustandes.

Drei Erzählstränge durchziehen den Band. Da sind zum einen die von Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ herausgehobenen Persönlichkeiten, die versucht haben, ihren jüdischen Nachbarn zu Hilfe zu kommen. Sie werden einzeln, wenn möglich mit biografischen Hinweisen, vorgestellt. Dabei ist die Zahl der „rumänischen“ Gewürdigten eher gering (79). Doch das liegt an der mangelhaften Überlieferung, am fehlenden kommunikativen Gedächtnis und daran, dass Bessarabien und die Süd-Westukraine (Transnistrien) nicht zu Rumänien gezählt werden. Zweitens wird diese auf das Einzelne abhebende Darlegung in die Chronik und Territorialität des Verfolgungsgeschehens eingebettet. Denn es gilt genau zu unterscheiden zwischen den Jahren 1941/42 und 1943/44, ebenso zwischen dem Geschehen im Altreich, im Banat, in der Bukowina, in Bessarabien, Transnistrien und dem ungarisch beherrschten Nordsiebenbürgen. Der Leser erhält so einen faktenorientierten Einblick in die Geschichte der Judenverfolgung auf rumänisch beherrschtem Gebiet und im 1944 ungarischen Nordsiebenbürgen. Wer, wo, zu welchem Zeitpunkt, in welchem Kontext sich für die verfolgten Juden (und Roma) einsetzte, das variierte erheblich. Insgesamt steht der nüchterne Sachbericht im Vordergrund. Die Sätze sind kurz. Die Sprache ist einfach. Immer versucht die Verfasserin, den Leser mitzunehmen. Drittens reflektiert die Autorin durchgängig, was aufgrund sicherer Überlieferung feststeht, was strittig ist und was bewusster geschichtspolitischer Fälschung entspringt. Denn, abhängig vom jeweiligen politischen Klima, versprach der Nimbus des Retters Anerkennung, die Steigerung nationalen Selbstbewusstseins und eine positiv besetzte Eindeutigkeit, wo doch das Hybride überwog.

Die vielen Details und das abwägende Urteil der Verfasserin sind es, die nach der Lektüre vor Verallgemeinerungen zurückschrecken lassen. Weder gab es „die Rumänen“ noch „die Ukrainer“, „Ungarn“ oder „Deutschen“. Immer widersetzten sich Menschen der verachtenden Sprachlogik der Gewaltregime im Südosten Europas. Immer wieder gab es jene, die dem Elend nicht zuschauen wollten, die das Leid nicht ertragen konnten, die selbst unter Risiko bereit waren zu helfen.

Das Schlusskapitel fasst die Ergebnisse der Untersuchung zusammen. Im ersten Jahr, dem Jahr des Kriegsbeginns und der ungebrochenen Kooperation Rumäniens mit Nazideutschland auch in der Judenpolitik gab es nur wenige Helfer, zumeist Privatpersonen. Die Amtsträger, die die Judenpolitik des Regimes unterwanderten, wie Traian Popovici, der Bürgermeister von Czernowitz, oder Fritz Schellhorn, der deutsche Generalkonsul, erreichten mit geschickten, an das Eigeninteresse der Unterdrückungsregime gerichteten Argumenten einen Schutz für etwa 20.000 jüdische Mitbewohner. Hier und dort setzten sich rumänische und deutsche Armeeangehörige für jüdische Opfer ein. Der eigentliche Umbruch erfolgte jedoch 1942/43, als das Regime vom Erlösungsantisemitismus zu Kriegsbeginn zum finanziell, außen- und innenpolitisch lukrativeren Separierungsantisemitismus der zweiten Kriegshälfte umschwenkte. Jetzt erhielten jüdische Hilfsnetzwerke jenen Freiraum, den sie benötigten. Auch schon zuvor hatten sie versucht, Einfluss zu gewinnen, ihre gesellschaftlichen Netzwerke zu mobilisieren. Nicht ohne Erfolg, weil die Abschiebung der Banater und südsiebenbürgischen Juden nach Polen verhindert werden konnte. Doch nun erst entstanden Freiräume, um die Versorgung der deportierten Juden in Transnistrien grundlegend zu verbessern. Zudem konnte den geflohenen Juden aus Polen und Nordsiebenbürgen die Überfahrt nach Palästina ermöglicht werden. Wenn es eines Beweises bedarf, dass die jüdische Führung aufbegehrte, Widerstand leistete, die jüdischen Gemeinden ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen, einen Weg suchten, um mit Intelligenz und Organisationswillen zu überleben, dann lohnt ein Blick auf Rumänien und Nordsiebenbürgen. Vergleichsweise bevorteilt waren dabei vor allem die Juden aus der Bukowina, während die jüdischen Organisationen Bessarabiens und Transnistriens im Stalinismus zwischen 1940 und 1941 zerschlagen worden waren und deshalb ein vergleichbarer institutioneller Rückhalt fehlte.

Wenn revisionistische Historiker, wenn ein Teil der rumänischen Politik die Zeit des Holocausts als Beweis für die menschliche Bewährung Rumäniens während des Zweiten Weltkriegs deuten, dann verweisen und verwiesen sie vor allem auf die Jahre nach 1942. Es gab sie ja wirklich, die Priester, die Taufen vornahmen, um ihre jüdischen Mitbürger zu schützen, jene Nachbarn, die ihre Bekannten versteckten, die Transnistrien-Kuriere, Gendarmen und Soldaten, die das ihnen übergebene Geld den Bedrückten aushändigten, ohne Entlohnung zu verlangen. Es gab auch aufbegehrende Politiker der bürgerlichen Parteien, die warnende Briefe schrieben. Es gab die Königinmutter Elena, die den Militärdiktator Antonescu warnte, dass er Rumänien dauerhaften politischen, sozialen und moralischen Schaden zufüge.

Rumänien war kein faschistisches Regime, sondern eine autoritäre Militärdiktatur. Die Gesellschaft wurde unterdrückt, aber nicht gleichgeschaltet. Mehr als in Deutschland beruhte der gesellschaftliche Zusammenhalt auf Netzwerken, die sich gegenüber den Übergriffen des Staates behaupteten, immer schon behauptet hatten. Militärisch kam der rumänischen Armee als Bündnispartner des Dritten Reiches eine zentrale Aufgabe zu. So entstanden Freiräume – für die rumänische Politik, für gesellschaftliche Akteure, aber auch für einzelne Vertreter Deutschlands, die entweder die rumänische Judenpolitik vorantrieben, wie dies der Judenberater Gustav Richter tat, oder sie gerade unterwanderten, wie es Fritz Schellhorn oder Kurt Welkisch gelang. Auswärtige Diplomaten, der Vertreter des Vatikans, das Internationale Rote Kreuz, das Joint (American Jewish Joint Distribution Committee), sie alle fanden Handlungsmöglichkeiten, die sie in Deutschland selbst nicht gehabt hätten. Ob es mehr Möglichkeiten gegeben hätte, ob es de facto mehr Solidaritätsaktionen gab als wir sie heute kennen, das wird in der Zukunft auszukundschaften sein, so das Fazit von Mariana Hausleitner. Bis es so weit ist, bietet ihr Grundlagenwerk einen ersten Einblick, wer, wo, wann, wie und gelegentlich auch warum im rumänischen Raum widerständige Humanität bewiesen hat. Der Band von Mariana Hausleitner erinnert tatsächlich an viele „stille Helfer“. Zugleich lässt er die Komplexität des rumänischen Holocaustgeschehens erahnen.

Anmerkung:
1 Vgl. hierzu Ştefan Cristian Ionescu, Jewish Resistance to „Romanianization”, 1940–44, New York 2015.

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