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Titel
Migranten und Stadtgesellschaft im frühmittelalterlichen Rom. Griechischsprachige Einwanderer und ihre Nachkommen im diachronen Vergleich


Autor(en)
Winterhager, Philipp
Reihe
Europa im Mittelalter (35)
Erschienen
Berlin 2020: de Gruyter
Anzahl Seiten
IX, 429 S.
Preis
€ 109,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Laury Sarti, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Nachdem Konstantinopel die Stadt Rom als alleinige Hauptstadt des römischen Reiches abgelöst hatte, war Italien zur Provinz geworden. Obwohl Rom bereits unter Justinian I. wieder unter imperiale Herrschaft geriet und damit nicht nur Verwaltungsbeamte und Militär aus dem Osten in den Westen gelangten, treten griechischsprachige Migranten erst seit der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts stärker aus den Quellen hervor, als sich Geistliche nicht nur vor den arabischen Einfallen, sondern auch wegen doktrinären Uneinigkeiten in den Westen flüchteten. Die Forschung geht heute davon aus, dass im späten 7. und 8. Jahrhundert die Anzahl griechischsprachiger Bewohner in Rom besonders hoch war – eine Zeit, in der selbst eine Mehrheit unter den Päpsten als „Griechen“ bezeichnet wurden (viele unter ihnen stammten aus dem byzantinischen Süden Italiens) und selbst lateinische Werke wie die Dialogi Gregors des Großen ins Griechische übertragen wurden.

Nach Andrew J. Ekonomous umfassender Studie zum byzantinischen Rom mit besonderem Fokus auf die Päpste und den imperialen Einfluss auf die Stadt1 fragt Philipp Winterhager in seiner im Wintersemester 2017/18 an der Berliner Humboldt-Universität vorgelegten Dissertationsschrift nun allgemeiner nach der griechischsprachigen Bevölkerung. Die Studie bietet nach einer ausführlichen Einleitung zu Forschung und Methodik eine in drei Kapiteln gegliederte Untersuchung, welche, jeweils gefolgt auf einen historischen Abriss (der auch bereits grob nach griechischsprachigen Migranten in Rom fragt), sich einer spezifischen Phase innerhalb des Untersuchungszeitraums zuwenden. Die Studie deckt jedoch nicht die gesamte Epoche zwischen 650 und 830 ab, sondern nur drei ausgewählte Ausschnitte von jeweils 30 Jahren. Jede dieser Phasen soll es ermöglichen, ein innerhalb dieser Zeitabschnitte vorherrschendes Phänomen in den Blick zu nehmen, wobei stets die päpstliche Kurie sowie klösterliche Gemeinden für die Untersuchung berücksichtigt werden. Auf einen prosopographischen Anhang, welcher der Studie sehr zugutegekommen wäre und für anschließende Forschungen ein hilfreiches Instrumentarium geboten hätte, jedoch für den gesamten Zeitraum hätte erstellt werden müssen, wurde wohl wegen dieses zeitlichen Zuschnitts verzichtet.

Das erste Kapitel befasst sich mit der Phase der Einwanderung von 650 bis 680. Hier treten die zweisprachige Dokumentation zum Laterankonzil von 649 sowie die für diese Zeit vergleichsweise reiche monastische Hagiographie in den Vordergrund. Ein zweites Kapitel befasst sich mit der Phase der Integration von 730 bis 760, in der die Nachkommen der zuerst behandelten Migranten im Vordergrund stehen. Hier wird insbesondere auf den päpstlichen Beamten primicerius Theodotus sowie die monastische Komponente in der ersten Phase des Bilderstreits eingegangen. Das dritte Kapitel schaut auf die Phase der Assimilation von 800 bis 830, indem sowohl die bereits seit Generationen in Rom ansässigen als auch neu eingewanderte Lateranbeamte sowie die merklich desintegrierten monastischen Gemeinden, auf die sich Griechischkenntnisse nun zunehmend beschränkten, untersucht werden.

Diese Phaseneinteilung verleiht der Arbeit eine Struktur, die es ermöglicht, sowohl die chronologische Entwicklung zu untersuchen als auch die sie prägenden Faktoren etwas zu isolieren. Dabei befasst sich die Studie mit den komplexen Prozessen von Integration, Desintegration, Assimilation und Hybridität sowie den glokalen Verflechtungen der untersuchten Gruppen in Bezug auf die Stadt Rom sowie den ostmediterranen Raum. Winterhager unterstreicht dabei, dass nicht grundsätzlich davon auszugehen sei, dass Migration auch immer die Verflechtung römischer und östlicher Traditionen und entsprechende Zugehörigkeiten zur Folge hatte, da die Integration von Migranten in die römische Gemeinde oft bereits sehr früh stattfand, indem die eigene Selbstverortung in Rom durch die Abkehr vom Osten erleichtert wurde. Es sei darum nur bedingt von einer kulturell griechischen Identität der Migranten zu sprechen, ihre Integration nicht grundsätzlich als „Generationeneffekt“ (S. 366) zu charakterisieren.

Winterhager zeigt außerdem unterschiedliche Konstellationen von Selbstverortung auf, welche sich nicht nur chronologisch, sondern auch abhängig von der jeweiligen Gruppe unterscheiden konnte, wobei insgesamt auffällig sei, wie marginal byzantinisches Selbstverständnis im Lateran war. Anders sei dies in den klösterlichen Gemeinden, in denen eine deutlichere Absonderung von der Stadt sowie der fortlaufende Gebrauch der griechischen Sprache zu einer stärkeren Verortung innerhalb einer ostmediterranen Gesellschaft führten.

Als Migrant definiert Winterhager nicht nur Personen, die aus dem byzantinischen Osten nach Rom gelangten, sondern auch deren Nachfahren, insofern sich diese noch nicht mit der aufnehmenden Gesellschaft identifizierten. Griechische Namen reichen dabei als Kriterium grundsätzlich nicht aus, weshalb die Untersuchung sich auf Personen beschränkt für die konkretere Hinweise vorliegen, wie die Autorenschaft griechischer Texte. Eine genauere Herkunftsbestimmung sei aber wegen der unzureichenden Überlieferungslage nur in Ausnahmefällen möglich. Tatsächlich fehlen in den Schriftquellen weitgehend Belege für griechischsprachige Migranten in Rom außerhalb der Oberschicht und des Klerus (S. 57–58, 164). Die so methodisch und durch die Quellenlage begründete, weitgehende Beschränkung auf den Lateran und die Klöster führt dazu, dass das, was der Titel des Buches zu versprechen scheint, und zwar die Untersuchung der Migranten und der Stadtgesellschaft Roms als solche, nur bedingt eingelöst werden kann. Die kurialen Gruppierungen und monastischen Gemeinden lassen sich nicht stellvertretend für die Mehrheit der stadtrömischen Bevölkerung untersuchen.

Auch hätte zuweilen eine noch intensivere Auseinandersetzung mit den Inhalten der untersuchten Quellen zur Schärfung der eigenen Thesen führen können. Bezogen auf die bekannte Aussage im Protokoll zum Prozess des Maximus Confessor über seine Liebe der Römer als gleich im Glauben und der Griechen als gleich in der Sprache bemerkt Winterhager, dieser könne entnommen werden, dass man zugleich Römer als auch Grieche sein könne. Er geht aber über die Tatsache hinweg, dass in dieser griechischen Quelle nicht die Byzantiner, sondern die Stadtrömer als „Römer“ bezeichnet werden, die Byzantiner hingegen als „Griechen“, wodurch eine stadtrömische Perspektive eingenommen wurde. Auch bemerkt Winterhager zu Recht die Einzigartigkeit der Bezeichnung „byzantinische Klöster“ in einem Schreiben Kaiser Konstantins IV. von 678 und stellt heraus, dass hier offenbar nicht nur ein Verweis auf die Sprache beabsichtigt war. Der Verweis auf die „byzantinischen“ Klöster ist meines Erachtens aber nicht als Ausdruck eines politischen Machtanspruchs zu deuten, denn im byzantinischen Osten war die Selbstbezeichnung „Grieche“ nur in Bezug auf Personen, die aus Griechenland selbst stammten, denkbar. Die im Westen übliche Bezeichnung „griechische“ Klöster wäre folglich in einer byzantinischen Quelle ohnehin nicht zu erwarten gewesen. Anders als Winterhager meint, dürfte die Charakterisierung „byzantinisch“ hier aber wohl eher wegen ihres städtisch-regionalen Charakters gewählt worden sein, wodurch die deutlich konfrontativere Bezeichnung „römische“ Klöster vermieden wurde, denn auch die Byzantiner verstanden sich durchgehend als „Römer“ (S. 140f.).

Die Studie ist abgesehen von wenigen vergleichbaren und geringfügigen Schwachstellen sehr gut recherchiert und durchdacht, und sie bietet einen ausgezeichneten Einblick in die aus dem griechischsprachigen Mittelmeerraum stammenden kirchlichen und monastischen Gemeinden und deren Wirken in Rom.

Anmerkung:
1 Andrew J. Ekonomou, Byzantine Rome and the Greek popes. Eastern influences on Rome and the papacy from Gregory the Great to Zacharias, A.D. 590–752, Lanham 2007.

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