Titel
Mao and the Sino-Soviet Split, 1959–1973. A New History


Autor(en)
Li Danhui; Xia Yafeng
Erschienen
Lanham 2018: Lexington Books
Anzahl Seiten
344 S.
Preis
$ 120.00; € 132,49
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Wagner, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Sowjetunion und das kommunistische China waren einander verbunden, indes in so wechselvoller und widersprüchlicher Weise, dass nur schwerlich auf einen Begriff zu bringen ist, worin sich ihre Beziehung auszeichnete – „in Freundschaft getrennt, in Feindschaft vereint“. Was mit einem aus durchaus unterschiedlichen Interessen gestrickten Bündnis in den 1950er-Jahren begonnen hatte, zerrütteten ideologische Polemiken und blutige Grenzkonflikte in den 1960er-Jahren derart, dass Moskau und Beijing bis kurz vor dem Untergang der Sowjetunion nur noch Verachtung füreinander fanden. Der Kalte Krieg war mithin mehr als die Systemkonfrontation von kapitalistischem Westen und kommunistischem Osten. Er lässt sich als die Geschichte wechselnder Allianzen von unterschiedlicher Reichweite erzählen, und zwar im Spannungsverhältnis dreier (Super-)Mächte: der Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und der Volksrepublik China. Einer der zentralen Episoden, dem sino-sowjetischen Zerwürfnis, widmen Li Danhui und Xia Yafeng nun eine „neue Geschichte“. Anschließend an eine chronologisch vorgelagerte Vorstudie1 fragen die Shanghaier Historikerin und ihr New Yorker Mitautor nach den Ursachen des Bruchs, seinen Wirkungen auf die chinesische Kulturrevolution (1966–1976) und das System der internationalen Beziehungen.

Was die Feindseligkeiten in den 1960er-Jahren motivierte, stellt jedoch kein neues Forschungsfeld dar, wurde kaum eine andere Phase der russisch/sowjetisch-chinesischen Beziehungen derart lückenlos erforscht. Indessen konstatieren Spezialstudien unterschiedliche Triebkräfte für das offene Zerwürfnis: Lorenz Lüthi betrachtet ideologische Differenzen und persönliche Rivalitäten Mao Zedongs und Nikita Chruschtschows als konstitutiv.2 Machtstreben, traditionelle Konkurrenz und die Asymmetrie der Allianz hingegen sind für Sergey Radchenko ursächlich.3 Und Constantine Pleshakov begreift widerstreitende geopolitische Interessen als ausschlaggebend.4 Auf Basis russischer wie chinesischer Quellen aus einer Vielzahl von Zentral- und Regionalarchiven bieten Li Danhui und Xia Yafeng eine Interpretation, die die Implosion der sino-sowjetischen Freundschaft aus den Zwängen des Bündnisses und damit strukturell erklärt.

Gemeinhin wird der Niedergang sino-sowjetischer Beziehungen als linearer Prozess konzipiert, der in den späten 1950er-Jahren begonnen und in der ideologischen Polemik 1963/1964 sein Fanal gefunden habe. Der XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion im Jahr 1956 hatte das Bündnis erschüttert, als die Kritik an Stalin Unruhen im sozialistischen Lager zeitigte, die Mao der vorbehaltlosen Abrechnung Nikita Chruschtschows mit der eigenen Parteivergangenheit zuschrieb. Moskau und Beijing schlugen fortan unterschiedliche Entwicklungspfade ein. Und als die sowjetische Parteiführung im Sommer 1960 ihre technokratischen Eliten von den Baustellen chinesischer Modernisierungsprojekte abzog, wurden die Risse in der Freundschaft symbolisch markiert. Dagegen wenden Li Danhui und Xia Yafeng ein – und das ist eine ihrer „neuen“ Beobachtungen –, dass der „Moskauer Erklärung“, die die internationale kommunistische Bewegung im Dezember 1960 verabschiedete, weitreichende Zugeständnisse sowohl der sowjetischen als auch der chinesischen Seite vorausgegangen waren. Bis zum XXII. Parteitag der KPdSU, der die politische Linie des XX. Parteitages zum Missfallen Maos im Herbst 1961 bestätigte, seien die Beziehungen von einer „temporären détente“ (S. 31) und dem beiderseitigen Streben nach Einheit gekennzeichnet gewesen. Mit der Evidenz, die Li und Xia auffächern, ließe sich jedoch fragen, wie substantiell eine derartige Entspannung sein konnte, hatte die KPCh bereits Anfang des Jahres 1960 den sowjetischen Genossen indirekt „Revisionismus“ vorgeworfen – eine Bezichtigung ultimativer Qualität in der sozialistischen Welt.

Als sich Chinas ökonomische Situation nach dem „Großen Sprung nach vorn“ zu erholen begann, hob Mao Anfang der 1960er-Jahre zur erneuten ideologischen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion an. Motiviert habe ihn der Kampf um die Deutungshoheit über die kommunistische Weltbewegung, für den Fragen der Glaubenslehre nur Mittel zum Zweck gewesen seien (S. 45–46). Anlässe für Streit waren mannigfaltig: ideologische Unstimmigkeiten in der Innen- und Außenpolitik infolge des XXII. Parteitages der KPdSU, nationale Sicherheitsinteressen nach Vorfällen an der gemeinsamen Grenze sowie die Konjunkturen des Kalten Kriegs im Gefolge der Kuba-Krise. Und tatsächlich hatten Vertreter beider Parteien diese Fragen während bilateraler Verhandlungen im Sommer 1963 debattiert, bevor sie eine Serie polemischer Artikel zur „Generallinie“ der kommunistischen Weltbewegung öffentlich ausstellte. Fortan rangierte die Sowjetunion als „Feind Chinas“ neben den USA.

Unterdessen wandte sich Mao in der Hoffnung, Chruschtschow als primären Interpreten der marxistisch-leninistischen Lehre abzulösen, den kommunistischen Parteien in Asien und Ostmitteleuropa zu. Vietnams und Nordkoreas Kommunisten wussten diese Dreiecksbeziehung auszunutzen, indem sie je nach in Aussicht gestellter Hilfeleistung zwischen Moskau und Beijing changierten. Gleiches galt für China selbst: Nachdem sich sowjetische und chinesische Soldaten im März 1969 ein blutiges Grenzscharmützel geliefert hatten, wirkte China auf die Normalisierung seiner Beziehungen mit den USA hin. Mit Richard Nixons China-Besuch im Jahr 1972 sei das strategische Dreieck USA-Sowjetunion-China geboren worden, das – so ließe sich mit Blick auf den internationalen Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen argumentieren – indes bereits 1963 von entscheidender strategischer Bedeutung gewesen war. Die sino-sowjetischen Beziehungen aus ihrer vermeintlichen Bilateralität herauszulösen und in einer stetig wechselnden internationalen Bündnissuche zu verorten, ist eine der Stärken der Studie Lis und Xias.

Warum scheiterte das sowjetisch-chinesische Bündnis indes? In ihrer abschließenden Interpretation der Ursachen unterstreichen Li und Xia „irrationale Faktoren“ (S. 275). Rationalität zu unterstellen, würde den Blick auf das Wesentliche verstellen. Das sozialistische Lager habe keine Mechanismen der Kompromissfindung hervorgebracht, stattdessen hätten seine „angeborenen Defekte“ (S. 276) die Konfliktbeilegung nachgerade erschwert: der Widerspruch zwischen internationalistischer Rhetorik und nationalen Interessen, der Gegensatz aus den Führungsansprüchen Moskaus bzw. Beijings und dem Prinzip formaler Gleichheit sowie die Vermischung von internationalen Partei- und Staatenbeziehungen. Ausschlaggebend dafür, dass die sino-sowjetischen Beziehungen im Konflikt enden mussten, war der Anspruch auf Deutungshoheit, den Mao wie Chruschtschow gleichermaßen vor sich hertrugen. Das Zerwürfnis hatte weitreichende Folgen: Laut Li und Xia veränderte es die Bedingungen jeweiliger Innenpolitik, motivierte die chinesische Kulturrevolution, brachte das strategische Dreieck USA-Sowjetunion-China hervor und trug langfristig zum Untergang der Sowjetunion bei. Mit Blick auf die ersten Schritte sino-sowjetischer Wiederannäherung seit 1985 und den Auflösungsprozess der Sowjetunion „von oben“ ließe sich zumindest die letztgenannte Wirkung in Zweifel ziehen.5

Li Danhuis und Xia Yafengs „neue“ Erzählung bietet unbekannte Quellen, einsichtsreiche Beobachtungen und eine ausgewogene Interpretation eines Gegenstandes auf, der nicht mehr neu ist. Von den vorhandenen Studien hebt sie sich durch einen stärkeren Einbezug der chinesischen Innenpolitik hervor, der zu verdeutlichen mag, woraus außenpolitische Entscheidungen erwuchsen. Gleichzeitig bleibt ihr Argument, die ideologische Auseinandersetzung sei nur Mittel eines doppelten Zweckes – der Artikulation konkreter Interessen wie des Kampfes um die interpretatorische Wortführerschaft – gewesen (S. 280–281), unauflöslich. Denn sachliche Differenzen, die nur ideologisch zu verhandeln waren, und die internationale Deutungshoheit, die sich nur ideologisch begründen ließ, mussten nicht erst in marxistische Glaubenssätze „überführt“ werden, waren und blieben sie doch stets Repräsentationen dieser Ideologie.

Anmerkungen:
1 Shen Zhihua / Xia Yafeng, Mao and the Sino-Soviet Partnership, 1945–1959. A New History, Lanham 2015.
2 Lorenz M. Lüthi, Sino-Soviet Split. Cold War in the Communist World, Princeton 2008. Unterstützend jüngst: Li Mingjiang, Mao’s China and the Sino-Soviet Split. Ideological Dilemma, London 2014.
3 Sergey Radchenko, Two Suns in the Heavens. The Sino-Soviet Struggle for Supremacy, 1962–1967, Washington 2009.
4 Constantine Pleshakov, Nikita Khrushchev and Sino-Soviet Relations, in: Odd Arne Westad (Hrsg.), Brothers in Arms. The Rise and Fall of the Sino-Soviet Alliance, 1945–1963, Stanford 2000, S. 226–245.
5 Dazu etwa: Elizabeth Wishnick, Mending Fences. The Evolution of Moscow’s China Policy from Breshnev to Yeltsin, Seattle 2001; Stephen Kotkin, Armageddon Averted. The Soviet Collapse, 1970–2000, Oxford 2001.

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