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Titel
Ökonomik und Hauswirtschaft im klassischen Griechenland.


Autor(en)
Hinsch, Moritz
Reihe
Historia (265)
Erschienen
Stuttgart 2021: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
658 S.
Preis
€ 108,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Winfried Schmitz, Seminar für Alte Geschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

„Die Antike war die Epoche der Hauswirtschaft. Diese These des Nationalökonomen Karl Bücher wird in dieser Arbeit für das klassische Griechenland erneut vertreten.“ Mit dieser programmatischen Aussage beginnt Hinschs Untersuchung zur antiken Ökonomik. Rasch wechselt er von einer solchen Überspitzung zu einer differenzierten und minutiös geführten Analyse, die das Ziel hat, aus der früheren nicht selten polemisch geführten Auseinandersetzung zwischen Primitivisten und Modernisten einen Weg zu weisen, indem er, aufbauend auf den Arbeiten von Renate Zoepffel und Armin Eich, den Bedingungen nachspürt, unter denen sich – beginnend in der zweiten Hälfte des 5. Jh. und verfolgt bis an das Ende des 4. Jh. – die Form der Hauswirtschaft ausgedehnt und an die dynamischen Prozesse gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen angepasst hat. Dies bildete die Voraussetzung dafür, dass sich Fachtexte wie die Oikonomiká als eigenständige Gattung ausbilden konnten. Für Hinsch sind autarkieorientierte Hauswirtschaft und gewinnorientierte Tauschwirtschaft keine Gegensätze; doch die Hauswirtschaft als bestimmende Einheit antiken Wirtschaftens habe – so die zentrale These von Hinsch – der Entstehung anderer wirtschaftlicher Organisationsformen enge Grenzen gesetzt.

Um die Hauswirtschaft in ihrer für die Antike typischen – theoretischen wie praktischen – Ausformung zu erfassen, analysiert Hinsch die innere Organisation des Haushalts, die in ihm vorherrschende Arbeitsteilung und Strategien der wirtschaftlichen Absicherung und der Risikominimierung.1 Dabei ist jedoch die „Arbeitshypothese“, „dass die entscheidende Einheit des Wirtschaftens nicht das Individuum, sondern der Haushalt war“ für die Alte Geschichte weder überraschend noch neu. Es waren die Haushalte, auch wenn man Handel- und Gewerbetreibende einbezieht, und nicht Unternehmen, die als wirtschaftliche Organisationseinheit vorherrschten, wie Hinsch völlig zu Recht in Erinnerung ruft. Darüber hinaus geht es ihm aber auch um die Frage, in welchem Verhältnis die Praxis häuslichen Wirtschaftens zur antiken Gattung der Ökonomik steht, einer Theorie im Sinne einer spezialisierten Tätigkeit, einer téchnē, und einer systematisierenden Reflexion, einer epistḗmē (S. 22–25). Statt die kontrafaktische Ablehnung der Erwerbskunst in den ökonomischen Schriften als Beleg für deren elitären und weltfremden Charakter in einer zumindest in Ansätzen bestehenden Marktwirtschaft zu werten, sollte – so Hinsch zu Recht – gefragt werden, warum antike Selbstbeschreibungen unter den Begriff der Haushaltsführung gestellt wurden und dies zu einem Zeitpunkt, als sich der kommerzielle haus- und stadtübergreifende Austausch ausweitete und verdichtete. Und wie sei das Paradoxon zu erklären, dass trotz des Strebens, die Einkünfte zu steigern, Erwerbskunst und Gewinnstreben, also die Chrematistik, als anrüchig gewertet wurden?

Zur Klärung der aufgeworfenen Fragen holt Hinsch weit aus und bietet in fünf Teilen mit neunzehn Kapiteln sehr unterschiedlicher Länge detaillierte Analysen, die sich nach Vorüberlegungen zu Theorie und Methode und einer Darlegung der Umweltbedingungen (Teil I) den ökonomischen Schriften klassischer und spätklassischer Zeit zuwenden, also Xenophons Oikonomikós, dem ersten Buch von Aristoteles’ Politik und den pseudo-aristotelischen Oikonomiká (Teil II). Teil III nimmt die geschlechts-, alters- und statusspezifische Arbeitsteilung als grundlegende Struktur der Hauswirtschaft in den Blick und Teil IV die in der Hauswirtschaft angewandten Strategien der Rationierung, Optimierung, Risikominimierung und Kapitalkonvertierung. Hinsch verfolgt bezüglich der Hauswirtschaft zwei Leitaspekte: Angesichts der gegebenen Umweltbedingungen, die durch Klima, Böden, aber auch gesellschaftliche Strukturen und demographische Kontingenzen geprägt waren, befanden sich die Häuser stets in einer prekären Lage, auf die sie mit bestimmten Strategien als systemische Erfordernisse reagieren mussten. Einen zweiten Aspekt bilden die Dynamiken klassischer Zeit, die durch eine zunehmende soziale Diversifizierung und Mobilität, eine Monetarisierung der Verkehrswirtschaft, eine Zunahme der Sklaverei und andere Faktoren ausgelöst und angetrieben wurden. Dazu trat – und dies galt vor allem für besser gestellte Haushalte – eine Statuskonkurrenz, die den Vorsteher des Hauses zu einer Rationalisierung der Haushaltsführung zwang, um die soziale Position abzusichern oder womöglich zu steigern. Dies sei – so Hinsch – der Ort, der die Ökonomik als literarische Gattung entstehen ließ.

Gegenüber der archaischen Zeit kam es im 5. und 4. Jh. zu einer Ausdehnung der Hauswirtschaft in dem Sinne, dass neben die durch landwirtschaftliche Arbeit geprägten Hauswirtschaften solche traten, die von Handel und Gewerbe, aber auch von Vermietungen und Verpachtungen sowie Kreditgeschäften lebten, die aber trotz der Tendenz zur Monetarisierung und Kommerzialisierung, die die Beteiligten einer zunehmenden Statuskonkurrenz aussetzten, den Strukturen der Hauswirtschaft und damit den ideellen Werten einer oikonomía, einer Oikoswirtschaft, und deren Strukturen und Strategien verhaftet blieben und sich nur in diesem Rahmen neuen Erfordernissen anpassten. Dieses Verhaftetbleiben erklärt die Idealisierung der Figur des kriegsdienstleistenden Landbesitzers. Und es erklärt auch, warum es den ökonomischen Schriften weniger um eine Vermittlung eines in der Landwirtschaft anwendbaren Wissens ging, sondern vielmehr darum, die Kommunikation über Hauswirtschaft in einen moralischen Kontext zu stellen. Zu den Strategien einer Rationalisierung und Optimierung zählte z.B. der verstärkte Einsatz von Sklaven und Freigelassenen auch in verantwortlichen Positionen, weil der Herr sie stärker kontrollieren und über sie besser an der ‚Verkehrswirtschaft‘ partizipieren konnte, etwa über das apophorá-System oder paramoné-Verpflichtungen. Die an das Haus gebundene Sklaverei schuf also Möglichkeiten eines Agierens über das Haus hinaus, die verhinderten oder zumindest erschwerten, dass sich andere Wirtschaftsformen etwa in Gestalt von Handelsgesellschaften herausbilden konnten, und dies verbunden mit dem Vorteil, dass sich der Herr selbst von einem schnöden Gewinnstreben distanzieren und das Ideal des traditionellen Landbesitzers verkörpern konnte. Die an das Haus gebundene Wirtschaftsform brachte mit sich, dass es jeweils der Hausvater war, der abwägen musste, wann auf eine Gewinnmaximierung verzichtet werden sollte, um durch Leistungen für die Gemeinschaft den guten Ruf und die Ehre des Hauses zu stärken. Um diesem Dilemma konkurrierender Interessen zu entkommen, habe sich eine häusliche Arbeitsteilung angeboten, durch die sich der Hausvater von Tätigkeiten fernhalten konnte, die als unehrenhaft galten, indem er diese Aufgaben unfreien Stellvertretern überließ. Die ökonomischen Schriften sollten also auch als Rechtfertigungen dafür verstanden werden, warum man sich – auch im Interesse der gesamten Polis – um eine gewinnbringende Hauswirtschaft bemühte.

Hinsch hat eine beeindruckende Fülle an antikem Quellenmaterial und von Forschungsliteratur ausgewertet und ein in sich schlüssiges Bild der antiken Hauswirtschaft gezeichnet, das vielfach auf Angebote soziologischer und ökonomischer Theorien zurückgreift. Überlegungen allgemeiner Art zu den Auswirkungen von Statuskonkurrenzen, von wirtschaftlicher Diversifizierung, von Rationalisierung und Gewinnoptimierung einzubeziehen, ist Hinsch eindrucksvoll gelungen, auch wenn dies hin und wieder zu nicht unproblematischen Setzungen und Pauschalisierungen führt. Insgesamt bietet er aber eine gut fundierte Erklärung dafür, warum in der Antike die Hauswirtschaft die grundlegende Wirtschaftsform blieb, sie sich durch Ausdehnung auf weitere wirtschaftliche Bereiche und die Ausrichtung auf eine Verkehrswirtschaft neuen Gegebenheiten anpasste, die durch eine geschlechts-, alters- und statusspezifische Arbeitsteilung und Strategien einer Rationalisierung und Optimierung derart funktionsfähig gehalten wurde, dass die Transaktionskosten niedriger waren als eine Umstellung auf andere Wirtschaftsformen. Diese Pfadabhängigkeit habe zu einer zunehmenden strukturellen Komplexität des bestehenden Systems geführt und einen grundlegenden Wechsel zu einer funktionellen Ausdifferenzierung der Wirtschaft verhindert. Diese Einschätzung der antiken Hauswirtschaft untermauert Hinsch zusätzlich mit einem vergleichenden Blick auf die archaische Zeit, in der viele Grundstrukturen dieser Form des Wirtschaftens bereits angelegt waren, auf die hellenistische Zeit, die weiterhin bei der Hauswirtschaft blieb, auch wenn sich wichtige Parameter wie die vermögensrechtliche Stellung der Frau veränderten und sich im östlichen Mittelmeerraum neue Handlungsmöglichkeiten eröffneten, und schließlich auf die Zeit des späten Mittelalters in den italienischen Stadtrepubliken, in denen sich nun neue Formen der Verkehrswirtschaft in Gestalt personenunabhängiger Rechtsformen und eines Vertragsrechts mit nicht verwandten oder vom Haus abhängigen Personen ausbildeten, die neben die Hauswirtschaft traten.

Verwiesen sei aber auch auf die bereits für die Antike nachweisbaren Ansätze, die geeignet gewesen wären, neue Wirtschaftsformen auszubilden. Diese nimmt Hinsch zu wenig in den Blick. Dazu zählen beispielsweise Pachtverträge über das Einbringen der Ernte, wie sie in Catos De agricultura enthalten sind und sich auch für Griechenland durch Belege für epímortoi und ein tetrachízein nachweisen lassen. Auch Inschriften über die Versteigerung konfiszierten Vermögens belegen den Verkauf von Ernteerträgen. Mit Personen, die keinen (ausreichenden) Landbesitz hatten, wurden mündliche Verträge über einen Gesindedienst auf ein Jahr abgeschlossen, vergleichbar mit der locatio conductio operarum im Römischen. Und Freilassungsurkunden enthalten Belege für Sklaven, von deren Erträgen mehrere nichtverwandte Personen über ein eranos-Darlehen profitierten. Doch sind dies keine gewichtigen Gegenargumente gegen die Thesen von Hinsch, da auch diese Formen eng mit dem Haus verbunden blieben und die sich durchsetzende Sklaverei diese neuen Verkehrsformen gleichsam im Keim erstickten. Einzig der Zusammenschluss von naúkleroi, émporoi und Darlehensgebern im Fernhandel bildete eine Ausnahme, doch auch diese Wirtschaftsform wurde nicht auf andere risikoreiche und kostenintensive Produktionsformen übertragen. Bemerkenswert ist immerhin, dass bereits Solon mit dem sog. Vertragsgesetz eine Rechtsverbindlichkeit für Verträge unter nicht verwandten Personen sicherte, wie sie bei Verpachtungen öffentlichen Besitzes und in der Seefahrt erforderlich war. Doch dies sind nur einige wenige ergänzende Hinweise zu einer ansonsten überzeugenden und akribisch geführten Diskussion, die grundlegend für die historische Einordnung der antiken Wirtschaft ist.

Anmerkung:
1 Leider nicht herangezogen hat Hinsch die für die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung grundlegenden von Jochen Martin und Renate Zoepffel herausgegebenen Bände „Aufgaben, Rollen und Räume von Frau und Mann, 2 Bde. (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie 5,1–2; Kindheit Jugend Familie 3,1–2), Freiburg – München 1989, wobei die Studien von Michael Mitterauer und Martine Segalen (in Bd. 2, S. 819–914 und 915–936) grundlegende Bedingungen für eine solche geschlechtsspezifische Arbeitsteilung herausgearbeitet haben.

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