Cover
Titel
Bowling for Communism. Urban Ingenuity at the End of East Germany


Autor(en)
Demshuk, Andrew
Erschienen
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
$ 39.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wiebke Reinert, Institut für Urbane Entwicklungen, Universität Kassel

Bereits seit einer Weile haben sich DDR-Historiker:innen den Nuancen zwischen zentralistischer, staatlicher Planung, lokalen Akteurskonstellationen und deren „Eigensinn“ in der SED-Diktatur zugewandt.1 Städtische Themen scheinen sich für Studien zum Zusammenspiel dieser beiden „Kräftefelder“ besonders anzubieten. Hier setzt Andrew Demshuks aktuelles Buch an, in dem er sich "städtischem Eigensinn" und lokalen Praktiken der Widerständigkeit "amid catastrophic urban decay" widmet (so der Klappentext). Mit der Auswahl Leipzigs als Feld seiner Mikrostudie möchte Demshuk ausdrücklich "beyond Berlin" blicken (S. 10): Bisher, so seine Feststellung, sei weiterhin ein Bias in der historischen Forschung zu verzeichnen, die sich hauptsächlich der Hauptstadt der DDR widme. Dass dies nicht ganz stimmig ist und es durchaus Studien zu beispielsweise Schwedt, Eisenhüttenstadt, Hoyerswerda u.a.m. gibt, die hätten rezipiert werden können, sei zumindest vorsichtig angemerkt.2

Für Demshuk ist Leipzig eine "Dystopian Stage": Die zweitgrößte Stadt der DDR verdiene als Hauptstadt der Revolution von 1989 und angesichts des größten erhaltenen Bestands von Bauten aus der Kaiserzeit (und deren Verfall während vier Jahrzehnten sozialistischer Stadtentwicklung) besondere Aufmerksamkeit (ebd.). In fünf Kapiteln legt Demshuk dar, wie lokale Akteure aus Politik und Verwaltung, aus Kirchenkreisen und verfallenden Häusern, dazu beitrugen, Leipzig, "city almost beyond hope in 1989" (S. 16), zu retten. Das erste Kapitel, "Survival and Despair in Dystopia", hält, was der Titel verspricht: Die Darlegung der städtischen Realitäten im Leipzig der 1980er-Jahre ist durchzogen von "epic deterioration", "rotten urban fabric", "cement wastelands", "choking gloominess", "barely habitable conditions"; "catastrophic neglect" der alten Bausubstanz und die Priorisierung des industriellen Wohnungsbaus („Plattenbau tyranny“, S. 51) beraubten "whole districts of their architectural heart and so truncating their identities" (S. 37). Demshuk reflektiert Strukturen der Stadtentwicklung und zeigt auf, wie Leipziger:innen in Eigeninitiative und oftmals am Rande der Legalität das ihre versuchten, um verfallende Häuser und Kirchen in Stand zu setzen, wieder bewohnbar zu machen oder zu erhalten. Eine besondere Rolle spielen hier Schwarzwohnen und Schwarzbauten, die "quietly fostered social stability under a state too weak to get involved" (S. 49). Erhellend sind die ausführlichen Darstellungen von Netzwerken informeller Ökonomien, die im weiteren Verlauf der Erzählung weiter ausgeführt werden.

Kapitel zwei, "Urban Ingenuity in the System", schließt hier an, um den "städtischen Eigensinn" zu thematisieren. Demshuk betont und würdigt den Ideenreichtum und die Kreativität der Architekt:innen, "to save East German cities from high modernist mistakes" (S. 53). Vor dem Hintergrund der staatsverschuldeten "Verschandelung", Trostlosigkeit und dem Niedergang der Städte (dieser Tonalität bleibt das Buch durchweg treu) waren jene im Großen und Ganzen dem SED-Regime und Planungssystem zwar ausgeliefert, wussten sich und den Bewohner:innen der Städte im kleinen Maßstab jedoch durchaus zu helfen. Wichtig sei auch, so Demshuk, das Stereotyp korrupter, fahrlässiger und abgehalfterter Führungspersonen zu differenzieren (S. 55). Grundsätzlich hat die DDR-Forschung der letzten 20 Jahre dies ja durchaus bereits getan.

Die Zusammenstellung von Quellenzitaten und Ausschnitten aus von Demshuk mit Zeitzeug:innen geführten Interviews ist nicht immer ganz nachvollziehbar. Die Aussagen der damals an der "Rettung" Leipzigs Beteiligten – hauptsächlich Fachleute (Architekt:innen, Denkmalpfleger:innen und Politiker:innen) kommen hier zu Wort – werden nur sporadisch auch als Selbstdarstellung und biographische Narration kontextualisiert und gedeutet. Sie erscheinen für sich, als Dokumentation: Jene, die dabeigewesen sind, wissen, wie es gewesen ist. Dass die Dinge so einfach nicht liegen, hat die umfangreiche Forschung zu Erinnerungskulturen und Oral History eigentlich längst dargelegt.

Das sehr knappe dritte Kapitel dokumentiert die "Utopian Visions in 1988", als für Leipzigs Stadtzentrum ein internationaler Architekturwettbewerb ausgelobt wurde. Die Leitlinien dieses Wettbewerbs, Umgestaltung statt Neugestaltung (in diesem Sinne sich anschließend an das Leitbild der "Behutsamen Stadterneuerung"), deutet Demshuk als "calling for […] feelings rather than cold rationality" (S. 85).

Im vierten Kapitel schließlich geht es um "Urban Ingenuity Underground": den Leipziger „Bowlingtreff“, der inzwischen unter Denkmalschutz steht und dem das Buch seinen Titel verdankt. Bowling for Communism, so erläutert Demshuk, hieß in der offiziellen Version, dass Leipziger:innen hier konkret sozialistische Ideale und Erfolge in ihrer Realisierung sehen sollten "[B]eneath the catastrophic decrepitude of East Germany’s second-largest city, the people had a bowling palace where they could find joy and belonging in communism." (S. 96) Diese Geschichte ist freilich sehr eindrücklich: Wortwörtlich im unterirdisch gelegenen, ehemaligen Stromumformwerk entstand durch Eigeninitiative und „unter dem Radar“ der Regierung in Berlin ein Ort der Erholung und des Vergnügens, noch dazu für Bowling, eine als typisch US-amerikanisch bzw. „kapitalistisch“ lesbare Freizeitpraktik.

Das fünfte Kapitel widmet Demshuk dem Resumee seiner grundlegenden These, die mit "von Eigeninitiative zur Bürgerinitiative" (S. 170) pointiert formuliert ist. Die Erfahrungen, dass der Erhalt, die "Rettung" der Stadt nur durch lokale Eigeninitiative und halb-legale Netzwerke verschiedener Akteure möglich wurde, ließ die Stadt und ihren Verfall mehr werden als eine "Bühne": Sie waren in dieser Hinsicht impulsgebender Hintergrund, wenn nicht Auslöser der Friedlichen Revolution. Ein wenig mehr theoretische Rahmung für diese These wäre wünschenswert gewesen. Einordnungen in die globale Geschichte städtischen Protests gibt es nur als Randnotizen.

Benannt sei damit noch ein weiterer Kritikpunkt, vielleicht der wesentliche: In einem Interview mit dem Online-Radio-Sender "Radio GDR“ hat Demshuk eine Gefahr der Romantisierung reflektiert, als er den Hörer:innen das einstige Leipzig in seiner Erhabenheit (vor DDR-Zeiten), als "stolze Messestadt", als "schöne Stadt" beschrieb.3 Der sich durch das gesamte Buch ziehende Duktus von Grau(en), Monotonie, Ruinösem, der Gefahr des Verfalls von Intaktem und Identität – die mit dem Verfall der Stadt, dies wiederum recht unreflektiert, gleichgesetzt wird – in der Spätzeit der DDR zeichnet genau ein solch romantisches Bild. Ein Bild Schwarzer Romantik, einer Schauerromantik, die Gemäuer, Ruinen, "moldy pigeon-infested" (S. 61), und Verzweiflung braucht, um das Engagement der verschiedenen Akteure erst so richtig zum Strahlen zu bringen. Erst im letzten Kapitel merkt Demshuk an, was als eine Kernerkenntnis gelten kann: "Urban decay […] was instilling a sense of urgency that was helping to radicalize the revolution." (S. 162) Dessen eingedenk gehört zu dieser Dringlichkeit neben der städtischen Materialität (hier böten die Material Culture Studies gute Inspirationen) auch das Narrativ des Verfalls jener Zeit, das Demshuk hier eher reproduziert.

Das mag mit dem Ansinnen zusammenhängen, Akteure der "Rettung Leipzigs", ihren "Eigensinn" und ihre Eigeninitiative zu würdigen. Just die Bauten der Kaiserzeit für Leipzigs Bewohner:innen (generalisierend!) wiederholt als „identitätsstiftend“ zu bezeichnen, die grundsätzliche Idealisierung dieser Architektur und ihrer „Nachbarschaften“ reifiziert, wo eigentlich eine gewisse Skepsis gut täte. Auch wirkt es diesbezüglich bisweilen, als habe Demshuk zu wenig analytische Distanz zu den untersuchten Quellen und Interviewaussagen. Die (unbenommen sehr minutiös) rekonstruierten Winkel des Mikrokosmos "städtischen Eigensinns" sind in ihrem Eigenwert und ihrer Ausdeutung nicht immer nachvollziehbar. Dass Bergkletterer aus dem Erzgebirge Pastor Wilhelm Schlemmer beim Erhalt eines Kirchendachs halfen (den Turm erklommen und das Dach sicherten) (S. 38) und es bei der Eröffnung des Bowlingtreffs Kartoffelsuppe, Bratwurst und Bier gab (S. 132) wirken eher wie anekdotische Beigaben, als dass diese Informationen reflektierend gerahmt und kritisch interpretiert würden.

Gerade im Hinblick auf jüngere Bemühungen, Stadt- und Wissensproduktionen sowie Stadt- und Zeitgeschichte zusammenzudenken4, ist Demshuks Buch gleichwohl reich an anregenden Thesen und Befunden und zudem sprachlich ein Vergnügen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Lena Kuhl / Oliver Werner, Bezirke on Scale. Regional and Local Actors in East German ‚Democratic Centralism‘, in: Historical Social Research/Historische Sozialforschung 42 (2017), 2, S. 243–266; Christian Rau, Socialism from Below: Kommunalpolitik in the East German Dictatorship between Discourse and Practice, in: German History 36 (2017), 1, S. 60–77.
2 Etwa Felix Richter, Das Neue Hoyerswerda. Ideenhaushalt, Aufbau und Diskurs der zweiten sozialistischen Stadt der DDR, Berlin 2020; Christoph Bernhardt / Heinz Reif (Hrsg.), Sozialistische Städte zwischen Herrschaft und Selbstbehauptung. Kommunalpolitik, Stadtplanung und Alltag in der DDR, Stuttgart 2009; Philipp Springer, Verbaute Träume. Herrschaft, Stadtentwicklung und Lebensrealität in der sozialistischen Stadt Schwedt, Berlin 2006.
3 Author Interview with John Paul Kleiner and Andrew Demshuk, Radio GDR, 02.05.2021, https://radiogdr.com/bowling-for-communism-urban-ingenuity-at-the-end-of-east-germany-with-andrew-demshuk/ (10.09.2021).
4 Hanno Hochmuth / Paul Nolte (Hrsg.), Stadtgeschichte als Zeitgeschichte. Berlin im 20. Jahrhundert, Göttingen 2019; Themenschwerpunkt Städtisches Wissen, Moderne Stadtgeschichte 1 (2021).

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