H. Beck: Localism and the Ancient Greek City-State

Cover
Titel
Localism and the Ancient Greek City-State.


Autor(en)
Beck, Hans
Erschienen
Anzahl Seiten
XIV, 267 S.
Preis
$ 40.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Antje Kuhle, Althistorisches Seminar, Universität Göttingen

Die Monographie besteht aus 6 Kapiteln, in denen sich der Autor aus verschiedenen Perspektiven dem Phänomen des Lokalen annähert. 17 Abbildungen, eine Karte und ein zuverlässiger Index erleichtern die Benutzung des Bands. Die Publikation entstand im Rahmen des Projektes „The Parochial Polis Research Network“ an der McGill University.1

Mit der Studie ordnet sich Hans Beck (B.) in die aktuelle Diskussion über die Vernetzung der antiken Welt ein (xi–xii). Für ihn sind die Begriffe lokal und global keine Gegensätze, sondern das Lokale ist eine Spielart des Globalen. Beide können sich sowohl gegenseitig befruchten als auch abgrenzende Mechanismen auslösen. So sei nach B. eine Betonung des Lokalen als eine Antwort auf die vergrößerte und unübersichtlich gewordene Welt zu interpretieren (S. 40). Entsprechend hält er fest: „The present book can and should be read as a complement to ongoing conversations about connectedness and globalization, and the forces they wield over humans across time. Indeed, as a sociocultural phenomenon with its own historical depth, the globalization paradigm requires that the local enter the scholarly dialogue as a quantity in its own right. The claim that is raised here is therefore straightforward, if not simple: that we should take the local seriously“ (xi–xii). Der Begriff des Lokalen umfasst für B. diejenigen Orte, das Wissen und die Kommunikationsmöglichkeiten, die Menschen direkt und alltäglich miteinander teilen (S. 33).

In seiner Darstellung möchte sich B. auf Zentralgriechenland (S. 40) in der klassischen Zeit konzentrieren (xii–xiii, S. 40). Den zeitlichen Horizont überschreitet er an einigen Stellen zugunsten einer ausführlichen Darstellung der Vorgeschichte (z.B. S. 44–51). Wegen der Heterogenität der Quellen, zu denen neben literarischen Quellen und Inschriften auch archäologische Funde zählen, geht der Autor thematisch vor (S. 41).

Im ersten Kapitel „Localism and the Local in Ancient Greece“ (S. 1–42) findet eine begriffsgeschichtliche Einordnung statt. „Local“ werde laut B. vor allem verwendet, um das Verhältnis von kleinen und großen räumlichen Kontexten zu beschreiben, wobei das Lokale oft despektierlich behandelt werde (S. 1–2). Für die Erforschung der griechischen Antike sei der Begriff aber geeignet, da der Alltag von einer lokalen Perspektive und einer Face-to-Face-Gesellschaft geprägt war, wie B. ausführt (S. 31–33). Damit negiert er keineswegs, dass auch Mobilität ein Charakteristikum der griechischen Welt war. In den Quellen ist das Phänomen laut B. vor allem mit dem Wortfeld von epichōrios umschrieben (S. 29–30). Der Begriff werde gemeinsam mit anderen Herkunftsbezeichnungen verwendet, weshalb dieser eine räumliche Komponente und weniger eine politische, wie z.B. politai, habe. Demnach seien epichōrioi „active agents of an identity of place“ (S. 30).

„Place-identity“ identifiziert B. als zentralen Baustein der Selbstwahrnehmung, durch den gesellschaftliche Muster sichtbar gemacht werden können (S. 2–5). Ausgehend von Pindars Aussage „custom is the king of all“ (frg. 169a Race) leitet B. ab, dass Gesetze, Gebräuche und Vorstellungen einerseits für die Bewohner prägend waren. Andererseits wurden Eigenschaften einer sozialen Gruppe von der Herkunft und topographischen Bedingungen abgeleitet (S. 9–11). Am Beispiel der Stadt Phleius führt B. vor, wie Kultur und natürliche Umgebung interagieren und wie daraus Identität abgeleitet wurde (S. 11–18).

Im zweiten Kapitel „Attachment to the Land“ (S. 43–74) arbeitet B. heraus, dass Gründungsorte mit Bedeutung aufgeladen waren, sodass Städte nur sehr selten und meist unter Druck von außen umgesiedelt wurden (S. 44). In diesem Kontext widmet er sich der Autochthonie als einer Ausprägung der „place-identity“ (S. 53–61). B. führt aus, dass der Begriff zum einen erdgeboren bedeutet. Zum anderen legt er überzeugend dar, dass damit die Leistung der Heroen betont wurde, die das Land nutzbar gemacht hatten. Dieses verbanden die Bewohner in der Folge mit den Ressourcen und schrieben ihm immaterielle Werte zu. So seien laut B. die zahlreichen Grenzkonflikte zu erklären, die er als „complex negotiation of spatial attitudes within and between both cities“ (S. 61) bezeichnet. Der Verlust des eigenen Territoriums war für die Gemeinschaften ein traumatisches Erlebnis (S. 71–74). Die These hätte sich durch den Einbezug entsprechender Feste (z.B. das Fest für Hermes Charidotes auf Samos zu Ehren der Rückkehr nach zehnjährigem Exil, Plut. qu. Gr. 55) noch erhärten lassen.

Das dritte Kapitel „Senses and Sensation“ (S. 75–120) widmet B. den Sinnen als „language of cultural mapping“ (S. 78). Die griechische Kost umfasste lokale Produkte und Importwaren, wobei nach B. letztere in der alltäglichen Ernährung kaum vertreten waren (S. 84–87). Dagegen waren lokal typische Lebensmittel, deren Zubereitung und Präsentation prägend. Leider geht B. an dieser Stelle nicht auf die mögliche Bedeutung des Symposions ein.

Darauffolgend legt B. dar, wie durch handwerkliche Erzeugnisse oder Kleidung lokale Identität ausgedrückt wurde (S. 95–106). Schließlich hinterfragt er, welche Wirkung die Ausrichtung von, die Teilnahme an oder der Sieg in einem sportlichen Wettkampf für die Selbst- und Fremdwahrnehmung einer Polis haben konnte (S. 106–120). Dafür stellt er die panhellenischen Wettkämpfe den lokalen Sportereignissen gegenüber. Die Agone und deren Lobpreisung boten in hohem Maße die Möglichkeit lokale Identität zu vermitteln und zu festigen (S. 116–117).

Im vierten Kapitel „The Gods in Place“ (S. 121–160) erörtert B. die Beziehung von gesamtgriechischen und lokalen Traditionen am Beispiel Olympias (S. 125–128). Weihungen folgten einem „Panhellenic script“ und konnten gleichzeitig genutzt werden, um lokale Besonderheiten zu repräsentieren. Nachfolgend widmet er sich dem Konzept der Polis-Religion, das von Christiane Sourvinou-Inwood vertreten wurde, sich in der Vergangenheit aber wiederholt als nicht praktikabel erwiesen hat (S. 128–137 mit Belegen). Auch B. stellt fest, dass „polis religion and local religion signify different things” (S. 132) seien. Während die Polis-Religion eine Manifestation des Politischen sei, entspringe die lokale Religion den räumlichen Gegebenheiten. Er führt hierfür zunächst die Polis-Kalender an (S. 137–139), bevor er sich den chthonischen Gottheiten widmet (S. 139–150). Am Beispiel von Prozessionen führt er vor Augen, wie Rituale, Kleidung und topographische Besonderheiten in die Rituale eingeflochten wurden.

Schließlich befasst er sich mit der Ausbildung der jungen Männer (S. 150–160), die sich durch alle Kapitel zieht. Anhand des athenischen Ephebeneids (S. 153–156) und einer arkadischen Bronzeinschrift (S. 156–160) zeigt B., dass die Vermittlung lokaler Identität am Übergang zum Erwachsenwerden zentral war. Seiner These, dass es eine von der Polis organisierte Ausbildung junger Männer seit dem 6. Jh. gab (152), ist unbedingt zuzustimmen. Für eine weitere Beschäftigung mit dem Thema wäre es lohnenswert, auch die Ausbildung der jungen Mädchen in den Blick zu nehmen.

Im fünften Kapitel „Big Politics, through the Local Lens“ (S. 161–206) legt B. dar, welche Rolle die nähere Vergangenheit für die Identität einer Polis spielte. Die Interpretationshoheit über die Geschichte sollte der Polis obliegen. Belege dafür sind die zahlreichen lokalen Historiographien (S. 165–175), die oft stiefmütterlich behandelt werden. Indem er Herodot und lokale Geschichtsschreiber vergleicht, zeigt er, wie sich beide wechselseitig befruchten. Außerdem wird deutlich, dass in der lokalen Geschichtsschreibung verstärkt auf das Mittel der Verortung von Ereignissen zurückgegriffen wird. Nebenbei entlarvt er eine Tendenz in der Forschung: Bei inhaltlichen Abweichungen zwischen Herodot und lokalen Historiographen wird zumeist Herodot der Vorzug gegeben.

Am Beispiel dreier Varianten der Perserkriege (S. 181–189) führt er aus, wie das Kriegsgeschehen memoriert wurden und welche Bedeutung dabei der urbanen Topographie, lokalen Kultur und Landschaft zugewiesen wurde. Schließlich führt er an, dass die eigene Geschichte umgeschrieben werden könne (S. 189–206): Theben, das bei Herodot negativ dargestellt wird, interpretiere die eigenen Handlungen um, sodass sie als Akt der Befreiung angesehen wurden.

Im finalen Kapitel „Toward a Local History of Ancient Greece“ (S. 207–212) gibt der Autor einen Ausblick für künftige Forschung. Seiner Ansicht nach ist das Lokale eine Qualität für sich, die in Relation zum Globalen steht, aber nicht darauf reduziert werden darf. Das Quellenstudium hat ergeben, dass lokale Diskurse fast immer mitschwingen. Entsprechend ist sein Ergebnis genauso „straightforward“ wie die Hauptthese: „Classical Greek history is epichoric history“ (S. 210). Um seine Thesen noch zu untermauern, könnte eine diachrone Betrachtung angeschlossen werden, denn wie B. betont (S. 4), veränderte sich die politische Verfasstheit der Polis von der Archaik bis in die römische Zeit, während die Orte meist über die Jahrhunderte hinweg konstant blieben.

Insgesamt betrachtet, hat B. eine höchst verdienstvolle Arbeit geleistet. Es gelingt ihm, die Verbindung von Lokalem und Globalem stets im Blick zu behalten. Eine weitere Stärke liegt im Kenntnisreichtum des Autors, der seine Thesen mit zahlreichen Quellenbeispielen untermauert und dabei zeigt, wie wichtig die aufmerksame Lektüre und die Kontextualisierung von Quellen sind. Der sehr positive Eindruck der Studie wird nur dadurch getrübt, dass zwar eine Untersuchung von „Localism and The Ancient Greek City-State“ versprochen wird, es in der Darstellung aber nicht durchgängig gelingt, die Ebene des Lokalen zu erreichen. Bezugspunkt der Ausführungen bleibt teilweise die politische Einheit der Polis. Sehr hervorzuheben ist wiederum B.s Aufruf, althergebrachte Grundsätze in der Forschung zu hinterfragen. Zudem profitiert die Darstellung davon, dass B. immer wieder eine Anbindung an zeitgenössische Probleme vornimmt und somit nicht nur ein inhaltlich fruchtbares, sondern auch ein methodenkritisches Buch vorgelegt hat.

Anmerkung:
1 <http://www.hansbeck.org/local> (30.09.2021).

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