Die Lüneburger Medienwissenschaftler Werner Faulstich und Karin Knop haben ein Buch herausgegeben, das einem wichtigen Thema der Forschung und des Zeitgeistes auf der Spur ist. Popkultur ist in. Wir finden heutzutage – vor allem durch die allgegenwärtige und alldurchdringende Medialisierung – Phänomene der Populärkultur überall. Nahezu alle Bereiche der Gesellschaft werden dem Fokus der Unterhaltsamkeit unterworfen. In den Medien- und Sozialwissenschaften ist daher die Popkultur respektive Unterhaltungskultur seit mehr als zwanzig Jahren ein mehr oder minder substanziell fokussiertes und seriöses Thema.
Darauf weist Werner Faulstich zu Beginn seiner Einführung hin, in der er kokett ein dramatisches Forschungsmanko beklagt, welches dann mit Verweis auf bereits vorliegende Arbeiten konterkariert wird: „Wer hat schon Zeit und den Impetus, sich durch den ganzen Wust von schätzungsweise über 1.000 einschlägigen wissenschaftlichen Arbeiten zu kämpfen, um so den Stand der Forschung zur Kenntnis zu nehmen.“ (S. 7) Der Verweis auf drei „gute Sammelbände“ wird mit der Bemerkung entwertet, dass deren Akzente jedoch „einseitig und problematisch“(S. 7) seien.
Nach einem ausschnitthaften Streifzug durch Veröffentlichungen zum Thema widmet Faulstich sich dem eigentlichen Vorhaben, nämlich Perspektiven des Themas aufzuzeigen, eine eigene Positionsbestimmung vorzunehmen und eine „entscheidungsorientierte Verarbeitung und Aneignung von Forschung“ (S.8) zu leisten. Zunächst werden Ansätze referiert, die Unterhaltung als ein Merkmal von Produkten und Medienangeboten klassifizieren und kritisch bewerten. Die Frankfurter Schule (Adorno, Horkheimer) und Neil Postman werden hier exemplarisch herangezogen, mithin Klassiker, die Unterhaltung vor allem unter Aspekten der Kommerzialisierung und des Kulturverfalls betrachten. Unterhaltung fungiere in diesen Ansätzen als normative Kategorie mit dem Gegenpol Kunst und Information und sei dieser Auffassung nach „schlecht“. Ein zweiter referierter Ansatz sieht Unterhaltung vor allem als anthropologische Kategorie, in deren Zentrum der positive Begriff des „Spiels“ steht, der aber letztlich – so Faulstich – nur eine defensiv-legitimatorische Funktion habe. Unterhaltung werde in diesem Kontext quasi als naturgegeben und „gut“ angesehen. Eine dritte, ebenfalls kritisierte Gruppe nimmt auf Unterhaltung als Merkmal der Rezeption Bezug. Hinter dem undifferenzierten Verlangen, der Langeweile zu entkommen, verbirgt sich letztlich der „uses and gratifications“-Ansatz. Zu Recht verweist Faulstich resümierend darauf, dass all diese Ansätze interdisziplinär aufeinander bezogen werden müssen, um Fragen der Unterhaltungskultur schlüssig zu beantworten.
Der Distanzierung von diesen Ansätzen mag man theoretisch folgen. Die Operationalisierung seiner eigenen Gedanken geht aber nur wenig darüber hinaus: Faulstich entgegnet all diesen Ansätzen, dass Unterhaltung eine gesellschaftsbezogene Kategorie sei, die Produkte und ihre Rezeption in einem historischen Kontext in Beziehung setzt (S.12). Dem ist nicht zu widersprechen. Salopp gesagt: Unterhaltungskultur (Pop) ist keine Eigenschaft eines Produktes oder eines Angebots, sondern das, was die Leute damit machen. Das ist jedoch nicht wirklich neu und letztlich nicht weit vom „uses and gratifications“-Ansatz entfernt. Gleichwohl ist Werner Faulstich zuzustimmen, dass Unterhaltung keine normativ wertende Kategorie sein sollte und dass die verschiedenen Facetten der Einzelwissenschaften – im Sinne der Kulturwissenschaften als Integrationswissenschaften – zusammengeführt werden müssen. Dementsprechend wird Unterhaltung hier pragmatisch als „anstrengungslose Nutzung geschichtlich unterschiedlich formatierter Erlebnisangebote, um im je spezifischen kulturell-gesellschaftlichen Kontext disponible Zeit genüsslich auszufüllen“ (S. 14).
Werner Faulstich und Karin Knop legen nun eine Sammlung von 12 Beiträgen vor, die im Rahmen einer Ringvorlesung im Studiengang Angewandte Kulturwissenschaften der Universität Lüneburg gehalten wurden. So disparat, wie popkulturelle Phänomene allerorts in Erscheinung treten, so disparat sind auch diese Beiträge. Wir finden hier einen empirisch durchaus interessanten Mix zu Themenfeldern, die alle das Thema Unterhaltungskultur umkreisen. Da dies ein nahezu unendlich dehnbarer Begriff ist, dehnen sich auch die empirischen Stränge des Buches. Dirk Stegemann thematisiert detailreich anhand der Entstehung von Illustrierten die Historizität von Unterhaltung als Massenkultur, der Tourismuswissenschaftler Karlheinz Wöhler diagnostiziert Unterhaltungsfreizeit als relevante kulturelle Ressource, der Kulturgeograf Martin Pries erläutert beispielhaft anhand des Entertainment Centers von Baltimore (Maryland) soziale und kulturelle Folgen städtebaulicher Entwicklungen. Die Musikwissenschaftlerin Carola Schormann wendet sich noch einmal der historisch gewachsenen Unterscheidung der Begriffe U- und E-Musik zu, gefolgt von Filmwissenschaftler Walter Uka, der sich den Blockbustern widmet. Knut Hickethier fasst in gewohnt schlüssiger und systematisierender Weise den Charakter und die Formenvielfalt des Unterhaltungsmediums Fernsehen zusammen und fragt, ob das Fernsehen je etwas anderes als ein Unterhaltungsmedium sein konnte, Programmauftrag hin oder her. Hickethiers Ausführungen kommt in diesem Textverbund die Rolle eines Schlüsseltextes zu, da er seine Thesen nicht nur exemplarisch zu formulieren weiß.
Mitherausgeberin und Autorin Karin Knop referiert kenntnisreich und überblicksartig Grundsätze des Themenfeldes Fernsehen und Werbung. Dass dabei gerade eine „TV-Total“-Sendung des sogenannten „Degradationskomikers“ Stefan Raab als empirischer Beweis für Medien- respektive Werbeparodien (S.121f.) herhalten muss, mag naheliegend und trendy sein. Etwas mehr kritische Distanz wäre hier aber durchaus wünschenswert gewesen. Literaturhistorisch analysiert Jörn Stückrath die plattdeutsche Tiererzählung vom Wettlauf von „Hase und Swinegel“ bei Buxtehude, gefolgt von einer literaturwissenschaftlichen Gesamtschau (Emer O’Sullivan) zur unterhaltenden Kinderliteratur, die er – erwartungsgemäß – zwischen Erziehung und Unterhaltung angesiedelt sieht.
Eine theoriekritische Replik findet sich in der Auseinandersetzung mit Adornos „Kulturindustrie“ - Theorem. Jörn Glasenap diskutiert hier noch einmal grundsätzliche Positionen und plädiert angenehm deutlich für eine Zurückgewinnung der „Kernargumente“ Adornos, um einer rein deskriptiven Ästhetik etwas entgegenzusetzen. Nahezu im Widerspruch dazu stehend, stellt Pierangelo Maset hingegen die Frage nach der Funktionalität des Mainstream in der Kunst und des Diskurses darüber und konstatiert fast erfreut, dass die heutige Kunst durch Ökonomie und Säkularisierung zur Unterhaltung getrieben werde (S.189). Einen originellen Ausklang des Buches liefert Corinna Peil. Den Blick nach Japan gerichtet werden hier neueste Kommunikationstechnologien und deren kulturelle Auswirkungen vorgestellt. Das liest sich dann stellenweise wie ein Wirtschaftsreport, womit sich auf kuriose Art der Kreis schließt. Profan gesagt: Es geht ums Business, auch (und gerade) in der Unterhaltungskultur.
Werner Faulstichs interdisziplinäres Vorhaben bleibt in diesem Buch polydisziplinär. Wichtig und interessant ist das Buch vor allem insofern, als der Facettenreichtum der Unterhaltungskultur in seiner Historizität sowie in seiner gegenwärtigen Breite vor Augen geführt wird. Zuweilen wünscht man sich weiterführende Überlegungen, die den Fragen nachgehen, welche kulturellen Neuerungen und Verwerfungen das Diktum der Unterhaltungskultur mit sich bringt. So bleibt es eine provisorische Bestandsaufnahme, die exemplarisch zeigt, wie in den diversen Fachdisziplinen die Annäherung an diesen wichtigen Untersuchungsgegenstand erfolgt. Das eingangs verkündete Forschungsdesiderat vermag es aber nicht zu beseitigen.