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Title
Not Made by Slaves. Ethical Capitalism in the Age of Abolition


Author(s)
Everill, Bronwen
Published
Cambridge, MA 2020: Harvard University Press
Extent
318 S.
Price
€ 36,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Arno Sonderegger, Institut für Afrikawissenschaften, Universität Wien

Not made by Slaves behandelt die abolitionistischen Bemühungen ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert, zunächst den transatlantischen Sklavenhandel, dann auch die Sklaverei insgesamt zu bekämpfen. Dabei richtet Bronwen Everill ihr Augenmerk auf Gebiete beiderseits des Atlantischen Ozeans. Schon eingangs erklärt sie, sie beabsichtige insbesondere westafrikanische Entwicklungen in die Geschichte der Abolition im atlantischen Raum stärker einzuschreiben als in der gängigen (neueren) globalhistorischen Literatur bislang geschehen. Ihr Fokus liegt in dieser Hinsicht insbesondere, wenn auch nicht ausschließlich auf Sierra Leone. Zu den interessantesten Teilen des Buches gehören die auf reicher Quellengrundlage fußenden Ausführungen zu Unternehmen wie Macauley & Babington oder Brown, Benson & Ives, deren Inhaber bzw. Mitarbeiter sich über das lange 19. Jahrhundert hindurch Gedanken darüber machten, wie sie ihre profitorientierten, „kapitalistischen“ Geschäfte „ethisch“ und anständig gestalten könnten.

Das Buch ist in sieben nummerierte Kapitel gegliedert, die von einer Einleitung (S. 1–24) und einem kurzen Epilog (S. 238–245) gerahmt werden, gefolgt von einem Abkürzungsverzeichnis, dem Endnotenapparat, einer Danksagung und einem Index. Das erste Kapitel ist „Anxious Consumers“ überschrieben (S. 25–54), wodurch meines Erachtens prägnant die Ambivalenz von Sorge und Gier im abolitionistischen Diskurs zum Ausdruck gebracht wird, allerdings hat Everill in diesem Kapitel mehr die Verhältnisse im 18. Jahrhundert im Sinn, in denen Waren- und Menschenhandel an den westafrikanischen Küsten (wie in den Jahrhunderten zuvor) in Parallelität betrieben wurden. Dabei stellt sie die These von einer „atlantischen Konsumenten-Revolution“ in den Raum (S. 26, 53), die Erfahrungen produziert habe, die an allen Ecken und Enden des atlantischen Raumes „geteilt“ worden wären (S. 26, 37). Außerdem spricht sie den KonsumentInnen zu, schon damals die treibende Rolle in einem Prozess der fundamentalen „Umgestaltung der Handelsgeographie im 18. Jahrhundert“ eingenommen zu haben (S. 53). An beiden Behauptungen darf in ihrem Allgemeinheitsanspruch gezweifelt werden, sie werden auch durch die herangezogenen historischen Quellen nicht schlüssig belegt. Für die Autorin ist die Unterscheidung zwischen „free produce“ und „legitimate commerce“ von zentraler Bedeutung. Daraus entwickelt sie ihre Sicht auf jenen titelgebenden „ethischen Kapitalismus“, den sie im Lauf des langen 19. Jahrhunderts auf allen Seiten des Atlantiks – in Amerika, Europa und Afrika – heraufziehen sieht. Anhand dieser Unterscheidung glaubt sie die „abolitionistischen Argumente“ sinnvoll ordnen zu können. In Großbritannien und den USA verstand sich die Abolitionsbewegung bald als ein „free produce movement“, das Lohnarbeit mit freier Arbeit gleichsetzte – eine Gleichsetzung, die in der klassischen Ökonomie, wie sie seit Adam Smith (auf den Everill gerne verweist), zum Glaubenssatz gerann, aber höchst fragwürdig ist.

Das Bewusstsein hingegen, dass afrikanischen Partnern im internationalen Handel in irgendeiner Form Ersatz für den Ausfall des über Jahrhunderte üblichen Menschenhandels, der um 1807 von Großbritannien und den USA für illegal erklärt wurde, geleistet werden müsse, setzte sich zunächst unter jenen im Afrikahandel tätigen Unternehmern durch, die entweder tatsächlich mit abolitionistischer Gesinnung den Güter- und Produktwarenhandel praktizierten (wie etwa die Siedler und Händler im Kontrollbereich Sierra Leones ab 1787) oder infolge der Sklavenhandelsverbote nicht kriminalisiert werden wollten. In diesem Zusammenhang kam die Losung vom „legitimen Handel“ auf, die zu einem beherrschenden Schlagwort des anbrechenden 19. Jahrhundert wurde. Vor dem Hintergrund der einsetzenden Industrialisierung, die einen stärkeren Bedarf an tropischen Rohstoffen generierte, und der aufgrund neuer Technologie gesteigerten Warenproduktion, die nach größeren und neueren Absatzmärkten verlangte, sowie der zunehmend eingesetzten gewaltgestützten Drohgesten im Rahmen europäischer diplomatischer Missionen (Kanonenbootpolitik), hatte die forcierte Umgestaltung des Handels an den westafrikanischen Küsten durchaus Erfolg. Ob man hier tatsächlich eine breite westafrikanische „consumer society“ postulieren kann, die ein an Wirkkraft vergleichbar starker und treibender Faktor in der „Entwicklung des atlantischen Kapitalismus“ (S. 6) gewesen sein soll, ist mit Blick auf die Befunde der Forschung zur Sozialgeschichte Westafrikas zweifelhaft.

Im zweiten und dritten Kapitel behandelt Everill den Umgang mit den „Waren von zweifelhafter Moralität“ (S. 55–79) – wobei sie insbesondere Feuerwaffen und Spirituosen verhandelt – und geht auf die Etablierung und den Schutz von Markenzeichen ein, durch die den KundInnen versichert werden sollte, dass die von ihnen erworbenen Produkte nicht von Sklavenhand gefertigt wurden und nicht von Unternehmen stammten, die nach wie vor im Menschenhandel tätig waren (S. 80–107). Die daran anschließenden Kapitel drehen sich um ökonomische Transaktionspraxen – Kreditwesen (S. 108–139), Monopolbildung (S. 140–172) – in Verbindung mit den in Wandel begriffenen Machtverhältnissen. Dank ihnen gelang es mit Fortlauf des 19. Jahrhunderts die „free-trade language“ (S. 153) durchzusetzen und genuin afrikanische politökonomische Verhältnisse und soziokulturelle Vorstellungen von Recht und Rechtmäßigkeit mehr und mehr abzuwerten und als „unethisch“ zu brandmarken. Die bisher praktizierten Tributärbeziehungen mit afrikanischen Geschäftspartnern wurden in der Sprache des neuen Ökonomismus in Bestechlichkeit und Korruption umgedeutet (S. 152ff.). Das sechste Kapitel verdeutlicht, dass sich viele abolitionistisch gesinnte Unternehmer Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Fortsetzung der Sklaverei einigermaßen abgefunden hatten und bereit waren sie in jenen Regionen, die sie als „rückständig“ ansahen, zu tolerieren. Sie vertrösteten sich mit der Vorstellung, der „globale Kapitalismus“ würde – mit fortschreitender Zeit und Einflussdauer – schon noch alle Verhältnisse zum Besseren wenden (S. 173–203). Für problematisch befunden und reflektiert wurden nun Fragen des Protektionismus und des Freihandels sowie nach den Wechselwirkungen zwischen Heimatmärkten und jenen in der Fremde. Diese sind Gegenstand des siebten Kapitels (S. 204–237).

Leider führt der Epilog zu „globaler sozialer Verantwortlichkeit“ (S. 238ff.) die über das Buch hinweg behandelten Themenstränge, Argumente und Fallbeispiele nicht konzise zusammen. Die Einzelkapitel sind nur bedingt überzeugend ineinander verflochten, die Darstellung weist zahlreiche willkürlich anmutende Zeit- und Ortssprünge auf. Als roten Faden bemüht die Autorin zum einen Akteure und Geschichte einzelner Firmenunternehmen, die in den verschiedenen Kapiteln immer mal wieder auftreten, zum anderen bestimmte Deutungsangebote aus der ökonomischen Theorie, die ein zweites, allerdings ahistorisch universalisierendes Narrativ in Anschlag bringen. Everill scheint damit eine Verbindung von Struktur- und Akteursgeschichte stiften zu wollen, was, zumindest meinem Eindruck nach, nicht gelingt und zu keiner kohärenten Darstellung im Ganzen führt. Ihr Buch ist reich an Forschungsmaterial, doch die Aufbereitung und Interpretation des Wirtschaftswandels in Westafrika im 19. Jahrhundert lässt zu wünschen übrig. Everill schenkt den Schullehren der kapitalistischen Ökonomie recht unkritisch Vertrauen und folgt in ihrem Narrativ deren ahistorischer Tendenz. Frühere politik- und sozialgeschichtliche Forschungserkenntnisse (S. 8ff.) sowie kultur-, ideen- und religionsgeschichtliche Erklärungen (S. 27) des Abolitionismus und seiner Folgen in Westafrika weist sie als simplifizierend zurück, zeichnet sie allerdings nur karikaturhaft nach. Ihre wirtschaftsgeschichtliche Perspektive, die ihrerseits zu reduktiven verallgemeinernden Erklärungsmodi einlädt, scheint mir hinter manche Blickweisen zurückzufallen, von denen sich die Autorin abgrenzen möchte. Die Begriffe, die Everill zur Erklärung historischer Vorgänge nutzt, bezieht sie über weite Strecken aus dem Arsenal der klassischen Ökonomie und misst ihnen eine allzu klare Bedeutung und eine zeitlose Gültigkeit bei. Schon die titelgebende Rede vom „ethischen Kapitalismus im Zeitalter des Abolitionismus“ ist in dieser Hinsicht merkwürdig anachronistisch. Sie setzt hiermit als grundlegende (trans-)historische Realität voraus, was sich erst in den Ideen und Diskussionen abolitionistisch und anders gesinnter Akteure im 19. Jahrhundert langsam abzuzeichnen begann und historisch realisiert wurde. Dabei traten ethische Widersprüche und Ambivalenzen auf, die Everills Buch an vielen historischen Beispielen wunderbar illustriert. Doch eine befriedigende Erklärung für die sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Entwicklung in Westafrika im 19. Jahrhundert wird, entgegen der Suggestion, nicht geliefert. Dafür greift der gewählte wirtschaftshistorische Zugriff, welcher der Idee ökonomischer Gesetzmäßigkeiten eine außerhistorische Qualität zugesteht, zu kurz.

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