A. J. Duggan: Popes, Bishops, and the Progress of Canon Law

Cover
Titel
Popes, Bishops, and the Progress of Canon Law, c. 1120–1234. Edited and with an introduction by Travis R. Baker.


Autor(en)
Duggan, Anne J.
Reihe
Brepols Collected Essays in European Culture 6
Erschienen
Nottingham 2020: Brepols Publishers
Anzahl Seiten
506 S.
Preis
€ 135,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christof Rolker, Universität Konstanz

Der Band versammelt vierzehn Aufsätze von Anne J. Duggan, die zuerst in den Jahren 2003 bis 2018 an teils entlegenen Stellen erschienen sind. Erfreulicherweise sind diese Studien methodisch und thematisch sehr viel kohärenter, als man es von Sammelbänden dieser Art gewohnt ist. Alle Aufsätze sind neu gesetzt und formal vereinheitlicht, was die Lektüre angenehm macht; der Seitenumbruch der Erstveröffentlichung geht dabei leider verloren. Das spürt man auch dann, wenn man Querverweisen innerhalb des Bandes nachgehen will, denn die Fußnoten zitieren immer nach den Seitenzahlen der Erstveröffentlichungen, so dass man manchmal etwas länger blättern muss, um einem Hinweis Duggans auf die eigenen Vorarbeiten nachzugehen.

Das Register ist leider ausgesprochen unvollständig. Nicht nur werden keine modernen Autoren erfasst (bedauerlich angesichts der pointierten Auseinandersetzung Duggans mit der älteren wie auch sehr aktueller Forschung), die Einträge sind auch sehr unvollständig: Alexander III. wird z.B. laut Register nach Seite 313 nicht mehr erwähnt (siehe aber S. 316, 322, 324, 328, 330, 333, 334 usw.). Um Responsien geht es Duggan laut Register nur an einer Stelle, tatsächlich natürlich in eigentlich jedem der vierzehn Aufsätze. Viele Sammlungen sind schlecht, manche wie die Caesaraugustana gar nicht erfasst. Dekretalen sind (jeweils mit ihrem Incipit) noch unvollständiger als Päpste ins Register aufgenommen; z.B. wird der von Duggan (S. 334) als besonders wichtig bezeichnete Brief Meminimus nos (JL 13917) gar nicht erfasst und das mehrfach diskutierte Schreiben Super eo quod (JL 8274) nur sehr unvollständig. Das letzte Kapitel scheint vom Register besonders schlecht erfasst, hier werden u.a. Bartholomäus von Exeter, Eugen III., Gerald von Wales, Gratian, Hadrian IV., Leo IX. und vor allem Øystein Erlendsson übersehen. Weniger Einträge bei größerer Vollständigkeit hätten das Register zu einem nützlichen Instrument machen können.

Wichtiger aber ist die Frage, worum es inhaltlich geht: Alle Aufsätze behandeln die Entwicklung des kirchlichen Rechts im 12. und frühen 13. Jahrhundert. In dieser Zeit etablierten sich Institutionen und Praktiken, wie sie für das restliche Mittelalter und bis weit in die Neuzeit prägend sein sollten – an der Kurie, an den Universitäten und in partibus. Diese Entwicklungen gehen keineswegs nur den rechtshistorisch interessierten Spezialisten etwas an, sondern sind in den Geschichtswissenschaften immer wieder als eine sowohl kirchen- als auch allgemeinhistorisch besonders wichtige Erscheinung behandelt worden. Im englischsprachigen Raum wird dies vor allem unter dem Stichwort „papal monarchy“ verhandelt, deutschsprachige Mediävisten haben bis heute den Titel von Caspars Papstgeschichte im Ohr („… bis zur Höhe der Weltherrschaft“).

In der Tat geht es bei Duggans vorbildlich quellennahen Analysen letztlich immer auch um die Frage, welchen Anteil welche Akteure an der Entwicklung des spätmittelalterlichen Rechtssystems und damit eines zentralen Merkmals der westlichen Kirche hatten. Immer wieder nimmt sie einzelne Themen (insbesondere des Eherechts) oder die Textgeschichte einzelner Dekretalen in den Blick, um den Vorgang nachzuvollziehen, wie eine Anfrage in Rom erst zu einem päpstlichen Antwortschreiben führte, das dann zu universellem Kirchenrecht wurde – oder eben auch nicht bzw. in anderer Fassung, als es die Kurie verlassen hatte. An dieser Stelle kommen die sogenannten Dekretalensammlungen und ihre Kompilatoren ins Spiel, und hier zeigt sich Duggans jahrzehntelange Erfahrung mit dieser mitunter sperrigen Quellengattung glänzend.

Bei aller Nuancierung, die Duggans Studien aufweisen, werden die großen Linien doch immer wieder deutlich. Anders als viele eher ideengeschichtlich ausgerichtete Historiker (Walter Ullmann, Colin Morris) und Juristen (Harold Berman) ist Duggan zurückhaltend darin, den Päpsten selbst eine allzu aktive Rolle oder planmäßiges Handeln zuzuschreiben, und weist auch die Deutung zurück, der Aufstieg der „Juristenpäpste“ und von ihnen kontrollierter zentraler Institutionen sei (nur) zu Lasten der Bischöfe Lateineuropas gegangen. Sie argumentiert hier mit der wichtigen Rolle, die Bischöfe und ihre rechtlich versierten Berater im Rahmen ihrer Anfragen (und Appellationen) nach Rom, aber auch bei der Rezeption päpstlichen Rechts spielten. Mehrfach betont sie, wie stark Päpste auf die ihnen berichteten Details einzelner Fälle reagierten und wie komplex der Prozess war, der aus ihren Antwortschreiben „Recht“ werden ließ.

Die Rechtsmaterie, die Duggan am häufigsten als Beispiel dient, ist das Eherecht. Bekanntlich war für das Zustandekommen einer gültigen Ehe nach kirchlichem Recht vor allem der Konsens der Nuptienten wichtig, während es (bis zum Konzil von Trient) kaum Formvorschriften gab. Das war, aus juristischer Sicht, ein mittlerer Alptraum, da die Beweisbarkeit von „Konsens“ immer schwierig war, erst recht aber, sobald sich die oft einzigen Zeugen (eben die Nuptienten) uneinig waren, ob oder ob nicht sie einer Ehe zugestimmt hatten. Wie war mit Paaren umzugehen, von denen nur ein Teil meinte, mit dem anderen verheiratet zu sein, während der andere dies bestritt, keine genauen Aussagen machen wollte oder sich nicht erinnern konnte? Welchen Status hatten Kinder aus solchen (Nicht-)Ehen, wie waren Ehen, Eheversprechen oder nichteheliche sexuelle Beziehungen des einen oder anderen Vielleicht-Ehepartners zu beurteilen? Tausende von Einträgen in jedem erhaltenen Offizialatsregister zeigen, dass die kirchliche Ehelehre eine solide Grundlage für zahllose, oft unerfreulich verlaufende und meist ohne Urteil endende Gerichtsprozesse gelegt hatte.

Wie Duggan vor allem für Alexander III. zeigt, waren auch „Juristenpäpste“ einigermaßen hilflos, wenn es um die ihnen wohlbekannten Widersprüchlichkeiten und Probleme der kirchlichen Ehelehre ging; sie sprachen von „unerfreulichen“ und „skandalösen“ Folgen, griffen aber tendenziell zu ad hoc-Lösungen: Verstöße gegen geltendes Recht wurden per Dispens geheilt, Parteien und Gerichte zu möglichst diskretem Vorgehen gemahnt, Ausnahmetatbestände gesucht und gefunden, und Kompromissformeln überdeckten vorhandene dogmatische Widersprüche. Es ist nicht ganz unmöglich, dass Alexander III. eine konsistente Ehelehre entwickelt hatte (wie es die ältere Forschung zu wissen glaubte), aber aus seinen erhaltenen Schreiben kann diese kaum ermittelt werden – und für Duggan ist klar, dass man in diesem Fall lieber das Konzept einer „Ehelehre“ aufgeben sollte, anstatt die erhaltenen Quellen mehr oder minder gewaltsam so zu deuten (und zu datieren), dass sie einer bestimmten Doktrin wenigstens nicht widersprechen. Vom Bild des „Juristenpapstes“ der „das Recht“ nach seinen Vorstellungen prägte, bleibt dann wenig übrig.

Der Wiederabdruck von Duggans Studien ist ein willkommener Anlass, diese teils sehr allgemeinen, teils sehr speziellen Fragen kennen zu lernen oder wieder zu entdecken. Die Aufsätze zeichnen sich durch klare Argumentation, eine hohe Dichte von Belegen aus den (oft ungedruckten) Quellen und eine gründliche, mitunter scharf formulierte Auseinandersetzung mit der vorhandenen Forschungsliteratur. Ein gutes Register hätte den Wiederabdruck abgerundet, aber auch für sich genommen sind Duggans Aufsätze für Historikerinnen und Historiker eine gewinnbringende Lektüre.

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