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Titel
Parteiauftrag: Städtepartnerschaft. Kommunalpartnerschaften zwischen Polen und der DDR und ihre Transformation nach 1989


Autor(en)
Pieper, Markus
Reihe
Interdisciplinary Polish Studies (8)
Erschienen
Berlin 2020: epubli GmbH
Anzahl Seiten
496 S.
Preis
€ 42,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Logemann, Gedenkstätte Buchenwald

Polen ist nach Frankreich jenes Land, zu dem die Bundesrepublik Deutschland die meisten Kommunal- und Städtepartnerschaften pflegt – nämlich knapp über 1.000 (zu Frankreich sind es ca. 2.300). In Polen wiederum führt Deutschland diese Statistik mit weitem Abstand an – gefolgt von der Ukraine (knapp 450 Partnerschaften). Bereits zwischen der Volksrepublik Polen und der DDR ergab sich ein ähnliches Bild überaus breiter ostdeutsch-polnischer Beziehungen. Auch wenn formal beiderseits der Oder-Neiße-Grenze Parteipartnerschaften mit der kommunistischen Partei in der Sowjetunion häufiger waren, so war doch der ostdeutsch-polnische Austausch auf kommunaler Ebene am intensivsten.

Vor diesem Hintergrund geht Markus Pieper der Frage nach den Voraussetzungen, der Bedeutung, den Brüchen und Kontinuitäten der Partei- und Kommunalpartnerschaften zwischen Volkspolen und der DDR vergleichend nach. In einem Ausblick schaut er zudem auf die Zeit nach den Systemtransformationen von 1989/90. In der Buchreihe des Zentrums für Interdisziplinäre Polenstudien in Frankfurt/Oder veröffentlicht, kennzeichnen zwei Merkmale die nun vorgelegte Dissertation. Zum einen ist der Zugriff auf den Text durch klare und gut lesbare Sprache, die sinnvolle Gewichtung von Informationen, übersichtliche Zwischenfazits und die polnischsprachige Zusammenfassung leserorientiert. Zum anderen ist Piepers Freude am Thema durchgehend erkennbar: Seine Sorgfalt und Quellenkenntnis auf staatlicher und regionaler Ebene in beiden Staaten, sein Gefühl für Wichtiges und Anekdotisches sowie treffende Analysen staatssozialistischer Politik und Gesellschaften vermitteln ein dichtes und belastbares Bild von den Errungenschaften und Untiefen der ostdeutsch-polnischen Partnerschaften.

Pieper baut das Buch chronologisch auf, wobei er der Städtepartnerschaft zwischen Dresden und Wrocław als Regionalbeispiel besondere Beachtung schenkt. Schnell wird deutlich, dass es sich innerhalb der staatsozialistischen Systeme nicht um Städtepartnerschaften im heutigen Sinne handelte. Vielmehr waren diese in Kommunalpartnerschaften zwischen Bezirken und Woiwodschaften eingebunden. Kommunalpartnerschaften wiederum beruhten auf Partnerschaften der kommunistischen Parteien, die beiderseits der Grenze von zentralen Instanzen der Parteidiktaturen gelenkt und kontrolliert wurden.

Fußend auf ideologisch verordneten freundschaftlichen Beziehungen erfolgten in den 1950er-Jahren erste Kontaktaufnahmen, die zunächst zu Parteipartnerschaften und später zu Kommunalpartnerschaften führten. Die anfangs noch unstetigen Strukturen wurden zunehmend unter die Kontrolle der Parteien gebracht und planmäßig entlang bilateraler Festlegungen ausgebaut, was Pieper als „bürokratischen Internationalismus“ charakterisiert (S. 128). Bis in die 1970er-Jahre hinein kann zumindest für die ostdeutsch-polnischen Grenzregionen von einem verhältnismäßig dichten Netz des Austauschs von offiziellen Delegationen ausgegangen werden. Allerdings belastete die deutsch-polnische Geschichte die Partnerschaften. Trotz der offiziellen Freundschaftspropaganda bestimmten Misstrauen und Voreingenommenheit die Kontakte. Pieper weist nach, dass seitens der DDR-Teilnehmer:innen neben unverhohlener ideologischer Kritik an polnischen Genoss:innen teilweise auch ein belehrender und überheblicher Ton angeschlagen wurde – so kritisierten Beobachter:innen einer Tanzveranstaltung beispielsweise die „Körperverrenkungen aus dem Westen“ der polnischen Tänzer:innen (S. 95).

Erst die Öffnung der ostdeutsch-polnischen Grenze für den pass- und visafreien Reiseverkehr 1972 gab den Partnerschaften einen entscheidenden Schub. Deren Ausbau erfolgte rasch und auf breiter Basis: Feste Formate wie Kulturtage wurden etabliert, auch Medien berichteten regelmäßig. Eine tiefe Zäsur bedeutete die polnische Gebietsreform 1975, die eine Neustrukturierung aber nachfolgend auch eine Stabilisierung nach sich zog. Pieper betont, dass trotz des andauernden „Sendungsbewusstseins“ seitens der DDR-Partner (S. 150) in den 1970er-Jahren auch die Grundlage für persönliche Kontakte und Freundschaften gelegt wurde. Erstmals lässt sich beobachten, wie staatssozialistisch gelenkte Kontakte eine breite Verästelung erfuhren und auf die Lebenswelten der Partner einwirkten. Gerade die Kommunalpartnerschaften erfolgten pragmatisch und unideologisch: In Wrocław wurden wegen der vielen ostdeutschen Reisenden gar die Fleischzuteilungen in Lebensmittelgeschäften und Gastronomie erhöht, um Erscheinungen der Mangelwirtschaft abzumildern.

Ebenso wie die Grenzöffnung charakterisiert Pieper auch die Entstehung der Gewerkschaft Solidarność als entscheidenden politischen Wendepunkt der Partnerschaften. Die DDR nutzte Parteipartnerschaften, um Einfluss auf die Geschehnisse in Volkspolen zu erlangen und die polnische Opposition zu bekämpfen. Kommunalpartnerschaften wurden weitgehend unterbrochen und die Beziehungen erkalteten. Als besonders einschneidend wertet Pieper die Informationspflicht der DDR-Teilnehmer über Besuche im Nachbarland und die flächendeckende Aktivierung der Staatssicherheit, die partnerschaftliche Beziehungen operativ ausnutzte. Angesichts der offensichtlichen operativen Funktion der Partnerschaften und der zunehmenden „Verbonzung“ (S. 230), da die meisten Partnerschaften nur noch durch Parteisoldaten und (inoffizielle) Mitarbeiter der Stasi gepflegt bzw. kontrolliert wurden, sei die Propaganda von zwischenstaatlicher Freundschaft zur Maskerade geraten.

Ab 1983 – parallel zur Aufhebung des 1981 zur Bekämpfung der Opposition in Volkspolen verhängten Kriegsrechts – erfolgte eine vorsichtige, aber umfangreiche Wiederannäherung. Wenn auch die politische Wachsamkeit seitens der DDR kaum nachließ, erlangten bilaterale Abmachungen einige Bedeutung. Pieper zeigt u.a., dass der Kinder, Jugend- und Studentenaustausch ebenso wie organisierter Urlauberaustausch als Reisemöglichkeit und Kontaktraum stabilisierend wirkten und gleichzeitig staatlicherseits durch koordinierte Arbeitseinsätze ausgenutzt wurden. Als einleuchtendes Beispiel der Nähe von Freizeitvergnügen und Propaganda zitiert Pieper aus einem Sprachführer für Teilnehmer:innen von Ferienlagern: Neben „Lagerfeuer“ und „Nachtruhe“, fanden sich dort auch die Übersetzungen für „Wohnungsbauprogramm“ und „Ich werde Offizier“. Pieper belegt zudem, dass Partnerschaften halfen, die zunehmende Dysfunktionalität des Staatssozialismus abzufedern. So tauschten Warenhäuser zum Beispiel untereinander Konsumgüter, die im jeweiligen Nachbarland Mangelware darstellten.

Die Systemumbrüche 1989 änderten fast alle Determinanten der bisherigen Partnerschaften. Nun selbstverwaltete Städte befreiten sich aus der Kontrolle der Partei und konnten erstmals Städtepartnerschaften gründen, die dem liberal-demokratischen Verständnis entsprachen. Hier ergaben sich viele Kontinuitäten, wobei offenbar bestehende Kontakte und Freundschaften durchaus zum Wiederaufbau von deutsch-polnischen Städtepartnerschaften nach 1989 beitrugen. Die staatssozialistische Freundschaftspropaganda endete und vielerorts wurden Dialoge zur belasteten Geschichte beider Länder initiiert. Zurecht folgert Pieper, dass vor 1989 von „sozialistischen Partnerschaften“ (S. 375) gesprochen werden muss, um auf die Unterschiede zu demokratisch verfassten Partnerschaften zu verweisen.

Im Staatssozialismus waren Partei- und Kommunalpartnerschaften in erster Linie ein Abbild der gesamtstaatlichen Beziehungen und politische Entscheidungen und Umbrüche beeinflussten sie entscheidend. Die Gesellschaften Volkspolens und der DDR waren die längste Zeit des Bestehens des Staatssozialismus voneinander abgegrenzt und selbst wenn sich persönliche Beziehungen etablierten, wurden diese streng reglementiert und überwacht. Dennoch – so streicht Pieper heraus – schufen die staatssozialistischen Partnerschaften Kontakträume und brachten die Menschen in DDR und Volkspolen einander nachhaltig näher.

Piepers Buch erbringt den Nachweis, dass die Partei- und Kommunalpartnerschaften zwischen DDR und Volkspolen bei aller Lenkung und Kontrolle reich an Facetten waren. Für den Untersuchungsgegenstand liefert Pieper grundlegende Ergebnisse, die darüber hinaus auch Aufschluss über die ostdeutsch-polnischen Beziehungen und die Verfasstheit staatssozialistischer Systeme insgesamt geben. Dennoch bleibt zur Studie festzuhalten: Kenner:innen der Materie werden am Ende nicht von den Ergebnissen überrascht sein, wenn sie auch viele neue Details erfahren. Laien wiederum werden nicht zu Piepers Buch greifen, um sich ins Thema ostdeutsch-polnischer Beziehungen einzulesen. Das Buch kann – auch aufgrund des von Pieper kompetent reflektierten Forschungsstandes – als Beitrag zu einer deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte zwar durchaus überzeugen, es setzt jedoch kaum Reizpunkte zu einer Debatte außerhalb der Nische.

Piepers Ziel ist ein „Vergleich der Kommunalpartnerschaftspolitik Polens und der DDR“ (S. 23), doch dieser Ansatz läuft letztlich ein wenig ins Leere. Instruktiver wäre ein Vergleich von zwei unterschiedlichen Partnerregionen gewesen – entweder der Partnerschaft zwischen Dresden und Wrocław mit einer weiteren ostdeutsch-polnischen Partnerschaft oder gar ein Vergleich ostdeutsch-polnischer Partnerschaften mit etwa bundesdeutsch-polnischen. Der bei Pieper angelegte Ausblick auf die Zeit nach 1989 weist auf den Mehrwert vergleichender Ansätze hin. So liegt zumindest ein weiterer Wert der Studie darin, dass künftige Forschende genug Ausgangspunkte zum Weiterdenken finden werden.

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