J. Ulbert u.a. (Hrsg.): La fonction consulaire

Cover
Titel
La fonction consulaire à l'époque moderne. L'Affirmation d'une institution économique et politique (1500-1700)


Herausgeber
Ulbert, Jörg; Le Bouedec, Gérard
Anzahl Seiten
428 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Externbrink, Deutsches Historisches Institut Rom/Istituto Storico Germanico di Roma

Der hier anzuzeigende Band, hervorgegangen aus einer Tagung des Forschungsverbundes „Historie et Sciences sociales du Littoral et de la Mer“ an der Universität Bretagne-Sud/Lorient, ist der Entstehung und Verfestigung einer Trägerinstitution in den Außenbeziehungen zwischen Akteuren gewidmet: Dem Amt des Konsuls in der Frühen Neuzeit. Der Konsul war und ist kein Diplomat im „klassischen“ Verständnis, denn sein Zuständigkeitsbereich betrifft in erster Linie Fragen des Handels. Einleitend skizziert Jörg Ulbert die Herkunft des Amtes. Der aus dem römischen Staatsrecht übernommene Begriff diente vor allem im Mittelalter zur Benennung von Amtsträgern (vor allem Richter) innerhalb der Selbstverwaltung von Stadtrepubliken. Sonderformen dieses Amtes bezogen sich auf den Seehandel, z.B. auf die Regelung von Streitfragen. Der hier interessierende Konsul ist jener, der außerhalb des Herrschaftsbereichs die Interessen seiner Landsleute vor allem in Handels- und Rechtsfragen vertrat, Angelegenheiten, die auf den ersten Blick unterhalb der „Haupt- und Staatsaktionen“ angesiedelt sind.

Das frühneuzeitliche Konsularwesen bildete sich seit dem Spätmittelalter vor allem im Mittelmeerraum aus. Federführend bei der Etablierung von „Konsuln“ waren die großen italienischen Seehandelsrepubliken Genua und Venedig. Zwei Hauptaufgaben hatten die Konsuln in der Frühen Neuzeit zu erfüllen: Erstens die Leitung der „Gemeinde“ der in der betreffenden Stadt ansässigen Angehörigen seiner „Nation“ (d.h. die Gemeinschaft der dort ansässigen Händler), in der er als Richter, als Verwalter eines gemeinsamen Budgets, aber auch als deren Interessensvertreter gegenüber den örtlichen Herrschaften fungierte. Die zweite Aufgabe erklärt zugleich, warum die Konsuln den entstehenden Außenministerien unterstellt wurden: Sie mussten ihr Heimatland mit Berichten und Nachrichten versorgen, übernahmen damit auch eine genuin „diplomatische“ Aufgabe, die der Informationssammlung. Géraud Poumarède zeigt in seinem Streifzug durch die Literatur des Völkerrechts die Ambivalenz der Institution, die hier vor allem in den Kontext der Handelsbeziehungen gestellt wird. Den Konsuln bestritt man lange den Charakter eines „Ministre public“ (bes. bei Wicquefort, Vattel), gestand ihnen diesen dann aber seit dem Ende des 18. Jahrhunderts doch zu (S. 27-30). Endgültig geklärt wurden grundsätzliche Fragen zur Rechtsstellung der Konsuln im Völkerrecht erst 1963 (Wiener Vertrag über konsularische Beziehungen, S. 10-16). Doch veritable Repräsentanten und Vertreter ihrer Souveräne waren sie nie (vgl. den Beitrag Poumarède, S. 25ff.), allenfalls „acteurs secondaires“ (Anne Mézin, S. 43).

Die Erforschung des Konsularwesens war lange Zeit eine Domäne der Juristen. Der Gegenstand bietet aber eine große Bandbreite für unterschiedliche Fragestellungen und Disziplinen: Orientalisten ziehen die Berichte der Konsuln im Mittelmeerraum für ihre Studien zur islamischen Welt heran, Sozial- und Wirtschaftshistoriker interessieren sich für die handelspolitischen Aspekte der Tätigkeit der Konsuln und zuletzt wurden sie auch als interkulturelle Vermittler in den Blick genommen (S. 18ff., 34ff., zu den Forschungsperspektiven siehe auch die Anmerkungen Burghart Schmidts, S. 217-223).

Der Band ist in zwei Teile gegliedert: Im ersten, „Les services consulaires à l’époque moderne: définition, état des connaissances et perspectives de recherche“, ergänzt G. Poumarède (Le consul dans les dictionnaires et le droit de gens) die einleitenden Bemerkungen zur Begrifflichkeit durch einen Blick in die zeitgenössischen Lexika (Richelet, Furetière). A. Mézin gibt einen Überblick über die Entwicklung des französischen Konsulats im Ancien Régime (La fonction consulaire dans la France d’Ancien Régime). Bemerkenswert ist an der Entwicklung der Institution, dass mit der Ordonnance von 1675 Colbert die Abschaffung der Käuflichkeit des Konsulates durchsetzte, der Konsul war fortan kein Amtsträger (officier) mehr, sondern ein Kommissar (S. 38ff.). Jérôme Cras stellt die in Nantes archivierten Akten der Konsulate vor, die einen Einblick in das Leben der französischen Gemeinden im Ausland geben (Les actes de chancellerie consulaire sous l’Ancien Régime). Den „drogmans“, d.h. den Übersetzern und Vermittlern zwischen den Kulturen, der französischen Konsulate in der Levante ist der Beitrag von Antoine Gautier gewidmet (Les drogmans des consulats). Die Begründung einer französischen „Nation“ in Hamburg gegen Ende des 18. Jahrhunderts untersucht Pascal Even (La création d’une ‚nation française’ à Hambourg à la fin de l’Ancien Régime). Die Bezahlung der Konsuln in Algerien, die über die „Handelskammer“ von Marseille abgewickelt wurde, rekonstruiert Patrick Boulanger (Les appointements des consuls de France à Alger au XVIIIe siècle, mit einem instruktiven Anhang zu den Amtsinhabern und der Entwicklung der Gehälter in den einzelnen Hafen der Levante – die bestbezahlten Posten waren um 1779 Smyrna, Kairo und Alger). Zwei Fallstudien runden diesen umfassenden Einblick in das französische Konsularwesen im Ancien Régime ab: Marc Bélissa analysiert den Aufbau französischer Konsulate in den Vereinigten Staaten von Amerika, der noch während des Unabhängigkeitskrieges einsetzte (Les consuls français aux États-Unis et les premiers temps des relations franco-américaines, 1778-1792). Recht schnell wurde ein dichtes Netz von Konsulaten geschaffen. Im Vergleich zu ihren Kollegen in Europa waren die französischen Konsuln in Amerika weit mehr mit politischen Fragen beschäftigt (vor allem in der Anfangsphase des Krieges), bevor dann Handelsinteressen in den Vordergrund rückten. Sie scheiterten aber bei dem Versuch, die Amerikaner dazu zu bewegen, bevorzugt französische Waren zu importieren. Amaury Faivre d’Arcier schildert das Schicksal des konsularischen Dienstes in der Levante im Übergang vom Ancien Régime zur Revolution (Le service consulaire à la fin du XVIIIe siècle et son évolution sous la Révolution). Er betont die relative Kontinuität in der Politik und im Personal während des Umbruchs, den großen Einschnitt aber stellt der Zusammenbruch des französischen Mittelmeerhandels seit 1793 dar.

Teil zwei „La fonction consulaire dans le monde“ enthält Fallstudien zu den Konsuln und konsularischen Beziehungen anderer europäischer Staaten. Pierrick Pourchasse vergleicht die französische Konsulatspolitik im Baltikum und in Skandinavien mit der Schwedens und Dänemarks: Während letztere Konsulate überall in Europa etablierten, um Handelsbeziehungen aufzubauen bzw. zu fördern, fehlte dieser Wille in Frankreich. Dort, wo man keinen Handel trieb, gab es keine Konsulate und es wurden auch keine eingerichtet (S. 209). B. Schmidt bietet eine Einführung in die Beziehungen zwischen den Hansestädten und Frankreich in der Frühen Neuzeit (Les relations consulaires entre les villes hanséatiques et la France), sowohl im Hinblick auf Themen der Forschung als auch auf die Grundlinien ihrer Beziehungen bis in das 20. Jahrhundert, als die Dichter Paul Claudel und Saint-John Perse (Alexis Léger) als Konsuln in Hamburg residierten. Nicht die Perspektive der Konsuln, sondern der aufnehmenden Stadt, hier Cadiz’ im 18. Jahrhundert, nimmt Manuel Bustos Rodriguez ein (Consulats et consuls à Cadix au XVIIIe Siècle: une approche). Silvia Marzagallis Studie über die ersten amerikanischen Konsuln in Frankreich ist das Gegenstück zu Belissas Beitrag: eine Fallstudie über die Probleme eines „neuen“ Staates beim Aufbau seiner Organe (Les débuts des services consulaires des États-Unis. L’exemple de Bordeaux).

Den Band beschließen Rudolf Agstners Darstellung der Entwicklung des österreichischen Konsulatswesens im östlichen Mittelmeer seit dem 18. Jahrhundert und J. Ulberts Abriß zur Geschichte des preußischen Konsulatswesens in der Frühen Neuzeit, der damit eine erste Studie zum preußischen Konsulatswesen in der Frühen Neuzeit überhaupt vorlegt. Letzteres ist nicht das Werk der preußischen Könige – das erste preußische Konsulat in Lissabon wurde auf Initiative des späteren Konsuls, eines emigrierten Hugenotten, eingerichtet, der sich vom Status eines Konsuls Schutz vor Verfolgung erhoffte. Friedrich der Große wusste mit Konsuln nichts anzufangen, seine Minister setzten die Gründung weiterer Konsulate in den europäischen Atlantikhäfen durch. Erst im frühen 19. Jahrhundert übernahm dann das Außenministerium tatsächlich die Leitung und Kontrolle der Konsulate, die bis dahin große Freiheiten genossen hatten.

Nicht nur der durchweg hohe Informationsgehalt der Beträge, sondern auch die 68seitige, nach Ländern gegliederte Bibliographie mit insgesamt 1068 Einträgen machen den Band zu einem wichtigen Forschungsinstrument für die Geschichte der Konsuln.

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