A. Kolwes: Die Frauen und Kinder deutscher Kriegsgefangener

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Titel
Die Frauen und Kinder deutscher Kriegsgefangener. Integriert, ignoriert und instrumentalisiert, 1941–1956


Autor(en)
Kolwes, Ann-Kristin
Anzahl Seiten
322 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Agnes Laba, Bergische Universität Wuppertal

Eine Geschichte der Ehefrauen und Familien von Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges liegt bislang lediglich für Frankreich und Österreich vor.1 In ihrem Buch „Die Frauen und Kinder deutscher Kriegsgefangener“ widmet sich Ann-Kristin Kolwes nun den Familien von Wehrmachtssoldaten, die in Kriegsgefangenschaft gerieten. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941, seit dem überhaupt erst deutsche Soldaten in umfangreichen Zahlen in Kriegsgefangenschaft gerieten, bis zur Ankunft des letzten Heimkehrtransportes aus russischer Gefangenschaft am 16. Januar 1956. Untersucht werden die Lebensumstände von Frauen und Kinder im Nationalsozialismus, in der Britischen sowie der Sowjetischen Besatzungszone, der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Diese Anlage der Arbeit als „asynchrone[r] Vergleich, der die jeweiligen Besonderheiten berücksichtig“ (S. 9), überzeugt, macht er doch nicht nur die systembedingten Unterschiede deutlich, sondern verweist auch auf die Wechselbeziehungen zwischen beiden deutschen Staaten.

Im Zentrum steht die Frage, welche Auswirkungen der Status des Ehemannes und Vaters als Kriegsgefangener auf das Leben seiner Familie vor dem jeweiligen politischen und sozio-kulturellen Kontext hatte. Den Untersuchungszeitraum teilt die Autorin in drei Phasen, die sich auch in der Kapitelstruktur wiederfinden: Die erste Zäsur stellen Kapitulation und Kriegsende im Mai 1945 dar, die zweite wird durch die Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS im Mai 1950 gebildet, mit der das Ende der Repatriierung deutscher Kriegsgefangener bekannt gegeben und die verbliebenen Internierten zu Kriegsverbrechern deklariert wurden. Die Gliederung folgt damit nicht einer gängigen politikgeschichtlich orientierten Periodisierung, die eher die Staatsgründungen in den Fokus gestellt hätte. Der alltags- und erfahrungsgeschichtliche Zugriff macht sie jedoch plausibel und kann zu einer differenzierteren Ausleuchtung der gesellschaftlichen Entwicklungen der „Transformationsphase“ von Krieg in die Nachkriegszeit beitragen. Kolwes arbeitet dabei drei Momente heraus, die Einfluss auf das Leben der Familien von deutschen Kriegsgefangenen hatten: Erstens visiert sie die sozialstaatlichen Versorgungsleistungen an, die diese Familien erhielten, wodurch sie so auch gesellschaftliche Wertebezüge des jeweiligen politischen Systems nachvollzieht. Zweitens werden spezifische Rollen-, Wert- und Normvorstellungen in den Diskursen um Mütterlichkeit, Ehe und Familie untersucht. Drittens zeichnet sie den Umgang von Politik und Gesellschaft mit den Familien nach. Als Quellengrundlage dienen Kolwes neben Verwaltungsakten, anderen offiziellen Dokumenten und dem Pressewesen zahlreiche Ego-Dokumente.

Die nationalsozialistischen sozialstaatlichen Versorgungsleistungen in Form des „Familienunterhalts“, die gemessen am Einkommen der Soldaten direkt an deren Ehefrauen ausgezahlt wurden, diskutiert Kolwes im Zusammenhang mit dem „Ehegesundheitsgesetz“, nach dem nur Frauen Soldaten heiraten durften, die „erbgesund“ waren und somit zur „Volksgemeinschaft“ zählten. Die Legitimität dieser Leistungen hätten sich somit zum einen aus ihrer Ehe mit einem Soldaten ergeben, zum anderen müssten sie auch als Vergütung der Leistungen dieser Frauen für den Erhalt des „Volkskörper“ gesehen werden. Somit waren Familien von Kriegsgefangenen finanziell abgesichert, ideologisch waren sie weiterhin Bestandteil der „Volksgemeinschaft“, was sich wiederum auf das Selbstverständnis der Ehefrauen als „Kriegerfrau“ ausgewirkt habe. Kolwes wertet den „Familienunterhalt“ folglich als „einen Aspekt von staatlicher Beruhigung mit gesellschaftsstabilisierender Wirkung“ (S. 37). Dass die Leistungen direkt an die Frauen gingen, habe für diese eine gewisse Autonomie bedeutet, was von staatlicher Seite gleichzeitig mit Sorge betrachtet wurde. Eine Gesetzesänderung von 1942, die „ehrloses oder unsittliches Verhalten“ dieser Ehefrauen mit Kürzungen sanktionierte, stuft Kolwes als staatlichen Versuch ein, die Autonomie dieser Frauen zu beschneiden. Dass diese durchaus versuchten, ihre eigenen Handlungsspielräume auszuloten, zeigt Kolwes anhand ihrer zum Teil illegalen Strategien, an Information über ihre Ehemänner zu gelangen oder sogar mit diesen Kontakt aufzunehmen, auch dort, wo die nationalsozialistische Informationspolitik diese aus ideologischen Gründen zurückhielt.

Mit dem Ende des nationalsozialistischen Regimes sei schließlich „ein Vakuum in der nationalsozialistischen Versorgung“ (S. 83) entstanden, das sowohl in West als auch in Ost erst allmählich geschlossen werden konnte. Kolwes arbeitet dabei heraus, dass sich im Umgang mit den Kriegsgefangenen in den verschiedenen Besatzungszonen, später in der DDR und der Bundesrepublik, der jeweilige Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit widerspiegelte. Ferner müsse er immer auch im Kontext der Abgrenzung zum jeweils anderen Teil Deutschlands gesehen werden. Mehr als die beiden Staatsgründungen war für die Angehörigen von Kriegsgefangenen dabei die TASS-Meldung vom 4. Mai 1950 einschneidend. In der Bundesrepublik wurde die darin kommunizierte Statusverschiebung der internierten Männer von Kriegsgefangenen zu Kriegsverbrechern von Politik und Gesellschaft scharf verurteilt. Innerhalb des bundesdeutschen „Opfer-Diskurses“ der Nachkriegszeit habe es keinen Raum für eine Auseinandersetzung mit der Schuld der Wehrmachtssoldaten gegeben, die als Opfer von Nationalsozialismus und Krieg angesehen wurden. Die Konsequenz war die Einführung eines Unterhaltshilfegesetzes, das die Familien dieser Männer als eigene Statusgruppe anerkannte und finanziell unterstützen sollte. Auf diese Weise wurden nun auch die Angehörigen von Kriegsgefangenen offiziell zu Opfern des Krieges stilisiert, die durch den Unterhalt durch Staat und Gesellschaft entschädigt werden sollten.

Kolwes verweist darauf, dass dies auch dem Selbstverständnis und der Anspruchshaltung der Ehefrauen gegenüber dem Staat entsprochen hätte. Gleichzeitig hätte die Unterhaltsbeihilfe der Aufrechterhaltung des patriarchalen Familienideals zugearbeitet, da sie sie versorgungstechnisch den Kriegerwitwen gleichstellte und somit einer vorzeitigen Toderklärung des Ehemannes entgegenwirken sollte. Auf diese Weise hätte das Bild der patriarchalen Familie als Norm aufrechterhalten werden sollen, für die der Staat (vorübergehend) die Rolle des Familienernährers übernahm – ein Aspekt, den Kolwes als Kontinuität zur nationalsozialistischen Versorgungspolitik sieht. Die Autorin zeigt dabei die Widersprüchlichkeit von öffentlichem Diskurs und Lebensrealitäten der Ehefrauen von Kriegsgefangenen auf: Während öffentlich vor allem durch den politisch einflussreichen Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen Deutschlands e.V. (VdH) das Bild der „treu wartende[n] Ehefrau“ (S. 222) und der weibliche Opferstatus betont wurden, waren es eben diese Frauen, die die „Transformation“ von Krieg zu Frieden in den Familien aktiv voranzutreiben suchten. Noch während der Abwesenheit ihrer Ehemänner bereiteten viele Frauen deren Rückkehr vor, indem sie etwa versuchten, ihre zukünftigen Berufsperspektiven zu regeln oder deren Rolle und Autorität innerhalb der Familie zu stärken. Das dahinterstehende Movens war eine Rückkehr zur familiären Vorkriegsordnung, die von vielen Frauen mit einer Rückkehr zur Normalität gleichgesetzt wurde.

In der DDR habe hingegen auch nach der TASS-Meldung kein Interesse an spezifischen Versorgungsleistungen bestanden; Kriegsgefangene und ihre Familien galten hier nicht als „Opfer“. Auch hätte dies dem neuen sozialistischen Rollenverständnis der Frau widersprochen. Als Folge wurde jeglicher öffentliche Diskurs über die Kriegsgefangenen abgebrochen und an ihrem Status als Kriegsverbrecher öffentlich nicht gezweifelt. Interessant sind die Einsichten in den Umgang der Frauen und Kinder mit der Tatsache, dass Ehemann bzw. Vater nun als Kriegsverbrecher galt. Die Autorin vollzieht dies anhand von Eingaben an Regierungsstellen nach und wertet sie als Strategien, aktiv auf die eigene Situation Einfluss zu zunehmen. So zeigten die ausgewerteten Beispiele, wie die Angehörigen versuchten, einen Ausgleich zwischen der offiziellen Linie der politischen Führung und den eigenen Befindlichkeiten gegenüber Ehemann und Vater zu finden. Dabei arbeitet sie heraus, dass die Kriegsgefangenenfrage nicht nur ein Problem der Angehörigen war, sondern ein weitreichender „schwelender Kritikpunkt an der Politik der Regierung“ (S. 256). Eine systematische Stigmatisierung durch ihr soziales Umfeld erfuhren die Familien von Kriegsgefangenen in der Regel nicht.

Mit ihrer Arbeit greift Ann-Kristin Kolwes zentrale Aspekte der deutschen Nachkriegszeit auf: Zum einen den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, der sich an der Kriegsgefangenenfrage besonders präsent zeigte, zum anderen die Verwobenheit zwischen Staat und Familien, die am Beispiel der Familien von Kriegsgefangenen besonders zutage tritt. Auch wenn die Autorin explizit formuliert, dass es sich bei ihrer Studie „nicht vorrangig um eine frauen- bzw. geschlechtergeschichtliche Untersuchung“ handle (S. 11), zeigt sie doch auf sehr eindrückliche Art und Weise, wie Familien während des Zweiten Weltkrieges und dessen Nachzeit ein zentrales Aushandlungsfeld von Geschlechterordnungen waren. Vor allem die Passagen des Buches, die die agency der Frauen und Kinder von Kriegsgefangenen herausarbeiten, verleihen der vorliegenden Studie ihre Stärke, bewegen sich doch die vorherrschenden Narrative über deren Erlebnisse meist innerhalb der kollektiven Erinnerung der bundesdeutschen Gesellschaft zu Zweitem Weltkrieg und Nachkriegszeit, innerhalb der die Opfererzählungen von Kriegsgefangenen dominieren. Spezifisch weibliche Erfahrungen dieser Zeit werden darin zumeist mit Opferstatus gleichgesetzt und lassen sich auf Schlagworte wie Vergewaltigungen, Kriegerwitwen, Onkelehen usw. reduzieren. Wie diese Frauen und Kinder die Situation, dass Ehemann bzw. Vater als Kriegsgefangener abwesend war, tatsächlich erlebten, welche Auswirkungen dies auf ihren Alltag hatte und welche Strategien sie anwandten, um diesen zu bewältigen, stellt ein Forschungsdesiderat dar, zu dessen Schließung die vorliegende Studie entscheidend beiträgt.

Anmerkung:
1 Sarah Fishman, We will wait. Wives of French Prisoners of War, 1940–1945, Yale 1991; Ela Hornung, Warten und Heimkehr. Eine Ehe während und nach dem Zweiten Weltkrieg, Wien 2005.

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