Cover
Titel
Aufgabenkultur im Geschichtsunterricht.


Autor(en)
Köster, Manuel
Reihe
Methoden historischen Lernens
Erschienen
Schwalbach am Taunus 2021: Wochenschau-Verlag
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Heuer, Institut für Geschichte, Karl-Franzens-Universität Graz

Die Diskussionen um Aufgaben im und für den Geschichtsunterricht werden seit etwas mehr als zehn Jahren innerhalb der Geschichtsdidaktik intensiv geführt. Mittlerweile vorliegende theoretische Überlegungen zu unterschiedlichen Aufgabenformaten, empirische Untersuchungen etwa zur Einbettung von Aufgaben in Geschichtsschulbüchern und eine Reihe von pragmatisch-ausgerichteten Beispielen für gute Aufgaben, erlauben es gegenwärtig sicherlich nicht mehr, im Kontext einer fachspezifischen Aufgabenkultur historischen Lehrens und Lernens, vom geschichtsdidaktischen „Neuland“ zu sprechen, das bestellt werden müsste, wie das Hans-Jürgen Pandel noch 2005 getan hatte.1

Im Zuge dieser Intensivierungen haben sich die Akteur:innen des geschichtsdidaktischen Feldes Ansätzen aus „unterschiedliche[n] Diskursfeldern“ (S. 7) bedient und so unterschiedliche Definitionen und Modellierungen zum Komplex einer domänenspezifischen Aufgabenkultur vorgeschlagen. Dies hat einerseits zu inter- und intradisziplinären Verständnis-, andererseits aber auch zu Übersetzungsschwierigkeiten zwischen den Feldern der Geschichtsdidaktik und des Geschichtsunterrichts geführt. Denn so sehr die Diskussionen innerhalb der Praxis der Geschichtsdidaktik intensiviert und der Stellenwert von Aufgaben für Prozesses des Geschichtslernens und des Geschichte-Lehrens betont wurden, so sehr blieb die geschichtsunterrichtliche Aufgabenpraxis hinter diesen plausiblen Begründungen und Modellierungen der Wissenschaft zurück. So lassen nicht zuletzt die gemachten Erfahrungen im Kontext des Homeschoolings und Distancelearnings der letzten knapp zwei Jahre darauf schließen, dass insbesondere die Qualitätsdimension der kognitiven Aktivierung durch Aufgabenformate bislang noch wenig im Geschichtsunterricht Berücksichtigung findet.2 Besonders, was die verwendeten Aufgabenformate betrifft, dürfte sich das, was bereits vor der Pandemie empirisch erfasst worden war3, nämlich eine überproportionale Verwendung reproduktiver und wenig kognitiv- herausfordernder Aufgaben im Geschichtsunterricht, während der Pandemie weiter verstärkt haben.4

Der Münsteraner Geschichtsdidaktiker Manuel Köster, Akademischer Oberrat am Institut für Didaktik der Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, greift nun mit seiner Monographie zur Aufgabenkultur im Geschichtsunterricht diese Verständnis- und Übersetzungsschwierigkeiten auf und unternimmt den Versuch, den entgrenzten geschichtsdidaktischen Aufgabendiskurs zu ordnen und ihn aus geschichtsdidaktischer Perspektive zu disziplinieren, ihn mit eigenen Überlegungen zu bereichern und dieses so konstruierte Aufgabenwissen für die Praxis des Geschichtsunterrichts in seiner Anschlussfähigkeit und in seiner Orientierungsfunktion zu präsentieren.

Um dieses zu leisten, gliedert der Autor sein Vorgehen in sechs Kapitel, die von einer geschichtsdidaktischen Definition von Aufgaben ausgehend (Kap.1) über die Thematisierung der drei unterschiedlichen Aufgabenklassen, nämlich Diagnose-, Lern- und Prüfungsaufgaben (Kap. 2), zu ihrer Einbettung im Kontext einer fachspezifischen Aufgabenkultur historischen Lernens bzw. ihre Funktion in unterschiedlichen Lehr-Lernkonzepten von Geschichtsunterricht führen (Kap. 3). Köster zeigt insbesondere in diesen ersten Kapiteln, was Erkenntnisfortschritt innerhalb des geschichtsdidaktischen Aufgabendiskurses, verstanden als wissenschaftlich-reflexive Problematisierung der eigenen disziplinären Setzungen, bedeuten kann. So fasst er nicht nur den Stand der aktuellen Diskussionen um Aufgabenklassen, -qualität und -kultur gekonnt zusammen, sondern er setzt sich mit den bislang unterbreiteten, teils disparaten Vorschlägen reflexiv auseinander, unterzieht sie einer kritischen Analyse, widerspricht ihnen und erweitert diese, etwa bei der Formulierung von „Gütekriterien für Lernaufgaben“ (S. 63), und ordnet die bisherigen Erkenntnisse in den Rahmen einer durchaus komplexen und „voraussetzungsreichen“5 systemtheoretisch-inspirierten Theorie des Geschichtsunterrichts ein6, wenn er in einer „Arbeitsdefinition“ (S. 20) zusammenfassend schreibt, dass Aufgaben, „als Element der Pädagogizität von Unterricht“ dazu beitragen, „unterrichtliche Kommunikation so auszurichten, dass den Schüler:innen die Möglichkeit zu lernen gegeben wird“ (S. 20). Aufgaben werden von Köster also nicht lediglich als Instrumente von Problemlösungen, sondern in erster Linie als Angebote mit „Kontingenzpotenzial“ verstanden, mit denen im Geschichtsunterricht durch Geschichtslehrer:innen und Schüler:innen eigen-sinnig umgegangen wird. Somit ist es auch nur folgerichtig und auf der sprachlichen Ebene geradezu eine Wohltat, dass Köster etwa seine unterbreiteten Kriterien für die Konstruktion von Diagnose-, Lern- und Prüfungsaufgaben nicht als Anleitungen, sondern vielmehr als „Reflexionsanlässe“ (S. 64) oder als „Reflexionsbereiche“ verstanden wissen möchte, „innerhalb derer sich die Lehrperson Klarheit verschaffen sollte“ (S. 35), wenn sie fachspezifische Aufgabenkulturen inszeniert.

In den letzten beiden Kapiteln der theoretischen Ausführungen werden Aufgaben dann zunächst in ihrer „Vermittlerrolle“ (S. 102) zwischen den verschiedenen sprachlichen Ebenen des Geschichtsunterrichts und in ihrem Potential für einen gebotenen sprachsensiblen Geschichtsunterricht thematisiert (Kap. 4), bevor der Autor dann unter der Überschrift „Aufgaben in der Netzwerksgesellschaft“ versucht, Anschlüsse zwischen dem gesellschaftlichen Prozess der Digitalisierung und der Aufgabenkultur im Geschichtsunterricht aufzuzeigen (Kap. 5). So wichtig und aktuell diese thematisierten Komplexe sind, so sehr fallen beide Kapitel, aber insbesondere das Kapitel zu Fragen der Digitalisierung, aus dem Gesamtzusammenhang der Monographie heraus bzw. verlieren die leitende Fragestellung aus dem Blick. Dies gelingt ihm dann aber wieder eindrucksvoll, wenn der Autor im abschließenden Kapitel anhand von sechs Beispielaufgaben zu verschiedenen Themen, etwa zur „Pionierorganisation der DDR“ (S. 153) oder zum „Mittelalter in der Geschichtskultur“ (S. 173), illustriert, wie das zuvor entworfene Aufgabenwissen zur Konstruktion und Reflexion von fachspezifischen Aufgabenformaten als Entscheidungs- und Orientierungshilfe hilfreich sein kann (Kap. 6).

Nachdem in den letzten Jahren empirisch-valide gezeigt werden konnte, dass die Kompetenz Aufgaben entwickeln zu können, im Kontext der domänenspezifischen Lehrer:innenbildung erlernbar ist5, liegt nun mit der exzellenten Monographie von Köster ein Band vor, der das dafür notwendige Rüstzeug in kompakter Form als Reflexions- und Orientierungswissen für die verschiedenen Akteur:innen verfügbar macht. Es ist ihm demnach eine breite Rezeption und Verwendung im Rahmen der Lehrer:innenbildung zu wünschen.

Dass aber auch mit dieser Monographie längst nicht alles Wesentliche zur Aufgabenkultur im Geschichtsunterricht aus geschichtsdidaktischer Perspektive gesagt ist, macht der Autor ebenfalls an mehreren Stellen explizit und implizit deutlich (z. B. S. 75 und S. 90). Immer noch beschränkt sich der Diskurs verstärkt auf die Konstruktion von Lernaufgaben. Leistungs- und Prüfungsaufgaben stellen nach wie vor Desiderate der geschichtsdidaktischen Aufgabendiskussion dar. Auch wissen wir längst nicht ausreichend Bescheid über die konkrete und sicherlich eigen-sinnige Aufgabenpraxis von Geschichtslehrer:innen im alltäglichen Geschichtsunterricht. Gerade aber, wenn es der geschichtsunterrichtlich-gemeinsame Umgang mit den konstruierten Aufgabentexten ist, der Aufgaben erst zu Herausforderungen historischen Lernens macht, bräuchte es ethnographische Zugänge zu dieser Praxis, die nach wie vor eine Terra incognita der Geschichtsdidaktik darstellt.

Anmerkungen:
1 Hans-Jürgen Pandel, Geschichtsunterricht nach PISA. Kompetenzen, Bildungsstandards und Kerncurricula, Schwalbach am Taunus 2005, S. 58.
2 Vgl. Christoph Helm / Stephan Huber / Tina Loisinger, Was wissen wir über schulische Lehr-Lern-Prozesse im Distanzunterricht während der Corona-Pandemie? Evidenz aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (2021), <https://doi.org/10.1007/s11618-021-01000-z> (09.01.2022).
3 Vgl. Christoph Bramann, Historisch Denken lernen mit Schulbuchaufgaben?, in: Christoph Bramann / Christoph Kühberger / Roland Bernhard (Hrsg.), Historisch Denken lernen mit Schulbüchern, Frankfurt 2018, S. 181–214, hier besonders S. 207–208, und Wolfgang Buchberger, Historisches Lernen mit schriftlichen Quellen. Eine kategoriale Schulbuchanalyse österreichischer Lehrwerke der Primar- und Sekundarstufe, Innsbruck 2020, S. 322–323.
4 Vgl. etwa Sonja Heller / Oliver Zügel, „Schule zu Hause“ in Deutschland. Bestandsaufnahme im Corona-Lockdown aus Perspektive der Schüler/-innen und Eltern, Bonn 2020, URL: <https://www.telekom-stiftung.de/sites/default/files/files/media/publications/Ergebnisbericht-Homeschooling.pdf> (09.01.2022), und Anja Wildemann / Ingmar Hosenfeld, Bundesweite Elternbefragung zu Homeschooling während der Covid 19-Pandemie. Erkenntnisse zur Umsetzung des Homeschoolings in Deutschland, Landau 2020, URL: <http://www.zepf.eu/wp-content/uploads/2020/06/Bericht_HOMEschooling2020.pdf> (09.01.2022).
5 Vgl. die Rezension von Bernd-Stefan Grewe zu: Sebastian Bracke u.a., Theorie des Geschichtsunterrichts, Frankfurt am Main 2018, in: H-Soz-Kult, 27.02.2020, <https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-26961> (09.01.2022).
6 Vgl. Sebastian Bracke u.a., Theorie des Geschichtsunterrichts, Frankfurt am Main 2018.
[7] Vgl. Mario Resch / Christian Heuer / Hendrik Lohse-Bossenz, Eine Intervention zur Förderung geschichtsdidaktischen Wissens und Könnens zur Konstruktion von Aufgaben für den Geschichtsunterricht, in: Monika Waldis / Martin Nitsche (Hrsg.), Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 20. Beiträge zu Tagung „geschichtsdidaktik empirisch 20“, Bern 2022 (im Erscheinen), und Mario Resch, Aufgaben formulieren können. Entwicklung und Validierung eines Vignettentests zur Erfassung professioneller Kompetenz für historisches Lehren, Frankfurt am Main 2018.

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