In seinem jüngsten Buch „Sky as Frontier“ erzählt der Historiker David T. Courtwright die Geschichte der amerikanischen Luft- und Raumfahrt als Aufbruch zu neuen Grenzen, als Beginn eines Zeitalters der Dreidimensionalität. Während das von Frederick Jackson Turner entwickelte frontier-Paradigma in anderen Teilbereichen der amerikanischen Geschichte längst an Faszination verloren hat, ja vor allem von Vertretern der New Western History als anglozentrische Verklärung der Besiedlungsgeschichte des Westens entlarvt worden ist, macht Courtwright den Begriff unverhofft fruchtbar.1 Seine Untersuchung der Ambitionen, Mechanismen und Ziele einer himmelwärts gerichteten amerikanischen Expansionspolitik bettet er ein in technik-, kultur- und wirtschaftshistorische Diskussionen und knüpft an Überlegungen an, die Geschichte der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert als die Herausbildung eines modernen Imperiums zu verstehen.2 Damit bietet Courtwright eine erfrischend neue Lesart von amerikanischer Luft- und Raumfahrtgeschichte.
Den ersten Teil seines Buches („The Age of Pioneers“) gliedert Courtwright in fünf Kapitel. Im ersten legt er sein Verständnis von frontier dar. Er nutzt den Begriff „as an organizational idea for the history of aviation and space“, wobei es ihm um die Beschreibung sozialer Prozesses geht (S. 8). Im Folgenden unterscheidet er verschiedene frontier-Typen, lotet die Vergleichbarkeit von Raum und Zeit als frontier-Dimensionen sowie die Synergieeffekte aus, die sich aus der gleichzeitigen Erschließung verschiedener Siedlungsgrenzen ergeben: So habe vor allem die Vehemenz, mit der auch im 20. Jahrhundert Landerschließung und -entwicklung in einem Land von der Größe der USA vorangetrieben worden seien, zu den herausragenden technischen Errungenschaften in der Luftfahrtindustrie geführt und eine vollständige Erschließung des amerikanischen Luftraums nach sich gezogen, da allein das Flugzeug jeden Winkel des Landes erreichbar machte. Kapitel 2 rekapituliert die Erfolge und Misserfolge der Flugpioniere Wilbur und Orville Wright sowie ihrer Konkurrenten Glenn Curtiss und Tony Fokker, bevor Courtwright im dritten Kapitel die Bedeutung des Ersten Weltkrieges für die Entwicklung amerikanischer (und europäischer) Flugzeugtechnologien umreißt. In diesem Krieg, der über weite Strecken ein Stellungskrieg gewesen sei, habe die Verfügbarkeit einer hochgerüsteten Luftwaffe, die sich die USA erst zulegen mussten, entscheidende strategische Vorteile gebracht. Zudem habe der Krieg ein internationales Nachdenken darüber ausgelöst, wem Luftraum gehöre und wie auf internationaler und nationaler Ebene der Zugang dazu zu regeln sei.
Courtwright zeigt auch, dass der Entwicklungsschub, den die amerikanische Flugzeugindustrie während des Krieges vollzog, bei Kriegsende ein abruptes Ende nahm, da Regierungsaufträge ausblieben, die Forschung weiterhin ermöglich hätten. Da alternative Finanzierungsquellen fehlten, ging die Flugzeugproduktion binnen dreier Jahre von 21.000 im Herbst 1918 auf 263 Flugzeuge im Frühjahr 1922 zurück (S. 46). Mehr Glück schienen viele Piloten zu haben, die auf Karrieren als Kunstflieger umsattelten und mit Flugshows zu einer wachsenden Flugbegeisterung in der Bevölkerung beitrugen. Erst die Nutzbarmachung des Flugzeugs zum Transport von Post in den 1920er-Jahren, um die es im vierten Kapitel geht, führte zur wirtschaftlichen Erholung der Flugzeugindustrie.3 Fluggesellschaften wie United Airlines und Pan American Airways (Pan Am) entstanden, die neben Post auch zunehmend zahlende Passagiere beförderten. Einen entscheidenden Anstoß, so argumentiert Courtwright im fünften Kapitel, habe die zivile Passagierluftfahrt schließlich durch die Atlantiküberquerung Charles Lindberghs im Jahr 1927 erfahren. Er habe in allen Teilen der USA erfolgreich Werbung für das Flugzeug als Transportmittel gemacht und gleichzeitig mit seinen und Anne Morrow Lindberghs Erkundungsreisen für Pan Am den Grundstein für ein Netz von Flugstrecken gelegt, das weit über die Vereinigten Staaten hinausreichte.
Auch der zweite Teil des Buches („The Age of Mass Experience“) gliedert sich in fünf Unterkapitel. In Kapitel sechs skizziert Courtwright die Entwicklung der Flugreiseindustrie und ihrer kulturellen Erscheinungsformen bis zum Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg. Während Ende der 1920er-Jahre viele Amerikaner der zivilen Passagierluftfahrt weiterhin skeptisch gegenüberstanden, überwanden im Verlauf der 1930er-Jahre vor allem Besserverdienende und Geschäftsreisende ihre Flugangst und nutzten das sich schnell vergrößernde Angebot an Linienflügen. Gefördert durch eine amerikanische Bundesregierung, die Subventionen und Exklusivnutzungsrechte für Streckenabschnitte vergab, bauten amerikanische Fluggesellschaften ihre Streckennetze aus, investierten in neueste Technologie und entwickelten ihr Angebot an Serviceleistungen. American Airlines präsentierte 1929 erstmalig einen Spielfilm während eines Fluges, United Airlines stellte als erste Fluggesellschaft Stewardessen zur Betreuung ihrer Fluggäste ein.
Der Zweite Weltkrieg, um den es in Kapitel 7 geht, habe diese Entwicklung nur für wenige Jahre unterbrochen, so Courtwright. Zugleich sei die Expansion der Nachkriegsjahre ohne diesen Krieg nicht vorstellbar, der einen weiteren technischen Entwicklungsschub gebracht, zum Ausbau der inneramerikanischen Infrastruktur geführt sowie Millionen Amerikaner an Einsatzzielen oder auf dem Weg dorthin mit dem Flugzeug vertraut gemacht habe. Deshalb sei das Fliegen in den Nachkriegsjahrzehnten (Kap. 8 und 9) zum „routine stuff“ geworden (S. 132), die frontier-Gesellschaft der frühen Jahre zu einer heterogenen Masse von Vielfliegern. Courtwright beleuchtet die Professionalisierung der Ausbildung von Piloten und Flugbegleitern sowie neue Kommunikationsformen zwischen Piloten und Fluglotsen als Voraussetzungen, ohne die ein erhöhtes Flug- und Passagieraufkommen nicht zu bewältigen waren. Zudem reißt er an, wie sich mit Einführung der Düsenflugzeuge das Flugreiseerlebnis veränderte: Druckregulierte Kabinen, kleine Fenster und größere Reisehöhen schafften Distanz zum überflogenen Territorium und generierten Langeweile, worauf die Fluggesellschaften mit Unterhaltungsprogrammen reagierten. Courtwright zeigt, dass der Ausbau der Beförderungskapazitäten, vor allem durch die Einführung der Boeing 747 in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren, sinkende Preise sowie die Erweiterung der internationalen Streckennetze mit einem enormen Anstieg der Passagierzahlen einhergingen.4 Menschen der unterschiedlichsten sozialen und ökonomischen Hintergründe nutzten das Flugzeug nun ebenso wie alte und junge Amerikaner, Männer und Frauen. Diese Entwicklung sei erst durch die Energiekrise und vor allem die Deregulierungsmaßnahmen des Jahres 1978 vorübergehend ins Stocken geraten. Courtwright beschließt diesen Teil seines Buches mit einer Betrachtung amerikanischer Raumfahrtprogramme (Kap. 10), die sich nach der Eroberung des amerikanischen Luftraums durch das Flugzeug der Erkundung des Weltraums als „final frontier“ zuwandten.
Im letzten Teil („The Significance of Air and Space in American History“) geht Courtwright schließlich der Frage nach, welche Bedeutung einer „sky frontier expansion, defined broadly as the growing activity in and above the atmosphere“, beizumessen sei, wenn man „the nation’s character and development“ verstehen wolle (S. 196). Zum einen habe diese Form der Expansion die amerikanische Nation schneller zusammenwachsen lassen, als Eisenbahn und Auto dies per Landweg vermocht hätten; sie habe zudem zum wirtschaftlichen Boom amerikanischer Regionen wie des sunbelt beigetragen. Zum anderen, so Courtwright, bewirkte die räumliche Expansion die Entstehung eines virtuellen Imperiums, das die weltweite Zirkulation von Menschen und Waren ohne die Last einer kolonialen Infrastruktur möglich machte. Als Schattenseiten erhöhter Mobilität und wirtschaftlicher Kontakte hätten allerdings Menschenhandel, Drogenschmuggel sowie die negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu gelten. Courtwright schließt seine Ausführungen mit einem vergleichenden Blick auf die Bedeutung von air power in den militärischen Konflikten der Nachkriegszeit sowie einigen Bemerkungen zur Bedeutung von Terrorakten für die Entwicklung der zivilen Luftfahrt im 21. Jahrhundert.
David T. Courtwright stellt viele bekannte Entwicklungen in spannende neue Zusammenhänge und legt mit „Sky as Frontier“ ein Buch vor, dessen Lektüre wärmstens zu empfehlen ist.
Anmerkungen:
1 Vgl. Faragher, John Mack; Turner, Frederick Jackson, Rereading Frederick Jackson Turner. „The Significance of the Frontier in American History“ and Other Essays, New Haven 1999; Faragher, John Mack; Hine, Robert V., The American West. A New Interpretive History, New Haven 2000; Limerick, Patricia N., Something in the Soil. Legacies and Reckonings in the New West, New York 2000.
2 Maier, Charles S., Among Empires. American Ascendancy and Its Predecessors, Cambridge 2006 (rezensiert von Anne Friedrichs: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=81218121>); de Grazia, Victoria, Irresistible Empire. America’s Advance Through Twentieth-Century Europe, Cambridge 2005 (rezensiert von Kaspar Maase: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-4-144>).
3 Die erste Luftpostverbindung zwischen Washington und New York wurde am 15. Mai 1918 eingerichtet.
4 Während im Jahr 1950 17,3 Millionen Passagiere mit dem Flugzeug reisten, waren es 1970 bereits 153,2 Millionen, und im Jahr 1990 lag ihre Zahl bei 456,7 Millionen.