R.W. McCormick: Sex, Politics, and Comedy

Cover
Titel
Sex, Politics, and Comedy. The Transnational Cinema of Ernst Lubitsch


Autor(en)
McCormick, Richard W.
Reihe
German Jewish Cultures
Erschienen
Anzahl Seiten
372 S., 30 SW-Abb.
Preis
$ 48.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Wedel, Medienwissenschaft, Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf

Als die Neue Rundschau vor einiger Zeit Ernst Lubitsch einen Themenschwerpunkt widmete, plädierte das Herausgeberinnenduo vehement für eine „Rückkehr“ zu diesem Regisseur. Es wunderte sich darüber, dass Lubitsch als „Autor des wichtigsten und grundlegendsten komischen Werks in der Geschichte des Films“ im Unterschied etwa zu Sergej Eisenstein oder Alfred Hitchcock nie zu einer „universellen[n] kulturelle[n] Referenzgröße“ geworden sei und empfahl ihn „allen zeitgenössischen Filmschaffenden“ zur „obligatorische[n] audiovisuelle[n] Lektüre“.1

Zumindest in der angloamerikanischen Forschungslandschaft ist dieser Ruf nach erneuter Aufmerksamkeit nicht ungehört verklungen. Mit dem Buch von Rick McCormick liegt binnen weniger Jahre schon die zweite umfassende Monografie zum Werk des Regisseurs vor.2 Hatte sich Joseph McBrides „How Did Lubitsch Do It?“3 vor allem auf stilistische Merkmale konzentriert (und damit eher den filmästhetischen und filmpraktischen Aspekt betont), so geht es McCormick um eine Neubestimmung der kulturellen Funktion der Filme, die Ernst Lubitsch bis 1922 in Deutschland, anschließend in Hollywood gemacht hat.

McCormick verfolgt dabei drei übergeordnete Zielsetzungen. Zum einen betrachtet er Lubitschs Kino aus einer transnationalen Perspektive. Dadurch wird die herkömmliche Unterteilung in eine deutsche und eine amerikanische Schaffensphase zwar keineswegs hinfällig, was der Aufbau seines Buches unterstreicht, der es in die beiden Teile „Berlin“ und „Hollywood“ aufgliedert. Wie sich jedoch bei der Lektüre nicht nur des zweiten Teils an vielen Stellen erweist, lassen sich im Rahmen einer transnationalen Filmgeschichtsheuristik thematische Kontinuitäten und stilistische Wechselwirkungen, die Verflechtung industrieller Produktionskontexte und die verschlungenen Wege von Genre- und Motivmigrationen in ihren historischen Dynamiken prägnanter erfassen als durch die Brille eines biografischen Schismas, das dazu tendiert, komplexe Prozesse der kulturellen Adaption in schlichte binäre Gegensatzpaare aufzulösen.

Zum anderen unterzieht McCormick das Werk Lubitschs einer Lektüre, die es konsequent auf seine politischen Implikationen und gesellschaftlichen Positionierungen hin befragt. Schon im Ansatz widerspricht das Buch damit einer Sichtweise, die im Anschluss an das entsprechende Verdikt von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno im „Kulturindustrie“-Kapitel ihrer Dialektik der Aufklärung den berühmten „Lubitsch Touch“ (der subtilen Anspielung durch Auslassung) als belanglose und daher letztlich affirmative Individualisierung komödiantischer Massenware versteht (vgl. S. 14). Wie die Beispielanalysen des vorliegenden Buches eindrücklich vor Augen führen, greift dieser Befund zu kurz. McCormicks Gegenthese lautet: Anstatt den gesellschaftlichen Status quo ihrem Publikum lediglich auf elegante Art schmackhaft (und dadurch erträglicher) zu machen, betreiben Lubitschs Komödien auf hintergründige Weise seine Subversion. An einem Korpus, das weit über die in dieser Hinsicht am häufigsten herbeizitierten Beispiele „Ninotchka“ (1939), „The Shop Around the Corner“ (1940) und „To Be or Not to Be“ (1942) hinausreicht und diverse wenig bekannte Titel umfasst, kann McCormick ein ums andere Mal zeigen, wie passgenau Lubitsch die filmischen Formen dieser Subversion auf die jeweiligen Zeitumstände und Produktionskontexte hin ausgerichtet hat. Die Felder, auf denen sich die Gesellschaftskritik für McCormick am deutlichsten artikuliert, sind diejenigen der Darstellung von Sexualität und Geschlechterverhältnissen; der Analyseaspekt, auf den sich seine Beobachtungen an den Filmen entsprechend fokussieren, derjenige der Figureninszenierung.

Eingehend zeichnet McCormick am Gesamtwerk Lubitschs eine Entwicklung nach, die mit den „Bad Boys“ der frühen deutschen Komödien der Jahre 1914 bis 1918 und den zwischen 1918 und 1922 exponierten „Bad Girls“ der Ossi-Oswalda-Lustspiele und Pola-Negri-Historienspektakel das Spektrum eines Grundmusters etabliert, das in seinen Hollywoodfilmen je nach Genreausrichtung und zeithistorischem Kontext auf unterschiedlichste Weise variiert und nuanciert wird, bis hin zu seinen letzten Regiearbeiten der 1940er-Jahre jedoch niemals ganz verloren geht. Liegt ein Verdienst des Buches in dieser Hinsicht darin, Lubitschs Filme erstmals systematisch und umfassend aus genderkritischer Perspektive in den Blick genommen zu haben, so ist ein anderes darin zu erkennen, den Feinjustierungen von Lubitschs Kritik an vorherrschenden Geschlechterrollen quer durch alle Werkphasen und Genres (Slapstick- und Screwball-Komödie, Kriegs-, Kostüm- und Operettenfilm) bis in die kleinsten Verästelungen nachgegangen zu sein und dabei eine Fülle von Belegen der Geschlechter-Mimikry und -Travestie zutage gefördert zu haben, die sich einer queeren Neulektüre anbieten.

Der dritte übergreifende Aspekt des Buches folgt der Frage, inwiefern Lubitschs Filme von seinem Judentum geprägt sind, ihr besonderer Humor, aber eben auch ihre politischen Implikationen sich aus der Herkunft des Regisseurs, seiner Identität als assimilierter – oder zumindest akkulturierter – Jude und einem entsprechend geschärften Sinn für kulturelle Differenzen und gesellschaftliche Exklusionsmechanismen ableiten lassen.4 Dieser Aspekt bildet letztlich den zentralen Leitfaden des Buches, mit dem McCormick die beiden anderen zusammenbindet und einen Begründungszusammenhang fundiert, aus dem heraus sich sowohl Lubitschs genuine Transnationalität als auch seine subversive Thematisierung von Sexualität und Gender erklären lassen: „Lubitsch’s films [...] can be seen as political in ways that reflect Lubitsch’s position in the social hierarchy. [...] As a German in the United States, he would be triply marginalized. His social position likely made him more sensitive to social distinctions around class, gender, and ethnicity – I would argue further that such a sensitivity informs his films, driving his sympathy for underdogs, outsiders, and marginalized people. [...] Lubitsch’s subversion of normative gender roles was certainly related to his position as an outsider, his detachment as a German Jew with an Eastern European father who ends up in (similarly antisemitic) America.“ (S. 8f., S. 17)

Der Konnex zwischen einer stereotypen-geleiteten öffentlichen Wahrnehmung von Juden und der Darstellung unkonventionellen Figurenverhaltens in Bezug auf Sexualität und Geschlechteridentität in Lubitschs Filmen kristallisiert sich für McCormick an zwei Gesichtspunkten besonders deutlich heraus: Zum einen in der weiblichen Figur des verführerischen, dunkelhaarigen „Vamps“, der keinem einzelnen Mann treu sein kann und das – im Unterschied zu vielen seiner blonden Gegenspielerinnen – auch gar nicht will. Zum anderen in dem Umstand, dass in der deutschen wie in der amerikanischen „Mainstream-Kultur“ Vorstellungen über jüdische Männer kursierten, die sie nicht selten als ungenügend maskulin, irgendwie „soft“ und daher potenziell queer charakterisierten. In beiderlei Hinsicht kann McCormick stichhaltige Beispiele dafür angeben, wie Lubitsch diese stereotypen Zuschreibungen aufgenommen hat und sie auch dort in die Inszenierung seiner Filme als „Doppelkodierung“ (S. 211) hat einfließen lassen, wo die jeweiligen Figuren nicht explizit als jüdische gekennzeichnet sind. Letzteres war in fast allen seiner Filme der Fall, prominente Ausnahmen explizit als jüdisch gekennzeichneter Rollen stellen die von Felix Bressart gespielten Figuren des Pirovitch in „The Shop Around the Corner“ und des Greenberg in „To Be or Not to Be“ dar.

Für die von Lubitsch selbst gespielten Protagonisten früher Filme wie „Schuhpalast Pinkus“ (1916) und „Meyer aus Berlin“ (1918) oder die weiblichen Hauptfiguren von „Madame DuBarry“ (1919) und „Die Bergkatze“ (1921) gelingt McCormick die Herleitung und Offenlegung dieser Mehrfachkodierungen überzeugender als mit Blick auf andere Beispiele. Wenn es ausreicht, dass eine Figur wie die der Mizzi Stock in „The Marriage Circle“ (1924) dunkelhaarig oder Ferencz Vadas in „The Shop Around the Corner“ teilweise entgegen normativer Vorstellung von Maskulinität inszeniert ist, um sie als „ethnic outsider“ (S. 162) bzw. „implicitly Jewish“ (S. 271) zu bezeichnen, stellen sich doch Zweifel an der Tiefenschärfe und Tragfähigkeit der Argumentation ein.

Zusätzliche Nahrung erhalten sie von dem schmalen Grat, auf dem sich McCormicks Vorgehensweise über weite Strecken bewegt. Zwar gehen die meisten Filmanalysen des zweiten Teils zweifellos systematisch vor, indem sie einem mehr oder weniger stabilen Muster folgen und zunächst den Kontext erläutern und die Handlung rekapitulieren, bevor die Ebene der Geschlechterdiskurse auf Spurenelemente jüdischer Identität und Differenz hochgerechnet werden. Im Verlauf der Lektüre nimmt sich diese Art des Zugriffs jedoch zunehmend schematisch aus. Dies wiederum befördert den Eindruck, dass viele Filme auf den Ansatz hin zugerichtet werden, anstatt umgekehrt Zugänge zu entwickeln, die sich vor dem vom Buch aufgespannten Problemhorizont darum bemühen, den Spezifika des Einzelbeispiels gerecht zu werden. Hinzu kommen zahlreiche störende, zum Teil wörtliche Wiederholungen ganzer Passagen über verschiedene Kapitel hinweg, die den Eindruck einer schematischen Vorgehensweise noch verstärken und in denen sich bemerkbar macht, dass das Buch zu großen Teilen aus Aufsatzpublikationen hervorgegangen ist. Diese Einwände schränken den grundsätzlichen Wert der Arbeit von Rick McCormick jedoch kaum ein. Wer sich in Zukunft fragt, weshalb Ernst Lubitsch noch eine kulturhistorische Referenzgröße darstellen sollte, wird sich mit Gewinn an dieses Buch wenden können.

Anmerkungen:
1 Jela Krečič / Ivana Novak, Lubitsch kann nicht warten, in: Neue Rundschau 4 (2013), S. 7–28, hier S. 8 und S. 13.
2 Zu nennen wäre außerdem die einen Teilbereich beleuchtende Studie von Mason Kamana Allred, Weimar Cinema, Embodiment, and Historicity. Cultural Memory and the Historical Films of Ernst Lubitsch, London 2017.
3 Joseph McBride, How Did Lubitsch Do It?, New York 2018.
4 Mit dieser Schwerpunktsetzung stellt sich McCormicks Monografie in eine Reihe von neueren Untersuchungen zur Darstellung jüdischer Identität im Weimarer Kino. Vgl. z.B. Ofer Ashkenazi, Weimar Film and Modern Jewish Identity, New York 2012; Kerry Wallach, Passing Illusions. Jewish Visibility in Weimar Germany, Ann Arbor 2017; Barbara Hales / Valerie Weinstein (Hrsg.), Rethinking Jewishness in Weimar Cinema, New York 2021.

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