Cover
Titel
Knighthood and Society in the High Middle Ages.


Herausgeber
Crouch, David; Deploige, Jeroen
Reihe
Mediaevalia Lovaniensia. Series I (48)
Erschienen
Anzahl Seiten
350 S.
Preis
$ 69.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Schaarschmidt, Technische Universität Chemnitz

Dass das „Rittertum“ nach wie vor nicht nur im populären Mittelalterbild, sondern auch auf die mediävistische Forschung eine große Faszination ausübt, bezeugt vorliegender von David Crouch und Jeroen Deploige herausgegebener Band, der sich mit „knighthood“ und „chivalry“ zwei Zentralthemen mediävistischer Forschung annimmt. Bereits einführend verdeutlichen die Herausgeber, wie schwierig trennscharfe Definitionen sind, wenngleich diese dem Gesamtkonzept sicherlich sehr gutgetan hätten. So werden vielmehr Aspekte, wie berittener Kampf, kriegerische Ideale, christliche Konzepte von Gewalt und spiritueller Kriegführung, Ehrstreben, adliger Status sowie Turnier und Hofkultur als wesentliche Charakteristika benannt und dabei das Rittertum als komplexes und fluides kulturelles Gebilde gekennzeichnet (S. 2). Es sei „a profession that […] was increasingly defined in moral and ethical terms, and since true nobility was virtue, then knights were by definition becoming noble“ (S. 15).

Die Herausgeber möchten nationale Forschungstraditionen durchbrechen und setzen bei den Forschungen Maurice Keens an, der mit seinem 1984 erschienenen Werk Chivalry1 über nationale Perspektiven hinweg sozialhistorische und kulturwissenschaftliche Ansätze gewinnbringend vereinte (S. 9f.). Dabei liegt der Schwerpunkt der Beiträge auf Westeuropa.

Im ersten Teil „Noble Warriors, Warring Nobels“, weist Dominique Barthélemy dem Turnier anhand von Quellen aus dem französischen Raum eine essentielle Bedeutung für die Genese der ritterlichen Ideale und Praktiken zu. Seinen Ursprung habe das klassische Rittertum demnach in der Praxis, Personen des gleichen sozialen Status im Kampf zu verschonen. Im Turnier wiederum hätten die Ritter die Möglichkeit gefunden, ihre Fähigkeiten zur Schau zu stellen, wie es ihnen in „normalen“ militärischen Unternehmungen nicht möglich gewesen sei.

Daran anschließend beschreibt Jörg Peltzer die Entstehung des Rittertums für das heilig-römische Reich als Prozess vom 11. bis 13. Jahrhundert. An seinem Anfang hätten die „milites“ als Krieger und Gefolgsleute gestanden, auf deren Rolle die Kirche insbesondere während der Kreuzzüge und das im Hofleben vermittelte ritterliche Ethos Einfluss genommen hätten. Daraus habe sich bis zum 12. Jahrhundert eine den gesamten Adel umfassende Lebensweise entwickelt. Im Spätmittelalter sei dann mit dem Begriff „miles“ einerseits eine durch bestimmte soziale Normen geprägte Lebensweise und andererseits die Zugehörigkeit zum niederen Adel verbunden gewesen. Die Bedeutung des Rittergürtels hingegen sei jeweils unmittelbar abhängig vom sozialen Status des Erlangenden und für Niedriggestellte relevanter gewesen.

Mit Blick auf das anglo-normannische Reich konstatiert Eljas Oksanen, dass der zunehmende Einsatz bezahlter Krieger – hier aus dem flämischen und walisischen Raum – die Ausdifferenzierung des Rittertums gefördert habe. Die aristokratische Elite habe versucht, sich von diesen abzugrenzen und die eigene Identität zu betonen; und zwar obwohl ihre Angehörigen selbst zuweilen für Geld kämpften. In erzählenden Quellen zeige sich das insbesondere anhand von Negativstereotypen gegenüber Söldnern, die als gierige, grenzüberschreitende oder betrügerische Kriegsteilnehmer beschrieben werden.

Die Autor:innen des zweiten Themenkomplexes „Knighthood and Lineage“ nehmen sich der Verbindung zwischen Rittertum und Abstammung an. Indem sie eine ältere strukturgeschichtliche – vor allem auf Charles Duby basierende – Forschungsmeinung, die die Rittergesellschaft geprägt durch väterliche Erbfolge, Primogenitur und Patriarchat sah, zurückweist, kann Sara McDougall aufzeigen, dass die Vererbung des ritterlichen Standes bei weitem nicht immer dem gleichen strengen Muster folgte. Zuweilen seien auch mütterliche oder allgemein weibliche Erbfolgen vorgezogen worden. Dabei seien jedoch die Konzepte von legitimer Geburt und Heirat weit weniger bedeutungsvoll gewesen, als Status, Herrschaftsmacht und Abstammung. Als Neudefinition der „chivalric familiy“ schlägt sie daher vor: „a very broadly conceived kin-group, made up of people with shared sense of not just paternal but also, or even primarily, maternal lineage“ (S. 101).

Mit der aus Artois stammenden Familie de Choques steht bei Jean-François Nieus der flämische Adel im 10. und 11. Jahrhundert im Fokus. Er kann belegen, dass bereits Sigard I. einen bedeutenden Stand im flämischen Adel innehatte. Somit kann er den Aufstieg der Familie rückdatieren und zeigen, dass dieser nicht das Ergebnis militärischer Gefolgschaft war und keinesfalls aus dem Nichts kam.

Der dritte Abschnitt des Sammelbands Martial Ideals in Crusading Memory richtet den Blick nochmals auf militärische Ideale des Rittertums. John D. Hosler fragt hier nach der Darstellung ritterlicher Ideale in Augenzeugenberichten während der Belagerung Acres in den Jahren 1189–1191 und kommt dabei zu dem nicht ganz überraschenden Schluss, dass die Autoren von den adligen Kämpfern Tapferkeit, Ehrstreben und Frömmigkeit erwarteten und dabei individuellen kriegerischen Erfolg hochschätzten, während sie Feigheit und mangelnde militärische Tatkraft verdammten. In den Texten hätten die Autoren ihre Erwartungshaltungen an richtiges Verhalten im militärischen Konflikt oft mit dem, was sie im Kampf tatsächlich zu sehen glaubten, kontrastiert.

Im Weiteren analysiert Nicholas Paul bisher wenig bekannte Texte aus der Benediktinerabtei Brogne. Sein Fokus liegt dabei auf dem lokalen Adligen Manasse von Hierge, der für die Abtei identitätsstiftend war, weil er ihr eine Wahres-Kreuz-Reliquie einbrachte. Im Bericht über seine Taten nutzen die Autoren, die selbst niemals im Heiligen Land waren, den Kreuzzug als Erzählraum, um den Adligen über sein militärisches Handeln zum idealen Vertreter ritteradliger Werte und Tugenden zu stilisieren. Der Fall zeige auch, dass die Kreuzzüge nicht ausschließlich als religiöse Unternehmungen, sondern auch als Betätigungsfeld für ritteradlige Interessen wie Prestigegewinn, Dynastiepolitik und Reliquiengewinn wahrgenommen wurden.

Der vierte Teil wendet sich „Women in Chivalric Representation“ zu und knüpft damit auch an die Ausführung Sara McDougalls an. Zunächst zeigt Lousie J. Wilkinson mit Fokus auf Historiographie und Literatur, wie sich im Hochmittelalter ein Rollenverständnis entwickelte, welches auch adlige Frauen, die Teilhaber adliger Herrschaft und Familienbewusstseins waren, als zentralen Bestandteil des ritteradligen Wertekosmos begriff und sie mit „ritterlichen“ Tugenden bedachte. Adligen Frauen wurden so etwa herausragende moralische Qualitäten oder Schönheit zugeschrieben. Außerdem hätten sie Wappen geführt oder im übertragenen Sinne auf spiritueller Ebene für die eigene Seele oder jene ihrer Verwandten gekämpft.

Das in den 1180er-Jahren entstandene Versepos „Tournoiement des dames“, das Nicolas Ruffini-Ronzani ausführlich analysiert, kehrt die Geschlechterrollen sogar gänzlich um, indem es die Frauen französischer Hochadliger in einem Turnier an deren Stelle treten lässt. Diesen fiktiven Rollentausch bewertet Ruffini-Ronzani als literarisches Zeugnis für die fortschreitende Ausgestaltung ritteradliger Identitäten. Der Autor Hugh III. von Oisy habe das Werk nutzen wollen, um sein Netzwerk sowie seinen Einfluss unter den französischen Hochadligen auszubauen.

Schließlich wendet sich der letzte Abschnitt des Bandes „Didactics of Chivalry“ der Vermittlung ritterlicher Normen und Werte zu. Hier argumentiert Claudia Wittig anhand von Texten wie „Der Welsche Gast“ oder „Der Winsbeke“ – ähnlich wie Peltzer –, dass das ritteradlige Ethos im 12. und 13. Jahrhundert insbesondere für den Niederadel hohe Attraktivität besessen habe und Perspektiven bot, den eigenen Stand zu verbessern und zu legitimieren sowie sich dem Fürstenstand moralisch anzunähern. Unter Bezugnahme darauf habe sich der Laienadel selbstständig als Gruppe von „refined, elegant and honourable men“ (S. 274) verstehen und seinen Platz in der göttlichen Weltordnung begründen können.

David Crouchs lesenswerter Artikel ist zwar kein Resümee, stellt sich aber nochmals konkret der Frage nach der Entstehung eines Kodex der „chevalerie“ anhand von „instructional literature“ und knüpft dazu wie in der Einführung an Maurice Keen an. Konstituierend seien drei Traditionsstränge didaktischer Texte gewesen. Neben einer auf die spätantiken „Disticha Catonis“ zurückgehenden Moraltradition und einem klerikal-theologischen Belehrungsdiskurs hebt Crouch vor allem Abhandlungen über richtige Verhaltensnormen hervor, die von der laikalen Elite verfasst wurden, sich an diese richteten und schon im 11. Jahrhundert wurzelten. Gestützt darauf verortet er die Entstehung von „chivalry“ um 1200. Hier sei es den zumeist volkssprachigen didaktischen Texten gelungen, die weitgehenden theologischen und moralischen Ansprüche der anderen beiden Didaktiktraditionen aufzunehmen und in der Idealfigur des Ritters zusammenzuführen.

Ohne Frage kann der Band damit das große Forschungsfeld nicht abschließend behandeln. Dass noch viel Forschung notwendig sein wird, die auch Widersprüche ausräumt und weitere Regionen stärker in den Blick nimmt, ist ein wesentlicher Befund (S. 24f.). Über zahlreiche neue Erkenntnisse zu Teilaspekten und Texten hinaus, zeigen die Autoren eindrücklich auf, wie gewinnbringend es ist, auch die alten strukturgeschichtlichen Forschungsmustermuster, die von vielfach starren Voraussetzungen und Formen ausgingen, zu hinterfragen. Die Autor:innen erläutern damit, wie sich zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert ein Normen- und Wertegeflecht einwickelte, welches für die laikale Elite habituell prägend wurde. Dadurch leisten sie einen wertvollen Beitrag dazu, die Vorbedingungen von „knighthood“ und „chivalry“ aus verschiedenen Perspektiven besser zu verstehen. Das Werden des Rittertums ist als langwieriger gesellschaftlicher Prozess zu begreifen. Seine Erforschung ist, wie auch Jörg Pelzer in seinem Beitrag schreibt (S. 69), eine gesamteuropäische – und möglicherweise auch darüberhinausgehende – Aufgabe.

Anmerkung:
1 Maurice Keen, Chivalry, New Haven 1984.