Fremdenfeindlichkeit und Glaubwürdigkeitsprobleme der Presse sind keine exklusiven Probleme der Gegenwart, wie Karina Kriegesmann in ihrer an der Freien Universität Berlin verteidigten Dissertation nachdrücklich herausarbeitet. In der klar gegen xenophobe Pressemanipulationen Stellung beziehenden Studie führt die Autorin in die Arbeitsweisen und Diffamierungspraktiken von Medienakteuren am Beispiel von Brasilien in der Zwischenkriegszeit ein.
Brasilien wird aus zwei Gründen ausgewählt: Zum einen war es eines der wichtigsten Einwanderungsländer in den Amerikas, zum anderen war es ein Land, das wirtschaftlich, politisch und kulturell global stark eingebunden war. Dies ist für Kriegesmann insofern interessant, da sie argumentiert, dass gerade „Wahrnehmungen von Mobilität, Diversität und einer engen zusammenwachsenden Welt“ (S. 9) zur Herausbildung von Xenophobie als medialer Praxis und zur „Überhöhung der Gefahren durch Fremde“ (S. 26) führten. Ihrer Interpretation zufolge handelte es sich bei Xenophobie um eine Reaktion auf Globalisierungserfahrungen. Die Studie fragt nach der Entstehung und der Verbreitung xenophober Nachrichten, nach den beteiligten Akteuren und auch nach ihren Beweggründen.
Die Zwischenkriegszeit wurde gewählt, da damals die aufstrebende Zeitungspresse eine zentrale Rolle in der gesellschaftlichen Debatte zu spielen begann und die Arbeit von internationalen Presseagenturen Fahrt aufnahm. Dies ermöglicht es Kriegesmann, die nationalen und transnationalen Nachrichtennetzwerke herauszuarbeiten, in die Brasilien eingebunden war. Pressemeldungen nahmen den Weg über viele unterschiedliche Orte und Länder, ohne dass es dabei zwangsläufig zu Akteursverflechtungen kam. Außerdem gab es zwischen den Weltkriegen wichtige globale Momente, in denen Gefahrenszenarien besonders an Bedeutung gewannen, etwa die Russische Revolution oder die Weltwirtschaftskrise.
Die Arbeit basiert auf einer minutiösen Quellenrecherche, die Archive aus vier Ländern und neben Zeitungen auch diplomatisches und politisches Aktenmaterial umfasst. Um die Wege und den Wandel von einzelnen Nachrichten nachvollziehen zu können, arbeitet die Autorin mit Instrumenten der Medienanalyse, etwa dem Framing, und zeigt anhand von ausgewählten mikrohistorischen Fallbeispielen detailliert, wie Gerüchte, Übertreibungen und Falschmeldungen zu Migrationsgefahren weiterverbreitet, übersetzt, kommentiert, aufgebläht oder auch kritisiert wurden.
Das erste Kapitel führt in die brasilianischen Debatten zur Globalisierung des Landes in der Zwischenkriegszeit ein, die zwischen Ablehnung und Begeisterung pendelten. Neben Ängsten gab es auch Stimmen, die die globale Einbindung des Landes als Chance begriffen. Außerdem umreißt das Kapitel das Feld der brasilianischen Medienakteure, Zeitungen, Techniken und die internationalen Agenturen.
Auf dieser Grundlage bauen drei große empirische Kapitel auf. Zunächst geht es um die Pressehetze gegen deutsche Einwander:innen, die bei Eintritt Brasiliens in den Weltkrieg 1917 einen Höhepunkt erreichte. Zwar gab es bereits seit der Jahrhundertwende die Rede von der sogenannten deutschen Gefahr, wonach die südlichen Bundesstaaten mit einer großen deutschen Einwanderung sich dem Deutschen Reich anschließen oder sich unabhängig erklären könnten. Auslöser solcher Ängste war nicht zuletzt die Deutschtumspolitik vor Ort, die von der Kirche und Vereinen getragen und aus Deutschland unterstützt wurde.
1917 wurde dieses Thema im Rahmen alliierter Kriegspropaganda wieder in der Presse diskutiert. Dabei ergab sich ein Geflecht aus Gerüchten und Falschmeldungen, gegen die brasilianische Regierungsstellen erfolglos vorzugehen versuchten. Englischsprachige Medien meldeten im Februar 1917 eine bevorstehende deutsche Invasion und einen bewaffneten Aufstand von Deutschen in Südbrasilien. Brasilianische Zeitungen aus der Hauptstadt Rio de Janeiro und des südlichen Bundesstaats Santa Catarina lieferten sich eine Auseinandersetzung über eine angebliche Bewaffnung der Eingewanderten bis hin zu U-Booten, die sich gegenseitig hochschaukelte. Und auch die Luxburg-Affäre, bei der kompromittierende Telegramme eines deutschen Diplomaten in Argentinien bekannt wurden, wurde in Brasilien zu einem Medienereignis, das Ängste vor Deutschen schürte.
Kapitel 3 behandelt negative Meldungen zu japanischer Einwanderung in den 1920er-Jahren, die vor allem Ängste aufgrund von Zukunftsprojektionen hoher japanischer Einwanderungszahlen auslösen sollten. Solche Debatten wurden durch die US-amerikanische asienfeindliche Einwanderungspolitik und Presseartikel aus den USA beeinflusst. So verbreitete sich die Falschmeldung eines US-Journalisten über ein angebliches brasilianisch-japanisches Migrationsabkommen, das 500.000 Japaner:innen nach Brasilien bringen sollte, trotz diplomatischer Richtigstellung wie ein Lauffeuer. Weitere Medienereignisse diskutierten den U.S. Asian Exclusion Act von 1924 und ein japanisches Kolonisationsprogramm für Amazonien von 1926.
Das letzte Fallbeispiel widmet sich „unerwünschten“ Migrant:innen, eine Kategorie, die in der Zwischenkriegszeit nicht nur in Brasilien aufkam. Darunter verstanden Journalisten und Politiker solch unterschiedliche Einwandernde wie Kriegsinvalide, Kranke, Anarchist:innen, Leute ohne Nutzen für die Nation, Japaner:innen, Afro-Amerikaner:innen und Russ:innen. Im Begriff der „Unerwünschten“ spiegelte sich globales Bewusstsein besonders deutlich wider, nahm er doch auf den Weltkrieg, die Russische Revolution und andere global diskutierte Probleme Bezug. Eine Kampagne der Zeitung Correio da Manhã Anfang der 1920er-Jahre etablierte den Begriff und setzte aggressive Framing-Strategien ein, darunter die Invasionsmetapher und die Pathologisierung der Migrant:innen. Eine striktere Migrationspolitik war Ziel dieser Presseartikel.
Das Buch schließt mit einem Kapitel, das sich Zäsuren und Kontinuitäten widmet. So war die Revolte junger Militärs in São Paulo von 1924 ein Moment verdichteter Migrationsängste, da die Beteiligung von Ausländern an dem Aufstand überbetont wurde und sich die zuvor geäußerten Ängste bestätigt zu haben schienen. Xenophobe Positionen mündeten schließlich in die restriktive Migrationspolitik der 1930er-Jahre unter Präsident Getúlio Vargas, für die sie gewissermaßen das Fundament bildeten.
Karina Kriegesmanns Monographie zeigt eindrücklich die Funktionsweisen von „Fakenews“ und ihren Beitrag bei der Verschärfung von Xenophobie in einem Migrationsland und ist damit auch für die deutsche Gegenwart von Relevanz. Bereits in den 1920er-Jahren gelang schnell und einfach eine mediale Aufbauschung von Gefahren in Form von fremdenfeindlicher Pressehetze, obwohl die Taktung und Verbreitung von Nachrichten langsamer als heute waren.
Die Studie regt darüber hinaus weitere spannende Fragen an. Explizit untersucht sie nicht, wie die xenophobe Nachrichtenlage mit Integrationsproblemen vor Ort zusammenhing und ob und warum die Pressehetze in der Gesellschaft überhaupt verfing. Kriegesmann argumentiert in diesem Zusammenhang, dass weniger die konkreten sozialen Probleme in Brasilien als abstrakte Globalisierungsängste zu einem negativen Bild von Migration beitrugen. Wie das deutsche Beispiel vermuten lässt, gab es aber durchaus auch Alltagskonflikte im Zusammenhang mit Migration, wenn etwa bestimmte deutsche Migrant:innen den Besuch von portugiesisch-sprachigen Schulen ablehnten, Spendensammlungen für Deutschlands Sieg im Krieg durchführten oder selbst homophobe Texte über Brasilianer:innen veröffentlichten. Die Presse, so das Fazit von Kriegesmann, hat solche Probleme und Ängste jedoch nicht differenziert dargestellt, sondern durch Fälschungen, Überspitzungen und unbelegte Behauptungen zu einer xenophoben Grundstimmung verdichtet.