U. Machoczek (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten

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Titel
Deutsche Reichstagsakten. Der Reichstag zu Augsburg 1547/48, 3 Teilbände


Autor(en)
Machoczek, Ursula (Bearb.)
Reihe
Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe 18, hg. v. d. Hist. Komm. bei der Bayer. Akad. d. Wissenschaften durch Eike Wolgast
Erschienen
München 2006: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
2760 S.
Preis
€ 328,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Schmidt, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation erfreut sich als Altes Reich einer fast schon beängstigenden Forschungskonjunktur, die mit Arbeiten von Friedrich Hermann Schubert, Karl Otmar Freiherr von Aretin, Volker Press und Peter Moraw begann und seitdem anhält. Wollte man heute eine Liste derjenigen zusammenstellen, die über das Alte Reich forschen und publizieren, wäre eine eng bedruckte Seite kaum ausreichend. Doch wie erklärt sich dieses ausgeprägte, mit dem großen Erfolg der beiden Reichsausstellungen in Magdeburg und Berlin erst kürzlich wieder dokumentierte Interesse am Alten Reich, und warum finden sich in den Studien so heterogene Ansätze und Perspektiven? Die Antwort liegt darin, dass das Alte Reich in sich selbst nicht eindeutig war. Es lässt sich so aufbereiten und präsentieren, dass jeder seine Vorstellungen von einer vorbildhaften oder fremden, deutschen oder europäischen, staatlichen oder vor-staatlichen, politisch-herrschaftlich oder zeremoniell-ritenhaft institutionalisierten Ordnung darin wiederfinden kann.

Der gerade in drei Teilen erschienene Reichstagsaktenband zu 1547/48 bietet eine willkommene Gelegenheit, über Charakter und Struktur des Reiches zu reflektieren. Zu dieser traditionsreichen Editionsreihe ist in vielen Rezensionen inhaltlich und konzeptionell alles Wesentliche gesagt und wiederholt worden. Es ist erfreulich, dass die Bände nun in vergleichsweise schneller Folge erscheinen, auch wenn es unverständlich ist und bleibt, warum es keine EDV-Edition gibt. Man kann darüber streiten, welche Dokumente in welcher Form dargeboten werden und welchen Umfang der wissenschaftliche Apparat haben sollte. Um all dies kann es hier jedoch nicht noch einmal gehen: 2.760 Seiten, von denen etwas mehr als 50 auf die informative, die Probleme präzise und anschaulich darstellende Einleitung entfallen, sind ein gewichtiges Argument.

Die vorliegende Edition dokumentiert die Vorgeschichte, die überlieferten Kurienprotokolle sowie den Abschied dieses Reichstages. Darüber hinaus finden sich die zentralen Akten zu den Verhandlungspunkten Landfrieden, Reichskammergericht, Moderation der Reichsmatrikel, Religionsfrage, Reichsmünz- und Reichspolizeiordnung, beständiger Vorrat und Baugeld, Türkenabwehr, Supplikationen und Varia wie die Belehnung Kurfürst Moritz von Sachsen sowie den Burgundischen Vertrag.

Die entscheidende Frage lautet allerdings, ob die große Zahl der meist wörtlich wiedergegebenen Quellen neue Einsichten und Zusammenhänge bieten, die über das hinausgehen, was Horst Rabe und einige andere bereits publiziert haben. Dies ist selbstverständlich der Fall, doch das Neue erschließt sich letztlich nur demjenigen, der bereit ist, eine Vielzahl von Dokumenten wirklich zu lesen. Der komplex verlaufene, später als „geharnischt“ bezeichnete Reichstag, der am 1. September 1547 mit der kaiserlichen Proposition eröffnet wurde und nach zehn Monaten am 30. Juni mit der Verlesung des Abschiedes endete, sah Karl V. auf dem Höhepunkt seiner Macht. Er hatte begonnen, das Reich in seinem Sinne zu gestalten. Von diesen Kontexten – gefangenen Reichsfürsten, Treuevorbehalt der Aftervasallen, monarchischen Absichten etc. – findet sich in den Reichstagsakten erstaunlich wenig. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass sich die Bearbeiterin – sicherlich in Absprache mit dem Herausgeber – dafür entschieden hat, die kaiserlichen Bundespläne und die massiven reichsständischen Bedenken dagegen auszuklammern. Der Hinweis, dass der Bund bereits zuvor gescheitert war, mag richtig sein, doch er beschäftigte den Reichstag noch bis Ende des Jahres 1547. Bei den Verhandlungen ging es um nicht mehr und nicht weniger als die künftige Gestalt des Reiches: Staat der deutschen Nation oder monarchisch regierte Provinz eines multinationalen Imperiums? Während die Stände ihre Auffassung mit der pluralistischen politischen Kultur des Reiches begründeten und auf den auch publizistisch genutzten Topos von der deutschen Freiheit verwiesen, setzte Karl V. in Augsburg – wie ein Blick auf die nun vorliegenden kaiserlichen Verlautbarungen zeigt – auf die Formel von seinem geliebten Vaterland der deutschen Nation. Die Umcodierung des bisher eher von den evangelischen Ständen besetzten national-patriotischen Vokabulars scheiterte jedoch, weil bei diesem Kaiser, der beschuldigt wurde, die „hispanische servitut“ auch im Reich einführen zu wollen, politische Rhetorik und Handeln zu weit auseinanderklafften. Karl V. verlor den politischen Machtkampf.

Die ständische Reichskonzeption setzte sich 1547/48 durch: Die Machtposition Karls V. war relativiert. Dies lässt sich – zumindest zwischen den Zeilen – vielen Akten entnehmen, doch dazu muss man diese lesen. Das Register weist zwar Ortsnamen wie „Türkei“ oder „Frankreich“ auf, nicht aber „Reich“, „Deutschland“ oder „Reich deutscher Nation“. Unter „deutsch“ besitzt der „Deutsche Orden“ ein einspaltiges Monopol. Dass diese Begriffe zu häufig auftauchen (S. 2721), mag dieses Vorgehen erklären, erschwert aber Recherchen nach positiv oder negativ besetzten Schlagwörtern und ihren Kontexten, für die sich eine kulturgeschichtlich orientierte Verfassungsgeschichte besonders interessiert. Fündig wird man schnell: Weil Karl V. seine spanisch-italienischen Soldaten – entgegen dem Reichsherkommen – am Ort des Reichstags zusammenzog, sahen viele Protestanten in ihm den Totengräber der alten deutschen Freiheit. Angesichts der vielen Auseinandersetzungen wurde im Augsburger Rathaus ein Schiedsgericht für Nationalitätenkonflikte eingesetzt, an das sich jeder mit seinen Beschwerden wenden konnte, „der sey Hispanier, Italianer, Burgundier oder Teütscher“. Der Kaiser gebot, „das niemand, was nation der sey, den andern mit spottworten noch -wercken belaestige oder betruebe, weder der sprachen, trachten noch klaidung halben, sonder ain yeder den andern gebürlich und freündtlich anspreche und halte.“ Dieses modern klingende Diskriminierungsverbot ist Ausdruck bedrohlich eskalierter Nationalitätenkonflikte (Nr. 31, S. 206).

Die nationale Frage stand im Hintergrund zahlreicher Verhandlungen – auch beim Burgundischen Vertrag vom 26. Juni 1548: Von einem übergeordneten Ganzen, einem Reich oder einer Nation ist hier nirgends die Rede. Während die Stände von der normativen Zugehörigkeit Burgunds zum Reich seit den Tagen Maximilians I. ausgingen, unterstrich Karl V. den Nichtvollzug dieser Ordnungen (Nr. 260, S. 2167). Die neue Regelung betonte den vollen Schutz des Reiches für den neu formierten Burgundischen Kreis, beließ diesem aber alle alten Rechte. Der Kreis hatte zwei, im Falle eines Türkenkriegs drei Kurfürstenanlagen zu steuern und unterlag nur in diesem Punkt bei Landfriedensangelegenheiten den Reichsordnungen.

Während sich Karl V. im Falle Burgunds auch deswegen durchsetzte, weil dies den Ständen letztlich egal war, widersetzten sie sich entschieden seinen Vorstellungen in der Glaubensfrage. Das kaiserliche Interim war nicht konsensual ausgehandelt. Es galt nur für die Protestanten und stieß bei diesen auf ähnlich große Vorbehalte wie die Formula reformationis bei den Katholiken. Der Kaiser verkündete das Interim aus eigener Machtvollkommenheit, im Reichsabschied erscheint es bezeichnenderweise als ernstliches kaiserliches Ersuchen (Nr. 372b, S. 2656). Bei allem Nachdruck, den Karl V. dieser Regelung gab, ist dies doch etwas anderes als ein verbindlich ausgehandeltes Reichsgesetz.

Festzuhalten bleibt, dass die von Ursula Machoczek in etwa zehnjähriger mühevoller Arbeit besorgte Aktenedition des Augsburger Reichstages für die Erforschung des 16. Jahrhunderts sowie die Reichs- und Glaubensgeschichte höchst wichtig und nützlich ist. Sie sollte möglichst bald – wie alle Reichstagsaktenbände – im Internet für Volltextrecherchen zur Verfügung stehen. Dies würde es nicht nur den deutschen, sondern vor allem den ausländischen Historikern und Historikerinnen erleichtern, wichtige Akten deutscher Provenienz in ihre Darstellungen einzubeziehen.

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