M. Putnings u.a. (Hrsg.): Praxishandbuch Forschungsdatenmanagement

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Title
Praxishandbuch Forschungsdatenmanagement.


Editor(s)
Putnings, Markus; Neuroth, Heike; Neumann, Janna
Series
De Gruyter Praxishandbuch
Published
Berlin 2021: de Gruyter
Extent
VII, 587 S., 21 SW- und 28 Farb-Abb., 23 Tabellen
Price
€ 99,95
Reviewed for H-Soz-Kult by
Gero Schreier, Universitätsbibliothek Bern

Das Thema Forschungsdaten gehört vermutlich (noch) nicht zu den Herzensthemen der meisten nach klassischen (oder „traditionellen“) Verfahren arbeitenden Historiker:innen. Und doch halten in dem Maße, wie zum Beispiel verstärkt Quellen fotografiert, Interviews oder Texte transkribiert und ediert, digitale Bibliographien ausgewertet und erstellt werden, auch die Forschungsdaten unweigerlich Einzug in den Arbeitsalltag der Historiker:innen.

Gewiss ist das zugespitzt – und verkürzt die Problematik um wichtige Aspekte. So müssen die heuristischen Implikationen des Datenbegriffs kritisch reflektiert werden, und im Fall der Digital Humanities muss das Verhältnis von Forschung und Daten wohl noch grundsätzlicher gedacht werden.1 Ignorieren lässt sich das Thema indes nicht und nirgends (mehr). Das gilt erst recht vor dem Hintergrund förderpolitischer Entwicklungen der letzten Jahre. Drittmittelgeber wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) verlangen von Geförderten Strategien der Datenverwaltung und bisweilen auch das Publizieren von Forschungsdaten. Zudem wird das Datenmanagement im Kontext guter wissenschaftlicher Praxis verhandelt.2 Auf infrastrukturellem Gebiet hat die Thematik in Deutschland mit der 2018 begonnenen Einrichtung der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) und ihrer fachgebietsspezifischen Konsortien an Fahrt aufgenommen.3

In dieser dynamischen Situation erschien jüngst bei De Gruyter Saur ein knapp 600-seitiges „Praxishandbuch Forschungsdatenmanagement“, verfasst und herausgegeben von Spezialist:innen des Arbeitsfeldes. Das Handbuch bietet Einstiegs- und Orientierungswissen für Forschungsdatenmanager:innen, IT-Administrator:innen, Informationswissenschaftler:innen und die Management-Ebene von Forschungs- und Infrastruktureinrichtungen (etwa Bibliotheken) oder Forschungsverbünden. Damit knüpft das Buch an inhaltlich (wenn auch nicht im Umfang) vergleichbare Handbücher von 2011 und 2016 an4 und lässt zugleich an zahlreiche ähnliche Titel aus dem englischsprachigen Raum denken.5 Forschende, die Hilfestellungen für die tägliche Arbeit mit Daten suchen, werden demgegenüber eher bei einschlägigen Informationsportalen im Internet6 oder in (zumeist englischsprachigen) Lehrbüchern7 fündig.

Das „Praxishandbuch Forschungsdatenmanagement“ gliedert sich in fünf große Abschnitte, die jeweils zwischen drei und sechs Kapitel enthalten. Der mit „Datenökosystem“ überschriebene Abschnitt befasst sich mit den gesellschaftlichen, (förder-)politischen, rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen des Forschungsdatenmanagements. Teil zwei („Datenmarkt“) beschreibt die Ökonomie jeweils spezifischer Datensammlungen im kommerziellen, wissenschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Sektor. Unter der Überschrift „Datenkultur“ (Abschnitt drei) wird die Formation der Akteure auf dem wissenschaftlichen Datenmarkt fokussiert – es geht um Aus- und Weiterbildung, um Schulungs- und Beratungskonzepte, aber auch um „Barrieren, Hemmschwellen und Gatekeeper“ innerhalb dieses Systems. Teil vier behandelt in managementtauglicher Flughöhe das „Datenmanagement“, also Themen wie Planung der Datenverwaltung, Beschreibung und Dokumentation von Forschungsdaten, Datenspeicherung und Qualitätsmanagement. Der fünfte Abschnitt stellt „Datentransfer und -nachnutzung“ ins Zentrum, also Punkte wie Auffindbarkeit, Nachnutzung und Zitation von Daten; er bietet aber auch Ausblicke auf Einrichtung und Architektur von Suchsystemen und Grundlagen der Datenvisualisierung. Ein abschließendes Kapitel skizziert die Entwicklung und den derzeitigen Stand der NFDI sowie komplementärer Initiativen auf Ebene der deutschen Bundesländer.

Obwohl das Buch nicht speziell für Historiker:innen geschrieben ist, dürften bei diesen dennoch einige Kapitel auf Interesse stoßen. Allen, die Debatten und Auflagen der Forschungsförderer zu Forschungsdaten im Kontext betrachten und verstehen wollen, ist mit einigen Kapiteln gedient, die, wenngleich nicht frei von fachlichem Jargon (und zahllosen, glücklicherweise im Anhang aufgeschlüsselten Akronymen), die Einflussfaktoren der jetzigen Situation und ihrer Entstehung skizzieren (Peter Wittenburg / Kathrin Beck sowie Achim Streit / Jos van Wezel, S. 11–52). Für einen ersten Überblick von konkreten Maßgaben der Forschungsförderer eignet sich die hier zu findende Aufstellung (Markus Putnings, S. 53–88), die erfreulicherweise neben DFG und EU auch die Förderer aus Österreich und der Schweiz einbezieht. Indes wird sie wahrscheinlich in nicht allzu ferner Zukunft veraltet sein; eine fundierte Beratung durch die an den meisten Forschungseinrichtungen zu findenden Unterstützungsabteilungen kann und will sie nicht ersetzen.

Hohen Nutzen insbesondere für zeitgeschichtlich Forschende, sofern sie mit sensiblen Personendaten, vertraulichen oder klassifizierten Informationen arbeiten, haben die Beiträge von Anne Lauber-Rönsberg zu rechtlichen Fragen (S. 89–114) und von Hermann Rösch zu ethischen Aspekten (S. 115–140). Diese Texte bereiten den Stand der jeweiligen Sachlagen und Fachdiskussionen kompakt, differenziert und auch für Laien gut verständlich auf. Das erstgenannte Kapitel fokussiert dabei vor allem auf das deutsche bzw. europäische Datenschutzrecht; andere Bereiche, die bei Historiker:innen immer wieder für Kopfzerbrechen sorgen, wie Urheber-, Leistungs- und Persönlichkeitsschutzrechte bei Verstorbenen, werden knapp angerissen.

So profund diese und andere Kapitel des Buches sind, vermisst man doch eine Reflexion auf die Situation in Fachkulturen, in denen – wie mancherorts in den Geschichts- und anderen Geisteswissenschaften – kein Bezug zur Forschungsdaten-Thematik gesehen wird oder diese sogar Widerstände hervorruft. Achim Oßwalds Beitrag über „Barrieren, Hemmschwellen und Gatekeeper“ (S. 277–295) thematisiert vor allem Gründe, die auf der Ebene der Forschungs- und Projektorganisation ein Forschungsdatenmanagement verhindern; Faktoren dagegen, die in fachspezifischer Sozialisation oder Heuristik angelegt sind, kommen nur knapp und ziemlich allgemein zur Sprache. Die intensiven Erörterungen der geisteswissenschaftlichen Perspektive, die in den letzten Jahren von Informations- und Bibliothekswissenschaftler:innen geführt wurden8, werden hier nicht aufbereitet. Wahrscheinlich müsste eine Diskussion dieser Problematik, die Historiker:innen erreichen soll, noch an anderen Orten stattfinden, aber eine solche Reflexion hätte sicher auch vielen der direkten Adressat:innen des Buches helfen können, um zum Beispiel in Gesprächs- oder Beratungskontexten entsprechend reagieren zu können.

Vieles ist im Bereich Forschungsdaten noch im Fluss. Augenfällig zeigt sich das daran, dass übergreifende (Infra-)Strukturen derzeit erst im Entstehen sind. Zu erwarten ist, dass das Thema in Zukunft für die konkrete Forschungspraxis auf breiter Front weiter an Relevanz gewinnen wird – und damit auch in geisteswissenschaftlichen Disziplinen, die sich bisher nicht dezidiert als digital definier(t)en. Insofern erscheint dieses Handbuch in mancher Hinsicht nicht als enzyklopädisch-abschließend, sondern, so imposant es daherkommt, eher als Zwischenbilanz oder Momentaufnahme. Ironisch mag man daher goutieren, dass das Buch teilweise allzu flüchtig redigiert wirkt. Insbesondere zeigt sich das an der uneinheitlichen, meist unkorrekten (Nicht-)Setzung von Kommata oder von Bindestrichen bei Komposita. Ein Teil eines Beitrags wurde anscheinend maschinell ins Deutsche übersetzt; die mangelhafte Qualität der Übertragung geht deutlich zulasten der Lesbarkeit. Von einem Verlag wie diesem muss man sorgfältigere Redaktionsarbeit erwarten. Hingegen kann man im Sinne der Offenheit, die auch in den Debatten um Forschungsdaten keine geringe Rolle spielt, positiv vermerken, dass das Praxishandbuch vollständig im Open Access zugänglich ist9 und die Gesamtbibliographie als öffentliche Zotero-Bibliothek zur Verfügung steht.10

Anmerkungen:
1 Vgl. z.B. Fabian Cremer / Lisa Klaffki / Timo Steyer, Der Chimäre auf der Spur: Forschungsdaten in den Geisteswissenschaften, in: o-bib. Das offene Bibliotheksjournal 5 (2018), Nr. 2, S. 142–162, https://doi.org/10.5282/o-bib/2018h2s142-162 (28.06.2021).
2 Siehe Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Kodex – Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, Juli 2019, https://wissenschaftliche-integritaet.de (28.06.2021).
3 Siehe Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) e.V., https://www.nfdi.de (28.06.2021).
4 Stephan Büttner / Hans-Christoph Hobohm / Lars Müller (Hrsg.), Handbuch Forschungsdatenmanagement, Bad Honnef 2011, https://doi.org/10.34678/opus4-208 (28.06.2021); Stephan Büttner u.a., Lehrbuch Forschungsdatenmanagement, 18.01.2016, https://handbuch.tib.eu/w/Lehrbuch_Forschungsdatenmanagement (28.06.2021).
5 Exemplarisch Andrew M. Cox / Eddy Verbaan, Exploring Research Data Management, London 2018.
6 Forschungsdaten.info, https://www.forschungsdaten.info (28.06.2021); Forschungsdaten.org, https://www.forschungsdaten.org (28.06.2021).
7 Für Sozial- und Geisteswissenschaftler:innen sei insbesondere hingewiesen auf Louise Corti u.a., Managing and Sharing Research Data. A Guide to Good Practice, 2., vollständig überarb. Aufl. London 2019 (1. Aufl. 2014).
8 Vgl. Anm. 1.
9https://doi.org/10.1515/9783110657807 (28.06.2021).
10https://www.zotero.org/groups/2497964/praxishandbuch_forschungsdatenmanagement (28.06.2021).

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