A. Spranger: Theodor Zlocisti – Die multiplen Zugehörigkeiten eines Zionisten

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Titel
Theodor Zlocisti – Die multiplen Zugehörigkeiten eines Zionisten.


Autor(en)
Spranger, Albrecht
Reihe
Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne 23
Erschienen
Berlin 2020: Neofelis Verlag
Anzahl Seiten
424 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabrina Schütz, Didaktik der Geschichte, Universität Regensburg/Institut für Geschichte

Mit seiner Dissertationsschrift legt Albrecht Spranger erstmals eine Biographie von Theodor Zlocisti (1874–1943) vor und widmet sich damit einem heute kaum mehr bekannten Berliner Zionisten, der zu den Protagonisten der frühen zionistischen Bewegung in Deutschland zählte. Im Gegensatz zum Gros der deutschen Zionisten, welche die Auswanderung nach Palästina vor 1933 kaum ernsthaft in Erwägung zogen, emigrierte Zlocisti bereits 1920. In Tel Aviv wirkte er u.a. am Aufbau der Gesundheitsfürsorge mit und beteiligte sich führend an der Gründung von Organisationen deutschsprachiger Emigranten, wie z.B. der Hitachduth Olej Germania (HOG). Mitte der 1930er-Jahre zog er sich nach Haifa zurück, wo er 1943 starb.

Zlocistis Leben und Wirken „in seiner gesellschaftlichen Vermitteltheit“ zu untersuchen, um dadurch Erkenntnisse über die „Konfliktlinien innerhalb des deutschen Zionismus bzw. deutschen Judentums, über das spannungsgeladene Verhältnis von Juden zur nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft sowie über die Zugehörigkeiten deutscher Zionisten in Palästina“ (S. 16) zu gewinnen, sind die Ziele der Studie. „Zugehörigkeit“ dient Spranger dabei – in bewusster Abgrenzung zum aus seiner Sicht weniger scharfen Begriff „Identität“ – als „Analysekategorie“ (S. 18).

Um einem teleologischen Narrativ entgegenzuarbeiten, verzichtet der Autor auf eine streng chronologische Darstellung und verbindet plausibel biografische und systematische Analyse (vgl. S. 19). Entsprechend Zlocistis Lebensabschnitten vor und nach seiner Emigration gliedert sich die Studie inhaltlich in zwei einleitend ausgewiesene Hauptteile, dessen erster, umfangreicherer Zlocistis Kindheit in Berlin bis zum Ersten Weltkrieg in Kapitel zwei bis sieben behandelt. Der zweite, ungleich kürzere Teil legt Zlocistis Leben in Palästina von 1920 bis 1943 in Kapitel acht und neun dar. Die ausgewählten Lebensstationen sind damit in insgesamt acht Kapitel untergliedert, welche wiederum durch etwas unübersichtliche Zwischenüberschriften im Fließtext thematisch unterteilt werden.

In den ersten drei Kapiteln seiner Studie zeichnet Spranger Zlocistis Sozialisation zwischen „mehrere[n] Welten“ (S. 21) und seine Hinwendung zum Zionismus detailliert nach. Geboren in der Nähe von Danzig, wirkten auf den Sohn osteuropäisch-jüdischer Einwanderer in Berlin vielfältige, sich zum Teil widersprechende Einflüsse: das proletarische Milieu im Scheunenviertel, die zeitgleichen orthodoxen Traditionen sowie Akkulturationstendenzen des Elternhauses, die säkular-bürgerliche Umwelt und das Leben „an einer Schnittstelle zwischen Ost und West“ (S. 25). Zugleich partizipierte Zlocisti, der Arzt wurde, am Integrationsstreben deutscher Juden, das von der historischen Forschung als Verbürgerlichungsprozess beschrieben wurde. Ab den 1890er-Jahren begann sich Zlocisti aktiv an einer Reihe frühzionistischer Vereine zu beteiligen und zählte u.a. zu den Mitbegründern der national-jüdischen Studentenbewegung. Nach seiner Teilnahme am Ersten Zionistenkongress 1897 förderte er zudem als Autor und Funktionär die im selben Jahr gegründete Zionistische Vereinigung für Deutschland und wurde zu einem der prominentesten Akteure der zionistischen Bewegung in Deutschland. Dank Sprangers Analyse wird hier vor allem Zlocistis Zionismusverständnis deutlich: Zlocistis Zionismus zeichnete sich durch eine tiefe Verbundenheit mit der deutschen Kultur aus. Ein nationales Judentum stellte für ihn keinen Widerspruch zum Bekenntnis zu deutschem Staatsbürgertum und deutschem Patriotismus dar. Zugleich war für Zlocisti der jüdische Nationalismus auch immer eine aktive „Bewältigungsstrategie[n] des Antisemitismus“ (S. 123).

Die folgenden zwei Kapitel konzentrieren sich auf Zlocistis ideologische Positionierung in der zionistischen Bewegung. Hier gelingt es Spranger einmal mehr unter Beweis zu stellen, dass eine allzu starre Unterscheidung in politischen, praktischen und Kulturzionismus nur wenig erkenntniserbringend ist. In Zlocistis Zionismus überlagerten sich zeitgleich politische und kulturnationalistische Vorstellungen, die je nach Situation unterschiedlich stark hervortraten und sich mit lokalen, fraktionellen und generationellen Selbst- und Fremdzuschreibungen überschnitten (vgl. S. 155f.). Im Anschluss geht der Autor vor allem der Frage nach, wie sich Zlocisti zwischen deutscher und jüdischer Nationalität verortete. Er rekonstruiert beispielsweise die Haltung Zlocistis zu den zeitgenössischen Debatten über einen „Volkskörper“ und das Konzept der „Rasse“. Ferner arbeitet Spranger Zlocistis Rezeption des „Ostjuden“-Mythos und seine Beteiligung an der Konstruktion einer jüdisch-säkularen Nationalkultur heraus. Die Auseinandersetzung Zlocistis mit den ihn umgebenden Diskursen war, so belegt Spranger, stets ambivalent, „zwischen Ost und West sowie zwischen Deutsch-Sein und Jüdisch-Sein“ (S. 201). Auch im siebten Kapitel, das sich Zlocistis Weltkriegserfahrungen widmet, werden diese Ambivalenzen und seine Bezugnahme auf zeitgleiche deutsche Diskurse wie dem preußisch-deutschen Militarismus, dem deutschen Imperialismus und Orientalismus deutlich.

In den beiden letzten Kapiteln kontrastiert Spranger „Sehnsuchtsort“ und „Realität Palästina“. Wie für viele andere deutsche Zionisten handelte es sich bei Zlocistis Palästina zunächst mehr um ein Konstrukt als um einen konkreten Raum. Das Palästina seiner zionistischen Wahrnehmung war eine imaginierte Landkarte, eine „‚geistige‘ Heimat“ (S. 244), die einen Gegensatz zum als disparat erfahrenen Leben in der Diaspora darstellte. Die Übersiedlung nach Palästina wurde für Zlocisti erst im Zuge allgemeiner palästinozentrischer Tendenzen im deutschen Zionismus zur persönlichen Absichtserklärung. Wie aus Sprangers plausibler Analyse hervorgeht, stellte die Emigration für Zlocisti jedoch keinen Grund dar, seine bisherigen Zugehörigkeiten zu negieren. Spranger charakterisiert Zlocisti, der sein „‚kulturelle[s] Gepäck‘ […] mit nach Palästina brachte“ hier treffend im „Dazwischen“ (S. 283). So fühlte sich Zlocisti, der auch nach zwanzig Jahren in Palästina kaum Hebräisch sprach, primär als deutscher, „bürgerlich-rechter Zionist“ (S. 378) und damit als Außenseiter sowohl in der mehrheitlich osteuropäisch und sozialistisch geprägten Gesellschaft des Jischuws, dem vorstaatlichen, jüdischen Gemeinwesen in Palästina, als auch im um Verständigung bemühten deutschen Zionismus.

Sprangers Arbeit reiht sich ein in eine Vielzahl von biografischen Forschungen zu deutschsprachigen Zionisten, die in den letzten Jahren erschienen sind.1 Im Einklang mit der modernen Zionismusforschung bestätigt Spranger, dass die Geschichte des deutschen Zionismus als Teil der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte und in Bezugnahme auf den deutschen Nationalismus betrachtet werden muss. Demzufolge fokussiert er vor allem im zuvor skizzierten ersten Teil seiner Studie auf eine Reihe von Diskursfeldern und Schlüsseldebatten, die allerdings größtenteils bereits in anderen wissenschaftlichen Publikationen zum Zionismus erforscht worden sind. Gerade hier sind Sprangers Versuche, die Nationalismusvorstellungen Zlocistis in den zionistischen Diskurs einzuordnen, stellenweise etwas zu detailreich und es treten in einigen Abschnitten Redundanzen auf. An anderen Stellen, so etwa bei den Kolonialdiskursen, fällt die Kontextualisierung hingegen auffallend kurz aus. Hinzu kommt, dass die Aufgabe der linearen Erzählung zwar in der Sache durchaus nachvollziehbar ist, bisweilen aber zur Folge hat, dass die Argumentation vor allem in den ersten Kapiteln teilweise etwas zu stark springt. Insgesamt muss die „historische Offenheit und Widersprüchlichkeit des deutschen Zionismus“ (S. 11), welche es laut Spranger am Beispiel Zlocistis zu zeigen gilt, mittlerweile auf der Basis bereits bestehender Studien zum deutschen Zionismus2 auch weniger als Erkenntnisziel, denn als Forschungskonsens betrachtet werden. Es ist fraglich, ob die Kategorie der „Zugehörigkeit“ hier tatsächlich neues Erkenntnispotential verspricht, zumal einleitend eine grundlegende eigene Begriffsklärung ausbleibt.

In diesen Schwächen seiner Studie liegt aber auch eine Stärke begründet. Indem Spranger durchgehend schlüssig und konsequent darlegen kann, dass „multiple[n] Zugehörigkeiten“ (S. 19f.) Zlocistis Lebensweg kennzeichneten, ermöglicht er einen personalisiert-konkreten und individualisierten Zugang zu den heterogenen Nationalismusvorstellungen deutscher Zionisten und den inneren Widersprüchen des deutschen Zionismus insgesamt. Dadurch werden die Ansätze der allgemeinen Forschung zum deutschen Zionismus wesentlich bestätigt bzw. verstärkt. Besonders beeindruckt Sprangers Studie durch den Umfang der herangezogenen Quellen. So hat er unter anderem erstmals den Nachlass des deutschen Zionisten in den Central Zionist Archives ausgewertet und um zahlreiche weitere Quellenbestände ergänzt. Nicht zuletzt nimmt sich Spranger mit den konfliktreichen Positionierungen deutsch-zionistischer Emigranten in Palästina vor der Staatsgründung Israels ein bisher noch wenig untersuchtes, spannendes Forschungsfeld vor. Insgesamt ist Spranger damit eine lesenswerte biografische Studie zu Theodor Zlocisti gelungen, die jenseits von Erzählungen nationaler Homogenität einmal mehr zeigt, wie mehrdeutig, situativ und mitunter widersprüchlich die Positionen deutscher Zionisten waren.

Anmerkungen:
1 Zu nennen sind hier beispielsweise die bereits erschienenen oder noch unveröffentlichten Studien zu David Wolffsohn, Heinrich Loewe, Richard Lichtheim oder Davis Trietsch. Vgl. z.B. Frank Schlöffel, Heinrich Loewe. Zionistische Netzwerke und Räume (Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne, Bd. 8), Berlin 2016.
2 Vgl. hier z.B. Stefan Vogt, Subalterne Positionierungen. Der deutsche Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland 1890–1933, Göttingen 2016.

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