J. Hillgärtner: News in Times of Conflict

Title
News in Times of Conflict. The Development of the German Newspaper, 1605–1650


Author(s)
Hillgärtner, Jan
Series
Library of the Written Word 90
Published
Price
€ 112,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Holger Böning, Deutsche Presseforschung, Universität Bremen

Wer je mit den ersten periodisch erscheinenden gedruckten Zeitungen der Welt gearbeitet hat, die von 1605 an im deutschen Sprachraum wöchentlich im Takt der Post erschienen, kennt die Schwierigkeiten der Identifizierung von Druckort, Verleger und Drucker – von den Korrespondenten ganz zu schweigen –, denn in der Tradition der handgeschriebenen Wochenzeitungen hatten sie zumeist weder einen Titel noch ein Impressum. Da aber die Korrespondenzorte der einzelnen Nachrichten und deren Datum genannt wurden, lässt sich manchmal durch den Abgleich von Nachrichtenwegen und Veröffentlichungsdaten oder auch mittels der äußeren Gestaltung – Drucklettern oder Schmuckstücke, die durch Vergleich Druckern zugeordnet werden können – mit einiger Sicherheit bestimmen, an welchem Ort eine Zeitung herausgegeben wurde. So war es forschungsgeschichtlich ein großer Durchbruch, dass Else Bogel und Elger Blühm vor einem halben Jahrhundert nach jahrzehntelangen Forschungsanstrengungen ihr Bestandsverzeichnis der deutschen Zeitungen des 17. Jahrhundert vorlegen konnten.1 Es bedurfte großer Findigkeit bei der Suche nach den Quellen, denn Zeitungen waren bis ins 19. Jahrhundert zumeist kein Sammelgebiet der Bibliotheken; die nationalbibliographische Verzeichnung von Periodika ist bis heute eine Katastrophe. Besonders große Funde konnten in den Archiven der auswärtigen Ämter der europäischen Großmächte gemacht werden, denn dort sammelte man die deutschen Zeitungen, weil in diesen zuverlässig über das politische und militärische Geschehen berichtet wurde.

Dieser Vorerinnerung bedarf es, denn die von Bogel und Blühm sowie von deren Nachfolgern zusammengetragenen Quellen – für das 17. Jahrhundert etwa 60.000 Zeitungsnummern von 160 Zeitungsunternehmen in mehr als 50 Druckorten – sind sämtlich im Bremer Institut Deutsche Presseforschung vorhanden und auf der Homepage der Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen digitalisiert zugänglich. Auch wenn diese überlieferten Zeitungen lediglich einen kleinen Teil der tatsächlich erschienenen ausmachen, bilden sie – jedenfalls, was die Inhalte der Zeitungen angeht – ein solides Fundament der hier vorliegenden Dissertation, wobei es für den bearbeiteten Zeitraum von 1605 bis 1650 um insgesamt 99 Zeitungstitel geht. Der Behauptung Hillgärtners aber, die Recherche in Bibliotheken und Archiven habe „a much firmer basis of knowledge for the present study” (S. 13f.) geliefert, verwundert. Von den zwölf behaupteten neuen Funden finden sich zehn im Quellenverzeichnis (S. 257–294), bei ihnen handelt es sich bis auf einen Fall um Einzelnummern von Zeitungen oder zeitungsähnlichen Drucken, bei denen allenfalls vermutet werden kann, dass hier Zeugnisse für bisher unbekannte neue Zeitungsunternehmen vorliegen, da Erscheinungsort und etwaige Periodizität nicht ermittelt werden konnten. Die wenigen neuen Stücke ändern an unserem Wissen praktisch gar nichts.

Die Studie bietet zunächst drei Kapitel zur Geschichte der deutschen Zeitungen („The History of the German Newspaper“), zur Entwicklung der Zeitungsunternehmen („The Growth of the Newspaper Industry“) und eine Art Neubewertung des Zeitungswesens unter dem Titel „The Anatomy of the Newspaper Revisited“. Zwei weitere Kapitel stellen die Zeitungsinhalte in den Mittelpunkt und befassen sich mit dem Tod des schwedischen Königs in der Schlacht bei Lützen und der Hinrichtung von König Karl I. von England im Jahr 1649.

Die Geschichte der Zeitung im 17. Jahrhundert ist bereits oft erzählt worden, unter anderem vom Autor selbst.2 Es ist ein wenig enttäuschend, dass man eigentlich nur erfährt, was man zur Entstehung und Entwicklung der periodischen gedruckten Zeitung während ihrer ersten Jahrzehnte aus der Literatur bereits wusste. Es kommt zu kurz, dass die Zeitungen aus einem bereits hochentwickelten handschriftlich vermittelten Nachrichtensystem entstanden, in dem Berichte zum Weltgeschehen, produziert von bestinformierten Korrespondenten, zur Ware geworden waren. Viele Informationen sind wenig systematisch nebeneinandergestellt, oft unglücklich ausgewählt, wenn es, um hier nur ein Bespiel zu nennen, etwa heißt, der Produktionsplan der Zeitung habe von der Postkutsche abgehangen, ein regelmäßiger Kutschenverkehr sei Grundvoraussetzung des Zeitungsgeschäfts gewesen (S. 7). Kein Wort von den bewundernswert zuverlässigen Postreiterstafetten, die maßgeblich zur Erhöhung der Aktualität der Zeitungen beitrugen3, stattdessen wird von dem „often ramshackle German postal network“ gesprochen (S. 37), dann aber auf einmal mehr als hundert Druckseiten weiter über das von der Familie Taxis aufgebaute Relaissystem berichtet (S. 166f.).

Wenn der Autor konstatiert, die Forschungen zur deutschen Pressegeschichte hätten sich entweder für Fallstudien entschieden oder die Entwicklung der Presse in einer chronologischen Erzählung dargestellt, seine eigene Studie sei die erste, die das Pressewesen einer systematisch vergleichenden Analyse unterziehe, dann hat er übersehen, dass eine solche Analyse aufgrund der nur zu einem kleinen Teil überlieferten Quellen nur sehr bedingt möglich ist. Alle quantifizierenden Angaben müssen stets mit einem fett gedruckten Fragezeichen versehen werden, allein die auf fünfzig Druckseiten vorgenommene Auszählung der in den überlieferten Exemplaren zu findenden Korrespondenzorte ist mit ihren Ergebnissen zwar sicherlich repräsentativ (S. 197–256). Aussagen wie, nur sechsundzwanzig Titel seien länger erschienen als zwölf Monate (S. 40), verbieten sich aber bei einer so stark von Zufällen abhängigen Überlieferungsgeschichte und angesichts des Forschungsstandes: Nur für sehr wenige Orte im deutschen Sprachraum liegen systematische Ermittlungen zu allen in der Frühen Neuzeit jemals erschienenen Periodika vor, die statistische Aussagen erlauben, doch sind die dem Autor unbekannt.

Verglichen mit Aussagen zur Statistik kommt sehr kurz, was an qualitativer Analyse möglich gewesen wäre, obwohl für sie die Quellenüberlieferung völlig ausreichend ist. Es entsteht im Grunde kein Bild von dem, was man als ein kleines Wunder bezeichnen könnte, dass nämlich inmitten von Tod und Zerstörung ein neues Handwerk zu blühen begann und innerhalb weniger Jahrzehnte im deutschen Sprachraum flächendeckend gedruckte Zeitungen erschienen, dass sich durch die regelmäßige Berichterstattung der Zeitungen eine Öffentlichkeit von schnell erheblicher Reichweite entwickelte, die Zeitung zum verbreitetsten weltlichen Lesestoff wurde und die Sicht auf Gesellschaft und Politik säkularisierte, dass jede Vorstellung absurd erscheint, die Bevölkerung wäre von der Politik und deren Einwirken auf das Zeitgeschehen ausgeschlossen gewesen, dass in vielen Fällen von Arkanpolitik keine Rede sein konnte, sondern die Zeitungsleser von Entscheidungen erfuhren, von denen Historiker bis heute behaupten, dass sie Staatsgeheimisse gewesen seien, und endlich, dass wir es in der frühen Presse mit Berichterstattern zu tun haben, die keineswegs Journalisten waren, die von der Sache, über die sie berichteten, nichts oder wenig verstanden, sondern den politisch, diplomatisch und militärisch maßgeblichen Personengruppen so nahestanden, dass sie beurteilen konnten, was ihre Nachrichten bedeuteten.

Gerade weil im Erscheinungszeitraum, den Hillgärtner bearbeitet hat, ein verheerender Krieg im Mittelpunkt der Berichterstattung stand, hätte gezeigt werden können und müssen, dass kein Zweifel daran zulässig erscheint, dass ein großer Teil der Bevölkerung über die Geschehnisse des Dreißigjährigen Krieges durch die Zeitungen gut informiert war, vermutlich viel besser als wir Heutigen, die wir über aktuelle Kriegshandlungen nur noch erfahren, was Militär und Geheimdienste preisgeben wollen. Schandtaten der „Unseren“ zu nennen, war in der historischen Presse nicht unüblich. Wer behauptet, dass die von den Zeitungen favorisierten reinen Tatsachenberichte durch das Fehlen von Kontext und Hintergrund für relativ unerfahrene Leser schwer zu verstehen gewesen seien (S. 4), kaut nach, was in der älteren Forschungsliteratur behauptet wurde, hat sich aber nie die Mühe gemacht, Berichte über einen längeren Zeitraum zu studieren, in denen natürlich nicht jedes Mal aufs Neue alle Zusammenhänge erläutert wurden, aber im Ganzen bemerkenswert detailliert, zuverlässig und höchst verständlich ein Gesamtbild der Ereignisse entstand, an dem auch der professionelle Historiker nichts Wichtiges vermissen wird. Bereits die Berichterstattung in den beiden frühesten gedruckten periodisch erscheinenden Zeitungen der Welt informierte den Leser im ersten überlieferten Jahrgang 1609 über die wesentlichen Konfliktlinien, die ein Jahrzehnt später dem Dreißigjährigen Krieg sein Gesicht geben sollten, und berichteten von Beginn an so umfassend und zuverlässig über das Weltgeschehen, dass dem Leser ein eigenes Urteil ermöglicht wurde. In Hillgärtners Arbeit ist von der bemerkenswerten Qualität der Zeitungsberichte ebenso wenig die Rede wie von der hohen Kompetenz der Berichterstatter, auch nicht davon, dass viele der Korrespondenzen auch heute noch in jeder Zeitung stehen könnten und höchst sachkundige, analytisch berichtende Chronisten des Zeitgeschehens zeigen.

Pauschale Urteile, die Berichterstattung in Zeitungen sei oft widersprüchlich, verwirrend und unzuverlässig gewesen, die Leser hätten damit rechnen müssen, dass Geschichten, die ihnen in einer Ausgabe als Fakten präsentiert wurden, in den folgenden Ausgaben revidiert wurden, verbieten sich, wenn man die Zeitungsberichterstattung wirklich einmal über Einzelstücke hinaus über einen längeren Zeitraum zur Kenntnis genommen hat. Hillgärtner meint, seine Behauptung am Beispiel der Schlacht von Lützen und dem Tod des schwedischen Königs belegen zu können. Statt die Zeitungsberichterstattung zu analysieren, erzählt er unter der Überschrift „Conveying the Right Story“ über fünf seiner knapp 200 Druckseiten umfassenden Studie die Schlachtschilderungen in der Forschungsliteratur nach (S. 131–136). Er hätte stattdessen einmal die Stuttgarter Zeitung in die Hand nehmen sollen, um festzustellen, mit welchem bewundernswerten Detailreichtum die Ereignisse im eigentlichen Gegenstand seiner Studie dargestellt wurden. Stattdessen nimmt er einen einzigen Bericht aus einer Hamburger Zeitung, die unmittelbar nach der Schlacht erschien, und spricht von einer „stark verzerrten Form der Berichterstattung“ (S. 138). Besonders bemerkenswert an dem Bericht erscheint Hillgärtner, dass der Tod Gustav Adolfs nicht erwähnt ist. In der nahezu parallel erschienenen Stuttgarter Zeitung hätte er nicht nur sehr genaue Berichte von der Schlacht lesen können, sondern auch die Klage eines schwedenfreundlichen Berichterstatters, „wann nur Kön. M. in Schweden noch lebte/ die so bald anfangs von 3. schüssen bliben/ dero Leichnam ist zur Naumburg balsamirt worden“. Aber auch in der nächsten Ausgabe der Hamburger Zeitung lesen wir in einem Bericht vom 23. November, Kursachsen betrauere den Tod des Königs sehr, der Befehl über die schwedische Armee sei Herzog Bernhard übergeben worden.4 Aus der in der Forschung bekannten Tatsache, dass der Frankfurter Postmeister die Nachricht über den Tod Gustav Adolfs bewusst zurückhielt, erfolgt hier eine Verallgemeinerung, die nicht zulässig ist, ja, aus einem einzigen Bericht die Behauptung abzuleiten, dieser sei repräsentativ für den voreingenommenen Ton und die Einbeziehung unsicherer Nachrichten in der Zeitungsberichterstattung, ist nicht erlaubt. Diesem dann eine handgeschriebene Nachricht gegenüberzustellen, in der es nüchtern geheißen habe „Gustavus ist letzten Samstag gestorben und die gesamte schwedische Armee ist in Trauer über den Verlust“, und daraus das Urteil abzuleiten, solche handschriftlichen Nachrichtenbriefe seien generell zuverlässiger, ja, sie seien auch im Zeitalter der gedruckten Nachrichten immer noch der Goldstandard für Genauigkeit und Zuverlässigkeit gewesen, entspricht der älteren Forschung, nicht aber den Tatsachen (S. 4, 147f.). Aus der handschriftlich vermittelten Nachricht vom 22. November, der Körper des Königs solle nach Naumburg gebracht werden (S. 153), leitet Hillgärtner ab, der Korrespondent habe Zugang zu persönlichen Quellen aus dem Gefolge Gustavs gehabt, was in krassem Gegensatz zu den Quellen gestanden habe, über welche die Zeitungsherausgeber verfügt hätten. Dabei war dieselbe Nachricht wie oben zitiert bereits in einem Zeitungsbericht vom 16. November fast ganz genau so zu lesen. Übrigens sind auch höchst detaillierte Berichte über die Stärke der feindlichen Heere, deren Fehlen Hillgärtner behauptet, eher die Regel als die Ausnahme in der Zeitungsberichterstattung, wie an den digitalisierten Zeitungsbeständen leicht überprüft werden kann.

Tatsächlich entstammten nahezu alle Nachrichten, ob handgeschrieben oder gedruckt, wenn es sich nicht geradezu um geheimdienstliche Informationen handelte, demselben Nachrichtensystem. Es gab gute handgeschriebene Zeitungen und schlechte; für die gedruckten gilt gleiches. Wenn Hillgärtner die sogenannten Fuggerzeitungen als Beispiel für einen exklusiven Nachrichtendienst für Europas Herrscher und Kaufleute nennt (S. 148, weitere falsche Informationen S. 26, 76), dann hat er das Ergebnis umfangreicher Forschungen nicht zur Kenntnis genommen, wonach es gar keine Fuggerzeitungen gab, sondern es sich dabei vorwiegend um eine Sammlung von handgeschriebenen Wochenzeitungen handelt, die bereits Teil des gewöhnlichen Nachrichtenverkehrs waren und prinzipiell von Jedermann abonniert werden konnten. Auch die lange Zeit übliche Einbettung der handgeschriebenen Zeitungen in vorwiegend wirtschaftliche Zusammenhänge war die reine Erfindung einer Forschung, die meinte, auf Quellen verzichten zu können. Tatsächlich finden sich in den ‚Fuggerzeitungen‘ genau die Inhalte, die ab 1605 auch die gedruckten Zeitungen charakterisierten.5

Bedauerlicherweise hat Hillgärtner sich den so apodiktischen wie falschen Satz zu eigen gemacht: „Die Zeitung war ein Nachrichtenorgan zweiter Ordnung, während der Brief im 17. Jahrhundert noch ganz allgemein als die zuverlässigere und schnellere Nachrichtenquelle galt.“6 Diese Behauptung disqualifiziert sich schon durch die Information, der Brief sei schneller gewesen, waren doch alle Nachrichten auf dieselben Verkehrsmittel angewiesen.

Anmerkungen:
1 Else Bogel / Elger Blühm, Die deutschen Zeitungen des 17. Jahrhunderts. Ein Bestandsverzeichnis mit historischen und bibliographischen Angaben zusammengestellt von Else Bogel und Elger Blühm, 3 Bde., Bremen 1971–1985.
2 Jan Hillgärtner, Die Entstehung der periodischen Presse. Organisationen und Gestalt der ersten Zeitungen in Deutschland und den Niederlanden (1605–1620), Erlangen 2013.
3 Für die erste Zeitung der Welt zeigt dies Martin Welke, Johann Carolus und der Beginn der periodischen Tagespresse. Versuch, einen Irrweg der Forschung zu korrigieren, in: Martin Welke / Jürgen Wilke (Hrsg.), 400 Jahre Zeitung: Die Entwicklung der Tagespresse im internationalen Kontext, Bremen 2008, S. 9–116.
4 Bericht „Auß Leipzig den 16 November“, in: Stuttgarter Zeitung, Jg. 1632, Nr. XLVIII, gedruckt am 01.12.1632; zugänglich: https://brema.suub.uni-bremen.de/zeitungen17/periodical/titleinfo/1207493; Zeitung aus mehrerley Örther, Bericht „Düringen vom 23. November“; zugänglich: https://brema.suub.uni-bremen.de/zeitungen17/periodical/pageview/681243 (06.08.2021).
5 Holger Böning, Rezension zu: Katrin Keller / Paola Molino, Die Fuggerzeitungen im Kontext. Zeitungssammlungen im Alten Reich und in Italien, Wien 2015, in: H-Soz-Kult, 21.07.2016, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-24425 (06.08.2021); Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Mit einem Vorwort zur Neuauflage 1990, Frankfurt am Main 1990, S. 77f.
6 Habermas, Strukturwandel, S. 78.

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