C. de Lisle: Agathocles of Syracuse

Cover
Title
Agathokles of Syracuse. Sicilian Tyrant and Hellenistic King


Author(s)
de Lisle, Christopher
Series
Oxford Classical Monographies
Published
Extent
XXIII, 355 S.
Price
€ 115,35
Reviewed for H-Soz-Kult by
Elisabetta Lupi, Historisches Seminar, Leibniz Universität Hannover

Äußerst willkommen ist in der Forschung zur sizilischen Alleinherrschaft und zu den hellenistischen Königreichen die Monographie von Christopher de Lisle über Agathokles, die nach den vorangegangenen von Sebastiana Nerina Consolo Langher und Caroline Lehmler eine umfassende Betrachtung und neue Diskussion der Quellen präsentiert und einen innovativen Beitrag zur Geschichte der Interaktionen zwischen West und Ost in der Zeit vor der römischen Expansion liefert.1 Die Arbeit, hervorgegangen aus einer Oxford-Dissertation von 2017, verfolgt zwei Ziele: De Lisle möchte Agathokles in der Geschichte der hellenistischen Königtümer fest verankern und Siziliens kulturelle, ökonomische und politische Verbindungen mit Italien, Afrika und dem östlichen Mittelmeerraum aufzeigen. Weiterhin möchte er die Bedeutung der älteren Geschichte Siziliens für die Entstehung dieses vereinigten Raums sowie für die Entwicklung der hellenistischen Königsherrschaft herausstellen. Beide Ansprüche sind insgesamt als erfüllt anzusehen.

Das erste Kapitel bietet eine Rekonstruktion der Biographie des Agathokles. Nur punktuell werden hier alternative Forschungsrekonstruktionen berücksichtigt (S. 29–30). Vielmehr folgt de Lisle Diodors Erzählung, ergänzt bzw. korrigiert durch die Einbeziehung anderer Quellen (Justin). Zwar hebt der Autor markante Stereotypen und Verzerrungen hervor, scheint aber von der historischen Glaubwürdigkeit der geschilderten Expeditionen und Taktiken grundsätzlich überzeugt zu sein (s. etwa S. 31).

Es folgt ein erster Teil zu den antiken Darstellungen des Agathokles. Im Kapitel „Historiography“ beschäftigt sich de Lisle mit den politischen und ethischen Urteilen über Agathokles in den fragmentarisch erhaltenen Werken des Antandros, Kallias von Syrakus, Duris von Samos und Timaios sowie vornehmlich in den Werken Diodors, Justins und des Polyainos. In Anlehnung an die aktuelle philologische Forschung zur fragmentarischen Literatur2 betrachtet de Lisle die Werke der späteren Autoren – trotz deren unumstrittener Arbeit mit älteren Quellen – als originelle Produkte. So verfolge Diodor didaktische Ziele und nutze Agathokles als Beispiel für die Großartigkeit der sizilischen Geschichte, für die Wechselhaftigkeit des Schicksals sowie für die paradoxale Natur der Herrschaft. Auch im Fall von Justins Epitomen führt de Lisle die Darstellung des Agathokles weder komplett auf Pompeius Trogus noch auf dessen Quelle Timaios zurück, sondern berücksichtigt auch den eigenen Beitrag Justins.

Das darauffolgende Kapitel widmet sich mittels Anekdoten über die Geburt und Herkunft des Agathokles, seine militärische Kompetenz bzw. Grausamkeit sowie seine sexuellen, moralischen und religiösen Verfehlungen der Tyrannentopik. Die These lautet hierbei: Der zeitgenössische und vorwiegend orale Diskurs über Agathokles präge die spätere literarische Stilisierung und Stereotypisierung und sei Teil einer älteren, sizilischen Tradition über die Tyrannis, die mit einem panhellenischen Diskurs über die Alleinherrschaft interagiere (S. 70). Hier hätte man sich eine stringentere Argumentation der These erwünscht. Warum z. B. Traumerzählungen über Tyrannen wie etwa Phalaris und Dionysios I. bei Herakleides Pontikos und Philistos beweisen sollten, dass Anekdoten über Agathokles „with an existing Sicilian tradition“ interagierten und deshalb keine Erfindung des Timaios seien, bleibt unklar (S. 74, vgl. auch S. 71). Es lässt sich festhalten, dass die Quellen eine Debatte über legitime und illegitime Herrschaft widerspiegeln, in der Agathoklesʼ Darstellung mit der der sizilischen Tyrannen und der hellenistischen Könige einige Überschneidungen aufweist. Zu fragen ist, ob es in dieser Debatte allein um sizilische Verhältnisse oder nicht auch um athenische geht, wie Christopher Baron bezüglich der Repräsentation des Agathokles bei Timaios überzeugend argumentierte3.

Die Sektion schließt mit einer Neudeutung der numismatischen Zeugnisse. De Lisle revidiert Heads Einteilung der Prägungen des Agathokles in drei aufeinanderfolgenden Perioden, auf welcher die Interpretation von Lehmler von einem progressiven Übergang der Herrscherdarstellung von einem syrakusischen Tyrannen hin zu einem hellenistischen König basierte.4 De Lisle zeigt, dass die Prägungen mit den Legenden Syrakosion (Heads erste Münzperiode) sowie Agathokles Basileos (Heads dritte Münzperiode) gleichzeitig existierten und auch Heads zweite und dritte Phase chronologisch nicht zu trennen sind (S. 97, 101). Ausgehend von der Feststellung, dass Agathoklesʼ Prägungen vorwiegend in Syrakus und im Südwesten Siziliens zu finden sind und aus Karthago nur eine einzige Bronze bekannt ist, gelangt de Lisle zu dem interessanten Schluss, dass die Soldaten in Afrika vor allem durch die Beute bezahlt wurden, während die Prägungen für die Bezahlung der Truppen auf Sizilien genutzt wurden. Diese Prägungen sollten vermutlich die Verpflichtungen gegenüber Agathokles stärken.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Königsherrschaft des Agathokles. Wie schon Helmut Berve5 lehnt auch de Lisle Diodors Datierung in das Jahr 307/306 ab und legt Agathoklesʼ Übernahme des Königstitels auf das 304 v.Chr. fest. Agathokles habe zwar den Königstitel angenommen, um seine Herrschaft an diejenige der Diadochen anzulehnen, allerdings habe er mit der sizilischen autokratischen Tradition nicht gebrochen und lediglich das Herrschaftsmodell der Deinomeniden und Dionysioi weiterentwickelt.6 Dabei distanziert sich de Lisle von der traditionellen Sicht der Herrscherfigur Agathokles als neuen Herrschaftstypus.7 Nach de Lisle hätte dagegen die Übernahme des Königstitels für seine Herrschaft keine Zäsur bedeutet, da Agathoklesʼ Macht auch vor 304 v.Chr. autokratisch und charismatisch war und sich nicht nur auf Syrakus, sondern auf ein breites Gebiet um Sizilien erstreckte.

Im dritten Teil beschäftigt sich de Lisle unter dem Schlagwort der „connectivity“ mit dem politischen und militärischen Engagement von Agathokles auf Sizilien, in Karthago, Italien und Griechenland sowie mit seinen Verhältnissen zu den Diadochen. Um seine Rolle in Syrakus zu etablieren und zu stabilisieren, musste Agathokles die politischen Verhältnisse im ganzen Sizilien unter Kontrolle behalten. Dies impliziere – so wie auch schon bei den vorgängigen syrakusischen Herrschern – einen Konflikt mit Karthago, obgleich für Syrakus eine militärische Vernichtung der phönizischen Seemacht im Grunde gar nicht zu leisten gewesen sei (S. 213). Doch sei Agathokles gelungen, sich nach dem Afrika-Krieg als Sieger über die Karthager zu inszenieren. Zugleich habe er durch seine Beziehungen zu Griechenland und zu den Diadochen sein Ziel, ein politisches Engagement auf Sizilien externer Kräfte zu verhindern und gleichzeitig sein Prestige in Syrakus durch überregionale Anerkennung seiner Herrschaft (trotz mangelnder finanzieller Ressourcen) zu vermehren, erreicht. Auch das Engagement in Italien habe das Ziel verfolgt, externe Einflussnahme auf Sizilien zu unterbinden. Dabei agierte Agathokles in Kontinuität sowohl mit den Deinomeniden als auch mit Dionysios. Dass es ihm, neben der Rekrutierung italischer Söldner, auch um die Kontrolle wichtiger Handelswege ging, bleibt im Kapitel leider nur im Hintergrund. Es ergibt sich ein zwiespältiges Bild des Agathokles: Zum einen scheinen seine Entscheidungen nicht nur von Kalkül, sondern auch von Zwang geprägt zu sein, zum anderen scheint seine Macht sehr fragil gewesen zu sein.8

Das Buch ist klar geschrieben und zeichnet sich durch eine meist stringente Argumentation aus. In Anbetracht der sonst umfangreichen Literaturauswahl überrascht die fehlende Berücksichtigung des Werkes von Nino Luraghi zur archaischen Tyrannis auf Sizilien und in Großgriechenland (mit seinem immer noch grundlegenden Kapitel zu den Deinomeniden) sowie anderer Publikationen desselben Autors über den Diskurs zur Alleinherrschaft.9 Kritisch anzumerken ist außerdem, dass die Auswahl zwischen widersprüchlichen Berichten – wie denen Justins und Diodors – dem Prinzip des tertium non datur folgt. Leider zu bemängeln ist auch die niedrige Qualität der Karten zur Zirkulation der Münzprägungen. De Lisle ist es jedoch zweifellos gelungen, aus dem anekdotischen Material über Agathokles eine Rekonstruktion der historischen Figur vorzulegen, der man vielleicht nicht in jeder Einzelheit folgen mag, die sich aber durch Kohärenz und sorgfältige Quellenarbeit auszeichnet.

Anmerkungen:
1 Sebastiana Nerina Consolo Langher, Agatocle. Da capoparte a monarca fondatore di un regno tra Cartagine e i Diadochi (Pelorias 6), Messina 2000; Caroline Lehmler, Syrakus unter Agathokles und Hieron II. Die Verbindung von Kultur und Macht in einer hellenistischen Metropole, Frankfurt am Main 2005.
2 Vgl. Virgina Mastellari (Hrsg.), Fragments in Context – Frammenti e dintorni, Göttingen 2021.
3 Christopher A. Baron, Timaeus of Tauromenium and Hellenistic Historiography, Cambridge 2013, S. 104.
4 Lehmler, Syrakus, bes. S. 82.
5 Helmut Berve, Die Herrschaft des Agathokles, München 1953, S. 61–62.
6 Vgl. Stefania De Vido, Τύραννος, στρατηγὸς αὐτοκράτωρ, δυνάστης. Le ambigue parole del potere nella Sicilia di IV secolo, in: Manuela Mari / John Thornton (Hrsg.), Parole in movimento. Linguaggio politico e lessico storiografico nel mondo ellenistico. Atti del Convegno internazionale Roma, 21–23 febbraio 2011, Pisa u. a. 2013, S. 45–59.
7 Siehe etwa Lehmler, Syrakus, S. 39.
8 Zur ‚Fragilität‘ der Herrschaft des Agathokles siehe Matthias Haake, Agathocles and Hiero II. Two Sole Rulers in the Hellenistic Age and the Question of Succession, in: Nino Luraghi (Hrsg.), The Splendors and Miseries of Ruling Alone: Encounters with Monarchy from Archaic Greece to the Hellenistic Mediterranean, Studies in Ancient Monarchies 1, Stuttgart 2013, S. 99–127, bes. S. 107–109, 116–117.
9 Vgl. Nino Luraghi, Tirannidi arcaiche in Sicilia e Magna Grecia da Panezio di Leontini alla caduta dei Dinomenidi, Firenze 1994; ders. (Hrsg.), The Splendors and Miseries of Ruling Alone: Encounters with Monarchy from Archaic Greece to the Hellenistic Mediterranean, Studies in Ancient Monarchies 1, Stuttgart 2013.

Editors Information
Published on
Contributor
Edited by
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Subject - Topic
Book Services
Contents and Reviews
Availability
Additional Informations
Language of publication
Language of review