R. Heitzenrater: John Wesley und der frühe Methodismus

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Titel
John Wesley und der frühe Methodismus.


Autor(en)
Heitzenrater, Richard P.
Erschienen
Göttingen 2006: Edition Ruprecht
Anzahl Seiten
394 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Kannenberg, Ganerben-Gymnasium Künzelsau

Der Methodismus ist in seinem Ursprung eine Spielart des im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts entstandenen Versammlungspietismus. Die pietistische Frömmigkeitsbewegung drängte auf kirchliche Reformen durch die Einrichtung von örtlich organisierten Gemeinschaften, in denen ein intensiveres und strengeres religiöses Leben gepflegt werden sollte als in den Gemeinden der Amtskirche. In England bekam diese Bewegung ihr eigenes Gesicht durch einen Kreis junger Studenten in Oxford, die sich regelmäßig zum gemeinsamen Bibelstudium trafen, bald aber schon dazu übergingen, ihr religiöses Leben durch genauere Regeln – Abendmahlsteilnahme, Fasten, Tagebuchschreiben, karitative Aktivitäten – zu strukturieren. Unter diesen Studenten wirkten stilbildend zwei Brüder, John (1703-1791) und Charles Wesley (1707-1788), mit denen der Methodismus seinen Anfang nahm.

Richard P. Heitzenrater, Professor für Kirchengeschichte und Wesleystudien an der Duke University in Durham/USA, unterzieht sich in seinem vorliegenden Werk der Aufgabe, die vielfältigen Beziehungen zwischen John Wesley und der aufkommenden methodistischen Bewegung nachzuzeichnen. Nach einer kurzen Einführung in die religiösen Verhältnisse in England seit der Reformation und die Einflüsse der pietistischen Bewegung widmet er sich in fünf Kapiteln dem Aufkommen und der Entwicklung des Methodismus von den ersten Anfängen in Oxford über dessen Ausbreitung in Großbritannien und Nordamerika bis hin zu der sich gegen Ende von Wesleys Leben abzeichnenden Trennung von der anglikanischen Staatskirche. Heitzenrater gelingt es dabei minutiös nachzuzeichnen, wie die Wesleys und ihre Mitstreiter ein Netzwerk von Gemeinschaften und Reisepredigern knüpften und durch gemeinsame Regularien sowie die Praxis von regelmäßigen Konferenzen zusammenhielten. Ursprünglich als ein Mittel zur Reform der Kirche von innen heraus gedacht, entwickelte das methodistische Gemeinschaftswesen schnell eigene Leitungsstrukturen. Daneben förderte die Herausbildung einer eigenen methodistischen Theologie und deren konsequente Umsetzung in die Organisation der Gemeinschaften unausweichlich die Ausbildung einer unverwechselbaren Identität und verstärkte den Druck zur Trennung von der Staatskirche. In leicht redundanter Weise schildert Heitzenrater die Ausformung von Wesleys Theologie in den verschiedenen Phasen seines Lebens. Die wechselseitige Beziehung zwischen der Entwicklung eigener theologischer Lehre und den Anforderungen neu entstehender Gemeinschaftsstrukturen wird dabei plastisch nachvollziehbar. Einflüsse von außen auf Wesleys theologisches Denken werden notiert; aus dem deutschen Pietismus tauchen August Hermann Francke (S. 108), Nikolaus Graf von Zinzendorf (S. 188f.) und Johann Albrecht Bengel (S. 227) kurz auf. Wirklich ausgeführt werden diese Einflüsse leider nicht.

Nach längerer Lektüre wird der Leser etwas unwillig. Heitzenrater will zwar keine Biographie Wesleys bieten (S. 10). Der chronologische Aufriss des Buches verlässt sich indessen doch weitgehend auf John Wesleys Leben als Grundgerüst. Und das ist dann auch das wesentliche Problem des Buches: Es verbleibt allzu oft beim episodischen Erzählen, gewinnt zu wenig analytische Tiefe. Der Historiker Heitzenrater kann den Archivar der methodistischen Bewegung und Hagiograph Wesleys nie ganz verleugnen (S. 53f.). An zwei Beispielen sei dies näher dargestellt. Zuerst John Wesley und die Frauen: Deren Bedeutung und Rolle gehört sicherlich zu den spannenden Themen der methodistischen Frühgeschichte. Heitzenrater weist selbst an mehreren Stellen auf die Existenz von Laienpredigerinnen hin (S. 232, 280ff., 294f., 327, 350f.). Er unternimmt aber keinen Versuch, die umstrittene Stellung dieser Frauen in der methodistischen Bewegung mit dem reichlich komplizierten Verhältnis Wesleys zum anderen Geschlecht in Beziehung zu setzen. Dieses wird en passant erwähnt (S. 46, 208f.), Wesleys Heirat in einen Halbsatz versteckt (S. 220), die spätere Trennung des Paares über hundert Seiten später vermeldet (S. 326). Bei dem immensen Einfluss Wesleys auf alle Lebensbereiche des frühen Methodismus hätte man an dieser Stelle tieferes Schürfen erwartet. Ähnlich ergeht es dem Leser mit dem Verhältnis der beiden Brüder John und Charles Wesley. Letzterer ist vor allem als der wichtigste Liederdichter und Hymnologe des Methodismus bekannt geworden. Er war außerdem derjenige der beiden Brüder, der konsequenter für das Verbleiben der methodistischen Gemeinschaften im Rahmen der Amtskirche arbeitete. Die daraus entstehenden Reibungen mit seinem Bruder John werden immer wieder angedeutet (S. 222, 224, 231, 320f. und öfter), der Grundkonflikt wird aber nicht eingehend analysiert. Heitzenraters identifizierende Darstellung gönnt ihrem Helden, der oft nur als „John“ auftaucht, kaum Kritik.

Ein Blick ins Kleingedruckte gewährt durchaus Aufschluss. Das Impressum weist den Band – kaum wahrnehmbar – als Veröffentlichung der Evangelisch-Methodistischen Kirche in Deutschland aus (S. 4). Das ist überhaupt nicht ehrenrührig, sollte aber etwas deutlicher herausgestellt werden. Denn Heitzenraters Werk, das sei als Fazit festgehalten, ist ein gutes Stück methodistischer Eigengeschichtsschreibung mit all ihren Stärken, wie Detailverliebtheit und Empathie, aber auch Schwächen, wie einer episodischen Erzählweise und analytischer Blässe.

Im Original erschien das Werk 1995, mittlerweile ist es in sechs Sprachen übersetzt worden, was seinen Wert für die methodistische Identitätsbildung anzeigt. Der deutsche Übersetzer und die Lektorin hätten sich allerdings durchaus mehr Mühe geben können. Besonders in den ersten beiden Kapiteln (bis S. 120) sind allzu viele Druck- und Flüchtigkeitsfehler stehengeblieben. Die zahlreichen schwarzweißen Abbildungen sind teilweise von minderer Qualität (z.B. S. 245), eine Abbildung wird versehentlich zweimal wiedergegeben (S. 42 und 48). Der Weg zur verwendeten oder weiterführenden Literatur ist nur ungenügend ausgewiesen. Die verwendete Quellen- und Sekundärliteratur ist im Fließtext durch Kurztitel oder Kürzel angegeben und am Kapitelende jeweils aufgelistet. Wer einen bestimmten Titel sucht, muss im Zweifelsfall alle diese Listen durchblättern. Das macht keine Freude, zumal manche Zitatnachweise fehlen oder nicht zu finden sind (z.B. S. 50, 103, 256). Ein Register ist immerhin vorhanden.

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