Die Edition des Tagebuchs von Erich Lassota von Steblau bildet den krönenden Abschluss des fast sechzigjährigen Interesses des dänischen Historikers Thomas Riis an dem habsburgischen Diplomaten, insbesondere an dessen Zeit in schwedischer Gefangenschaft von 1590 bis 1593. Es kann als eine Art Metapher für das schwierige Schicksal eines Wissenschaftlers gedeutet werden, der unter Widrigkeiten über Jahre hinweg ein Forschungsprojekt verfolgte und schließlich gezwungen war, die Arbeit an seiner kritischen Edition eines Tagebuchfragments (in Form eines Reiseberichts über die nordischen Länder) vorübergehend einzustellen. In diesem speziellen Fall zeitigten die jahrelangen Bemühungen jedoch Erfolg, und es gelang Riis, seine ursprünglichen Forschungsannahmen zu präzisieren und sogar zu erweitern. Im Ergebnis entstand eine neue, vollständige Ausgabe, angereichert mit deutschen Übersetzungen von Informationen, die Lassota auf den Seiten seines Tagebuchs festgehalten hat.
Lassotas Tagebuch wurde erstmals 1866 von Reinhold Schottin, Gymnasiallehrer und Bibliothekar an der Gersdorff-Weicha’schen Stiftsbibliothek zu Bautzen, vollständig veröffentlicht. Besagte Ausgabe bildete die Grundlage für mehrere Übersetzungen von Auszügen aus dem Tagebuch ins Russische, Spanische, Portugiesische, Polnische, Ukrainische und Englische.1
Die unter umfangreicher Mitarbeit von Detlev Kraack entstandene Ausgabe von Thomas Riis basiert ebenfalls auf dem von Schottin herausgegebenen Text, wurde aber mit dem bis heute in der Stadtbibliothek Bautzen aufbewahrten Manuskript abgeglichen. Die paläografische Analyse des Manuskripts und zweier Originalbriefe (Autogramme) Lassotas aus der Sammlung des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, die während seiner schwedischen Gefangenschaft geschrieben wurden, ermöglichte es dem Herausgeber, im Text des Tagebuchs diejenigen Abschnitte zu identifizieren, die Lassotas handschriftliche Korrekturen darstellen. Das Tagebuch stammt nämlich nicht direkt aus seiner Hand, sondern wurde höchstwahrscheinlich diktiert. Bei dem erhaltenen Manuskript handelt es sich vermutlich um eine spätere Version, in der von Zeit zu Zeit Notizen gemacht und die teils um Informationen aus anderen Quellen ergänzt wurde. Eventuell dachte Lassota selbst daran, sie zu veröffentlichen.
Die rezensierte Ausgabe besteht aus einer Einleitung und fünf thematisch unterschiedlichen Teilen: Lassotas Reise nach Italien (Dezember 1573–Juli 1576), seine Teilnahme an der spanischen Eroberung Portugals (August 1578–Oktober 1584), die gescheiterte polnische Thronfolge Erzherzog Maximilians (1585–1589), eine diplomatische Mission Lassotas nach Moscowien und seine Gefangenschaft in Schweden (August 1590–Mai 1593) sowie seine Reise zu den Zaporoger Kosaken (Januar–August 1594). Diese Teile werden um einen Anhang, ein Glossar und ein Personenregister ergänzt. Obwohl das Layout der Ausgabe übersichtlich ist, weist die gewählte Struktur des Buches einige Schwächen auf. Insbesondere fehlt eine ausführliche Einleitung, die den Leser mit Lassota bekannt macht, den aktuellen Wissensstand bezüglich seiner Tagebücher darstellt und nicht nur den hypothetischen Informationswert dieser Quelle, sondern auch die realen Forschungsmöglichkeiten aufzeigt. Weitere nützliche Ergänzungen wären ein Verzeichnis der geografischen Namen und eine Europakarte vom Ende des 16. Jahrhunderts, auf der Lassotas Reisen eingezeichnet sind. Der Text des Tagebuchs ist mit notwendigen philologischen und historischen Hintergrundinformationen sowie mit Kommentaren des Herausgebers nach jedem einzelnen Teil versehen. Der Anmerkungsapparat ist nicht sehr umfangreich, sodass er am unteren Ende einer jeden Seite in den Fußnoten hätte untergebracht werden können, was die Nutzung erheblich erleichtert hätte, ohne bei der Lektüre ständig umblättern zu müssen.
Der synkretistische Charakter der Quelle stellt für den Herausgeber eine große Herausforderung dar. Es ist eine Mischung aus Tagebuch, Autobiografie, Reisebericht, Itinerar und Reiseführer. Umfangreiche erzählerische Teile über die Erfahrungen und Gefühle Lassotas wechseln sich mit nüchternen Verzeichnissen der besuchten Orte ab, die in chronologischer Reihenfolge angeordnet sind. Auch externe Quellen (Korrespondenz, Inschriftentexte, diplomatische Dokumente) sind in den Text eingewoben. Überdies existieren zahlreiche fremdsprachige Fragmente. Einen unbestreitbaren Vorzug der Ausgabe stellen die Übersetzungen dar. Sie erleichtern die Rezeption der Quelle und erweitern damit zugleich den Kreis der potentiellen Leser. Dem Herausgeber ist es darüber hinaus gelungen, den Reichtum an Stilen, Formen und sprachlicher Vielfalt der Äußerungen Lassotas zu bewahren, da er auf eine Standardisierung seines Textes im Wesentlichen verzichtet hat. Dabei hebt er zu Recht hervor, dass es sich nicht nur um eine wichtige historische Quelle, sondern auch um hervorragendes Material für das Studium der historischen deutschen Sprache handelt. Lediglich die Schreibweisen der Substantive wurden modernisiert, Großbuchstaben entsprechend der heutigen Norm verwendet und Lassotas Standardabkürzungen aufgelöst.
Ein größeres Problem stellt die Identifizierung von Personen und Ortsnamen dar, wenngleich dies zweifellos ein schwieriges Unterfangen ist, wenn man bedenkt, wie viele Personen und Orte auf den Seiten der Tagebücher auftauchen und wie weit Lassotas Reisen geografisch reichten, zumal er selbst zahlreiche Begriffe in entstellter Form wiedergegeben hat. Die Aussage des Herausgebers, die Identifizierung der in den Tagebüchern erwähnten Personen hätte mitunter wenig zur Interpretation der Quelle beigetragen, und sein Verweis auf den Index sind dennoch nicht ganz überzeugend. Nach Ansicht der Rezensentin ist eine Identifizierung der genannten Personen von grundlegender Bedeutung für die Rekonstruktion der familiären Bindungen, des sozialen Umfelds, vor allem aber des Netzwerks von Kontakten im Zusammenhang mit Lassotas diplomatischer Tätigkeit. Als Schlesier und loyaler Untertan der Habsburger spielte er eine besondere Rolle innerhalb der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Haus Österreich und der Polnisch-Litauischen Adelsrepublik, war ein wesentlicher Teil des Informationsnetzes zur Lage im Staat und bildete ein verbindendes Element zwischen den Habsburgern und ihren polnischen und litauischen Unterstützern. Es ist schade, dass Riis die bisherigen Erkenntnisse anderer Forscher nicht genutzt hat, insbesondere diejenigen von Zbigniew Wójcik, dessen Team einen beträchtlichen Aufwand zur Identifizierung der Personen und Orte geleistet hat, die in dem Fragment von Lassotas Tagebuch über seine Mission in Saporoschje Erwähnung finden.2
Leider kommt es in der vorliegenden Edition in einzelnen Fällen auch zu falschen Identifizierungen. So vermerkt Lassota unter dem Datum 22. August 1587 die Wahl Erzherzog Maximilians zum König von Polen und gibt an, dass der Ernennungsakt von „Jacob Zbaraßky von Worociecz, Bischoff zue Kyow“ vorgenommen wurde (S. 182). Der Herausgeber zweifelt den Wahrheitsgehalt dieser Information an (S. 212), da er keinen Bischof von Kiew mit einem solchen Namen ausfindig machen konnte, und verweist zugleich auf die ihm bekannten katholischen Bischöfe von Kiew jener Zeit, Nikolaus Peck (1564–1580 oder 1589) und Joseph Wereszynski (1589–1599).3 Er nimmt somit an, dass die von Lassota erwähnte Figur als Bischof des orthodoxen Ritus zu identifizieren sei, was angesichts des in der Republik vorherrschenden modus electionis höchst merkwürdig wäre. Tatsächlich bezog sich Lassota auf den ernannten Bischof von Kiew, Jakub Woroniecki, der seine Ernennung höchstwahrscheinlich im Jahr 1584 von König Stefan Batory erhalten hat, jedoch nicht vom Papst bestätigt wurde. Woroniecki tauchte in der Welt der großen Politik eher zufällig auf – unter den habsburgischen Anhängern gab es nämlich kein anderes Mitglied des Episkopats, das dazu bereit war, den Akt der Ernennung des Erzherzogs zu vollziehen. Im Übrigen starb Woroniecki wenige Monate später.
Der geschilderte Fall belegt den hohen Informationsgehalt von Lassotas Tagebuch. Aus diesem Grund sind die Bemühungen von Thomas Riis und Detlev Kraack, eine neue, kritische Ausgabe der Quelle herauszubringen, unbedingt zu begrüßen. Die rezensierte Ausgabe wird zweifellos die Erinnerung an den Autor – einen Reisenden, Soldaten und Diplomaten im Dienste der Habsburger – erneut wachrufen. Die klare Gliederung des Buches und dessen sorgfältige grafische Gestaltung sollten auch den weniger fachkundigen Leser dazu anregen, das interessante Leben von Erich Lassota zu entdecken. Denn sein Werk gilt als unschätzbare Quelle, um etwas über die Bedingungen des Reisens in der Neuzeit zu erfahren. Sie enthält äußerst interessante touristische sowie landeskundliche Beobachtungen und auch weniger bekannte logistische Rahmenbedingungen seiner diplomatischen Missionen. Und nicht zuletzt wirft sie auch ein Licht auf die komplizierte habsburgische Politik des späten 16. Jahrhunderts.
Anmerkungen:
1 Die wichtigsten Editionen werden besprochen in: Lubomyr R. Wynar (Hrsg.), Habsburgs and Zaporozhian Cossacks. The diary of Erich Lassota von Steblau 1594, Littleton, Colorado 1975, S. 17–21.
2 Zbigniew Wójcik (Hrsg.), Eryka Lassoty i Wilhelma Beauplana opisy Ukrainy, Warszawa 1972.
3 Mikołaj Pac erlag dem Einfluss der Reformation, konvertierte zum Calvinismus, weigerte sich aber noch lange, das Kiewer Bischofsamt aufzugeben. Auf Druck von Stefan Batory legte er schließlich 1583 seine Würde nieder, erhielt aber im Gegenzug die Kastellanei von Smoleńsk, wodurch er seinen Sitz im Senat behalten konnte. Er starb im Jahr 1585. Józef Wereszczyński (gest. 1598) wurde von König Sigismund III. für das vakante Kiewer Bistum nominiert und auch vom Papst akzeptiert.