Cover
Titel
Juden in Schweden. 1685 bis 1838


Autor(en)
Busch, Michael
Erschienen
Hannover 2020: Wehrhahn Verlag
Anzahl Seiten
200 S.
Preis
€ 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Olaf Glöckner, Moses Mendelssohn Zentrum, Universität Potsdam

Als wichtiges Aufnahmeland und oft auch Rettungsanker für verfolgte deutschsprachige Jüdinnen und Juden während der Zeit des „Dritten Reiches“ ist Schweden zunehmend in den Fokus der zeithistorischen Forschung gerückt.1 Gut erforscht ist inzwischen auch, wie kreativ und innovativ jüdische Migrant:innen und Shoah-Überlebende die schwedische Gesellschaft und Kultur nach 1945 mitgeprägt haben.2 Doch wann und wie konnten die ersten Jüdinnen und Juden im Land von Alfred Nobel und Selma Lagerlöf überhaupt Fuß fassen? Welche Hoffnungen und Vorstellungen brachten sie in das „erzprotestantische“ skandinavische Königreich mit? Wie gelang es ihnen, sich kulturell, religiös und am Ende auch politisch zu emanzipieren? War der Widerstand schwedischer Eliten und anderer Bevölkerungsgruppen gegen jüdische Zuwanderung und Emanzipation ähnlich stark wie auf dem europäischen Festland?3 All diese Fragen behandelt der Rostocker Historiker Michael Busch in seinem kurzweilig geschriebenen, stark quellenorientierten Buch „Juden in Schweden. 1685 bis 1838“, erschienen 2020 im Wehrhahn Verlag. Anhand ausgewiesener Quellen untersucht er den Zeitraum von 1685, dem Jahr der ersten feierlichen Judentaufe in der Stockholmer Storkyrkan, bis 1838, dem Jahr der Aufhebung des Judenreglements von 1782.

Ausgangspunkt für dieses Publikationsvorhaben war die Beschäftigung mit dem lange Zeit vergessenen Rostocker Philologen und Orientalisten Oluf Gerhard Tychsen (1734-1815), dessen umfangreiche Korrespondenzen mit jüdischen Persönlichkeiten seiner Zeit erhalten sind. Als besonders ergiebig erwies sich die Auswertung des Briefwechsels zwischen Tychsen und dem Mecklenburger Juden Aaron Isaac, welcher als erster ungetaufter Jude „den Sprung“ ins (zunächst) Ungewisse nach Stockholm wagte. Im ersten Teil seines Buches folgt Busch vor allem den ersten jüdischen Ansiedler:innen, die sich im Imperium von Gustav III. eine Existenz aufbauen wollen, ohne dem üblichen Erwartungsdruck eines Übertritts zum Christentum nachgeben zu müssen. Es sind Männer und Frauen vorrangig aus dem norddeutschen Raum, mit überdurchschnittlichem Selbstbewusstsein, handwerklicher Finesse, persönlichem Mut, Risikobereitschaft und nicht selten einer stark ausgeprägten jüdischen Identität.

Siegelgraveur Aaron Isaac aus der mecklenburgischen Kleinstadt Bützow überquert 1774 die Ostsee mit Kurs auf Stockholm, um sein Glück zu versuchen, seine Familie nachzuholen und ebenso eine lokale jüdische Gemeinde aufzubauen. Gemeinsam mit seinem Bruder Marcus Isaac und Kompagnon Abraham Aaron sucht er kurz darauf auch den direkten Weg zu den schwedischen Offiziellen – mit Erfolg. Bald genehmigt der Stockholmer Oberstatthalter Carl Sparre „den Zuzug von zehn Männern, den Bau einer Synagoge und die Anlage eines Friedhofs, für genauere Abstimmungen schickte er Aaron Isaac zum Magistrat“ (S. 83).

Dennoch: Jede individuelle Niederlassung von Jüdinnen und Juden bedarf auch in den Folgejahren einer Sondergenehmigung durch staatliche Autoritäten oder den schwedischen König selbst. Zur Legitimierung ihres Aufenthaltes sind die Neuankömmlinge zudem gezwungen, möglichst bald ein erfolgreiches Gewerbe zu betreiben – doch das Spektrum der für Juden zugelassenen Tätigkeiten ist klein. Siegelgravuren, Segeltuch-Produktion (für die schwedische Marine), Steinverarbeitung und der Handel mit Galanteriewaren bilden kleine wirtschaftliche Nischen, in denen die ungetauften jüdischen Immigranten zunächst unterkommen. Nach und nach gelingt es weiteren Nachzüglern, eine Zuzugsgenehmigung für Stockholm und dann auch einige andere schwedische Städte zu erhalten. Jüdische Gemeinden entwickeln sich nun auch in Göteborg (initiiert von David Abraham), Norrköping (Jakob Marcus und Salomon Jakob), Marstrand (Moses Salomon und Elias Magnus) und Karlskrona, letztere vermutlich vorangebracht durch Fabian Philip (S. 106-127). Unabhängiges jüdisches Gemeinschaftsleben gewinnt so erste Konturen in einem zutiefst christlich geprägten Land. 1815 kann die jüdische Gemeinde in Stockholm bereits knapp 500 Mitglieder zählen (S. 109).

Im Zusammenleben mit der Mehrheitsgesellschaft bleiben, wie Michael Busch eingehend beschreibt, gleichwohl gravierende Probleme. Einheimischer Konkurrenzneid, religiöse Vorurteile, kollektive Anfeindungen und eine bis weit ins 19. Jahrhundert hinein auch judenfeindliche Gesetzgebung erschweren den Integrationsprozess erheblich. Die erste Generation bekennender Jüdinnen und Juden im schwedischen Königreich benötigt gute Nerven, Durchhaltevermögen und Kreativität. Hilfreich ist manchen von ihnen das Gespür für neue Nachfragen bei Konsumgütern – einschließlich Tabak! – und für innovative Zweige in der aufblühenden Wirtschaft. Und während die schwedische Juden-Gesetzgebung noch lange Zeit diskriminierend und restriktiv bleibt und auf Unterschieden zwischen „privilegierten Schutzjuden“ und mehr oder weniger geduldeten Neuzuwanderern beharrt (S. 157ff.), entwickelt sich eine zumindest temporär und lokal gut ausgeprägte jüdische Gruppensolidarität. Aaron Isaac, der die Stockholmer jüdische Gemeinde in den ersten Jahren ihres Bestehens führt, bemüht sich beispielsweise ausdrücklich darum, benachteiligten Jüdinnen und Juden, die mit den schwedischen Bestimmungen in Konflikt geraten sind, bei ihrer Rehabilitierung zu helfen (S. 136).

Zu den Stärken von Michael Buschs Buch gehört, dass er in sehr differenzierter Weise die Einstellungen der schwedischen politischen Eliten jener Zeit, der Krone, der Kirche, des Adels, der Zünfte und anderer Gruppierungen gegenüber einer kleinen und doch dynamisch wachsenden jüdischen Gemeinschaft mit eigenen, unabhängigen religiösen wie kulturellen Strukturen nachzeichnet. Der Autor geht auf fortschrittlich-pragmatische Schlüsselfiguren des Landes – wie Carl Sparre, aber auch Kronprinz Karl Johan und dessen Adjutant Otto Fredrik Pahlmann – ebenso ein wie auf Modernisierungsbremser und ausgemachte Judenfeinde. Auf überzeugende Weise wird gezeigt, dass hartnäckig verteidigte antijüdische Gesetze keineswegs nur antijudaistischem Dünkel entsprangen, sondern vielfach auch auf die ökonomische Bekämpfung einer vermeintlich fremdartigen Konkurrenz zielten. Gerade im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert dauerten die Kämpfe um einen angemessenen Platz in der schwedischen Gesellschaft unvermindert an, konnte sich die rechtliche Stellung der Juden kurzerhand erstaunlich verbessern – und ebenso rasch wieder verschlechtern. Gleichwohl war der schwedische Reichstag von 1840/41 der letzte, welcher nochmals judenfeindliche Beschlüsse auf den Weg brachte. Schon mit der Juniverordnung von 1838 waren Jüdinnen und Juden der christlichen Bevölkerung in juristischer Hinsicht weitgehend gleichgestellt worden, ab 1854 durften sie sich in allen schwedischen Städten niederlassen. Seit 1865 waren sie wahlberechtigt, und im Jahre 1870 erhielten die schwedischen Juden das volle Bürgerrecht (S. 175f). Insgesamt erlebten sie so fast das gesamte 19. Jahrhundert hindurch ähnliche (Teil-)Fortschritte und Rückschläge, wie sie die Juden in den deutschen Ländern beim Kampf um ihre Emanzipation nahezu zeitgleich erfuhren, bevor zumindest eine rechtliche Gleichstellung erreicht werden konnte.

Vor allem im zweiten Teil seines Buches konzentriert sich Michael Busch akribisch auf den beharrlichen Kampf um die jüdische Emanzipation in Schweden. Die Leser:innen erhalten interessante Einblicke zum Wirken der jüdischen Protagonisten, aber auch zu nichtjüdischen Akteuren, die sich aus unterschiedlichsten (häufig auch pragmatischen Gründen) für eine grundlegende Verbesserung der Lage der jüdischen Einwohner:innen eingesetzt haben.

Für eine kohärente deutschsprachige Gesamtdarstellung der Geschichte der Juden in Schweden bildet Michael Buschs Buch ein wichtiges Desiderat. Wünschenswert wäre – bei größerem Buchumfang – ein detaillierteres Eingehen auf die Biographien der jüdischen Akteure und auf den Alltag der entstandenen jüdischen Gemeinden gewesen.

Anmerkungen:
1 Izabela A. Dahl / Jorunn Sem Fure, Skandinavien als Zuflucht für jüdische Intellektuelle 1933–1945, Berlin 2014; Olaf Glöckner / Helmut Müssener, Deutschsprachige jüdische Migration nach Schweden. 1774 bis 1945, Berlin 2017; Clemens Maier-Wolthausen, Zuflucht im Norden. Die schwedischen Juden und die Flüchtlinge 1933–1941, Göttingen 2018.
2 Lars Dencik, Lebensverlust und Lebenskraft. Deutschsprachige jüdische Emigranten ab den 1930er Jahren in Schweden, in: Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung 13 (2019), 24, S. 1–20, online: http://www.medaon.de/pdf/medaon_24_dencik.pdf (01.10.2021).
3 Amos Elon, The Pity of It All. A Portrait of Jews in Germany 1743–1933, New York 2002.