Cover
Titel
Vor- und Frühgeschichte.


Autor(en)
Martini, Simone
Reihe
Geschichtsunterricht praktisch
Erschienen
Frankfurt 2021: Wochenschau Verlag
Anzahl Seiten
24 S.
Preis
€ 9,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Miriam Sénécheau, Institut für Politik- und Geschichtswissenschaft, Pädagogische Hochschule Freiburg

Mit der Reihe „Geschichtsunterricht praktisch“ legt der Wochenschau-Verlag unter der Herausgeberschaft des Geschichtsdidaktikers Ralph Erbar Sammlungen von Arbeitsmaterialien vor, die „neue didaktisch-methodische Zugriffe zu bekannten Themen“ versprechen und hierfür auch „wenig bekannte Quellen zu aktuellen Fragestellungen“ für die Sekundarstufe I erschließen (S. 1). Das 24 Seiten umfassende Heft von Simone Martini widmet sich der „Vor- und Frühgeschichte“. Auf eine Einleitung, die den chronologischen und kulturellen Rahmen umreißt (S. 1), folgen sieben Themenblöcke. Jeder wird fachwissenschaftlich eingeführt und enthält als Materialien gekennzeichnete Darstellungstexte der Autorin sowie aus den Internet oder anderen Publikationen entnommene Abbildungen. Zu jedem Thema gibt es Aufgaben, die sich auf die Einführungstexte, die Materialien und/oder angegebene Internetseiten beziehen. Durch Operatoren gekennzeichnet fördern sie unterschiedliche Kompetenzen und adressieren differenzierte Anforderungsbereiche.

Lehrer:innen, die über das Schulbuch hinausgehend Materialien suchen, finden hier schnell einsetzbare Arbeitsblätter zu folgenden Themen und Schwerpunkten: „1. Das Leben in der Jungsteinzeit“ (S. 2–7): Altsteinzeit mit einem besonderen Fokus auf der Kunst der jüngeren Altsteinzeit; „2. Das Leben in der Kupferzeit“ (S. 8–11): Texte und Abbildungen zur jungsteinzeitlichen Gletschermumie „Ötzi“ mit ihrer Ausrüstung; „3. Methode: Archäozoologie“ (S. 12): vor allem zum Hund als Haustier; „4. Stonehenge“ (S. 13–15): insbesondere bauliche Details der Anlage, „5. Die Hallstattkultur der älteren Eisenzeit“ (S. 16): Hügelgräber; „6. Die Latènekultur der Kelten“ (S. 17–21): bauliche Merkmale und Verbreitung der Oppida; „7. Auf der Suche nach den letzten Steinzeitmenschen: die Aborigines“ (S. 21–22): Kulturmerkmale rezenter Wildbeutergesellschaften in Verbindung mit dem Thema Steinzeit. Am Schluss wird eine „Leistungsüberprüfung Vor- und Frühgeschichte“ angeboten (S. 23), die aus einer Textinterpretation zum Gallischen Krieg besteht. Der Band endet mit einer Literaturliste (S. 24).

Vor dem Einsatz im Unterricht sollten folgende Punkte beachtet werden:

Zunächst zum Titel Vor- und Frühgeschichte:1 Die meisten Archäolog:innen sprechen heute von Ur- und Frühgeschichte.2 Dahinter verbirgt sich der Standpunkt, dass es eine Geschichte vor der Geschichte nicht gibt. Die Kulturgeschichte des Menschen – und damit seine Geschichte – beginnt mit dem ältesten Werkzeug vor 2,6 Millionen Jahren und zugleich mit den ersten Vertretern der Gattung Homo.

Der Themenblock „1. Leben in der Jungsteinzeit“ behandelt die Altsteinzeit. Das ist ein Unterschied: Die Altsteinzeit (Paläolithikum) umfasst die Zeit von 2,6 Millionen Jahren bis 10.000 v. Chr., in der die Menschen vom Jagen und Sammeln lebten und sich verschiedene Kalt- und Warmphasen abwechselten. Auf sie folgt in Mitteleuropa die Mittelsteinzeit (Mesolithikum), eine Epoche der Klimaerwärmung, der Veränderung von Flora und Fauna sowie der ersten temporären kleinen Siedlungen an Gewässern (10.000–5.500 v. Chr.). In der Jungsteinzeit lebten die Menschen erstmals von Ackerbau und Viehhaltung in Dörfern bzw. größeren Siedlungen (5.500–2.200 v. Chr.), ehe mit der Erfindung des Metalls die Bronzezeit begann (in Mitteleuropa 2.200–800 v. Chr.), die wiederum von der Eisenzeit abgelöst wurde (ab 800 v. Chr.). Der einleitende Fachtext zur „Jungsteinzeit“ (S. 2) beschreibt die Eiszeiten ab 850 Millionen Jahren, das heißt er beschäftigt sich mit der Altsteinzeit – und genau genommen in den ersten Abschnitten noch mit der Erdgeschichte, nicht der Ur- und Frühgeschichte. M1 stellt auf einer Karte die Eisausdehnungen in Würm- bzw. Weichsel-Eiszeit dar (70.000–14.000 v. Chr., Altsteinzeit); M2 beschreibt als Text die Entstehung der Kunst um 36.000 v. Chr. (Altsteinzeit); M3 zeigt sogenannte Mikrolithen (typisch für die Mittelsteinzeit), M4 bildet „Kratzer“ ab (hier: Altsteinzeit), M5 eine „Bronzezeitliche Siedlung“ – die zudem Rundhäuser präsentiert, wie sie auf den britischen Inseln, nicht jedoch in unserem Raum verbreitet waren. Ein Großteil (M2, M6 bis M10; S. 3, 5–6) behandelt Kunst der jüngeren Altsteinzeit (Jungpaläolothikum) und auch die Aufgaben kreisen um diese Thematik. Möglicherweise wurden die Begriffe Jungsteinzeit (Neolithikum) und jüngere Altsteinzeit (Jungpaläolithikum) verwechselt. Ein Indiz hierfür ist Aufgabe 7 (S. 5): „Du lebst im Neolithikum und hast Höhlenmalerei erstellt. Erkläre, warum Du die Malerei angefertigt hast.“ Im Neolithikum (Jungsteinzeit) gab es keine Höhlenmalereien, sie sind ein Phänomen der jüngeren Altsteinzeit (Jungpaläolithikum).

Die Autorentexte M2 (S. 3) und M11 (S. 7) sprechen dem Neandertaler Kunst, vorausschauendes Denken, Schmuck und Körperbemalung ab, um einen Kontrast zum anatomisch modernen Menschen der Altsteinzeit herzustellen. Insgesamt wird vermittelt, die Menschen der Altsteinzeit hätten in Höhlen gelebt (S. 5 Aufg. 2). Die Archäologie hat inzwischen deutlich gemacht, dass ab ca. 70.000 v. Chr. die meisten im Text genannten kulturellen Aspekte (bis auf Musikinstrumente und figürliche Kunst) für die Neandertaler ebenso angenommen werden können wie für Homo sapiens und dass beide Spezies auch Zelte und Hütten als Unterkunft nutzten.3

Für die altsteinzeitlichen Vertreter:innen der modernen Menschen verwendet das Heft parallel den Begriff „Urmenschen“ (S. 5, Aufg. 5) – die Forschung bezeichnet als „Urmenschen“ jedoch jene frühen Vertreter:innen der Gattung Homo, die deutlich vor Neandertalern und Jetztmenschen lebten. Dass „Homo sapiens“ den anatomisch modernen Menschen (und damit alle heute lebenden Menschen) beschreibt, ist der Autorin offenbar ebenso nicht klar: Eine Aufgabe fordert dazu auf, „die Aborigines hinsichtlich a) Leben und b) Kunst mit dem Homo sapiens“ zu vergleichen (S. 22, Aufg. 4). Dass Aborigines überhaupt als „Steinzeitmenschen“ (S. 21, 22) betitelt werden und die Schüler:innen untersuchen sollen, „welche Bedeutung dort den Schamanen heute noch zukommt“ (S. 6, Aufg. 3), ist ethisch fraglich und fachwissenschaftlich unsauber: Mit dieser Formulierung werden indigene Populationen auf eine niedrigere kulturelle Stufe gestellt. Das kommt auch in der Textpassage über Religion in der Altsteinzeit zum Tragen, wo die Autorin schreibt, dass Tätowierungen „heute noch bei manchen Ureinwohnern nach Initiationsriten verliehen werden“ (S. 6, M8).

Die keltische Stammesgruppe, um die es in der Kopiervorlage für die Leistungsüberprüfung geht, heißt „Arverner“, nicht „Averner“ (S. 23, 5x). Die Texte sind insgesamt nicht frei von Fehlern, veralteten Begriffen oder sprachlichen Unschärfen4 – das sollte bei Kopiervorlagen für den Unterricht nicht vorkommen.

Aus didaktischer Perspektive ist zu fragen, ob die adressierten Schüler:innen mit den meist sehr knapp formulierten Aufgaben zurechtkommen. Der jeweils verwendete Operator kann zwar in eine Handlungsanweisung übersetzt werden, passt aber manchmal nicht zum Material oder Erwartungshorizont. „Beschreibe die Werkzeuge und bestimme ihren möglichen Einsatzbereich (M3, M4)“ (S. 5) bezieht sich etwa auf zeichnerisch wiedergegebene Feuersteinwerkzeuge. Die Mikrolithen (M3) sind nur Bestandteile von Werkzeugen; sie waren ursprünglich in Pfeilschäften (einzeln) oder Speerspitzen (nebeneinander) gefasst. Ohne Erklärungen in Textform lässt sich ihr Einsatz kaum „bestimmen“ (allenfalls können Vermutungen darüber angestellt werden), ohne ein Farbfoto das Werkzeug kaum hinreichend „beschreiben“. Fast alle Aufgaben zum ersten Thema (S. 5–7) beinhalten als Ergebnis Vermutungen, für die „erkläre“ und „bestimme“ nicht zutreffen können; gleiches gilt für in den Materialien gelieferte Interpretationen, die im Bereich der Spekulation bleiben müssen und teilweise nicht ausreichend als solche gekennzeichnet sind (z.B. Schamanismus-Theorie, S. 6, M8–10 mit Aufgaben).

An drei Stellen wird angeregt, sich in die Menschen damaliger Zeit hineinzuversetzen bzw. Spielszenen zum Thema zu gestalten (S. 5 Aufg. 7 zu Höhlenmalerei; S. 6 Aufg. 5: „,Schamanismus‘ in einer steinzeitlichen Höhle“; S. 15 Aufg. 6 zu Stonehenge, Szenarien „nachbarschaftliche Beziehungen“ und „kriegerische Auseinandersetzungen“). Für eine auf historisches Lernen bezogene Auseinandersetzung mit dieser Thematik reicht die Aussage der Quellen nicht aus, so dass sich hier die Frage nach dem Mehrwert des Rollenspiels stellt.

Die von der Autorin verfassten Einleitungs- und Materialtexte sind teilweise sehr lang und manche Schwerpunkte hätten anders gewählt werden können. Die Aufnahme von „Stonehenge“ (S. 13–15) ins Heft beispielsweise wird mit dem großen Interesse von Kindern am Thema begründet (vgl. Klappentext). Der Einführungstext (S. 13–14), hier Teil der Kopiervorlage, greift kaum die eigentlich spannenden Fragen zu Stonehenge auf, sondern konzentriert sich auf eine chronologische Beschreibung der Konstruktionsphasen. Statt sich ausführlicher mit der Möglichkeit, durch zoologische Überreste die Tierwelt vergangener Zeiten zu bestimmen und die Geschichte der Haustiere zu rekonstruieren, zu beschäftigen, schildert der Text zur Archäozoologie (S. 12) unter anderem forschungsgeschichtliche Aspekte, die für den Unterricht kaum relevant sind. Gegenstände von „Ötzis“ Kleidung und Ausrüstung lassen sich gewinnbringender in Form von Abbildungen der Sachquellen untersuchen als in langen darstellenden Texten (S. 8–11). So haben diese Materialien gegebenenfalls ergänzend zu anderen ihren Wert, aber nicht als Ersatz dafür.

Die Autorin studierte Klassische Archäologie (mit Promotion) sowie Geschichte auf Lehramt; in beiden Fächern zählt die Ur- und Frühgeschichte in der Regel nicht zu den Inhalten. Insofern ist ihr die fachfremde Einarbeitung hoch anzurechnen. Dass die Materialientexte selbst verfasst und nicht aus der Fachliteratur übernommen sind, hat möglicherweise Kosten- bzw. urheberrechtliche Gründe, ebenso wie die Wahl der manchmal ungeeigneten Abbildungen.

Die aufgezeigten Schwächen des Heftes kommen im Bereich der Unterrichtsmaterialien zur Ur- und Frühgeschichte häufig vor – und machen einmal mehr deutlich, dass bei Publikationen dieser Art die Zusammenarbeit mit der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie gesucht werden sollte.5 Da grundsätzlich ein Mangel an guten Lehr- und Lernmaterialien zur Ur- und Frühgeschichte besteht, lohnt sich eine Neuauflage unter Berücksichtigung der Kritikpunkte.

Anmerkungen:
1 Als „Vorzeit“ oder „Vorgeschichte“ grenzte man im 19. Jahrhundert die (von einem damals noch nicht etablierten Forschungszweig untersuchten) allein durch Sachquellen überlieferten Epochen von den (in der bereits länger existierenden Geschichtswissenschaft untersuchten) Epochen mit Schriftquellen, bezeichnet als „Geschichte“, ab. Manche Institutionen, etwa Museen und universitäre Einrichtungen in Deutschland, tragen den Begriff noch von ihrer Entstehungszeit stammend im Namen. Auch in Lehrwerken oder populärwissenschaftlichen Publikationen kommt er vor.
2 So auch Manfred K. H. Eggert / Stefanie Samida, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, 2. überarb. Aufl. Tübingen / Basel 2013, S. 13–17.
3 Vgl. Martin Kuckenburg, Der Neandertaler. Auf den Spuren des ersten Europäers, Stuttgart 2005, S. 95 ff.
4 Grammatikalische Fehler: S. 10, M4. Tippfehler: S. 20, M5. Fehlende Satzzeichen: S. 22, Aufg. 1 und 3. Uneinheitlicher Gebrauch von Präsens und Präteritum: S. 8 M1; S. 22, M3. Veraltete Begriffe: „Brauchtum“, S. 16; „Volksstämme“, S. 17. Unschärfen: „Ötzi“ war nicht selbst ein „Meilenstein der Archäologie“ (S. 8 M1), sondern dessen Erforschung; die „ältesten menschlichen Spuren“ in Stonehenge (S. 15, Aufg. 4) sind nicht das Gleiche wie die ältesten Spuren für die Anwesenheit von Menschen (das eine wären Skelettreste, das andere Gegenstände); für urgeschichtliche Bestattungsplätze sprechen Archäolog:innen nicht von „Friedhof“ (S. 16), sondern von „Gräberfeld“; das Grab von Hochdorf enthielt nicht Gegenstände „aus dem Mittelmeerraum“ (S. 16, Aufg. 4) sondern solche, die stilistische Einflüsse von dort zeigen.
5 Vgl. Miriam Sénécheau, Archäologie im Schulbuch. Themen der Ur- und Frühgeschichte im Spannungsfeld zwischen Lehrplanforderungen, Fachdiskussion und populären Geschichtsvorstellungen, Univ. Freiburg Diss. 2006, Freiburg 2008, http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/6142/ (15.10.2021).

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