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Titel
Ein Freund, ein guter Freund. Robert Gilbert – Lieddichter zwischen Schlager und Weltrevolution. Eine Biographie


Autor(en)
Walther, Christian
Reihe
Biographien/Porträts
Erschienen
Anzahl Seiten
368 S., 33 SW-Abb.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Kleßmann, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Sein Geburtsname auf dem Standesamt in Berlin-Friedrichshain war 1899 David Robert Winterfeld, seine Eltern stammten aus Hamburg und waren „mosaischen Glaubens“. Aber Berlin wurde für den Vater, der sich schnell einen Namen als komponierender Kapellmeister (mit dem Künstlernamen Jean Gilbert) gemacht hatte, Mittelpunkt des Lebens und Schaffens. Seine Operetten wurden zu Kassenschlagern und bescherten der Familie Reichtum und internationalen Ruhm: Polnische Wirtschaft; Die keusche Susanne; Puppchen, du bist mein Augenstern sind einige der Erfolgstitel.

Sohn Robert Gilbert, obwohl musikalisch talentiert, gefiel diese Welt zunächst nicht. Nach wenig erfolgreichen literarischen, philologischen, musikwissenschaftlichen und philosophischen Bemühungen landete er musikalisch schließlich beim Schlager. In seinen Worten aus einem Interview von 1965: „Vom Vater wollte ich nicht leben, von Schopenhauer auch nicht, also wandte ich mich dem Gassenhauer zu.“ (S. 26) Das ist nicht zuletzt deswegen bemerkenswert, weil er politisch im Berliner kommunistischen Milieu der 1920er-Jahre seine Heimat fand. Bedeutsam wurde dabei 1923 seine Bekanntschaft mit Heinrich Blücher, dem späteren Mann Hannah Arendts. Blüchers politische Aktivität in der Kommunistischen Partei Deutschland-Opposition (KPD-O) brachte Gilbert in das Umfeld der unorthodoxen Sozialisten und Sozialistinnen. Die Freundschaft zu Blücher begleitete Gilbert bis zu dessen Tod 1970. Für seine politische und berufliche Orientierung wichtig wurde auch die bis über die New Yorker Exiljahre hinaus reichende Verbindung zu Hanns Eisler. Ende der 1920er-Jahre kam er in Kontakt zu einem Ensemble junger Leute, „Das Rote Sprachrohr“, in dem er Eisler kennenlernte.

Revolutionäre Sympathien und Verachtung des bürgerlichen Amüsierbetriebs – mit diesem Spagat musste er leben und lebte er – zeitweilig sehr gut. Zum größten Kassenschlager wurde die Operette Im Weißen Rössl, komponiert von Ralph Benatzky, zu der er das Textbuch schrieb und die allein im Berliner Großen Schauspielhaus über 400-mal gespielt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Stück zwar populär, erlebte aber erst 1994 ein Comeback in der Neuinszenierung der Berliner „Bar jeder Vernunft“.

Mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten musste Gilbert als Linker und Jude (obwohl er amtlich 1929 aus dem Judentum ausgetreten war) mit Verfolgung rechnen. Der akuten Gefahr konnte er 1933 zunächst durch eine auf abenteuerlichem Wege erfolgte Übersiedlung nach Wien noch entgehen und von dort auch unter Pseudonym Texte veröffentlichen. Nach dem „Anschluss“ Österreichs folgte die Flucht nach Paris und schließlich mit viel Glück 1939 nach New York als vorläufiger Endstation. In Amerika traf er 1941 seinen Freund Blücher und dessen Frau Hannah Arendt sowie etliche andere alte Bekannte wieder. Für die im Exil lebenden deutschen Flüchtlinge war Amerika aber zunächst „ein verflucht hartes Land“ (S. 146). Ohne die tätige Unterstützung seiner Frau Elke hätte Gilbert wohl nur schwer existieren können.

1944 beantragte er die amerikanische Staatsbürgerschaft, erwog aber nach Kriegsende bald eine Rückkehr nach Europa. „Hier ist alles so ganz anders“, schrieb er 1946 an einen Freund, „viel mehr anders, als man sich vorstellt. Was man drüben war, gilt hier blutwenig.“ (S. 183) Zunächst organisierte er einen Aufenthalt in Europa auf Probe, München und Berlin waren dann die Stationen, von denen aus auch schnell der Wiederaufstieg gelang. Sein Wohnsitz aber blieb die Schweiz. Dort starb er 1976.

Gilberts bunte und bewegte Biografie in Deutschland und im Exil wird in der aus einer Dissertation an der Freien Universität Berlin hervorgegangenen Arbeit von Christian Walther mit Engagement und einer Fülle interessanter Details rekonstruiert. Viele exemplarische Züge machen das Buch über das rein Biografische hinaus für Exilgeschichte allgemein ergiebig. Der Autor hat die politischen Rahmenbedingungen gekonnt mit den Texten, durch die Gilbert bekannt wurde, kombiniert und bietet so eine ebenso instruktive wie amüsante Lektüre. Es gibt einige Passagen, denen man den archivalischen Entdeckerstolz anmerkt und die für Nichtspezialisten allzu detailliert erscheinen. Andererseits zeigt sich gerade in markanten Details (zum Beispiel in den ausführlich dargestellten Visaproblemen), wie verworren und fast unglaublich Lebens- und Fluchtgeschichten für jüdische Exilanten verlaufen konnten. Es ist eine flott, streckenweise brillant geschriebene und zugleich sehr gründlich aus vielen Archiven und Interviews recherchierte Monografie, eine Fundgrube über das Leben Gilberts und einige Highlights der leichten Muse seiner Zeit mit ihren fatalen politischen Hintergründen.

Robert Gilbert wurde mit Schlagern, Balladen und Operetten in Berlin, später in Wien bekannt. Der Berliner Dialekt, die schnoddrigen Texte für die Kleinkunstszene legen Parallelen zu Claire Waldoff nahe. Man lernt hier einen Autor kennen, der Gassenhauer und sarkastische politische Analyse wunderbar mit bissigem Sprachwitz zu verbinden verstand. Das wohl bekannteste politische Lied aus der Zusammenarbeit mit Eisler war das Stempellied von 1929, getextet unter dem Pseudonym David Weber, gesungen von Ernst Busch. Eisler stellte dazu fest: „Das Stempellied von David Weber war eine ganz außerordentliche Sache. Das war absolut das, was man einen Riesenerfolg nennt.“ (S. 43) Zu den weniger bekannten, aber politisch besonders bissigen Texten gehörte die Ballade von der Krüppelgarde, die auf die immer noch präsenten Folgen des Weltkrieges, aber auch (durch die Assoziation Knüppelgarde) auf die Schlägertrupps der radikalen Parteien anspielte. Weniger dezidiert politisch, aber ursprünglich mit deutlich sozialkritischem Bezug fiel der populäre Schlager Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh‘n von 1929 aus, der 1961 durch den nach ihm benannten Erfolgsfilm (ohne Sozialkritik) wieder fröhliche Urstände feierte.

Die Entstehung und Entwicklung des Tonfilms erschloss für Gilbert seit den späten 1920er-Jahren ein neues Arbeitsfeld. Zentral wurde die Beziehung zum „Tonfilmmann der ersten Stunde“ Werner Richard Heymann. Aus der Zusammenarbeit entstanden zwei zündende Songs Liebling, mein Herz lässt dich grüßen und Ein Freund, ein guter Freund. Der vergleichsweise seichte, aber ungemein erfolgreiche Film Die Drei von der Tankstelle (D 1930) gehört ebenfalls in diesen Kontext. Joseph Goebbels verbot ihn mit der Begründung, er entspreche nicht „den an einen deutschen Film zu stellenden Anforderungen“ (S. 72).

Die politische Nähe mancher Texte zur KPD verschwand spätestens im Exil, und dass in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) seine Arbeiterlieder geschätzt wurden, hat Gilbert eher verstimmt. Anders als etwa Mascha Kaléko fand er in der Bundesrepublik ein vertrautes Aktionsfeld und mit einigen Operettentexten auch hohe Popularität wieder. Zu den größten Erfolgen und Evergreens gehörte hier neben dem Weißen Rössl in der Spätphase seines Schaffens die Übersetzung des amerikanischen Musicals „My Fair Lady“ mit dem genial nachgedichteten Titelsong Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen (in der Berliner Variante „es jrient so jrien“).

Christian Walthers sorgfältig gestaltetes Buch ist über die vielen darin wiedergegebenen Liedertexte hinaus auch ein fulminanter, mit Namen und Verweisen gespickter Beitrag zur Geschichte des intellektuellen Exils und der Zeit danach. Mich hat kein Esel im Galopp verloren – Gedichte aus Zeit und Unzeit lautet der Titel von Gilberts letzter Publikation 1972. Hannah Arendt ist darin mit einem Nachwort vertreten, das ihn – vielleicht etwas überzogen – in die Nachfolge Heinrich Heines stellt. Die darin (fingiert in Amerika geschaffene) enthaltene „Leierkastenodyssee“ lässt sich als Gilberts Lebensgeschichte in leicht melancholisch gefärbten Reimen lesen:

„Ich tu’s auf Deutsch, inmitten von New York –
Man setzte mich hier über,
Borgt Ihr mir eine Schwimmweste aus Kork,
Dann komm ich wieder rüber
Zu Euch. Das heißt Berlin. Ach Gott, ach ja,
Auch ich fing an der Spree an,
Bis Dreiunddreißig. Dann war Schluss, denn da
Fing meine Odyssee an.“ (S. 294)