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Titel
Die Kaiserzeit. Römische Geschichte von Octavian bis Diocletian, 31 v. Chr. – 284 n. Chr.


Autor(en)
Brandt, Hartwin
Reihe
Handbuch der Altertumswissenschaft. Alter Orient, Griechische Geschichte, Römische Geschichte 11
Erschienen
München 2021: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
XII, 707 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus-Peter Johne, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Neubearbeitung der römischen Kaiserzeit im „Handbuch der Altertumswissenschaft“, 1886 von Iwan von Müller begründet und inzwischen viele Bände zu den verschiedensten Bereichen umfassend, durch den an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg wirkenden Verfasser ist ein großer Wurf. Sie ersetzt nicht nur das in mehrfacher Hinsicht überholte Vorgängerwerk von Hermann Bengtson, das in seiner 3. Auflage von 1982 auf 478 Seiten Republik und Kaiserzeit zusammen behandelt hatte1, sondern besticht auch durch eine neue Sicht auf diese Epoche. Die Ereignisgeschichte wird nur in gezielter Auswahl und ohne den Anspruch auf Vollständigkeit in Darstellung und Dokumentation geboten. Der Schwerpunkt liegt vielmehr auf einer eingehenden Analyse der Regierungspraxis und auf den Mechanismen der Herrschaft. Dabei sind Akzeptanzbedürfnis und Kommunikationszwang die wichtigsten konzeptionellen Kategorien (S. 10f.). Die Kaiser mussten stets um Konsens und Akzeptanz ringen, um ihre Rolle in der Gesellschaft zu stabilisieren. Ihre Kommunikation konnte sich nicht, wie oft angenommen, auf den Senat, das Heer und die stadtrömische Bevölkerung beschränken, sondern musste auch die provinzialen und kommunalen Eliten im gesamten Reich berücksichtigen. Den epigraphischen, archäologischen, numismatischen und papyrologischen Zeugnissen wird daher ein viel größerer Raum als in bisherigen Darstellungen eingeräumt, vor allem die Münzlegenden werden in großem Umfang zur Ergänzung der literarischen Quellen herangezogen.

Bei der ins Detail gehenden Erörterung, wie sich der frühe Prinzipat unter Augustus allmählich herausgebildet hat, werden die Ereignisse des Jahres 23 v.Chr., insbesondere die Verleihung der jährlich erneuerten tribunizischen Gewalt, als eine markante Zäsur eingestuft. Der Prinzipat wird als eine besondere Form der Monarchie definiert, die ihre Wurzeln in den Bürgerkriegen der ausgehenden Republik besaß und von Augustus durch eine Reihe von zum Teil ad hoc getroffenen Maßnahmen in eine republikanisch gekleidete, monarchische Herrschaft gebracht worden ist, die stets auf breiten Konsens, aktive Mitwirkung und Akzeptanz seitens wichtiger gesellschaftlicher Gruppen sowie auf die Verfügbarkeit über die militärischen und finanziellen Ressourcen angewiesen war (S. 72).

Im Mittelpunkt steht immer das innenpolitische Geschehen, wie die Grundzüge von Herrschaft und Verwaltung, die kultische Verehrung des Princeps, die Repräsentation und die Ideologie in ihren verschiedenen Facetten. Die Regierung des Tiberius wird als ein Misslingen der Kommunikation charakterisiert, die von Caligula und Nero als eine Autokratisierung des Prinzipats. Dasselbe lässt sich von der Herrschaft Domitians sagen, nachdem Vespasian und Titus dieses System stabilisiert hatten. Die Kriege an den Grenzen werden meist nur gestreift. Auffällig ist die knappe Behandlung der Feldzüge in Germanien unter Augustus und Tiberius (S. 68f. u. 122f.) im Vergleich zu der eingehenderen Darstellung des Jüdischen Krieges (S. 248–252).

Die Geschichte fast des ganzen 2. Jahrhunderts steht unter der Überschrift „Die Adoptivkaiser“. Dabei geht es um die Frage, wie sich Trajan als idealer Kaiser stilisiert hat; um den „Reisekaiser“ Hadrian, der mehr als die Hälfte seiner Regierungszeit in den Provinzen verbrachte und um den vermeintlichen „Friedenskaiser“ Antoninus Pius, der dem Römischen Reich ein „Goldenes Zeitalter“ beschert habe. Das Jahr 161 führte erstmals zur Etablierung einer Samtherrschaft mit dem Doppelprinzipat von Mark Aurel und Lucius Verus. Die Regierung des Commodus brachte die Rückkehr zur dynastischen Erbfolge. Dem Sohn Mark Aurels wird zwar eine übersteigerte Selbsterhöhung und die konsequent betriebene Autokratisierung seiner Herrschaft bescheinigt, aber die verbreitete These eines Größenwahnsinns wird zurückgewiesen.

Bei dem großen Wert, der auf die Kommunikation des Herrschers mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gelegt wird, überrascht es, dass die Bittschrift der Kolonen vom Saltus Burunitanus aus dem Jahre 182 nur beiläufig gestreift wird (S. 414f.). Diese Bittschrift ist der seltene Fall einer Kommunikation der einfachen Landbevölkerung mit dem Kaiser. Die Pachtbauern einer nordafrikanischen Domäne beschwerten sich über ihre Bedrückung durch Großpächter und Prokuratoren. Nach mehreren erfolglosen Beschwerden gelang es ihnen, den Kaiser zu erreichen und ihn als ihren Grundherren um Hilfe zu bitten. Den für sie positiven Bescheid von Commodus ließen die Kolonen, die sich als „einfache Bauersleute, die ihren Lebensunterhalt allein mit ihrer Hände Arbeit verdienen“ vorstellen, in Stein hauen, um sich stets darauf berufen zu können (CIL VIII 10570, III 18–20). Dieses Zeugnis ist so gewichtig wie die ausführlicher erwähnten Beschwerden der Dorfbewohner von Skaptopara in Thrakien aus dem Jahre 238 und die der Kolonen einer Domäne in Phrygien um 245 über die Willkür von Beamten und Soldaten (S. 495 u. 502f.)

Die Herrschaft der Severer wird als Übergangsepoche zwischen dem Zeitalter der Antonine und der turbulenten Soldatenkaiserzeit gewertet. In diese Jahrzehnte fallen gewichtige Veränderungen bei der sozialen Herkunft der Kaiser. Von der Begründung des Prinzipats bis in die Severerzeit gehörten alle Herrscher dem Senatorenstand an. Mit Macrinus trat 217 erstmals ein Ritter an die Spitze des Reiches und mit Maximinus Thrax 235 ein in den Ritterstand aufgestiegener Berufssoldat. Er eröffnete die lange Reihe der Soldatenkaiser, deren Herrschaft durch eine generelle strukturelle Krise und durch Akzeptanzdefizite gekennzeichnet war. Als Desintegrationsprozesse werden das Gallische Sonderreich der Jahre 260 bis 274 und das Teilreich von Palmyra 260 bis 272 verstanden.

Am Ende steht ein kurzes Kapitel über Gesellschaft und Wirtschaft im 3. Jahrhundert, in dem der Verfasser die oft zitierte pessimistische Bewertung dieser Epoche von Michael Rostovtzeff deutlich relativiert. Eine Behandlung von Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur hätte man sich aber auch für das 1. und 2. Jahrhundert gewünscht. Sie hätte das von der Kaiserzeit gezeichnete Bild zweifellos abgerundet. Neben Karten und Stammtafeln beschließen eine sehr ins Detail gehende Zeittafel und drei umfangreiche Register dieses für die künftige Forschung unerlässliche Werk.

Anmerkung:
1 Hermann Bengtson, Grundriß der römischen Geschichte, Bd. 1: Republik und Kaiserzeit bis 284 n.Chr. (= Handbuch der Altertumswissenschaft III 5), 3. Aufl., München 1982.

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