Kunst und Künstler:innen aus der DDR gerieten nach der "Wende" lange Zeit aus dem Blickfeld von Öffentlichkeit und Forschung: Mit Klischees behaftet fristen zahlreiche Kunstwerke bis heute ihr Dasein in Depots wie dem Kunstarchiv Beeskow, in dem seit 1993 vom DDR-Kulturfonds finanzierte Werke aufbewahrt werden. Erst in der letzten Dekade mehren sich Ausstellungen und Publikationen zu Kunst aus der DDR, allerdings zumeist in den neuen Bundesländern. Insgesamt stellt die Erforschung von in der DDR entstandener Kunst weiterhin ein Desiderat dar.
Diese Forschungslücke zu füllen ist nicht der Anspruch vorliegender Dissertation von Anja Tack. Vielmehr geht es ihr darum zu untersuchen, wie es zu Abwertung und öffentlicher Unsichtbarkeit von Kunst aus der DDR gekommen ist. Eine zentrale Rolle für die heutige Rezeption dieser Kunst schreibt Tack dem sogenannten deutsch-deutschen "Bilderstreit" zu: Dieser wurde 1990 durch Georg Baselitz ausgelöst, als dieser sich in einem Interview abschätzig über Künstler aus der DDR äußerte, und fand 1999 anlässlich der Ausstellung "Aufstieg und Fall der Moderne" in Weimar, bei der Kunst aus der DDR und NS-Kunst zusammen präsentiert wurden, einen Höhepunkt. Erst die ebenfalls in Weimar gezeigte Ausstellung "Abschied von Ikarus. Bildwelten der DDR" 2013 setzte durch einen sachlichen Umgang mit Kunst aus der DDR einen Schlussstrich unter die hitzig geführte Feuilleton-Debatte.
Tacks Ausgangsthese lautet, dass die Dispute des "Bilderstreits" gleichwohl bis heute den diskursiven Rahmen für den Umgang mit Kunst aus der DDR bilden. Ziel ihrer Arbeit ist es daher, die im Rahmen der Vereinigungsdebatten etablierte "argumentative Schablone" offenzulegen, "die sich zwischen den Polen Repression und Kreativität aufspannt und dabei der Auffassung folgt, Kunst könne nur in Freiheit entstehen“ (S. 9). Hierfür möchte sie mittels einer qualitativen Diskursanalyse die historischen Rahmenbedingungen der Auseinandersetzungen im Jahr 1990 analysieren. Es sollen "sozial- und kulturhistorische Aspekte mit der Analyse des öffentlichen Diskurses über die Kunst aus der DDR" zusammengeführt werden, wobei verschiedene Perspektiven, deren Genesen sowie der historische Kontext aufgeschlüsselt und in Relation zueinander gesetzt werden sollen (S. 14). Tack stützt sich maßgeblich auf den Quellenbestand des "Archivs der DDR-Kunst" am Kunstgeschichtlichen Seminar Hamburg, dazu kommen Quellen aus digitalen Datenbanken von Tageszeitungen und Fachzeitschriften sowie Ausstellungskataloge. Ergänzt wird der Bestand um Quellen aus dem Bundesarchiv, dem Archiv der Akademie der Künste und bisher in der Forschung unberücksichtigte Quellen aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv. Karl-Siegbert Rehberg und Walter Grasskamp folgend geht Tack von einer "Stellvertreterfunktion" (S. 11) dieser Debatten aus: Es sei der einzige öffentliche Diskurs, in dem die Schwierigkeiten der gesellschaftlichen Vereinigung sichtbar würden. In ihm seien mentale Zerwürfnisse sowie ethische und intellektuelle Fragen verhandelt worden, die sich in vielerlei gesellschaftlichen Bereichen ergaben, aber zu dieser Zeit kaum zum Gegenstand öffentlicher Aushandlungsprozesse geworden seien (S. 11f.). Die daraus resultierende "analytische Bedeutsamkeit" (S. 13) – insbesondere für eine Historisierung der "Wende" – macht den "Bilderstreit" zum relevanten Untersuchungsgegenstand für die Historikerin.
Tacks Untersuchung erfolgt in drei Hauptkapiteln und schließt nach einem Resümee mit einem Seitenblick nach Polen. Kapitel 1 richtet den Fokus auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Künstler in der DDR zur Zeit der deutschen Teilung, wobei politische Vorgaben (Sozialistischer Realismus, Formalismuskampagne, Bitterfelder Weg), die Rolle der Hochschulen und Professoren sowie des Verbandes Bildender Künstler der DDR (VBK) ebenso reflektiert werden wie künstlerische Interessen (Anknüpfen an Vorkriegsmoderne, Autonomie der Kunst). Besonders zwei Konfliktfelder sind Tack zufolge von zentraler Bedeutung für den späteren "Bilderstreit“: Reibungen zwischen "staatstreuen" und "nonkonformen" Künstlern und spezifische Rezeptionsmuster auf westdeutscher Seite. Die beiderseits staatlich forcierte, zur Abgrenzung von DDR und BRD beitragende Polarisierung von gegenständlicher, einer Ideologie dienender (DDR) und ungegenständlicher, freier (BRD) Kunst vermittelt die Etablierung eines die westdeutsche Rezeption leitenden Images von Kunst aus der DDR als "Staatskunst", das demjenigen der "freien" Kunst aus der BRD diametral gegenübersteht. Mit der Feststellung, dass diese "Image"-Bildung im Kontext des "Bilderstreites" zur Deklassierung von Kunst aus der DDR beitrug, schließt Tack das erste Kapitel.
In Kapitel 2 analysiert und kontextualisiert Tack die Folgen des Vereinigungsprozesses für Kunst und Künstler im Jahr 1990. Dabei stellt sie mit dem Abschluss des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion einhergehende strukturelle Probleme der Existenzsicherung, der Konkurrenz auf dem Kunstmarkt und Veränderungen im Ausstellungswesen sowie damit verbundene Kontroversen ebenso umfassend dar wie den Weg zur Durchsetzung einer "Kulturnation" im Einigungsvertrag. In diesem Kontext verortet Tack einen weiteren Kernaspekt der Auseinandersetzung, wobei sie den Fragen nachgeht, inwiefern der Zugewinn von künstlerischer Freiheit mit dem Verlust von sozialer Sicherheit durch staatliche Förderung einherging und wie die Debatten um soziale Absicherungsmechanismen für Künstler von ost- und westdeutschen Kulturakteuren, Verbänden, Medienvertretern und Künstlern interpretiert wurden. Ein weiteres Konfliktfeld resultiert Tack zufolge aus der Kontinuität von "Ungerechtigkeiten“ (S. 216) und Ohnmachtserfahrungen einer ostdeutschen Künstlerschaft, die Tack einerseits als von "innere[r] Zerrissenheit" geprägt charakterisiert (S. 155), andererseits als "Allianz der Enttäuschten" (S. 161).
Kapitel 3 widmet Tack den von westdeutschen Medien, Kulturakteuren und Künstlern öffentlich formulierten Reaktionen auf Kunst und Künstler aus der DDR. An der westdeutschen Erwartungshaltung, mit der als "Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Vereinigung beider Gesellschaften" ein "umfassender Bewusstseinswandel, die damit verbundene kritische Reflexion des eigenen Handelns in der Vergangenheit sowie die Neujustierung des eigenen, durch Sozialisation erworbenen Wertekanons […]" gefordert wurde (S. 301), lässt Tack am deutlichsten die Stellvertreterfunktion der Debatten erkennen: Der "Bilderstreit“ erscheint als Abrechnung des Westens mit dem SED-Regime auf dem Rücken der Künstler. Die Autorin konstatiert ein durch die Dominanz der westdeutschen Position bedingtes asymmetrisches Sprecherverhältnis innerhalb des Diskurses: In westdeutschen Medien formulierte provokative, teils polemische Äußerungen (wie z.B. das erwähnte Interview von Baselitz im Art-Magazin) drängten einzelne, oft persönlich adressierte Künstler (wie z.B. Willi Sitte, Bernhard Heisig oder Wolfgang Mattheuer) in eine kontraproduktive Abwehr- und Verteidigungshaltung (S. 226), durch welche weder Kritik ausgeräumt noch Vorwürfe widerlegt werden konnte. Vielmehr sieht Tack westdeutsche Vorbehalte durch das Verhalten ostdeutscher Akteure bestätigt. Die Analyse führt zu dem Schluss, dass die westdeutsche Rezeption von Kunst aus der DDR auch nach 1989 weitgehend dem Image folgt, das die SED-Regierung durch die Inszenierung des Sozialen Realismus etabliert und propagiert hatte. Die Verfestigung westdeutscher Rezeptionsmodi sowie die Polarisierung und Delegitimation der ostdeutschen Künstlerschaft hätten die Dynamik des Diskurses zugespitzt.
Nach einem Abbildungsteil in Kapitel 4 resümiert Anja Tack in Kapitel 5 die Ergebnisse ihrer Diskursanalyse, wobei sie nochmals die heutige Relevanz der Debatten des Vereinigungsprozesses verdeutlicht: Die Außenwahrnehmung von Kunst aus der DDR lasse auch 30 Jahre nach der Vereinigung ein relativ undifferenziertes Bild erkennen. Wenngleich Ausstellungen seit einigen Jahren einen sachlichen und angemessenen Umgang mit DDR-Kunst als Teil deutscher Kunstgeschichte pflegten, sei die fortwährende Wirkung der im „Bilderstreit“ verfestigten diskursiven Rahmung daran zu erkennen, dass man in diesen Ausstellungen einen "neuen“ Blick auf die DDR zu entwickeln beanspruche. So erscheint Kunst aus der DDR stets als kontrovers diskutierter oder zu rehabilitierender Sonderfall in der deutschen Kunstgeschichte. Tack schließt ihr Resümee mit der Einordnung ihrer Untersuchung als Beitrag zur Historisierung der "Wende“, indem sie erläutert, inwiefern die Debatten über Kunst erhellend für das Verständnis gesellschaftlicher Konfliktfelder im Vereinigungsprozess seien: Insbesondere das hier herausgearbeitete asymmetrische Sprecherverhältnis entspreche im Allgemeinen dem deutsch-deutschen Verhältnis. Die fortdauernden Kontroversen im Bereich der Kunst könnten Tack zufolge Aufschluss über anhaltende "kulturelle Konflikte" geben (S. 375). Kapitel 6 stellt kulturpolitische Entwicklungen in Polen, wo es keinen "Bilderstreit" gab, als Kontrastfolie zu denjenigen in der DDR dar. Wesentliches Ziel Tacks ist es, den westlichen Maßstab der "Freiheit der Kunst“ (S. 430), durch den "Ostkunst" (S. 432) der Gefahr einer generellen Deklassierung unterliege, offenzulegen.
Die bis in die Gegenwart teils hitzig geführten Debatten werden von Tack sachlich und ausgewogen in all ihren Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen dargestellt und kontextualisiert. Einleuchtend belegt sie ihren zentralen Befund, dass der "Bilderstreit“ bis heute die diskursive Rahmung im Umgang mit Kunst aus der DDR bestimmt. Das Aufzeigen von Zusammenhängen zwischen historischer Debatte und aktuellen Rezeptionsmustern birgt Erkenntnispotenzial für eine neue Perspektivierung und reflektierte Rezeption von Kunst aus der DDR. Insgesamt folgt Tack in hohem Maße vorliegenden Forschungsergebnissen. Besonders auffällig wird dies beispielsweise in Teilen des ersten und dritten Kapitels, in denen sie umfassend aus Sekundärliteratur zitiert. Eine eigenständig verfasste Zusammenfassung wichtiger Aspekte hätte bei gleichbleibendem Erkenntnisgewinn wohl einen Beitrag zu einer präziseren und pointierteren Darstellung von Tacks eigenen Ergebnissen geleistet.
Auch muss die Absolutheit einiger Aussagen Tacks relativiert werden, wie beispielsweise im Falle der postulierten "Vereinheitlichung der Künste" (S. 41) als Folge der kulturpolitischen Vorgaben in der DDR in den 1950er-Jahren. Diese These hat nur mit der Einschränkung Bestand, dass sich Tack auf die öffentliche Sichtbarkeit von Kunst in institutionalisierten Räumen bezieht. Dokumentiert ist eine Vielzahl von Künstler:innen, die trotz drohender Repressionsmaßnahmen, Ausschluss aus dem VBK und öffentlicher Kritik freie Kunst nach eigenen Vorstellungen geschaffen haben – oftmals in inoffiziellen Kunstkontexten oder im Verborgenen –, wie etwa der Gothaer Künstler Kurt W. Streubel, der lebenslang abstrakt malte, während er seinen Lebensunterhalt als Gebrauchsgrafiker verdiente. Irritierend ist insbesondere in Kapitel 3 die Rede von sich gegenseitig stimulierendem ost- und westdeutschem Diskurs (S. 219), da es Tacks Ausführungen zufolge vielmehr um differente ost- und westdeutsche Sprecherpositionen innerhalb des deutsch-deutschen Diskurses geht. Positiv zu werten ist, dass Tack die innere Heterogenität der als ost- und westdeutsch gekennzeichneten Perspektiven meist klar darstellt. Weshalb ein unkommentierter Abbildungsteil als "viertes Kapitel" eingeschoben wurde, bleibt offen. Hier scheint die Autorin von einer Selbstevidenz der Bilder auszugehen. Das angehängte Kapitel 6 birgt nur wenig relevante Erkenntnisse für den Untersuchungsgegenstand. Auffällig ist, dass es sowohl im Diskurs selbst als auch in Tacks Untersuchung beinahe ausschließlich um männliche Künstler geht, und dies wird von Tack auch nicht thematisiert. Obwohl ein zentrales Werk der Leipziger Künstlerin Doris Ziegler den Umschlag illustriert, bleibt die Rolle weiblicher Künstlerinnen als Teil der Künstlerschaft aus der DDR weitgehend unbeachtet. Selbst wenn Künstlerinnen keine zentrale (Sprecher-)Position in den Debatten einnahmen, kann dies als aufschlussreicher Befund gelten – oder eben ein Forschungsdesiderat markieren.